Post ID: 621894
ASMB No Ads Value:
Home › Allgemein
50 Ereignisse, die den Rock’n’Roll veränderten: 1954-1965
Und Elvis betritt die Sun Studios. 50 Ereignisse, die den Rock'n'Roll veränderten - Teil 1
5. Juli 1954: Der Tag des Truckdrivers - Elvis Presley erfindet beiläufig den Rock’n’Roll
Der Raum, in dem der Rock’n’Roll – die Musik und das Phänomen – geboren wurde, sieht heute nicht viel anders aus als in der Nacht, in der es geschah: exakt am 5. Juli 1954. Der „Memphis Recording Service“, offizieller Name von Sam Phillips’ Sun Records Studio an der Union Avenue in Memphis/Tennessee, ist ungefähr so groß wie ein großzügiges Wohnzimmer und bietet Platz für eine nicht allzu große Band. Im rückwärtigen Teil, hinter einer Glasscheibe, befindet sich ein winziger Kontrollraum, wo Phillips das primitive Mischpult bediente, seinen Schäfchen Ratschläge gab und aufmerksam lauschte, um den einzig richtigen Take nicht zu verpassen. An diesem Montagabend im Juli begann die Arbeit gegen sieben Uhr. In den ersten paar Stunden passierte nicht viel Aufregendes. Elvis Presley, 19-jähriger Lastwagenfahrer der örtlichen Elektrofirma Crown, arbeitete sich emsig durch sentimentale Grütze wie den aktuellen Bing-Crosby-Hit „Harbor Lights“ und „I Love You Because“, mit dem Country-Star Ernest Tubb 1949 einen Hit gelandet hatte ...
Foto:
Hulton Archive/Getty Images.
All rights reserved.
5. Juli 1954: Der Tag des Truckdrivers – Elvis Presley erfindet beiläufig den Rock’n’Roll
Der Raum, in dem der Rock’n’Roll – die Musik und das Phänomen – geboren wurde, sieht heute nicht viel anders aus als in der Nacht, in der es geschah: exakt am 5. Juli 1954. Der „Memphis Recording Service“, offizieller Name von Sam Phillips’ Sun Records Studio an der Union Avenue in Memphis/Tennessee, ist ungefähr so groß wie ein großzügiges Wohnzimmer und bietet Platz für eine nicht allzu große Band. Im rückwärtigen Teil, hinter einer Glasscheibe, befindet sich ein winziger Kontrollraum, wo Phillips das primitive Mischpult bediente, seinen Schäfchen Ratschläge gab und aufmerksam lauschte, um den einzig richtigen Take nicht zu verpassen. An diesem Montagabend im Juli begann die Arbeit gegen sieben Uhr. In den ersten paar Stunden passierte nicht viel Aufregendes. Elvis Presley, 19-jähriger Lastwagenfahrer der örtlichen Elektrofirma Crown, arbeitete sich emsig durch sentimentale Grütze wie den aktuellen Bing-Crosby-Hit „Harbor Lights“ und „I Love You Because“, mit dem Country-Star Ernest Tubb 1949 einen Hit gelandet hatte …
Copyright: Hulton Archive/Getty Images
Doch dann begann Presley in einer Pause mit einer schnellen Bluesnummer rumzuspielen, die „That’s All Right“ hieß und von dem schwarzen Sänger und Gitarristen Arthur Crudup stammte. Gitarrist Scotty Moore und Bassist Bill Black, von Phillips als Backing-Band angeheuert, fielen ein. Phillips hatte bereits etliche Blues-Sessions mit Leuten wie Jackie Brenston, Rufus Thomas, Howlin’ Wolf und den Prisonaires hinter sich und war beeindruckt, dass Presley, ein unbedarfter weißer Teenager aus Tupelo, Mississippi, den Crudup-Song kannte. Er hörte, dass dieser Junge einen eigenen Sound hatte, eine intuitive Mischung aus Spiritual, Gospel und Tanzmusik, und dass seine Stimme Autorität ausstrahlte. Veröffentlicht am 19. Juli als A-Seite von Sun 209, mit einer Turbo-Version von Bill Monroes Walzer „Blue Moon Of Kentucky“ auf der Rückseite, war „That’s All Right“ mehr als ein Konglomerat verschiedener Einflüsse – es war ein revolutionärer Akt musikalischer, kultureller und ethnischer Integration. Oder, wie Moore es 1991 in einem Interview ausdrückte: „Wir schüttelten die Köpfe und sagten: ‚Ja, das klingt gut, aber, mein Gott, sie werden uns aus der Stadt jagen.