Die 100 besten Geheimtipps: Platten, die kaum einer kennt – Finale!
Wir lüften die gut gehüteten Geheimnisse der ROLLING-STONE-Redaktion: 100 Platten, die kaum einer kennt – und alle sind kleine Meisterwerke
>>> Teil 1: die 100 besten Geheimtipps.
Es dauerte 20 Sekunden. Dann sprach ich den DJ an: „Verrätst du mir, was das ist?“ Wortlos reichte er mir ein Cover über den Tresen. Zwei schwarz gelockte Männer mit orangefarbenen Hemden und Paisley-Schals, ein herrlicher, fast brasilianisch swingender Folksong. Nie gehört, nie gesehen.
Alzo & Udine heißt das Duo, ich hätte auf Simon & Garfunkel getippt. Es gibt nur diese eine Platte, sie wurde 1968 veröffentlicht, kaum jemand nahm sie wahr. Seit fast 20 Jahren steht nun ein Exemplar in meinem Plattenregal. Es zählt zu den besten Alben der Welt, die keiner kennt. Wie die zweite Kindness-LP aus dem vergangenen Jahr, von der mir Songwriter Adam Green in einer New Yorker Bar dermaßen uferlos vorgeschwärmt hatte, dass ich die louchen, lockigen, verführerischen Weichei-Grooves den Winter über ständig hörte. Oder die beiden Platten der längst vergessenen britischen Postpunk-Band Grow Up, in die ich als Teenager verliebt war. Oder die abgegrabbelten Alben eines notorisch übersehenen amerikanischen Songwriters, den man eigentlich nur kennt, weil Jackson Browne dessen Highway-Ballade „The Road“ gecovert hat: „Highways and dancehalls“, heißt es da, „a good song takes you far/ You write about the moon/ And you dream about the stars.“ In den Credits findet sich der Name: Danny O’Keefe, und in einer Flohmarktbox schließlich das angekratzte Original.
Die besten Platten der Welt? Nie gehört!
Kann man ja ändern. Denn es gibt sie, die unbekannten Lieblingsalben jenseits des amtlichen Kanons, jenseits der Beste-Platten-aller-Zeiten-Listen, die regelmäßig angeführt werden von „Pet Sounds“, „Blonde On Blonde“, „London Calling“ und den Beatles. Es sind die Platten, die durchs Aufmerksamkeits- oder Geschmacksraster fallen, die nicht so ganz passten und nicht so richtig riesig waren oder einfach das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Die Künstler, um die es auf den folgenden Seiten geht, sind oftmals Außenseiter, Querköpfe, Promotion-Schrecke. Die Platten, die 20 Autoren und Kritiker des ROLLING STONE hier vorstellen, sind das, was man Geheimtipps nennt. Kaum bekannt, aber heiß geliebt. Und natürlich haben wir auf ein Ranking verzichtet – wie will man unter 100 völlig unterschiedlichen, mal genialen, mal einfach nur obskuren Werken eine Rangfolge festlegen? Unsere 100 liebsten Geheimtipps sind deshalb nach dem Abc gelistet. Alle gleichberechtigt nebeneinander. Ein sonst in der Popkultur natürlich völlig undenkbarer Zustand.
Die unbesungenen Helden des Rock’n’Roll (und des Folk, Dubstep und Hardrock), die vergessenen, übersehenen, untergegangenen Outlaws – ihre Geschichten, Songs und Platten könnten ganze Regalwände füllen. Früher musste man sie jagen, auf Plattenbörsen und in Hinterhofläden, und wenn man sie endlich gefunden hatte, ging man glücklich mit ein paar Platten unter dem Arm nach Hause. Heute ist das Entdecken natürlich einfacher, meist genügen ein paar Klicks. Wer sich auf das Herumwühlen in den real existierenden oder digitalen Plattenkellern einlässt, wird so etwas wie eine heimliche Geschichte der Popmusik entdecken, eine utopische Parallelgesellschaft, wie mein Kollege Maik Brüggemeyer diese hierarchiefreie, aber keineswegs ruhmlose Keller-WG nennt. In ihr lebt der New Yorker House-Produzent Bobby Konders neben dem Hamburger Rock-Poeten Maxim Rad, in ihr leben sogar die Toten weiter, wie der im Januar verstorbene Berufsexzentriker und Runaways-Erfinder Kim Fowley oder das Ur-Riot-Grrrl Paula Pierce, einst Sängerin der längst verblichenen Pandoras.
Klar, all das ist total nerdy. Das nutzlose, lustvolle Geheimwissen um die unbesungenen Helden des Rock’n’Roll eignet sich natürlich hervorragend, um sich selbst als kleiner Held zu fühlen, als Outlaw und Teil einer unfassbar faszinierenden Welt zugleich. (Oder einfach zum Angeben.)
Und, auch klar: Unsere Geheimtipp-Liste ist streng subjektiv. Wie alles, was man liebt.