Deutschlands letzter Entertainer: Zum 65. Geburtstag von Thomas Gottschalk
Es gibt nicht viele Fernsehfiguren, ohne die man sich die Welt nicht vorstellen kann. Ein Leben ohne Markus Lanz? Easy. Ohne Stefan Raab? Bisschen langweiliger, aber auch okay. Günther Jauch würde man wohl vermissen, weil man ihn so oft sieht, dass er einfach zur Wohnzimmereinrichtung dazugehört. Aber eine Welt ohne Thomas Gottschalk?
Undenkbar. Er ist der letzte große Entertainer – der Mann, der „Wetten, dass..?“ war und vorerst der eine Moderator bleiben wird, den alle kennen – auch wenn er gar keine große Sendung mehr hat. Er wurde groß, als das Fernsehen das Größte war, obwohl oder gerade weil es nur ein paar Sender gab – in einer Welt vor Internet, Smartphones, Video On Demand.
Es wird keinen mehr geben, der so eine Monopolstellung hat und so zu unserem Leben gehört wie er. Und bei aller berechtigten Kritik: Es wird auch keinen Sympathischeren mehr geben.
„Bis heute lösen traurige Menschen bei mir den Bespaßungsreflex aus“
Thomas Gottschalk wurde am 18. Mai 1950 im fränkischen Bamberg geboren. Seine Eltern waren aus Schlesien geflüchtet und ließen sich schließlich in Kulmbach nieder, er hatte eine unbeschwerte Kindheit – nicht sehr viel Geld, aber wenige Sorgen. Doch sein Vater, ein Rechtsanwalt, starb, als Thommy erst 14 war.
Von da an war sein Weg vorgezeichnet: „Bis heute lösen traurige Menschen bei mir den Bespaßungsreflex aus“, schreibt er in seiner Autobiografie „Herbstblond“. Er kann kein Elend sehen, er will Freude verbreiten – und man kann das manischen Frohsinn nennen oder freundliche Harmlosigkeit, aber es ist vor allem eines: angenehm.
Revolutionär zwischen Beamten und Berufslaunebären
Schon neben dem Gymnasium arbeitete er als DJ, studierte dann Germanistik und Geschichte, brachte aber nicht den Ehrgeiz für einen Abschluss auf. Er hatte sich längst anders orientiert, als Lehrer wäre sein Unterhaltungstalent doch weitgehend verschwendet gewesen. 1971 fing er beim Bayrischen Rundfunk an und hauchte dem verschnarchten Sender Bayern 3 mit „Pop nach acht“ neues Leben ein.
Keiner, der in den 80er-Jahren in Süddeutschland jung und an Musik interessiert war, wird ihm je vergessen, wie er mit der „B3-Radioshow“ die Nachmittage erträglich machte. Gottschalk tat damals, was er immer am besten konnte: Er quatschte einfach drauflos, er scherzte und schäkerte, und zwischen all den Beamten und Berufslaunebären, die nur ihre Moderationstexte runterleierten, war das schon eine sanfte Revolution (und dass danach direkt noch Günther Jauch folgte, eine weitere Wohltat).
Wir hatten ja damals nichts!
Mit seinen blonden Löckchen, dem breiten Lächeln und der expressiven Nase war Gottschalk freilich kein Radiogesicht, er musste zum Fernsehen. 1976 moderierte er die Clipshow „Szene“, bundesweit bekannt wurde er dann mit „Telespiele“, einer heute undenkbaren Sendung, in der Kandidaten, die nicht zu sehen waren, Computerbälle hin- und herschossen.
1982 folgten „Thommys Pop-Show“ und „Na sowas!“ Schrille Kleidung wurde sein Markenzeichen (und nein, die hat ihm nie seine Frau Thea rausgelegt, die hat er sich stets selbst ausgesucht). Er sprach anders als die braven öffentlich-rechtlichen Moderationsmenschen, er fand auch mal etwas „scheiße“, und heute wundert man sich darüber, dass ein Spruch über verkühlte Eierstöcke einer älteren Frau für so viel Aufruhr sorgte, aber damals hatten wir ja nichts! Zumindest keinen anderen zur Hauptsendezeit, der nicht uralt wirkte.
Gottschalk ist so gut wie nichts peinlich
Gottschalk drehte grottige Filme mit Mike Krüger und bewarb Gummibärchen, er versuchte sich 1990 bei RTL an einer Sendung, die „Gottschalk“ hieß, kein Konzept hatte und nur zwei Jahre lief, danach hielt er mit „Gottschalk Late Night“ etwas länger durch, aber 1995 war trotz gar nicht so schlechter Einschaltquoten auch damit Schluss – der bissige Einstiegsmonolog a la Letterman lag Gottschalk nicht, und das deutsche Show-Personal eignete sich nicht für seine Vorstellung einer Unterhaltungsshow.
