Sidney Lumet :: Dog Day Afternoon
In "Dog Day Afternoon", Sidney Lumets Ode an die Straßen seiner Heimatstadt New York, gibt Al Pacino einen unbeholfenen Bankräuber, der mit einem spektakulär gescheiterten Coup berühmt wird. Zum 40. Jubiläum eines der besten Filme der 1970er.
Manchmal wird die Illusionsfabrik Hollywood dadurch ad absurdum geführt, dass die Realität die Fiktion übertrifft. Wenn z.B. ein geschiedener New Yorker everyman mit zwei Kindern aus heiterem Himmel eine Bank überfällt, um Geld für die Geschlechtsumwandlung seines neuen Partners zu beschaffen.
Davon erzählt „Dog Day Afternoon“. Der auf einer wahren Begebenheit basierende Film dreht sich um den tragisch gescheiterten Versuch des mittellosen Drifters Sonny (Al Pacino), seinem Leben mit einer impulsiven Aktion einen neuen Sinn zu geben. Noch bevor Sonny, Sal (John Cazale) und Stevie (Gary Springer) die Waffen gezogen haben, entscheidet letzterer, dass er doch nicht dazu in der Lage ist, eine Bank zu überfallen – und sucht kurzerhand das Weite. Hilflos überfordert fahren Sonny und Sal fort, nur um nach einigen Minuten festzustellen, dass statt der erhofften Geldsumme nur magere 1000 Dollar im Safe der Bank sind. Als ein Ladenbesitzer auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufhorcht und die Polizei verständigt, ist das Gebäude innerhalb von Minuten umstellt. So beginnt eines der intensivsten Kammerspiele der Filmgeschichte.
Niemals lagen Parodie und Existenzialismus näher beieinander
Zur Umsetzung dieses Stoffes wählte Regisseur Sidney Lumet einen beinahe dokumentarischen Ansatz, der einen als Zuschauer mit seiner grobkörnigen, unmittelbaren Bildsprache geradezu den Staub der Brooklyner Straßen einatmen lässt. Die Atmosphäre des Eingesperrtseins, ja Ausgeliefertseins, das die Protagonisten durchleben, fängt Lumet durch eine geradezu klaustrophobische Verengung der Innenräume der Bank brillant ein. Innerhalb dieser hitzigen Atmosphäre verschwimmen Tragik und Komik bis zur Untrennbarkeit: Die Notsituation lässt Sonny und Sal Freundschaft zu den Geiseln schließen, ein flamboyanter Pizzabote bringt Essen in die Bank, die Medien inszenieren das Ganze als Crime-TV in Liveübertragung, Sonnys Mutter wird irgendwann als Vermittlerin von der Polizei eingespannt und sein transsexueller Partner Leon bricht auf der Straße zusammen, als er vor der Bank Zeuge des Geschehens wird. Niemals lagen Parodie und Existenzialismus im Kino näher beieinander.
Wie kaum zuvor im amerikanischen Kino zeigt „Dog Day Afternoon“ auch einen Verbrecher als liebenswürdigen Außenseiter, dessen Scheitern am Establishment wie in so vielen New-Hollywood-Filmen auch eine Allegorie auf die zerstörten Träume der Counter-Culture ist. Der Schulterschluss zwischen Publikum und Bankräuber, der durch den humoristischen Grundton ermöglicht wird, war selbst im Kontext von Outlaw-Filmen jener Ära, wie z.B. „Bonnie und Clyde“ oder „Badlands“, ungewöhnlich. Ebenso die Tatsache, dass der Film Homosexualität in gänzlicher offener Weise als Teil des großstädtischen Alltagslebens inszeniert – in der damaligen Hollywoodwelt ein progressiver, ziemlich singulärer Schritt.
„Dog Day Afternoon“ ist auch der künstlerische Höhepunkt in der Karriere eines der größten amerikanischen Filmemacher, Sidney Lumet. Beginnend mit seinem ersten großen Erfolg, „Die zwölf Geschworenen“, über Kultklassiker wie „Serpico“, bis hin zur prophetischen Mediensatire „Network“ und dem düsteren Justizdrama „The Verdict“ – immer wieder war Lumet schonungsloser und nüchterner Chronist seiner Heimatstadt New York (und damit in gewisser Weise auch der USA im Gesamten). Selbst im hohen Alter konnte der Sozialrealist noch mit bissigen, zwischenmenschliche Dynamiken rasiermesserscharf durchdringenden Filmen wie etwa „Tödliche Entscheidungen“ überzeugen. Es sollte sein letzter Film bleiben: Am 09. April 2011 verstarb Sidney Lumet im Alter von 86 Jahren in New York City.
Der wichtigste Protagonist: New York
Großes Schauspielkino waren diese Filme immer. Egal ob Al Pacino, Henry Fonda, Paul Newman, Faye Dunaway oder Philip Seymour Hoffman – sie alle liefen vor Lumets Kamera zu Höhepunkten ihrer Karriere auf. „Dog Day Afternoon“ ist da keine Ausnahme. Die extreme zeitliche und räumliche Verdichtung ließ Al Pacino und John Cazale freie Bühne zur Charakterentfaltung. Die unmittelbare Intensität des Films entsteht zum großen Teil aus dem improvisierten, impulsiven Schauspiel der beiden, das dem Film ein subtiles Pathos gibt.
Der wichtigste Protagonist des Films ist trotz alledem New York. Über die gesamte Karriere Sidney Lumets hinweg war die Stadt stets zentraler Dreh- und Angelpunkt für seine Betrachtungen der utopischen wie dystopischen Auswüchse der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft. Und nie ist das Kanalisieren der brodelnden Atmosphäre New Yorks Lumet besser gelungen als in „Dog Day Afternoon“ – bereits die dreiminütige Eingangssequenz des Films ist eine Montage aus fragmentarischen Impressionen der Ostküstenmetropole, in der Glamour und Schmutz, Schönheit und Chaos in einem süffisanten Bildfluss zusammenfinden. „Dog Day Afternoon“ ist ein New-York-Film, der mit „Taxi Driver“, „Manhattan“ und „Do the Right Thing“ in einem Atemzug genannt werden darf.
Ohne Überhöhung und Idealisierung, dafür mit Humanismus und abgebrühter Großstadtsensibilität zeigt „Dog Day Afternoon“ Träume und deren unausweichliches Scheitern – und ist trotzdem eine Ode auf das New York der Siebziger samt seiner exzentrischen Bewohner.