David Bowie: 20 unbeachtete Perlen ab 1980
Alle Bowie-Fans lieben "Scary Monsters (and Super Creeps)". Aber hat der Mann danach wirklich nichts Tolles mehr abgeliefert? Eine Sammlung von 20 Songs ab 1981, die leider unterbewertet werden.
„Das beste Album seit ‚Scary Monsters (and Super Creeps)'“ – so lautet der Superlativ, den Fans und Kritiker gerne verwenden, wenn sie eine Arbeit David Bowies loben wollen, die nach 1980 entstanden ist. Oder besser gesagt: Wenn sie eine Arbeit Bowies loben wollen, die nach 1989, als zu Beginn eines neuen Jahrzehnts entstanden ist. Denn Bowie in den 1980er Jahren? Geht ja gar nicht, Bowie-Experten sind sich darüber einig.
Cyberspace!
Die „Scary Monsters“-Redewendung wird derart inflationär benutzt, dass es anscheinend jede Platte des Musikers als Lob treffen kann, kaum eine Rezension kommt ohne den Verweis aus. Vor allem diejenigen seit „1. Outside“ von 1995, als Bowie mit Konzept, Esoterik, Cyberspace, Spoken Word, Poesie und Songs ohne Refrains die Herzen seiner Leute zurückobern konnte.
Natürlich hat „Scary Monsters“ seine Stärken: Bowie drischt auf New Wave ein („Fashion“), er setzt Gary Numan zu („Teenage Wildlife“), entlockt Gitarrist Pete Townshend eines seiner besten Riffs („Because You’re Young“) und hämmert die Sargnägel für seine Figur des Major Tom, die nun ein Leben als Junkie führt – „Ashes To Ashes“.
Wer aber findet, dass Bowie danach doch bessere Songs aufgenommen hat, muss längst nicht ins Exil geschickt werden. ROLLING STONE listet 20 unbekanntere Lieder aus der Zeit nach „Scary Monsters“ auf, die zu entdecken oder wieder zu entdecken lohnt, von 1981 bis 2013:
1. Queen & David Bowie: Cool Cat (unveröffentlicht, 1981)
In der auf dem Queen-Album „Hot Space“ veröffentlichten Version fehlt Bowie. „Cool Cat“, einer der schönsten – und entspanntesten – Songs der Band, kommt natürlich auch ohne ihn aus. Sein über Mercurys Falsett gelegtes Summen und Sprechen macht ihn eher zum Hintergrundmann. Womöglich hatte Bowie Angst sich unter Wert zu verkaufen.
https://www.youtube.com/watch?v=OraAjMKPH_8
2. Criminal World („Let’s Dance“, 1983)
Hinter der fast 20-minütigen, monumentalen Eröffnungs-Gala der Maxi-Versionen von „Modern Love“, „China Girl“ und „Let’s Dance“ fallen alle weiteren fünf Albumtracks etwas ab. Neben einer neu aufgenommenen Fassung von „Cat People (Putting Out Fire)“ – das von Giorgio Moroder produzierte Original durfte nicht auf die Platte – überzeugt vor allem dieses Stück. „Criminal World“, 1977 von der Band Metro veröffentlicht, erfährt hier durch Funk-Bass und Stevie Ray Vaughans wie ein Stöhnen klingende Gitarre eine schwüle Note. Laut Wikipedia wurde das Lied vom US-Militär als Folterwerkzeug verwendet – man wollte damit 1989 den panamaischen General Noriega aus seiner Villa rausholen, per voll aufgedrehter Boxen.
3. Don’t Look Down („Tonight“, 1984)
Das Original erschien 1979 auf Iggy Pops Platte „New Values“ und ist eine Co-Komposition mit Stooges-Gitarrist James Williamson. Aus dem launigen Blues-Schunkler macht Bowie einen enthusiastischer intonierten, dennoch trauriger klingenden Reggae-Pop; abgestimmt mit dem Titeltrack „Tonight“, auch eine Art Reggae light, den Skank machen hier die Keyboards. Bowie stiehlt mit Coverversionen den Originalen oft die Show, als wolle er das letzte Wort haben. Beste Beispiele sind „Kingdom Come“, 1980 nur ein Jahr nach Tom Verlaines Lied veröffentlicht, oder „Criminal World“ (siehe oben). In „Don’t Look Down“ erzählt Bowie nun die Geschichte eines Spaziergängers in New York, der das Grab von Rudolph Valentino aufsucht.