Er brauche immer ein Gegenüber, sagt Gottschalk, um zu großer Form aufzulaufen. Es müssen keine Massen sein, aber ein bisschen Spaß sollten die Leute schon verstehen, die sich zu ihm auf die Couch setzen. Und bitte nicht zu verbissen sein. Gottschalk ist so gut wie nichts peinlich, aber genau durch diese Ungezwungenheit breitete er auch für jeden die Arme aus – und behandelte Prominente einfach wie alle anderen, freundlich, aber ohne übermäßigen Respekt.
Mitte der 90er-Jahre lud er auf Sat.1 zur gemütlichen „Hausparty“, 2012 scheiterte das Vorabend-Experiment „Gottschalk live“ bei der ARD nach wenigen Sendungen, er machte halbherzig bei Bohlens „Supertalent“ mit, und man fragte sich schon, ob es jemals wieder einem Sender gelingen wird, diesem Mann ein geeignetes Format zu geben.
RTL hatte die beste Idee: Bei „Die 2 – Gottschalk & Jauch gegen alle“ werfen sich die beiden Freunde gegenseitig die Bälle zu, wie früher. Auch „Gottschalks großes Klassentreffen“ basiert auf einer so einfachen wie effektiven Idee: Der Showmaster lädt sich zwei Prominente ein und redet über die guten alten Zeiten – er lockt Felix Neureuther aus der Reserve, findet sich sogar mit Carmen Geiss zurecht, und alle gehen zufrieden nach Hause.
Gottschalk wird immer das Gesicht von „Wetten, dass…?“ bleiben
Aber natürlich wird all das nicht das Vermächtnis von Thomas Gottschalk sein. Gottschalk wird immer das Gesicht von „Wetten, dass…?“ bleiben – und damit der letzte große Entertainer, den es im deutschen Fernsehen gab. Den alle kennen, den alle irgendwann mal gesehen haben, zu dem jeder eine Meinung hat.
Von 1987 bis 1992 und 1994 bis 2011 moderierte er die Samstagabendshow, er hat viel Stuss geredet und Quatsch gemacht, aber er gab einem – bis zu dem schrecklichen Unfall von Samuel Koch – immer das gute Gefühl, dass er alles im Griff hat. Er war der Meister im Durchwurschteln und dabei Lässigaussehen.
Zweimal bin ich Gottschalk „live“ begegnet. Einmal im Münchner Feinkostladen „Käfer“, wo Thea und er wie ein Königspaar hofiert wurden, aber vorgaben, überhaupt nicht zu merken, dass alle sie anstarrten. Mit erstaunlicher Contenance taten sie, als wären sie ganz normale Leute, nur etwas papageienartiger gekleidet.
Und eines Nachmittags sah ich ihn in Basel auf der Straße. Am Abend moderierte er dort „Wetten, dass…?“, wahrscheinlich war er auf dem Weg zu einem Restaurant. Er kam immer nur ein paar Meter weit, bis er wieder ein Autogramm geben oder ein Foto machen musste.
Ohne Geltungsdrang wird man nicht berühmt
Er war zu jedem einzelnen, der ihn anquatschte, freundlich, auch als ihm die Zeit ausging. Sicher, sind ja seine Zuschauer, aber bedenkt man, dass dieser Mann im deutschsprachigen Raum ständig von jedem erkannt wird, sobald er nach draußen geht, versteht man doch, warum er längst in Malibu wohnt, nicht nur der Kinder wegen.
„Mein Weg war weder dornig noch von Selbstzweifeln gesäumt“
Privatsphäre ist halt schon eine schöne Sache, wenngleich er nie an der eigenen Berühmtheit gelitten hat – ohne einen gewissen Geltungsdrang wird man nicht zu einem der berühmtesten Deutschen. (Und natürlich – auch das gibt er in „Herbstblond“ recht offenherzig zu – wünscht er sich die Zeiten zurück, als er ungestraft kleine Bestechungsgeschenke annehmen und auf dem Behindertenparkplatz parken konnte. War alles einfacher damals. Er weiß aber schon, dass das nicht in Ordnung ist. Eigentlich…)
https://www.youtube.com/watch?v=rHuR_RU2ICk
„Mein Weg war weder dornig noch von Selbstzweifeln gesäumt“, schreibt er, und das liegt natürlich daran, dass er früh seine Bestimmung gefunden hat.
Er erzählt in seiner Autobiografie auch viel Gescheites über das Älterwerden und das Geld, über Ruhm und Wichtigeres – und fasst sein Selbstverständnis so zusammen: „Ich habe es nie für nötig gehalten, mich wie ein Erwachsener zu benehmen, und lebe in der Wahnvorstellung, ewig Kind bleiben zu können – zur Not eben ein altes Kind.“ Heute wird Thomas Gottschalk 65 Jahre alt. Wir gratulieren dem Letzten seiner Art.