Jochen Distelmeyer
Songs From The Bottom Vol. 1
Four
Der Blumfeld-Sänger covert im Nebel des Irgendwie und Irgendwo Pop-Hits von Britney Spears, Lana Del Rey und Radiohead
Als Autor wird Jochen Distelmeyer nicht so bedingungslos geliebt wie als Liedermacher. Doch als er im vergangenen Jahr sein papierenes Romandebüt, „Otis“, auf die Bühne brachte und mit Songs anderer Leute anreicherte, ergab plötzlich alles Sinn. Distelmeyer ist ein genialer Hochstapler und Schwindler, der einen völlig überzeugt, wenn er seine Werke mit lässigem Duktus im Nebel des Irgendwie und Irgendwo verortet und mit dieser wundervollen Jungsstimme interpretiert.
„Auf Anregung der Fans“ habe er nun die auf der Lesetour gesungenen Lieder aufgenommen, lässt der Künstler wissen. So wie er 2014 ja auch Blumfeld „auf Anregung eines Fans“ wiedervereinigte. Das ist natürlich nur eine rhetorische Figur, ein Verweis auf die Popmythologie. So wie das „Nashville Skyline“-artige „Läufst du schon?“ einer auf den Tonmeister zu Beginn des Videos ist, mit dem Distelmeyer seine neue Liedersammlung im Netz vorstellte. Dort sieht man den Sänger in einer abgedunkelten Kemenate unter einer Funzel sitzen, ein paar Sonnenstrahlen lugen durch den kunstvoll drapierten Vorhang und erhellen auf dem Boden stehende Weinflaschen. In diesem privatistischen Setting singt er zur akustischen Gitarre – „Toxic“ von Britney Spears! Einen Tanzhit! Social music! Abgefahren! Ästhetisch und historisch ist das allerdings in etwa so daneben, wie wenn Carl Spitzweg Andy Warhol nachmalen würde.
Auch die auf dem Album kredenzten Wohnzimmerversionen von „I Could Be The One“ (Avicii vs Nicky Romero) und „Video Games“ (Lana Del Rey) sind eher witzlos. Joni Mitchell, Aztec Camera, Al Green und Radiohead dagegen lassen sich in dieser Innigkeit naturgemäß gar lieblich interpretieren. Und selbstverständlich hat Distelmeyer recht, wenn er noch einmal zur Klampfe die alte Pete-Seeger-Weise vorträgt, der zufolge es für alles eine Zeit gibt: fürs Gewinnen und Verlieren, fürs Ernten und Säen, für die Liebe und den Hass. Böse Menschen haben keine Lieder, das Private ist politisch, und so jung kommen wir nicht mehr zusammen.
Im Klappentext erklärt Distelmeyer, all diese Lieder seien „Gesänge aus Basements, Backyards und tieferen Schichten“. Das klingt geheimnisvoll und wirft Fragen auf. (Was ist z. B. mit Kellern, Hinterhöfen und deeper layers?) Der Künstler will uns hier – wie Hamburger Diskursrockgelehrte das gern tun – in seine eigene Deutung der Dinge hineinnehmen. Und aus der Innensicht ist dieses Werk naturgemäß schlau und schlüssig. Jenseits der Nebel des Irgendwie und Irgendwo wünscht man sich aber mal wieder eine relevante Platte von Jochen Distelmeyer. Lange her.