A-ha
Stay On These Roads
Wie "Stay On These Roads" mit hochambitionierten Musikern, die sich Rollenvorstellungen unterwerfen mussten, am Ende zu einer recht durchschnittlichen Platte wurde.
In den Jahren 1988 bis 1993 veröffentlichten A-ha nicht ihre besten, aber ihre interessantesten Alben. Zweifeln, scheitern, aufbäumen, resignieren, alles drin. Den Beginn machte „Stay On These Roads“. Morten Harket, Pal Waktaar und Magne Furuholmen wollten erwachsener klingen, ohne ihre Fans abzuschrecken. Die Plattenfirma dagegen forderte die Rückkehr zu niedlichen Pop-Liedern á la „Take On Me“, die das Album „Hunting High And Low“ 1985 in höchste Chartregionen propellerten. A-ha wollten dem nicht nachkommen. Der 1986 veröffentlichte Zweitling „Scoundrel Days“ war zwar noch schöner als das Debüt. Allerdings fehlten darauf ja die Welthits. In den Chefetagen wurde man demnach nervös.
Die Band, angetrieben von Gitarrist und Hauptkomponist Waktaar, probierte sich nun an ersten, wenn auch ungefährlichen Experimenten. Mit „Out Of Blue Comes Green“ stand am Ende ein mit 6:40 Minuten Länge ausfransender Song, dazu gab’s das Beatle-eske Chor-Stück „You’ll End Up Crying“, in dem die Musiker auf Drums verzichteten. Am Ende wurde „Stay On These Roads“ weniger geliebt als „Scoundrel Days“, und A-ha drohten zu entschwinden. Ihre neuen Ziele hatten sie nicht weit geführt. Und die Lücke, die die Teen-Idole 1988 hinterließen? Wurde nicht gefüllt, es gab aktuell kein Bedürfnis nach Posterboys. Erst 1990 sollte das neue große Ding kommen, Boygroups würden wieder groß werden, mit Sängern in unterschiedlichen Rollen, und Tänzern, die mit der Musik an sich nicht mehr viel zu tun haben würden.
Nun werden sowohl „Stay On These Roads“, als auch „East Of The Sun, West Of The Moon“ (1990) und „Memorial Beach“ (1993), also die letzten drei Alben vor der ersten Trennung 1994, inklusive Bonusmaterial wiederveröffentlicht. „Stay On These Roads“ ist dabei die am unentschlossensten klingende Platte des Dreierpacks. Neben den für A-ha-Verhältnisse waghalsigen Liedern standen jene Hit-Versuche auf Gedeih und Verderb, die von Kritikern und Fans abgestraft wurden und die Musiker, alle bereits Ende 20, wieder wie Teenager aussehen ließen. „Touchy!“ ist das auffälligste Beispiel, „You Are The One“ schrammt mit Bläsern wie aus dem Keyboard knapp am Infantilen vorbei, aber die Abstriche im Arrangement werden durch die wunderschöne Melodie wieder wett gemacht.
Ein Titel-Lied für die Ewigkeit
Das Titelstück „Stay On These Roads“ sollte für 18 Jahre, bis die Band 2006 mit „Analogue“ erlöst wurde, der letzte Top-Ten-Erfolg in den wichtigen britischen Single-Charts bleiben. Die Norweger schickten hiermit eine auf jede Sicherheit bedachte Ballade als erste Auskopplung los. Aber schon nach einer Woche (Einstieg auf Rang fünf) war das Lied über Menschen, die sich am Ende ihres Lebens wiederfinden, auch wieder aus den Top Ten gefallen. Heute ist der Song ein Klassiker, sicher einer der fünf A-ha-Hits mit dem größten Wiedererkennungswert, auch wenn die Band das Stück in ihrer jüngeren Live-Geschichte stets im ersten Viertel ihres Sets bringt und damit geradezu verschenkt. Schlecht gealtert sind die wie mit dem Mund geblasenen Windgeräusche, gesegnet aber ist „Stay On These Roads“ mit einem erbaulichen Text, der für so viele Lebenssituationen taugt. Demonstriert an einem der bewegendsten Momente jüngerer Konzertgeschichte. 2011, ein dreiviertel Jahr nach dem zweiten Bandsplit, fanden A-ha sich wieder zusammen, um in Oslo bei der nationalen Gedenkfeier für die Verstorbenen des Terroranschlags vom 22. Juli aufzutreten. Ein Lied wurde gewünscht. Infrage kommen konnte da nur „Stay On These Roads“. Die Botschaft war deutlich: an dem eingeschlagenen Weg festhalten, weiter an die Freiheit glauben, sich nicht von Rechtsextremen besiegen lassen, so schlimm ihre Taten auch sind.
Die Singles zwei bis vier der Platte zeigen das Dilemma, in der sich jede Band befindet, die endlich ernst genommen werden, aber mit bisherigen Mitteln auch an alte Erfolge anknüpfen will. Das machten gerade die Videos zu den Songs deutlich. „The Blood That Moves The Body“ war noch, befeuert durch eine Art britisch noblen Clip mit Jagdhund, Parkspaziergang und nachdenklichem Pal Waktaar beim Verfassen von Notizen im Schlosszimmer, von neugierig machender Rätselhaftigkeit. „Red stains on ‚Eyes of a blue dog'“? Großartig.
