Rückblick auf „Trainspotting“: Cool Britannia im Heroin-Rausch
1996 kam Danny Boyles "Trainspotting" in die Kinos – er brachte das Jahr der Engländer, das Jahr des "Cool Britannia", erst richtig zur Geltung. Über einen Film, der auch heute noch neu wirkt.
Nie sah es besser, und nie sah es schlimmer aus ein Junkie zu sein. Aus dem Off prügelt uns Iggy Pop die Trommeln um die Ohren, er singt ausgerechnet sein „Lust For Life“, und Renton (Ewan McGregor) läuft und läuft und läuft vor seinen Häschern davon. Bis in die Ewigkeit, denn es gibt einen freeze frame. Als sein Stoff in die dreckigste öffentliche Toilette Glasgows fällt, taucht Renton in die Scheiße ein – und in seiner Fantasie durchschwimmt er auf der Suche nach seinem Schatz einen bunt schillernden Ozean, zu den Klängen von Brian Enos Mondmusik.
Später verfolgt ihn, er liegt im Entzugsdelirium, ein totes Baby, das kopfüber auf der Zimmerdecke auf ihn los krabbelt – bis heute eine der schrecklichsten Horror-Sequenzen, die nicht aus einem Horrorfilm stammen. Renton plagen Schuldgefühle, weil die Mutter den Säugling in ihrer Junkie-Bude hat verhungern lassen; als er endlich hofft, selbst an einer Heroin-Überdosis zu sterben, sehen wir, wie er six feet under in sein Bett eingelassen wird – wozu extra ein Grab schaufeln? –, was er, das findet auch Lou Reed, für die Bedingung eines „Perfect Day“ hält.
Heroin ist die Perspektive
Was Danny Boyles „Trainspotting“, das vor 21 Jahren in die Kinos kam, so besonders macht, ist das Fehlen eines politischen Kommentars, der Schuldige benennt. Eines Kommentars, der eine Verbindung zieht zwischen Verwahrlosung und Drogenabhängigkeit oder zwischen Arbeitslosigkeit und Drogenabhängigkeit. Der Regisseur erzählt die Geschichte so, wie es Irvine Welsh in der Buchvorlage tat: Die schottischen Junkies um Renton (Ewan McGregor), Sick Boy (Jonny Lee Miller) und Spud (Ewen Bremner) leiden nicht unter Perspektivlosigkeit, im Gegenteil, Heroin ist das einzige, was ihnen Perspektive bietet, egal, was die Gesellschaft ihnen anbietet.
Das Leben ist eben doch mehr als nur „Trainspotting“, die Nachmittage damit verbringen, dass man Züge beobachtet. Dann lieber im Park liegen und Skinheads samt Kampfhunden, die einfach nur in der Sonne relaxen wollen, mit dem Luftgewehr abschießen. In seinem unter Filmfans legendär gewordenen Monolog sagt Renton: „I chose not to choose life: I chose something else. And the reasons? There are no reasons. Who needs reasons when you’ve got heroin?“ Philosophie oder Junkie-Gefasel, das kann jeder selbst entscheiden.
1996 – das Jahr der Engländer
Dennoch lässt sich nicht gerade sagen, dass Boyle und Welsh empfehlen würden eine Drogenkarriere einzuschlagen. In seinem Vorstellungsgespräch für einen McJob erleben wir Spud als verschwitzten Stotterer im Anzug, high bis zum Anschlag, natürlich kriegt er die Stelle dann nicht. Der Stoff ist auch daran schuld, dass nach einem One Night Stand der absolute Worst Case eingetreten ist: Im Schlaf hat sein Schließmuskel versagt, also der Schließmuskel, und das Bett ist voll. Die Heroin-Abhängigen kacken also regelmäßig ab, aber sie tun das wenigstens friedlich. Von Alkoholikern kann man das hier nicht behaupten: Begbie (Robert Carlyle) ist ein echter Pubcrawler, besoffen schlägt er die Leute zusammen. Sprit ist in diesem Film also keine lohnenswerte Alternative.
„Trainspotting“ markierte 1996 einen Höhepunkt in diesem Jahr, das als „Cool Britannia“ in die Geschichte eingehen sollte. Die Engländer weinen ja, das zeigte zuletzt die Eröffnungsparty der Londoner Olympiade von 2012, heute noch dieser Zeit hinterher. Damals traten Oasis gegen Blur an, das Label „Britpop“ vereinte etliche gute und etliche nicht gute Bands, die Spice Girls galten als Feministinnen und Noel Gallagher schüttelte die Hand von Tony Blair in der Downing Street 10.
Dieser Film nun bewies, dass das Vereinte Königreich auch Kino noch konnte. Der „Trainspotting“-Soundtrack vereinte dazu auf knapp 80 Minuten Musik, die im Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter 1996, und auch noch im Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter des darauf folgenden Jahres den Soundtrack des Lebens ausmachte. Neben den Amerikanern Iggy und Reed waren das vor allem Britpop-Bands wie Blur und Elastica, sowie die Veteranen New Order und Primal Scream. „Lager! Lager“ riefen dazu Underworld, ihr „Born Slippy“ markierte den Höhepunkt aller Festival-Auftritte in jenem Jahr. Viele Zuschauer sagen, das war die Zeit der letzten großen Raves.
Hätte man dem jungen Ewan McGregor vor Beginn der Dreharbeiten gesagt, er würde drei Jahre später einen Jedi verkörpern, dazu in der Rolle des Obi-Wan Kenobi, er hätte wahrscheinlich gelacht. Nach „Trainspotting“ wurde McGregor zum Hollywood-Star, genau wie Robert Carlyle und Regisseur Danny Boyle. Der damals schon geahnt haben könnte, dass er das Zeug zum Oscar-Regisseur hat.
„T2 Trainspotting“ kommt nun, er feiert Premiere auf der Berlinale, und wir werden ins Kino gehen, denn die Figuren sind uns, gerade wegen ihrer vielen Fehler, auch ans Herz gewachsen.