Caribou live in Berlin: Jeder schlechte Witz über Mathematiker-Pop verbietet sich ab sofort
Believe The Hype: Caribou haben nicht nur die aufregendsten Klänge, sondern spielen auch auf der Bühne in einer eigenen Liga. Ihr Auftritt in der Berliner C-Halle geriet zum Triumph.
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Ja, es stimmt: Caribou machen Musik für Nerds. Auf ihren Platten hört man jedem Ton an, wie er zurechtgestutzt und auf Perfektion getrimmt wurde. Anders ausgedrückt: Diese Band reibt sich hörbar an Details auf. Aber das ist nur die eine Seite. Obwohl der Mathematik-Promovent Dan Snaith immer ein wenig so aussieht, als würde er eigentlich lieber jedem Dancefloor fernbleiben und stattdessen sofort in irgendeine Buchhandlung stürmen, hat er ein sagenhaftes Händchen für Melodien und Beats. Mittanzen ist nicht nur erlaubt, sondern geboten.
Deshalb darf es eigentlich nicht verwundern, mit welcher Spiellust Caribou bei ihrem einzigen Deutschland-Konzert in der C-Halle in Berlin auftreten. Von der ersten Minute an brennt die Luft. Den kanadischen Elektro-Musikern wurden einige hübsche Scheinwerfer spendiert, die fortan den Saal – unheimlich präzise abgestimmt auf das Klangmaterial – in ein farbenfrohes Lichtermeer tauchen.
Die hypnotisierenden Caribou-Sounds haben auf der Bühne einen völlig anderen Punch
Schon der Start mit „Our Love“ gelingt furios: Während der Track recht langsam an Fahrt aufnimmt und die Worte „Our Love“ wie ein autistisches Mantra wiederholt werden, begeistert Drummer Brad Weber mit seinem kraftvoll-konzisen Schlagzeugspiel. Sofort wird klar, dass die auf den Platten von Caribou größtenteils hypnotisierenden Sounds live einen völlig anderen Punch besitzen. Rave trifft hier auf Krautrock. Man wäre fast geneigt, einen eigenen Genre-Begriff für die Musik des in London lebenden Snaith zu erfinden.
Diese Musik soll zum Tanzen animieren, was sich viele Hunderte Zuhörer in der restlos ausverkauften Arena auch nicht nehmen lassen. Tracks wie „Silver“, „All I Ever Need“ und „Mars“ haben auch auf der Bühne eine ungeheure Sogkraft. Die Band vermeidet es dabei gekonnt, den Traum-Pop in Langeweile abgleiten zu lassen. Vielleicht ist das Geheimnis dahinter auch die Prise Melancholie, die jedem noch so verschwurbelten und präzise komponierten Lied wie Proviant für eine furchtbar lange Reise mitgegeben worden ist.
Sonische Bombastereien – und eine geniale Licht-Show
Packend gerät „Bowls“, bei dem sich Snaith und Weber am Schlagzeug duellieren; der Rest des Musikkollektivs reiht sonische Bombastereien aneinander – und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass diese Tonmalereien einem Möbiusband ohne Ende und Anfang gleichen, wenn sie nicht von Snaith auf den Punkt abgedimmt würden. Immer wieder reckt er, wie bei fast allen Auftritten leger mit weißem T-Shirt bekleidet, seinen Arm in die Luft. Einige (etwas in die Jahre gekommene) Rave-Kids, die sich hier sichtbar berauschen lassen, tun es ihm gleich.
„Swim“, der Vorgänger von „Our Love“, war vielleicht noch nicht ganz so ausdifferenziert und – man will es ja nicht sagen – kalkuliert, aber Songs wie „Odessa“, „Hannibal“ und vor allem „Jamelia“ sind irritierende, unerhörte Experimantal-Skizzen aus einem Klanglabor, das nun einfach auf die Bühne verlagert wird. Der denkbar kleinste Makel: „Can’t Do Without You“, diese außerirdisch-romantische Hitsingle, gerät etwas formelhaft und biedert sich dem Publikum als Mitgröhl-Nummer an.
Aber vielleicht sollte das auch nur den großen Angriff aufs Publikum vorbereiten, den Snaith und Co. mit der Zugabe „Sun“ eingeplant haben. Hier brechen alle Dämme, dieser Song ist, kein Zweifel, ein absolutes Feierbiest. Jeder schlechte Witz über den Mathematiker-Pop von Caribou verbietet sich ab sofort.