‘“ Presley, Moore und Black hatten das erste Mal einen Tag vor der Session zusammengespielt …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Doch das, was Presleys beste Aufnahmen in den nächsten zwei Jahrzehnten prägen sollte – sein Perfektionismus, sein Sich-Hineinwühlen in einen Song bis zum letzten und optimalen Take – kam bereits am 5. Juli zum Tragen. Auf der einzigen erhaltenen Alternativ-Aufnahme von „That’s All Right“ klingt Presley alles andere als überirdisch: Er wieselt durch die Zeilen, legt zu viel Pathos hinein, während Moore wild auf dem Bass schrummelt. Doch Phillips ließ sich Zeit – er konnte es sich leisten, nicht nach dem damals üblichen Plan (vier Takes in drei Stunden) vorzugehen: Ihm gehörten das Studio und das Label. Presley machte noch vier weitere bahnbrechende Singles für Sun. Ende 1955 verkaufte Phillips, der in finanziellen Schwierigkeiten steckte, Presleys Vertrag und die Masterbänder für 35 000 Dollar an RCA. Danach entdeckte er noch Johnny Cash, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins, bevor Sun in den 60er Jahren verkauft wurde. Doch als Erfinder sah er sich nie. „Rock ’n’ Roll gibt es schon seit vielen Jahren“, sagte er 1958. „Früher hieß er eben Rhythm & Blues.“ Presley wusste, was er in dieser Nacht geschaffen hatte. „Ich glaube nicht, dass sie jemals ganz verschwinden wird“, sagte er später über diese Musik, „weil sie etwas mächtig Gutes finden müssen, um sie zu ersetzen.“
Copyright: Apic
Mai 1955: Chuck and Roll – Chess Records’ Metamorphose: Vom Chicago-Blues zum Rock’n’Roll
Im Mai 1955 war Chuck Berry zu Besuch bei Leonard Chess, der in einem flachen Ziegelbau in Chicagos South Side residierte. Berry war 28 Jahre alt, fast einsneunzig groß und hatte riesige Hände, die seine dicke Gibson wie ein Spielzeug aussehen ließen. Nachdem er bei der Vorzimmerdame artig um Erlaubnis gebeten hatte, marschierte er ins Büro und spielte Chess ein Demoband mit vier Songs vor. Der war zunächst wenig begeistert, weil Berrys Stil nicht zu dem elektrischen Chicago-Blues à la Muddy Waters und Howlin’ Wolf passte, für den das Label bekannt war. Doch als er Berrys Version des Country-Songs „Ida Red“ hörte, spitzte Chess die Ohren …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Berry spielte es stampfend und mit einem scharfen, rauen Gitarrensound – „motorvatin‘“, wie er es in der ersten Strophe nannte. Am 21. Mai ging Berry ins Studio, wo er rasch merkte, dass Chess ein Perfektionist war. Berry musste das Stück – mit Jerome Green aus Bo Diddleys Band an den Maracas und dem großen Songwriter Willie Dixon am Bass – 36 Mal durchspielen. Der Titel wurde in „Maybellene“ geändert, angeblich nach einer Wimperntusche, die eine Frau mal im Büro liegengelassen hatte. „Die Stimmung war prima, es wurde viel gelacht“, erzählt Marshall Chess, Leonards Sohn, der überall dabei war. „Aber weil es noch keine Overdubs gab, musste man so gut spielen, wie es ging.“ Und das taten sie. Nach schweißtreibenden Stunden hatten sie im Kasten, was in den Worten Eric Claptons „für alle Zeiten festlegte, wie Rock’n’Roll zu spielen war“. „Es war eine andere Szene, eine andere Art Musik“, sagte Bo Diddley im Gespräch mit dem ROLLING STONE …
Copyright: PoPsie Randolph/Michael Ochs Archives/Getty Images