Aber mit „Touchy!“ schossen A-ha übers Ziel hinaus. „Me, I’m Touchy / Touchy Touchy You“ sangen sie, vielleicht mit Wortspielen á la Abba im Sinn. Der Song geisterte lange durch die Köpfe von Waktaar und Keyboarder Furuholmen. Eine frühe Fassung reicht bis 1984 zurück, bis vor „Hunting High and Low“; außerdem hat es eine starke Ähnlichkeit mit dem Mega-Hit „The Sun Always Shines On TV“. Gerade das „Touchy!“-Video dokumentiert einen Tiefpunkt der Band. Die drei Musiker irren in 1950er-Jahre-Anzügen und leichtem Zeitraffer über einen Badestrand und rempeln sich aus Versehen an, während Modelschönheiten mit Fernstechern nach den echten Kerlen suchen. A-ha als Komiker eben, in einer misslungenen Tati-Hommage. Beinahe alles an Ernsthaftigkeit ruiniert, was mit „Scoundrel Days“ zwei Jahre zuvor am Entstehen war. Auf dieser Deluxe-Edition ist „Touchy!“ gleich in vier verschiedenen Versionen enthalten, die Konsumenten von damals zuckten bei dem Song aber gleichgültig mit den Schultern.
Als hätte man Falken zur Jagd freigelassen
Mit der vierten Single „You Are The One“, hier gar fünfmal vertreten, wurde das Happy-Feeling weiter behalten. Aber sieht man von dem etwas künstlich klingendem Arrangement ab, teilt das auf Position neun versteckte und in den Charts untergegangene Lied ein trauriges Schicksal mit „I Call Your Name“ vom 1990 veröffentlichten „East Of The Sun, West Of The Moon“. Auch „You Are The One“ hätte ein Hit werden müssen, so delikat, fein und jubilierend war diese „Put My Life in the Palms of your Hand“-Melodie. Als letzte Auskopplung einer sinkenden Platte war das Stück über gefallene Glücksritter aber chancenlos. Hätten A-ha es dem Vitaminpop-Ensemble der „Hunting High and Low“-Songs angeschlossen, als elften Song, oder gar im Tausch mit dem enervierenden „Train Of Thought“, alles wäre vielleicht anders gekommen. Zumindest haben A-ha die Klasse der Nummer entdeckt, sie spielen es nach Ewigkeiten wieder live, auf ihrer aktuellen Tournee.
1986 absolvierten A-ha ihre erste umfassende Konzertreise, und heute lachen die Musiker über die zum Teil unter Zeitdruck entstandenen Rehearsals und Gigs in Australien, die sie zum Teil wohl am liebsten wiederholt hätten (obwohl die Band für ihre Konzerte gute Besprechungen erhielt). Entsprechend viel Zeit ging damals von der Studioarbeit ab, und so befanden sich auf „Stay On These Roads“ tatsächlich nur acht statt zehn neue Songs. „This Alone Is Love“ erschien erstmals als B-Seite von „I’ve Been Losing You“ 1986. Die hier enthaltene Neufassung ist – dank Waktaars Gitarrensolo, sicher das längste seiner Karriere und geradezu fatalistisch an den Schluss gesetzt – dem Original überlegen. Die als „bislang unveröffentlichte Bonustracks“ angepriesenen „Umbrella“, „Evitar“ und „Thus Ended Our Love Affair“ sind überwiegend instrumentale Skizzen und unbedeutend. Sie beweisen nur, dass A-ha 1988 zur Veröffentlichung von „Stay On These Roads“ bereits alle Karten auf den Tisch gelegt hatten.
Allerdings enthielt die Platte noch den James-Bond-Song „The Living Daylights“, jedoch nicht in der Single-Abmischung von 1987, sondern in der später favorisierten Bandversion ohne John Barry. Was A-ha da wohl geritten hat. Statt des furios vorpreschenden, knochigen Gitarre-Bass-Schlagzeug-Settings mit gelegentlichen Orchester-Schlägen kommt hier ein Synthesizer-Overkill; der Rhythmus allein drückt einen gegen die Wand. Mit John Barry, einem Genie, hatten A-ha sich im Studio gestritten, der Bond-Hauskomponist stieg danach gar aus dem Agenten-Franchise aus. Auf der Deluxe-Edition ist zumindest die Demoversion enthalten, in der Morten Harket, noch weitestgehend ohne Text, die Melodie wortlos singt. Ein seltener Einblick in die kompositorischen Vorgänge innerhalb dieser Band, bei der demnach auch in Zungen gesungen wird. „The Living Daylights“ klingt als Demo so getrieben, als hätte man hier drei Falken zur Jagd freigelassen. Das Bond-Experiment, als Sänger erstmals keine Briten oder Amerikaner mit der Aufgabe eines Titellieds zu betreuen, hatte jedenfalls funktioniert.
Alles hat ein Ende
Geradezu fassungslos macht einen das Potential, das in dem besten Stück von „Stay On These Roads“ steckt, „There’s Never A Forever Thing“. Obwohl lediglich in Brasilien als Single erschienen, würdigte die Band diese Ballade immerhin im Jahr 2010 mit einem Platz auf dem Best-Of-Sampler „25“. Live-Darbietungen sind nicht bekannt, Waktaar weiß zumindest, dass der Song ein ewiger Favorit Harkets ist. Die drei Versionen, ein Akustik-Demo, eines mit Gitarre und Keyboards, schließlich die finale Albumfassung, zeigen A-ha auf der Höhe ihres Könnens. Der Sänger versteht darin intuitiv, was sein Gitarrist von ihm will, beide werden darin eins.
Die Platte auf ein Podest stellen konnte „There’s Never A Forever Thing“ nicht. So wurde „Stay On These Roads“ mit hochambitionierten Musikern, die sich Rollenvorstellungen unterwerfen mussten, am Ende zu einem recht durchschnittlichen Werk. Es sollte jedoch noch genug Luft für zwei weitere Alben bleiben – Besprechungen von „East Of The Sun, West Of The Moon“ und „Memorial Beach“ folgen auf rollingstone.de.