Der freie Radikale: Zum 80. Geburtstag von William Friedkin
Mit "The French Connection" und "The Exorcist“ ging er in die Filmgeschichte ein: Zum 80. Geburtstag des Kino-Extremisten William Friedkin.
Als William Friedkin eine Folge von „The Alfred Hitchcock Hour“ drehte, erschien der große Mann am Set. Er begrüßte Friedkin kurz und sagte dann tadelnd: „An meinem Set wird Krawatte getragen.“ Der junge Wilde hatte in seiner Heimatstadt Chicago beim Live-Fernsehen gearbeitet und 1962 den Dokumentarfilm „The People Vs. Paul Crumb“ über einen Mann in der Todeszelle gedreht (der später freigesprochen wurde). So kam er nach Hollywood und an Fernsehserien wie „Ironside“. 1967 improvisierte er mit den gerade erfolgreichen Sonny & Cher den Slapstick „Good Times“; ein Jahr später inszenierte er in England „The Birthday Party“ nach einem dem Stück von Harold Pinter. Gewalt und Besessenheit, Hörigkeit und Verführbarkeit blieben seine Themen – und das Obsessive war sozusagen sein Inszenierungsstil.
Von allen Ankedoten, die William Friedkin über sein Leben erzählt, ist die von der Oscar-Verleihung 1972 die typischste – weil er selbst den Oscar gewann und weil ein Missgeschick darin vorkommt. In jenem April war Friedkin für „The French Connection“ nominiert und mit einigen Begleitern in einem Rolls-Royce unterwegs zum Dorothy Chandler Pavilion, wo die Verleihung stattfand. Sie kamen aus Beverly Hills, und gegen 14 Uhr war der Motor der Limousine kaputt. An der Ecke Sunset Boulevard und Highland sprangen die Männer in ihren Smokings aus dem Auto und gingen zu einer Tankstelle, und ein Mechaniker stellte fest, dass die Batterie des Rolls versagt hatte.
An der Tankstelle stand gerade ein alter Ford, und ein etwa 30-jähriger Mann saß darin. Friedkin lief auf das Auto zu und fragte den Fahrer, wohin er wolle. Er wollte heim zu seiner Frau im San Fernando Valley – das war die andere Richtung. Friedkin bot ihm 200 Dollar und stelte sich als Nominierter vor. „Wofür?“ – „Für ,The French Connection‘.“ – „Was haben Sie mit dem Film zu tun?“- „Ich bin der Regisseur.“ Der Mann wollte die Oscar-Verleihung vor dem Fernseher gucken. „Und für welchen Film sind Sie?“, fragte Friedkin. „Für Ihren. Aber Sie müssen später meine Frau grüßen! Sonst glaubt sie es nicht.“ Die sechs Mänmner quetschten sich in den Ford und fuhren auf den Hollywood Freeway. Sie kamen rechtzeitig an. William Friedkin, 37 Jahre alt, gewann am Abend den Oscar für die beste Regie und den besten Film.
Die Autojagd unter der Bahntrasse und die ungebremste Fahrt des Zuges. Die Schüsse vom Dach eines Mietshauses. Gene Hackmans Porkpie-Hut. Das Herumstehen in der Kälte, während Fernando Rey im Restaurant feine Spesen serviert werden. Das Auseinandernehmen des Autos auf der Suche nach dem Rauschgift. Die Qualitätsprüfung des Kokains. „The French Connection“ hat so viele erinnerungswürdige Szenen, dass es für das gesamte New Hollywood reichen würde. Hackman fühlte sich als grobschlächtiger Popeye Doyle nicht wohl und glaubte, die Rolle nicht glaubhaft spielen zu können. Friedkin bestärkte ihn, er wollte keinen anderen Schauspieler. Hackman bekam für seinen Popeye, eine der unglaublichsten Darstellungen des Kinos, den Oscar.
Ein Jahr später drehte William Friedkin „Der Exorzist“ und hätte sich als Legende zur Ruhe setzen können. Die Geschichte der Entstehung des Films ist so spannend wie der Schocker selbst: wie er im Norden des Irak mit dem kleinstmöglichen amerikanischen Kamerateam und Max von Sydow die Exposition drehte und dort unter widrigen Bedingungen die glücklichsten Wochen seines Lebens verbrachte. Die Sonne ging püber dre Grabungsstätte auf, und man sieht im Film, dass kein Moment glorioser sein konnte als dieses dunstige, goldene Leuchten. Wie in New York das Lagerhaus abbrannte, in dem die Bühne mit dem drehbaren Zimmer, in dem der Exorzismus tsttfindet, aufgebaut war. Wie er tagelang die Stimme einer alten Schauspielerin aufnahm, die das Gurgeln, Fluchen und Sprotzen des Dämons sprach, und ihr Alkohol einflößte. Sie war eine sehr gläubige Frau. Sie litt. Und wie er die Musik fand – Mike Oldfields unvergessliches Motiv von „Tubular Bells“.