Diddley unterschrieb im Juli 1955 bei dem Chess-Ableger Checker Records. Seine erste Single „Bo Diddley“ stieg in jenem Jahr ebenso an die Spitze der R&B-Charts wie Berrys „Maybellene“. „Mit uns begann der Rock’n’Roll“, wusste Diddley. Berry und Diddley machten bei Chess zwar Geschichte, aber nicht viel Geld. Leonard Chess war berüchtigt für seine Sparsamkeit („Er reparierte die Toilette lieber selbst, als einem Klempner 6,95 Dollar zu zahlen“, verriet Tontechniker Ron Malo). Bei „Maybellene“ machte er DJ Alan Freed zum Co-Autor, was dem einen Gewinnanteil und einen Grund gab, die Platte zu spielen – ein beliebter Trick damals. „Meine Platten sind überall auf der Welt zu hören“, meinte Diddley später bitter, „und ich sehe keinen müden Heller.“
Copyright: Charlie Gillett Collection/Redferns
6. Juli 1957: John trifft Paul – Epiphanie auf dem Kirchweihfest
Der Geruch von frisch gemähtem Gras und das Geschrei umhertollender Kinder lagen in der Luft. Auf dem Rasen hinter der Kirche, nicht weit von dem Friedhof, auf dem eine gewisse Eleanor Rigby und ein Mr. McKenzie begraben liegen, waren Zelte mit Tee-Ausschank, Stände mit Limo und selbst gebackenem Kuchen aufgebaut, Dosenwerfen und Darts. Das Kirchweihfest war in jedem Jahr der Höhepunkt des Gemeindejahres von St. Paul’s im kleinen Liverpooler Vorort Woolton. Doch in diesem Jahr war es ein richtiges Ereignis. Zumindest für fünf Liverpooler Jungen, die noch nie vor so vielen Freunden, Verwandten und Bekannten gespielt hatten. Am 6. Juli 1957 so gegen vier Uhr nachmittags kündigte Vikar Maurice-Pryce-Jones ihre Band, The Quarry Men, an, und sie stiegen auf die wacklige Ladefläche eines LKWs …
Copyright: Keystone-France/Gamma-Keystone via Getty Images
Die Quarry Men waren eine Skiffle-Band mit Waschbrett und tea-chest bass, doch der Sänger, John Lennon, der mit seinen engen Jeans und seinem karierten Hemd fast aussah wie ein Teddy Boy, zeigte weit mehr Enthusiasmus, wenn er sich in Rock’n’Roll-Nummern werfen konnte. Gene Vincents „Be-Bop-A-Lula“ oder „Come Go With Me“ von den Del Vikings, das er mit scharfer Stimme sehr überzeugend vortrug, obwohl er den Text nicht drauf hatte, wie sich Paul McCartney erinnerte, der, damals 15-jährig, mit seinem Freund und Quarry Men-Aushilfsbassist Ivan Vaughn rechts unter der LKW-Bühne stand. In der Aula von St. Paul’s stellte Vaughn der Band schließlich seinen pummeligen Freund vor, der in einem für seine Pausbäckigkeit viel zu hippen Outfit steckte und eine Gitarre auf dem Rücken trug. Es wurde nicht viel geredet, Paul nahm seine Gitarre und stimmte Eddie Cochrans „Twenty Flight Rock“ an. Er kannte den kompletten Text. Der angetrunkene Lennon ließ sich nicht anmerken, wie beeindruckt er war, und schaute gelangweilt an die Decke …
Copyright: Michael Ochs Archive/Getty Images
Doch McCartney zog eindeutig eine Show ab, um den zwei Jahre älteren Bandleader zu beeindrucken, warf sich in „Be-Bop-A-Lula“ „Tutti Frutti“, „Good Golly, Miss Molly“ und schließlich „Long Tall Sally“. Nach der Hälfte seiner Performance nahm Lennon seine Coolness-Maske ab, schaute dem fremden Jungen auf die Finger, erwiderte sogar ein paar Mal seine Blicke. „Danach umkreisten sie sich wie Katzen“, erinnerte sich Quarry Men-Schlagzeuger Colin Hanton. 20 Minuten dauerte dieses Treffen, dann war alles vorbei – und alles anders. „Schon seltsam, wenn man erst mal begreift, wie uns die Geschichte damals streifte“, so Banjo-Spieler Rod Davis später. „Lennon trifft McCartney, und ich hab es nicht mal mitgekriegt. Wahrscheinlich war ich gerade pinkeln.“ Eine Woche später tauchte McCartney auf Einladung Vaughns bei den Proben der Quarry Men auf. Lennon, der schon damals den Rädern der Geschichte gerne beim Drehen zuschaute und noch haderte, ob er jemanden in die Band aufnehmen sollte, der technisch weitaus versierter war als er, war erleichtert, dass man ihm diese Entscheidung abgenommen hatte.
