Mel Gibson zum 60. Geburtstag: Der Gefallene
Einst der größte Star Hollywoods. Heute nur noch Outlaw. Mel Gibson wird 60.
Mel Gibsons öffentliches Leben spielte sich zuletzt in den Klatschspalten ab, und selbst das ist schon fünf Jahre her. Er sollte damals seine Lebensgefährtin verprügelt haben, sie rief mehrmals die Polizei, es folgten Verbotsverfügungen gegenüber der gemeinsamen Tochter. Dann gab es den Audiomitschnitt eines Telefonats, der rassistische Tiraden dokumentierte. Und immer wieder Klagen wegen Trunkenheit am Steuer – von Polizisten, die der Schauspieler bei seiner Festnahme antisemitisch beschimpft haben soll.
In Hollywood spielt Gibson, der am Sonntag (3. Januar) 60 Jahre alt wird, keine große Rolle mehr. Es ist zum Running Gag geworden, dass Kollegen wie Jodie Foster ihm (nach Ausfällen gegenüber Frauen) und Danny Glover (nach Ausfällen gegenüber Afroamerikanern) permanent zur Seite springen.
Gibson war eine Zeit lang der größte Schauspieler der Traumfabrik, heute wäre er zumindest der streitbarste, hätte sein Name noch Gewicht.
Als sechstes von elf Kindern kommt Mel Gibson in New York zur Welt. Sein Vater ist Hutton Gibson, heute 95, ein strenger Katholik und vor allem in Amerika bekannter Autor diverser Verschwörungstheorien, nach denen die Geschichte der Juden die Geschichte der Inszenierung von Opferrollen ist. Als Mel zwölf ist, zieht die Familie in einen Vorort des australischen Sydneys. Seine erste Rolle bekommt er im Alter von 20 Jahren in der Serie „The Sullivans“, drei Jahre später wird er berühmt: Er spielt den Polizisten Max Rockatansky alias „Mad Max“. Der liefert sich in der post-apokalyptischen Einöde Verfolgungsjagden mit Straßenräubern, die, in einer der wohl schockierendsten Szenen des Kinos, dessen Frau und Baby totgefahren hatten. Die Rolle des wortkargen Rächers einer ermordeten Familie jedenfalls würde über Jahrzehnte Gibsons favorisierte Rolle bleiben, variiert in „Braveheart“(1995) über „Der Patriot“ (2000) bis hin zu „Signs“ (2002).
Tiefe Furchen schon mit 29
Gibson wird in den frühen Achtzigern der „Australian New Wave“ zugerechnet, Filmschaffende, denen der Durchbruch in Amerika gelang, darunter Gillian Armstrong, „Mad Max“-Regisseur George Miller sowie Peter Weir, der ihm Rollen im Erster-Weltkriegs-Drama „Gallipolli“ (1981) sowie in „The Year Of Living Dangerously“ (1982) anvertraut. In Hollywood gehört Mel Gibson nun gerade noch der goldenen Generation von Schauspielern wie Jeff Bridges, William Hurt und Kurt Russell an. Männer, die noch keine 30 sein mussten und trotzdem Charaktere spielen konnten, die deutlich älter waren, und auf deren Schultern die Last der Welt ruhte. Beim ersten „Mad Max“ war Gibson 23, beim dritten Film, als bereits tiefe Furchen sein Gesicht zierten, gerade mal 29 Jahre alt.
Wie sonst in Hollywood nur John Travolta hat Gibson ab Mitte der Achtziger einige erfolgversprechende Rollen abgelehnt, darunter die des James Bond, Batman und John McClane („Stirb langsam“). Gespür für einen Hit bewies er mit der „Lethal Weapon“-Reihe ab 1986 (vier Filme). In den Buddy-Cop-Streifen verkörperte er Martin Riggs, einen durch die Folgen des Vietnamkriegs und Witwerschaft Selbstmordgefährdeten mit Manta-Matte; aus dem in den folgenden Teilen dann doch eine Witzfigur wird.
