Typewriter

Uwe Kopfs Typewriter: Krieg und Frieden

Über den schiefen Vergleich von syrischen Flüchtlingen mit deutschen Vertriebenen im Zweiten Weltkrieg – und die Stimmung in Blankenese

Der Vergleich sollte die Flüchtlinge entschuldigen, um Verständnis für sie bitten und die Deutschen mahnen und daran erinnern, dass viele Deutsche selbst mal auf der Flucht waren: Der Vergleicher zeigte drei Fotos von Menschen, die durch den Schnee stapfen, Frauen und Kinder, wenige Männer; die Menschen ziehen Karren oder Schlitten mit ihren Siebensachen drauf – so flohen die Vertriebenen aus den Ostgebieten, als Deutschland den Zweiten Weltkrieg verloren hatte. Das vierte Foto zeigt einen Jungen, vielleicht 14 Jahre alt, er trägt einen Erwachsenenmantel und weint und ruft wohl gleich nach seiner Mama, auch er ein Vertriebener, scheinbar.

Die vier Fotos mit dem Aufruf, die Flüchtlinge von damals und heute gleichzusetzen und willkommen zu heißen, standen auf Facebook und erhielten an die 100.000 Likes (wobei noch darüber zu reden wäre, was es am Elend zu mögen gibt). Der Vergleicher und seine Möger wussten nicht oder es störte sie kaum: Der Junge ist kein Vertriebener, kein Flüchtling, sondern der berühmteste Soldat aus Hitlers Kinderarmee, seinem letzten Aufgebot. Der Junge trägt einen Wehrmachtsmantel und soll ein Symbol sein für den Wahnwitz des Krieges, ein ähnliches Symbol wie der Junge im Warschauer Getto, der, bedroht von den Nazibütteln, die Hände über den Kopf hebt: Nicht schießen! Die Polen und die Russen vertrieben die Deutschen aus Russland und Polen, die Syrer flüchten nach Deutschland, weil ein Geistes-kranker in Syrien regiert und Syrer foltert und ermordet.

Flucht und Flüchtlinge, das kannten die meisten Deutschen bisher aus Erzählungen: Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat in seiner Autobiografie, „Mein Leben“, beschrieben, wie er zusammen mit seiner Frau, Tosia, damals den Nazis entkommen ist, das Buch hat 1999 Deutschland erschüttert. Einige Todesmutige flohen aus der DDR in die BRD, ansonsten bewunderten die Deutschen eher Einzelne im Fernsehen oder Kino. Den Arzt Richard Kimble. Oder Moses: Der führt das Volk der Israeliten aus Ägypten, teilt auf der Flucht vor dem Pharao mal eben das Meer und ertränkt die Verfolger.

Moses sprach: „Gast bin ich im fremden Land“, und auch Angela Merkel sagte endlich einen Satz, der auf ihrem Grabstein stehen könnte. Nach „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ (Willy Brandt) und „Schaun mer mal“ (Beckenbauer) hat sich Merkel von ihrem Redenschreiber nun den Spruch „Wir schaffen das“ vorsagen lassen. Wer aber was schaffen soll, das bleibt im Ungefähren; es wird jetzt kalt und kälter, da droht ein „Winter unseres Missvergnügens“ (Shakespeare). Eine Parodie stützt Angela Merkel, sie muss ja nicht nur Flüchtlinge aufnehmen, sondern auch Flüchtlingshasser abwehren und ruhig-stellen. Carolin Kebekus nahm den Schlager „Wie schön du bist“ von Sarah Connor und textete ihn gegen Neonazis, Rechtsradikale und andere Stumpfsinnige und fragt diese Typen: „Weißt du eigentlich, wie blöd du bist?“ Wenn die Witzemacherin Kebekus glaubt, dass sie mit ihrem Witzlied auch nur einen Nazi ärgert oder irritiert oder bekehrt, dann ist sie genauso bescheuert wie die Nazis – anders bescheuert, aber bescheuert genug.

Kein einziger Neonazi in Hamburg-Blankenese, die Elbchaussee ist nicht weit; 70 Flüchtlinge sind hier in einem Gebäude untergebracht, und immer noch und immer wieder applaudieren die Hamburger, sobald Flüchtlinge aus dem Gebäude auf die Straße gehen. Der Applaus erinnert an Hollywood, die fünf Oscarnominierten sitzen vor der Bühne, jeder Nominierte klatscht beim Namen der vier Mitbewerber, aber auch beim eigenen, das bedeutet außer Eigenlob: sich selbst Mut machen. Neben mir in Blankenese steht der zehnjährige Enno, er klatscht nicht, sondern staunt und lächelt, er trägt seinen Trainingsanzug, hat einen Fußball unterm Arm und sagt: „Flüchtlinge finde ich super. Wir werden viel Spaß haben.“

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