4. When The Wind Blows (Single, 1986)
Der Song erschien zwar als Single, ist bis heute aber auf keiner (!) der vielen Bowie-Compilations enthalten. Dabei rührte der Sänger nie mehr zu Tränen als auf diesem Lied über den Dritten Weltkrieg, der durch Atombomben ausgelöst – und wohl auch gleichzeitig beendet wird. Enthalten ist „When The Wind Blows“ zumindest auf dem Soundtrack gleichen Namens, der Film geht auf das Graphic Novel von Raymond Briggs zurück. Die bombastische Produktion mit seinen marschierenden ersten Takten bilden den Kontrast zu Bowies flehender Stimme. „So long child, it’s awful dark / I never felt the sun / I dread to think of when / When the wind blows“:
5. Absolute Beginners (Single, 1986)
Im Jahr 1986 veröffentlichte Bowie zwar kein eigenes Album, dafür einige seiner besten Lieder des Jahrzehnts. Von ihm selbst später als „mein Lieblingsstück aus den 80ern“ bezeichnet, war „Absolute Beginners“ auch Titelsong des gleichnamigen Films, der auf dem Roman von Colin McInnes basiert – ein Jugendporträt über das London von 1958, in dem Rassenunruhen herrschen. Der Legende nach hat Bowie das achtminütige Lied innerhalb eines Tages geschrieben und umgesetzt, geholfen haben ihm dabei im Studio u.a. Rick Wakeman und Gil Evans. Der Chorus über die Liebe, und wie sie Berge versetzen kann, zählt zu Bowies größten Errungenschaften. Seltsam ist nur, warum der Soundtrack mit zeitgenössischer Musik, u.a. Sade und The Style Council bestückt wurde, anstatt das Gefühl der 50er-Jahre wiederzubeleben. „Absolute Beginners“ schaffte es 1986 auf Platz zwei der UK-Charts – kein Bowie-Song danach hat es mehr höher geschafft.
6. Underground („Labyrinth“, 1986)
Wer sich über Bowie lustig machen will, landet früher oder später beim Puppenfilm des Muppet-Machers Jim Henson, in dem der Sänger, hier mit Tina-Turner-Frisur, die Hauptrolle des bösen Goblin-Königs Jareth eingenommen hat. Der „Labyrinth“-Titelsong selbst ist ein reines Vergnügen. Wir sprechen hier schließlich von einer Auftragsarbeit für einen Film, der sich an ein jüngeres Publikum richtet – wieso sollte man da den selbstzerstörerischen Thin White Duke erwarten, oder Ziggy Stardust? Das sechsminütige Lied entwickelt sich mehr und mehr zu einem Gospel, er klingt nach Arbeiten des Produzenten Trevor Horn, verantwortlich aber waren Bowie selbst und Arif Mardin (u.a. Queen). Im Chor sangen, nahezu unbemerkt, u.a. Chaka Khan und Luther Vandross!
7. Magic Dance („Labyrinth“, 1986)
Die zweite Single aus dem „Labyrinth“-Soundtrack (und der zweite von vieren mit Gesang) treibt den Puppen-Schabernack auf die Spitze, Bowie duelliert sich hier mit den Stimmen seiner kleinen Goblin-Soldaten. Das Stück war fast 20 Jahre lang nur als Maxi-Single, nicht als 7″-Vinyl, erhältlich, inzwischen gibt es den „Magic Dance“ als Download. Die nun verfügbare Single-Version mit aufgedrehter Gitarre ist auch die beste der drei Fassungen. Wenige Bowie-Stücke sind tanzbarer, und, das galt ja auch schon für „Underground“: Entscheidend ist, ob es seinen Zweck in einem Kinderfilm erfüllt. Tut es. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass Bowie den „Magic Dance“ je live aufführen wird, ist ähnlich niedrig wie bei seinem „Laughing Gnome“ von 1966.
8. As The World Falls Down („Labyrinth“, 1986)
Nach „Absolute Beginners“, „Let’s Dance“, „Modern Love“ und „When The Wind Blows“ Bowies fünfbester Song der Dekade. Leider auch derjenige, dem eine Veröffentlichung als Single verwehrt blieb, obwohl zu Weihnachten 1986 schon alles bereit stand. Womöglich wurde die Sache abgeblasen, weil sich der „Labyrinth“-Film als Flop erwies. Die mit viel Schmelz vorgetragene Ballade erzählt die unmögliche Romanze zwischen Bowies Goblin-König und Jennifer Connelly. Bowie sollte „As The World Falls Down“ mal live spielen, unbedingt.
