Pablo Trapero :: El Clan
Argentinien 1983: Nach dem Sturz des Militärregimes und einer langen Phase politischer Unruhen herrscht Chaos im Land, aber das Familienunternehmen des Patriarchen Arquímedes Puccio floriert. Die Familie ist im Hotelgewerbe tätig, wie ein Handlanger einmal lakonisch bemerkt: Der alte Puccio hat sich auf Entführung spezialisiert, die Opfer – Mitglieder der bürgerlichen Oberschicht – hält er im Keller seines Einfamilienhauses fest.
Den Alltag der Puccios inszeniert Regisseur Pablo Trapero in „El Clan“ als krankes Fritzl-Szenario. Abends sitzen Arquímedes und seine Frau, Epifanía, mit ihren Kindern Alejandro, Guillermo, Silvia und der Jüngsten, Adriana, am Esstisch oder bei den Schulaufgaben, während sich eine Etage tiefer das Entführungsopfer die Seele aus dem Leib schreit. Die häusliche Situation wirkt sich unvorteilhaft auf das familiäre Klima aus, vor allem das Verhältnis von Arquímedes zu seinen Söhnen leidet unter dem Family Business. Der Älteste, Maguila, hat sich bereits nach Neuseeland zum Schafehüten abgesetzt, wodurch er seinem jüngeren Bruder Alejandro, der eine hoffnungsvolle Rugbykarriere in Aussicht hatte, die Verantwortung des Stammhalters – und damit Komplizen – überträgt. Für die engen Verwicklungen von familiärer Treue und kriminellen Geschäften findet „El Clan“ plausible Bilder.
Früh vermisst Trapero mit einer klaustrophobischen Plansequenz das Haus der Puccios: Von der offenen Küche, wo Epifanía das Abendessen zubereitet, folgt die Kamera Arquímedes mit einem beladenen Teller durch die schlecht ausgeleuchteten Räume – „der Junge isst nicht genug“, stellt er mit einem Anflug von väterlicher Fürsorge fest, bevor man realisiert, dass er nicht von seinem Sohn spricht –, vorbei an Alejandro im Wohnzimmer und Adriana, die auf dem Bett Musik hört, bis hinunter zu einer verbarrikadierten Tür, hinter der das jüngste Opfer an einen Heizkörper gefesselt ist. Solche elaborierten Einstellungen verraten die Einflüsse von Martin Scorsese, dessen stilbildende Kamerafahrten Trapero ebenso zitiert wie die perfekt choreografierten Parallelmontagen zu schmissigen Popsongs – in „El Clan“ verleihen die Kinks und Van Halen den Bildern immer wieder einen musikalischen Rhythmus.
Trapero arbeitet auch gern mit Kontrasten. In einer besonders perfiden Szene wechselt der Film zwischen dem Martyrium eines Entführungsopfers und Alejandro, der auf dem Autorücksitz mit seiner Freundin Sex hat. Die Schmerzens- und Lustschreie verschmelzen mit dem treibenden Beat eines spanischsprachigen Rock’n’Roll-Songs, bevor sie von einem dreifachen Kopfschuss jäh unterbrochen werden. Die Ikonografie des harten Gangsterfilms beherrscht Trapero souverän. Gewalt und Familie sind die zentralen Themen in „El Clan“, und beide setzt er ungerührt in Szene. So humorlos, wie Arquímedes sein mittelständisches Unternehmen führt, so klar sind auch die Rollen innerhalb der Familie verteilt. Epifanía spielt die treusorgende Ehefrau und Mutter, die Kinder sind bis auf den Ältesten nicht in die Machenschaften des Vaters eingeweiht.
Wie Tony Soprano trennt Arquímedes Familie und Geschäft, aber die bürgerliche Fassade droht unter den gesellschaftlichen Fliehkräften ganz langsam zu bröckeln. An diesem Punkt wird „El Clan“ auch über das Genre des Gangsterfilms hinaus interessant, denn Arquímedes erweist sich als Relikt einer vergangenen Epoche. Er verkörpert die Kontinuität zwischen dem alten Regime und der neuen demokratischen Ordnung. Im Auftrag des Militärs war er an der Beseitigung von über 30.000 „Desaparecidos“ – Regimegegnern, abgeworfen über dem offenen Meer – beteiligt, nach dem Sturz führt er das Geschäft des Verschwindenlassens auf eigene Rechnung weiter. „Das sind nichts weiter als Zyklen“, beruhigt ihn ein Weggefährte, als im Staatsfernsehen längst der demokratisch gewählte Präsident Alfonsín zum Volk spricht.
„El Clan“ ist auch ein Film über die Hybris der Macht: Die alte Garde verkennt in ihrer Arroganz die Zeichen der Zeit. In Argentinien ist die wahre Geschichte des Puccio-Clans ein TrueCrime-Klassiker, Traperos Verfilmung stürmte dort die Kinocharts. Wie der Silberne Löwe vergangenes Jahr in Venedig bewies, hält „El Clan“ aber auch im internationalen Vergleich stand, etwa gegen die enttäuschenden Gangster-Biopics „Legend“ mit Tom Hardy und „Black Mass“ mit Johnny Depp. Seine erzählerische Ökonomie ist wie bei jedem guten Hardboiled-Krimi mean and lean, und er liefert gerade genug historischen Kontext, um nicht zum Zeitbild hochgejazzt zu werden. Mit anderen Worten, „El Clan“ verfügt über so viele Qualitäten, dass es wohl nur eine Frage der Zeit ist, bis es ein Hollywood-Remake gibt.