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Denai Moore: Tränen lügen nicht

Mehr Gefühl wagen: Denai Moore lebt zwischen Soul, Folk, Elektronik – und fordert Authentizität.

Sufjan stevens hat das traurigste Album des Jahres gemacht. Es ist großartig.“ Die sonst eher schüchterne Denai Moore gerät ins Schwärmen. Meistens kauft die 22-Jährige ihre Musik digital bei iTunes – dieses Album wird sie sich aber auch auf Vinyl zulegen. „Man merkt, dass er die Platte für sich selbst geschrieben hat“, sagt sie. „Sie ist echt. Die besten Songwriter arbeiten so, sie schreiben über ihre Wirklichkeit, sie packen ihre Wahrheit in Songs. Genau das versuche ich auch.“

Warmer Soul trifft auf kalte Elektronik

Die Songs ihres Debütalbums, „Elsewhere“, bei dem warmer Soul auf kalte Elektronik trifft, betrachtet Denai Moore als Folk in der Tradition von Joni Mitchell oder Laura Marling, „einfach weil in der Folk Music über das echte Leben gesungen wird“. Ihr familiärer Hintergrund legt dieses Bekenntnis nicht unbedingt nahe. Moore wuchs in Jamaika auf, als 10-Jährige zog sie mit ihrer Familie nach London, ihre Mutter hatte dort eine Anstellung als Schuldirektorin bekommen.

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Ihr Vater, ein semiprofessioneller Keyboarder, brachte ständig neue Platten nach Hause: Prince, Jay Z, Eminem. Auch Denais große Heldin Lauryn Hill stellte er ihr vor. „Musik war allgegenwärtig bei uns. Manchmal stritten wir auch darüber. Mein Vater versteht zum Beispiel nicht, was ich an James Blake finde. Oder an Bon Iver.“ Und bestimmt versteht er auch nicht die Musik des Dubstep-Zauberers Aaron Jerome, in dessen Ensemble SBTRKT Denai im vergangenen Jahr sang.

Hass auf die akademische Musikausbildung

In London hatte Moore zuvor Songwriting studiert, die Hochschule aber bald wieder verlassen, weil sie dort vor allem gelernt habe, „Musik zu hassen“. „In der Musik sollte es keine Regeln geben“, erzählt sie. „Das war das Problem an der Uni, wo wir wie am Fließband Songs schreiben mussten. Und dann beurteilt dort jeder deine Texte und rät dir davon ab, sie zu singen, wenn sie zu persönlich sind.“

Ihr Song „I Swore“ handelt von dieser Zeit der Unzufriedenheit, von der Suche nach der eigenen Identität. „I’ve lost myself a thousand times“, singt sie da, erst leise über einem traurigen Piano, dann hymnisch aufsteigend mit elektronisch vervielfältigter Stimme – ein futuristischer Gospel, der sich, ähnlich wie die hingebungsvollen Zusammenarbeiten von SOHN und Kwabs, direkt an den Himmel zu wenden scheint. „Ein Album kann eine tolle Produktion haben, aber wenn es keine Aussage hat, was ist dann der Sinn der Sache?“, fragt Moore. „Bevor deine Musik andere retten kann, muss sie erst mal dich selbst retten.“

„Bevor deine Musik andere retten kann, muss sie erst mal dich selbst retten“

 

(Photo by David Wolff - Patrick/Redferns via Getty Images)
(Photo by David Wolff – Patrick/Redferns via Getty Images)

Auf der Bühne weinen

Als Lauryn Hill bei ihrem Unplugged-Konzert auf der Bühne in Tränen ausbrach, dachte Denai Moore, dass es das Schönste sei, was sie je gesehen hat. „Die Medien erklärten sie danach für durchgedreht. Dabei war Lauryn einfach nur ehrlich. Sie hat an diesem Abend viele Wahrheiten ausgesprochen: über den Kampf mit der Industrie, über die Art, wie man von der Pop-Welt verrückt gemacht wird … Wenn Leute an Konzerte denken, denken sie meistens an Show und Perfektion. Ich habe eine Dokumentation über Katy Perry gesehen, die die Sache gut veranschaulicht. Sie ging durch eine schwere Scheidung, und trotzdem musste sie auf der Bühne jeden Abend dieses Lächeln abrufen.“

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Man merkt, dass Moore in diesem Moment auch ein Plädoyer für sich selbst hält. Bei ihren Konzerten spricht die Künstlerin kaum mit dem Publikum, vermeidet Posen und Augenkontakt. Könnte jemand wie sie auf der Bühne weinen? „Das Publikum verdient es, den Künstler in verschiedenen Stimmungen zu sehen“, antwortet sie. „Man muss nicht sein wie ein Produkt, das immer gleich bleibt. Wenn jemand öffentlich in Tränen ausbricht oder ausflippt, stürzen die Paparazzi los. Dabei hat einfach nur ein Mensch seine Gefühle artikuliert. Das sollte wirklich keine Nachricht sein.“

David Wolff - Patrick Redferns via Getty Images
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