9. Zeroes („Never Let Me Down“, 1987)
Keine Fortsetzung, auch keine Verballhornung seines berühmtesten Songs, „Heroes“, aber auch dieses Stück widmet sich den Losern. Eingeleitet wird es ausgerechnet mit Publikumsapplaus, im Folgenden lässt sich Bowie über Science Fiction aus, die ihn in den 1980ern faszinierte, vor allem Science Fiction und Gewalt. „You’ve arrived in the land of a thousand different names / And the fabulous sons have crashed their planes in flames / Now tomorrow is back claiming redemption is on your heels /And a toothless past is asking you how it feels“. Perfektes Setting für seine futuristische „Glass Spider“-Tour. Bemerkenswert auch der Namecheck für den ihn längst überholenden Konkurrenten Prince („And me, my little red corvette has driven by“). Der wiederum sollte ein Jahr später in seinen Song „Glam Slam“ eine Hommage an Bowies Figur des Ziggy Stardust einbauen: „Glam Slam, thank you, M’am.“
https://www.youtube.com/watch?v=ao2Lssyw4y4
10. Time Will Crawl („Never Let Me Down“, 1987)
Umwelt-Zerstörung, Tschernobyl sowie die Gefahr eines Atomkriegs belasteten Bowie in den Achtzigern sehr. Mit Inbrunst – er schreit den Songtitel bereits in den ersten Takten heraus – wirft er sich in dieses Lied über Piloten in Todesmission und missgestalteten Menschen und Tieren. Das von David Richards co-produzierte „Never Let Me Down“-Album bietet einen recht undifferenzierten Mix, in dem Bowies Stimme etwas untergeht. Der „MM Remix“ aus dem Jahr 2008 bietet schließlich die Power, die in dem Lied schlummert. Völlig zu Recht kennzeichnet David Bowie das Stück als eines der besten seiner Karriere, kaum einer kennt es heute noch.
https://www.youtube.com/watch?v=uZiKOH9NXKc
11. Beat Of Your Drum („Never Let Me Down“, 1987)
Songs der Siebziger, „Blackout“ etwa oder „Stay“, gelten als jenes Vorzeigematerial, das Bowies damaligen Kontrollverlust und seine Bindungsunfähigkeit am besten dokumentiert. Auch wenn der Sänger 1987 längst als clean galt – hier zeigt er sich noch ein letztes Mal völlig derangiert, mit einigen der besten Zeilen seines Jahrzehnts: „Photograph king, watches you go / Fashions may change, heaven knows / but you still leave a stain on me / Supplement queen / your colours may fade / Seasons may change, weather blows, but you still leave a mark on me“. Nur zweimal liegt er leicht daneben. „I Like To Beat On You Drum“ ist als Wortspiel für Sex ähnlich schlimm wie das damals von allen benutzte „I Like To Blow Your Horn“. An anderer Stelle bezeichnet Bowie die Meute als „Disco Brats“. So redet der Onkel, wenn er nachts aus dem Fenster auf eine laute Straße schaut.
https://www.youtube.com/watch?v=h52zaHyuaEU
12. Shining Star (Makin‘ My Love) („Never Let Me Down“, 1987)
Die meisten Fans bezeichnen das „Never Let Me Down“-Album als Pop-Quatsch. Dieses Lied hier ist, wenn man sich schon nicht bekehren lassen möchte, zumindest grandioser Pop-Quatsch. So wie die meisten Songs mit einem „Star“ im Titel klingen, so jubiliert auch hier der Sänger in höchsten Tönen. Und, wir sind schließlich in den Achtzigern: Es kommt zu einer kuriosen Paarung. Schauspieler Mickey Rourke übernimmt im Mittelteil einen Rap. Der Song selbst handelt, kann man sich kaum vorstellen, von sozialer Ungerechtigkeit, Leben im Slum.
13. Tin Machine: Amazing („Tin Machine I“, 1989)
Mit seinem Bandprojekt Tin Machine wollte Bowie back to basics gehen: Ein Quartett formieren, losrocken wie einst mit den Spiders from Mars. Dazu ließ er sich auch einen Bart stehen. Als größten Einfluss nannte Bowie die Pixies, deren überfallartigen, kurzen Songs die Musikwelt aufmischten. Am Ende sollten „Tin Machine I“ und „Tin Machine II“ (1991) zu den unbeliebtesten Alben des Musikers zählen. Nicht ganz zu Recht, denn der damals 42-Jährige nahm sich auf beiden Platten viele Freiheiten, die er sich unter eigenem Namen selten gönnte. Dazu zählt auch diese Ballade, das beste Stück aus der kurzen Karriere von Tin Machine:
14. The Buddha Of Suburbia („Buddha Of Suburbia“, 1993)
Der Soundtrack zur TV-Serie „The Buddha Of Suburbia“, die auf Hanif Kureishis Roman basiert, war Bowie eine Herzensangelegenheit. Erzählt wird die Jugend eines Halb-Pakistanis, der im Londoner Süden des Jahres 1970 aufwächst und nach seiner Identität sucht (mit dem später aus „Lost“ bekannten Naveen Andrews in der Hauptrolle). Auch Bowies Londoner Jugend war nicht ohne Spannungen, und der sehnsüchtig und fragend vor sich hinarbeitende Titelsong widmet sich dem ausgiebig: „Living in lies by the railway line / Pushing the hair from my eyes / Elvis is English and climbs the hills / Can’t tell the bullshit from the lies / Screaming along in South London / Vicious but ready to learn /Sometimes I fear that the whole world is queer /Sometimes but always in vain“.