Gibsons größter Kritiker-Triumph allerdings würde 1995 „Braveheart“ sein, die Geschichte des schottischen Widerständlers William Wallace, der mit seinem Volk im 13. Jahrhundert in den ersten Unabhängigkeitskrieg gegen die Engländer zieht. Fünf Oscars bekommt das Epos, darunter für den „Besten Film“ und für die „Beste Regie“ – die Gibson, gerade mal 38, selbst übernommen hatte. Das pathetische Werk profitierte von einer schwachen Oscar-Konkurrenz („Apollo 13“, „Babe“, „The Postman“), Gibson machte für seine sehr freiheitliche Inszenierung nicht gerade beste Werbung. „Ob die historischen Fakten eingehalten wurden? Das interessiert mich nicht. Mir geht es um die cineastische Erfahrung. Filme sollen zunächst unterhalten, dann lehren, dann inspirieren. Vielleicht haben wir Wallace etwas romantisiert, aber für das Werk war das notwendig. Eigentlich war er ja ein Monster – er roch in Wirklichkeit ständig nach Qualm, weil er permanent Dörfer niederbrannte.“
Die blutigste Kreuzigung
Die Dreharbeiten zu M. Night Shyamalans Horrorfilm „Signs“ werden für den 46-Jährigen zur Zäsur. „Ich fühlte mich wie ein Tollpatsch. Shyamalan sagte, ich würde übertrieben agieren. Ich blickte mich um, und ich sah: Ich war bereits der Älteste am Set.“ Die Konsequenz: Gibson wechselte die Seiten, er wollte nur noch Regie führen.
Und trat ab den Nullerjahren eine Kontroverse nach der anderen los.
Seine Regiearbeit „The Passion Of The Christ“ (2004) erzählte die letzten Stunden des Sohn Gottes als derart blutiges Drama, dass Kritiker ihm Pornografie vorwarfen. Vertreter religiöser Organisationen urteilten, er schüre mit der brutalen Darstellung von Christen und Juden Vorurteile. Mit einem Einspielergebnis von mehr als 600 Millionen Dollar wird der Jesus-Streifen so oder so zum erfolgreichsten nicht jugendfreien Film aller Zeiten. Gibson sagte in Interviews immer wieder, er sei kein Antisemit, aber er müsse sich nun mal „an Fakten halten“ – was immer er damit meinte.
Zwei Jahre später folgt seine bis heute letzte Regie, aber es wird sein bestes Werk. „Apocalypto“ berichtet von mesoamerikanischen Völkern zur Zeit der Mayas im 16. Jahrhundert, deren Hochkultur durch Stammeskriege erodiert, und deren Untergang durch den Einfall der spanischen Konquistadoren beschleunigt wird. Auch eine Arbeit über Menschen, die so gefangen sind von ihrem Glauben, dass sie nicht merken, wie die Welt sich weiter dreht. Ob Gibson dabei auch an sich gedacht hat?
„Apocalypto“ ist als Actionfilm im Dschungel großartig, wie Werner Herzog auf Speed, mit unverbraucht wirkenden Laienschauspielern, die sich große Schmerzen zufügen, und die nicht Englisch sprechen, sondern von Historikern verifiziertes Mayanesisch. „Gibson ist ein Verrückter“, urteilte damals ein Kritiker über den neuen Outlaw von Hollywood. „Aber er ist unser Verrückter.“
Jeden Tag Messe
Nach „Apocalypto“ ist es Gibson nicht mehr gelungen Fuß zu fassen. Unklar ist, ob er selbst das noch will. In „The Beaver“, der missglückten Regiearbeit seiner besten Freundin Jodie Foster, spielte er 2011 einen depressiven CEO, der nur noch mittels einer Handpuppe kommuniziert; für seinen Jungensfreund Sylvester Stallone übernahm er eine Nebenrolle im Ensemble der Ausrangierten von „Expendables 3“.
Was noch fehlt, ist eine Internet-Seite, die Mel Gibsons Sprüche versammelt. Es gäbe genug Material. „Feministinnen mögen mich nicht, und ich mag Feministinnen nicht. Ich weiß nicht, was sie wollen. Aber das ist ihr Problem, nicht meins.“ Oder: „Für Ungläubige wird es keine Erlösung geben … davon bin ich überzeugt.“
Auf sein Anwesen in Hollywood hat Gibson einst eine Kapelle bauen lassen, er besucht dort die Messe, jeden Tag.