Friedkin war neben Coppola der erfolgreichste Filmregisseur der Welt, als er das Remake von Henri-Georges Clouzots Klassiker „Lohn der Angst“ plante. Er wollte Steve McQueen für die Rolle von Yves Montand – aber die Dreharbeiten sollten im südamerikanischen Dschungel stattfinden, und dorthin wollte McQueen nicht reisen, weil er mit Ali MacGraw liiert war, die er ungern allein lasssen ließ. MacGraw sollte eine Rolle in dem Film bekommen, in dem es aber gar keine tragende Frauenrolle gibt. Friedkin lehnte ab. MacGraw sollte als Koproduzentin beschäftigt werden. Friedkin lehnte ab. Schließlich verpflichtete er Roy Scheider, nach „Jaws“ immerhin ein Star.
Im Urwald von Südamerika erlebte Friedkin sein Waterloo: Die Crew streikte und rebellierte, Friedkin wurde bedroht, die Beleuchtung reichte nicht aus, und alle Flüsse, über die eine Brücke gebaut werden sollte, trockneten während der Arbeiten aus. Am Ende ließ Friedkin in Mexiko eine Brücke über einen reißenden Fluss schlagen, über die der Lastwagen fahren sollte – und auch dieser trocknete aus. „Sorcerer“ scheiterte 1977 an der Kinokasse. Er wurde versenkt. Dem Regisseur Clouzot hatte Friedkin vor den Dreharbeiten in Paris prophezeit, wo er das Placet einholte: „Ihren Film werde ich nicht übertreffen können.“ Nun scherzte er: „Ich habe es ja gesagt.“
Man kann vermuten, dass Friedkin sich von diesem Desaster nie mehr recht erholte. 1978 dreht er als Auftragsarbeit die Heist-Komödie „The Brink’s Job“ mit Peter Falk. Bei „Cruising“ (1980) legte er sich mit Al Pacino an, der zu spät merkte, dass er nicht nur einen Homosexuellen, sondern möglicherweise einen homosexuellen Mörder spielte. Der Thriller brachte die Gay Community gegen Friedkin auf, und diplomatisches Geschick gehörte nie zu seinen Talenten. 1983 übernahm er die Regie bei der holzschnittartigen Satire „Deal Of The Century“ mit Chevy Chase, deutscher Titel: „Das Bombengeschäft“. In Friedkins Autobiografie fehlt diese Episode. Mit „To Live And Die In L.A.“ entwarf er 1985 noch einmal einen großen Thriller, der immerhin Willem Dafoe auf die Leinwand brachte und das Handwerk des Geldfälschens so präzise nachstellte, dass einige Blüten in Umlauf gerieten. Das Charisma William Petersens überschätzte Friedkin allerdings ein wenig.
In den späteren Jahren hat ihn das Gespür für Realismus un Drastik verlassen. „Rules Of Enagagement“ (2002) ist ein saures Kriegsdrama, „Jade“ (1995) ein spekulativer Erotik-Schocker, „Bug“ (2006) ein reißerischer Entführungs-Thriller. Für den betulichen Fernsehfilm „Die zwölf Geschworenen“ (1997) versammelte er Stars wie Jack Lemmon, fügte Sidney Lumets Film von 1957 aber nichts hinzu: Es ist heiß, und ein Geschworener nervt.
An der Bayerischen Staatsoper inszenierte Friedkin 2006 Richard Strauss‘ „Salomé“ – das Bühnenbild steht als Miniaturmodell in der Villa in Hollywood, die er mit der Filmproduzentin Sherry Lansing, seiner vierten Ehefrau, bewohnt. Ein paar seiner luxuriösen Apartments musste er in den mageren Jahren verkaufen. Als Vortragsreisender zum eigenen Schaffen ist er mittlerweile so brillant, wie er es als Filmemacher einmal war.
Am 29. August wird der Bilderstürmer William Friedkin 80 Jahre alt.