https://www.youtube.com/watch?v=T390_zbZaMg
15. The Wedding Song („Black Tie White Noise“, 1993)
Das „Black Tie White Noise“-Album war seiner Frau Iman gewidmet, es gilt als Bowies „Hochzeits-Platte“. Dieses Stück hatte er explizit für die frisch Angetraute geschrieben. Das Ex-Model ist somalischer Abstammung, und der „Wedding Song“ sollte ihren Wurzeln Rechnung tragen – das Saxofon klingt zwar eher orientalisch als afrikanisch, aber die Intention ist klar. Das Lied (es ist als „The Wedding“ auch in einer rein instrumentalen, mit Kirchenglocken eingeleiteten Version auf der Platte enthalten) würde tatsächlich gut als Ankündigung des Brautpaars funktionieren. Ein wippender Bass, der Blue Eyed Soul, das Paar schreitet, je mehr Instrumente dazukommen, die Treppen der Kapelle hinab, Bowie singt dazu: „Heaven is smiling down, heaven’s girl in a wedding gown / I’m gonna be so good, just like a good boy should / I’m gonna change my ways / Angel for life“. Ein deutlicheres, öffentliches Bekenntnis zu einem anderen Menschen dürfte Bowie tatsächlich nie gegeben haben.
16. Miracle Goodnight („Black Tie White Noise“, 1993)
Die zweite Single der Platte ging, nach dem schlechten Start mit „Jump They Say“, in den Charts unter. Auch dieses Lied war Bowies Frau Iman Abdulmajid gewidmet. Der Rhythmus des Stücks zählt zu einem der kuriosesten seiner Karriere, und Produzent Nile Rodgers spielt, nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit, eines seiner besten Gitarren-Soli. Das Instrument klingt bei ihm so, als hätte sich ein Vogel betrunken.
https://www.youtube.com/watch?v=c4xEBiI2QxI
17. Looking For Satellites („Earthling“, 1997)
„Earthling“, das hat Moby schon richtig erkannt, ist ein Album mit tollen Songs, die in schlecht gealterten Arrangements versteckt sind. „Looking For Satellites“ ist eines der wenigen Stücke, denen Bowie kein Drum’n’Bass-Gewand verpasst hat. Co-Komponist Reeve Gabrels darf seine Gitarre etwas zu stark herausstellen, er spielt fast die ganze Dauer des Lieds ein Gniedel-Solo (das Nachfolgewerk „Hours …“ sollte noch Gabrels-Lastiger werden). Die selbstbewusst vor sich hin marschierende Melodie unterlegt Bowie allerdings mit einem der ihm wichtigsten Themen, den Kontakt mit spirituellen oder außerirdischen Mächten.
https://www.youtube.com/watch?v=rpmW0gmkqp0
18. Something In The Air („Hours …“, 1999)
Der Song, eine Art „Hotel California“ des neuen Milleniums, behandelt eine“Good Thing Gone Wrong“-Situation, hier eine Liebe, die gekippt ist. Recht prominent auf Platz zwei des „Hours …“-Albums positioniert, hatte das Stück trotzdem gegen drei starke Singles („Thursday’s Child“, „Survive“ und „Seven“) keine Chance. Christopher Nolan sollte das tragische Gefühl des Lieds erkennen und „Something In The Air“ als Abspann-Lied für sein Drama „Memento“ benutzen. Der Beginn einer Freundschaft zwischen dem Regisseur und Bowie.
19. Liza Jane („Toy“, 2001, unveröffentlicht)
Für sein bis heute nicht veröffentlichtes „Toy“-Projekt hatte Bowie alte, sehr alte eigenen Stücke neu eingespielt und mit Neu-Kompositionen gemischt. Das Ergebnis war durchwachsen. „In The Heat Of The Morning“ und „Silly Boy Blue“ werden durch ihr reduziertes Tempo und dem überbetonten Gesang prätentiös. „Liza Jane“ dagegen, von Bowie 1964 unter dem Namen Davie Jones with the King Bees und im Alter von 17 Jahren urveröffentlicht, ist hier genau richtig interpretiert: Blues eines Musikers, der schon immer älter klang, als er eigentlich war.
https://www.youtube.com/watch?v=f5Z9CwgIJCM
20. So She (Bonus-Track „The Next Day“, 2013)
Das beste Lied aus dem rund 20 Songs umfassenden „Next Day“-Paket. Hören Sie selbst: