Damien Rice – ein Star, den keiner kennt
Seine monumentalen Liebeslieder betören Millionen, doch Damien Rice lässt sich vom weltweiten Erfolg nicht beeindrucken
ROLLING STONE präsentiert: Damien Rice live in Deutschland
06.08. Leipzig – Parkbühne
08.08. Hamburg – Stadtpark
09.08. Köln – Tanzbrunnen
Eine Story aus dem ROLLING-STONE-Archiv
Wer ist dieser Mann? Auf den ersten Blick sieht er aus wie eine etwas ältere, etwas rauere Version von Ronan Keating. Ein 41-jähriger Ire, der seine Gitarre wegstellt, einen Schluck Kokoswasser trinkt und freundlich lächelt. Als wäre es nichts Besonderes, dass er jetzt Interviews gibt. Jahrelang redete Damien Rice kaum mit Journalisten, er fühlte sich immer unwohl oder missverstanden. Ein Künstler, kennt man ja. Seine Songs sollten für sich sprechen. Doch auch die kamen nur spärlich: „My Favourite Faded Fantasy“, Ende 2014 veröffentlicht, ist erst sein drittes Album, das zweite liegt acht Jahre zurück.
Damien Rice verschwindet und taucht auf, wann und wie er will. Dass seine Konzerte trotz dieses erratischen Verhaltens immer ausverkauft sind und er in der Zwischenzeit nicht vergessen wurde, liegt allein an seinen Songs. Wie herrlich altmodisch! Mit von Streichern und Chören verzierten Popsongs, mit berückenden Melodien und seiner schwelgerischen Stimme hat er es geschafft, sich seine eigene kleine Nische zu bauen. Anspruchsvoller als Glen Hansard oder Coldplay, aber bei aller Komplexität lieblich genug, um in einem Dutzend Fernsehserien aufzutauchen, wenn es gerade traurig wird (und James Blunt denn doch zu weinerlich ist).
„You could be my poison, my cross, my razor blade/ I could love you more than life/ If I wasn’t so afraid“, singt er im Titelsong – ohne Angst vor den ganz großen Worten, aber auch ohne je die Grenze zum Kitsch zu überschreiten. Und schon beim dritten Stück wird es ganz bitter: „I helped you open out your wings/ Your legs, and many other things/ Didn’t I?/ Am I the greatest bastard that you know?/ The only one who let you go?“ Er fragt das so zart, dass man ihm zunächst kaum glauben mag. Eingebettet in eine herrliche Melodie verabschiedet er sich auch in „The Box“ von der konventionellen Liebe: „I have tried, but I don’t fit into this box you call a gift/ When I could be wild and free/ But God forbid then you might envy me/ So don’t give me love with an old book of rules/ That kind of love’s just for fools/ And I’m over it.“
„Nichts hält ewig – und das ist gut so“
Für einen Mann, der sich gern zurückhält, hat Rice eine ziemlich öffentliche Liebestragödie hinter sich: 2007 trennte er sich von Lisa Hannigan, die bei seinen ersten beiden Alben eine wesentliche Rolle als Sängerin und Muse spielte, und trauerte ihr jahrelang hinterher, Selbstbezichtigungen und Besserungsgelöbnisse inklusive. Dann beschloss er, lieber nichts mehr zu sagen. Inzwischen hat er sich andere Mitmusiker gesucht und erklärt, um Allgemeingültigkeit bemüht: „Menschen haben diese Zeitspanne, in der ihre Energie und ihre Beziehung zu einem anderen so richtig lebhaft, stimulierend sind. Das dauert mal länger, mal weniger lang, aber irgendwann ist es meistens vorbei. Manchmal kann man es wiederherstellen, aber wenn nicht, muss man sich verabschieden – und der Musik die Möglichkeit geben, sich mit anderen Leuten zu entfalten. Nichts hält ewig, und das ist in Ordnung. Alles hat seine Zeit.“ Man kann davon ausgehen, dass weder „The Greatest Bastard“ noch „The Box“ komplett ausgedacht sind.
Rice analysiert seine Musik ungern, wie die meisten Musiker. Er schaut ein bisschen gequält, um Verständnis bittend: „Wenn man mir eine Gitarre in die Hand drückt, kann ich mich viel besser ausdrücken. Dann bin ich viel offener und mutiger und freier als bei einem Gespräch – egal ob bei der Arbeit, in einer Bar oder unter Freunden. Wenn ich spiele, habe ich das Gefühl, das bin nicht ich – obwohl ich das wahrscheinlich eher bin als dieser andere Typ, der gerade hier sitzt.“
Rice’ Debüt, „0“ (2002), war in Großbritannien fast zwei Jahre lang in den Charts und erreichte viermal Platin, in den USA immerhin Gold. Ed Sheeran hat sich ein Autogramm von Damien Rice auf den Arm tätowieren lassen – eine Begegnung mit dem Bewunderten inspirierte den damals 13-jährigen Feuerkopf, selbst Songwriter zu werden (aber nehmen Sie Rice das jetzt bitte nicht übel). Doch weder Nachahmer noch Kritiker interessieren Rice sonderlich, er hält sich fern von anderen Meinungen:
„Ich will gar nicht all das glauben, was andere Leute sagen. Wenn jemanden meine Songs berühren, hat das ja nichts mit mir persönlich zu tun, gar nichts. Mein Job ist es, mich auf meine Musik zu konzentrieren. Ich kann mich nicht darum kümmern, welchen Effekt sie auf andere Leute hat.“
Und das funktioniert – auch wenn im Zuschauerraum plötzlich Menschen anfangen zu weinen? „Vielleicht kann ich es nicht komplett abschalten, aber größtenteils. Wenn ich singe, denke ich an so vieles, aber fast nie an irgendein Publikum. Die Worte fallen aus meinem Mund, meine Hände machen irgendwas – meistens bin ich dann ganz bei mir. Es ist fast wie dieser Zustand, wenn man ein Wort immer und immer wiederholt, egal welches – window, window, window … Nach zehn Minuten klingt jedes Wort nur noch wie ein Sound, es hat keine Bedeutung mehr. Das passiert einfach so im Kopf, und beim Musikmachen ist es ähnlich. Wenn ich in einem Song versinke, wird alles bedeutungslos und ergibt gleichzeitig reinen Sinn … Oje, verstehst du, was ich meine?“ Er zieht einen Flunsch und rauft sich die Haare.
Zerwürfnisse und Songfragmente
Die Lieder von „My Favourite Faded Fantasy“ kommen Rice schon „schrecklich alt“ vor, obwohl das Album eben erst erschienen ist. Die meisten sind drei, vier Jahre alt, er selbst befindet sich „emotional längst woanders“. Man will sich gar nicht vorstellen, wie viele Songs er verworfen hat, bis schließlich diese acht übrig blieben. Darauf angesprochen, lacht er grimmig auf. Es sind sehr, sehr viele Lieder und Fragmente, die irgendwo in seinem Haus herumliegen. „Wenn es keinen Zeitdruck gäbe, würde ich heute noch den ersten Song meines ersten Albums aufnehmen. Weil ich ständig alles noch besser machen möchte. Aber ich bin noch mehr daran interessiert, mich weiterzubewegen. Ich will nicht zurück, ich will nach vorn. Und zwar schnell. Ich habe diese Dringlichkeit momentan. Da muss viel raus, was in mir ist.“
Das Songschreiben ist ein mühsamer Prozess für ihn. 80 Prozent der Zeit, schätzt Rice, verschwendet er mit „Mist“ – schraubt an mediokren Stücken herum, probiert verschiedene Phrasen aus und unterschiedliche Instrumente, um schließlich festzustellen, dass es sich nicht lohnt. „Ich möchte weder die Zeit der Zuhörer verschwenden noch das Plastik für eine CD. Aber langsam lerne ich dazu. Übung macht den Meister, schätze ich. Irgendwann werde ich wie ein Fließbandarbeiter meine Songs aussortieren: Ja, ja, nein, ja, nein, ja …“
In dem Produzenten Rick Rubin hat er einen kongenialen Kompagnon gefunden, „mit ihm kann man gut in den Ring steigen“. Damien Rice macht wieder eine dieser langen Pausen, in denen er vielleicht überlegt, was er als Nächstes sagt, oder sich fragt, warum er überhaupt etwas sagen muss. Seine Sätze fangen oft mit „I would say …“ oder „I guess …“ an. „Es ist halt etwas anderes, ob man Tennis an einer Wand spielt oder mit einem richtigen Gegner. Es verändert die Art, wie man den Ball schlägt. Dafür muss gar nicht geredet werden, man braucht keine Ratschläge, sondern einfach nur ein Gegenüber, das da ist – das Gefühl, dass etwas zurückkommt … Rick war der Richtige, weil er für mich ein Mysterium war. Ich wollte gar nicht zu viel von ihm wissen, sondern ohne Erwartungen an die Sache herangehen. Er macht das auch nicht – er ist völlig offen. Die Menschen sind ja komisch, was ihre Psychologie angeht, ich bin es auch: Wenn jemand etwas von mir erwartet, mache ich genau das nicht, sondern das Gegenteil. Aber wenn einer nichts erwartet, liefere ich ab.“
Deshalb sitzt er jetzt auch schon wieder im Studio. Bis März will Rice neue Songs aufnehmen, dann drei Monate auf Tournee gehen – und wieder drei Monate ins Studio. Er fängt in Island an, hat aber auch schon mit Rubin geredet und wird vielleicht den Sommer in Los Angeles verbringen. Die Lieblingsstadt des Iren bleibt allerdings Reykjavik, wo er inzwischen einen Zweitwohnsitz hat: „Reykjavik hat all die Vorteile einer Hauptstadt: Für ihre Größe ist die Stadt ziemlich kosmopolitisch, es gibt tolle Theater, Kinos, Restaurants, Cafés, Bio-Food – alles, was ich mag. Aber wenn man den Wasserhahn aufdreht, ist es, als käme Evian
heraus. Herrlich! Es gibt kaum Verkehr, keine Luftverschmutzung, keinen Lärm. Und es ist so einfach, spontan etwas zu erschaffen. Es gibt so viele erstaunliche Musiker dort, und jeder kennt jeden.“