Copyright: Max Scheler - K & K/Redferns
29. August 1958: Move It! – Cliff Richard & The Drifters starten den britischen Rock’n’Roll
Skiffle hatte Britanniens Jugend über die schlimmsten Jahre hinweggeholfen. Die Nachkriegsdepression war zwar primär wirtschaftlicher Art, doch wo Häuser in Trümmern liegen und die Lebensmittel streng rationiert sind, bleibt nicht viel Raum für musikalischen Übermut. Rock’n’Roll? Ein Importschlager für eine kleine Minderheit verwegener Teenager, die sich die Nächte in den Bars und Cafes von Soho um die Ohren schlugen, wild tanzend und auf die widrigen Umstände pfeifend. „Diese Begeisterung für Rock’n’Roll ist ein beängstigendes Alarmzeichen“, schrieb das Popmusik-Blatt „Melody Maker“, „eine schreckliche Bedrohung, die resolut zu bekämpfen ist.“ Auch die seriöse Presse beklagte „den unbritischen, anarchischen Geist dieser sogenannten Musik“, verlangte nach „erzieherischen Maßnahmen, um dem Kult Einhalt zu gebieten“. Zu spät …
Copyright: GAB Archive/Redferns
Im Laufe des Jahres 1958 brechen die Dämme, einer nach dem anderen. Im Februar sorgt der Elvis-Film „Jailhouse Rock“ für Rabatz bei Matinees, im März verursachen Buddy Holly & The Crickets bei ihrer UK-Tour lokalen Aufruhr, im Mai wird Jerry Lee Lewis mit Schimpf und Schande davongejagt, als publik wird, dass er seine 13-jährige Cousine geehelicht hatte. Im Juli betritt ein 17-jähriger Elvis-Clone namens Cliff Richard mit seiner Combo, den Drifters, die EMI-Studios in der Abbey Road, um zwei Tracks für eine Single aufzunehmen. „Schoolboy Crush“, eine flotte Teen-Ballade mit gepfiffenem Intro, soll die A-Seite werden, für die Rückseite lässt man den jungen Leuten gönnerhaft freien Raum. Den die für einen Song nutzen, nein, für ein ungehöriges Postulat titels „Move It!“. Von Drifter Ian Samwell geschrieben, eröffnet „Move It!“ mit einem so grandios blitzendem Riff und fällt dann in einen so amerikanisch swingenden Rock’n’Roll-Groove, dass kaum jemand auf die Idee kommt, es könne sich um eine britische Band handeln …
Copyright: Rick Hardy/Redferns
Auch der TV-Produzent Jack Good nicht, dem zufällig ein Azetat der Single in die Hände fällt. Es ist diese Flipside, die ihn „völlig unvorbereitet in die Magengrube trifft“ und „einfach umwirft“, wie er eilends dem Label und den Medien mitteilt. Goods Urteil hat Gewicht, nicht zuletzt aufgrund dieser neuen Weekend-TV-Show „Oh Boy!“, die im September anlaufen wird und für deren erste Sendung er den jungen Nobody Cliff Richard ausersehen hat. Im August erscheint die Single, „Move It!“ gerät zum Hit, zuvor indes zum Menetekel in der Musikpresse. Von „gequältem, exhibitionistischem Gesang“ ist die Rede, der „leider en vogue“ sei, von „aggressiven Gitarren“ und dem „äußerst bedauerlichen Umstand“, dass die „Unkultur“ des Rock’n’Roll nun auch „die britische Popmusik erfasst“ habe. Wohl wahr.
Copyright: Beverly Lebarrow/Redferns
November 1960 : Popklassiker auf zehn Etagen – Das Brill Building, Hit-Fabrik der 60er Jahre
Als Gerry Goffin in der Drogerie, in der er tagsüber arbeitete, Feierabend machte und sein kleines Büro in Manhattan betrat, wartete etwas auf ihn. „Carole hatte mir eine Melodie auf unserem kleinen Rekorder hinterlassen“, erzählt er von seiner Ex-Frau Carole King, mit der er nebenbei Songs schrieb. „Ich spielte sie ab, und mir fiel sofort ein Text dazu ein.“ Der Song, „Will You Love Me Tomorrow“, war „anders als der Kram, den wir normalerweise ablieferten“, meint Goffin. „Er klang wie ein Standard.“ Goffin und King arbeiteten damals für Don Kirshner und Al Nevins, Eigentümer des Musikverlags Aldon Music und Schlüsselfiguren des „Brill Building Sounds“, der die Pop-Charts Anfang der Sechziger regierte. Das Brill Building befand sich in der Nähe des Times Square – 1619 Broadway, New York – und war im wahrsten Sinne des Wortes eine Hit-Fabrik:
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Das zehnstöckige Gebäude beherbergte mehr als 160 Firmen, die alle mit Musik zu tun hatten – Songwriter, Verleger, Label, Studios und Radiopromoter. Man konnte einen Song schreiben, ihn an einen Verlag verkaufen, ein Demo aufnehmen und eine Plattenfirma finden, ohne dafür mehr als ein paar Flure überqueren zu müssen. Goffin und King arbeiteten, zusammen mit den anderen prominenten Songwriter-Teams Neil Sedaka/Howard Greenfield, Barry Mann/Cynthia Weil und Jeff Barry/Ellie Greenwich ein paar Häuse weiter bei Aldon. Jedes Team hatte ein fensterloses Kabuff mit einem Klavier. „Es herrschte gewaltige Konkurrenz“, erzählt King. „Don gab uns Aufträge: ‚Die Shirelles suchen nach einem Nachfolger für ,Tonight’s The Night‘. Wenn einem nichts einfiel, schnappte sich ein anderer den Job.“ …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Kirshner spielte das Demo zu „Will You Love Me Tomorrow“ Luther Dixon vor, dem Produzenten der Shirelles, der es der Gruppe mitbrachte. „Uns gefiel es überhaupt nicht, es klang wie kitschiger Country & Western“, meint Beverly Lee von den Shirelles. „Aber Luther zwang uns, es zu singen, und als die Streicher dazukamen, verliebten wir uns in den Song.“ Sechs Wochen nach der Veröffentlichung im November 1960 erreichte der Song die Spitze der Charts, startete den Girlgroup-Boom und machte Goffin und King zu Platzhirschen des Talentpools im Brill Building. Die beiden schrieben danach noch viele Hits, doch für Goffin war der erste Erfolg der schönste: „Carole und Don fuhren in einer Limousine vor dem Gebäude vor. Carole wedelte mit einem 10000-Dollar-Scheck und schrie: ‚Weißt du was? Du brauchst nie wieder zu arbeiten!’“
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
13. April 1962: Große Freiheit Rock’n’Roll – Die Beatles eröffnen den Hamburger Star-Club
Am 13. April 1962 waren die Zeiten der Dorfmusik im Nachkriegsdeutschland vorbei. Der Rock’n’Roll hatte endlich auch hier ein Zuhause gefunden. In Hamburg, St. Pauli, Große Freiheit 39. Dort eröffneten Manfred Weißleder und Horst Fascher an diesem Tag den „Star-Club“. Auf der Bühne, vor der gemalten Skyline von Manhattan, standen am ersten Abend der „Rock and Twist Parade“ Tex Roberg & The Graduates, Roy Young, The Bachelors, und The Beatles. Nicht gerade Weltstars, doch der Stern der Letztgenannten war kurz davor, aufzugehen. Es sollte der hellste werden, der je am Pophimmel strahlte. Und vieles von dem, was diese Band aus Liverpool so einmalig machte, hatte sie Hamburg zu verdanken. Der Clubbesitzer Bruno Koschmider hatte die Beatles zweieinhalb Jahre zuvor ein paar Meter weiter im „Indra“ mit seinen „Mach Schau!“-Rufen angefeuert, die beste Band der Welt zu werden …
Copyright: K & K Ulf Kruger OHG/Redferns
Das hatte sie in langen Nächten im „Kaiserkeller“ und im „Top 10“-Club wach gehalten (und das Aufputschmittel Preludin half auch ein bisschen). Sie waren hier durch die Sex-Drugs-und-Rock’n’Roll-Schule gegangen und daran gewachsen, hatten eigene Songs geschrieben, ihre ersten Plattenaufnahmen mit Tony Sheridan gemacht; Erwin Ross hatte ihnen den später ikonografischen Schriftzug auf die Bass-Trommel gemalt, Astrid Kirchherr ihnen ihre Pilzköpfe verpasst und den Bassisten Stuart Sutcliffe ausgespannt, so dass – ein weiterer wichtiger Karriereschritt – Paul McCartney für ihn die tiefen Töne übernehmen musste. Sutcliffe starb drei Tage vor der „Star-Club“-Eröffnung. Ein Schock vor allem für Lennon, der in den nächsten zwei Monaten – in denen die Beatles sich das Spotlight an der Großen Freiheit mit anderen Bands aus Liverpool wie Gerry & The Pacemakers und The Searchers teilten – stets sturzbetrunken auf die Bühne stieg und das Publikum bis zur Raserei provozierte:
Copyright: TS Productions/Getty Images
„Hey, remember the war?“ Don’t mention the war! In dieser Zeit schärften die Beatles ihren Live-Act, nahmen neue Songs ins Repertoire, die später auf ihrem Debüt „Please Please Me“ auftauchen sollten, und entfremdeten sich endgültig von ihrem Schlagzeuger Pete Best. Bei ihrem zweiten „Star-Club“-Gastspiel im November saß bereits Ringo Starr am Schlagzeug, und ihre Single „Love Me Do“ kletterte in den UK-Charts bis auf Platz 17. Nach den Beatles gingen noch viele Sterne von Bill Haley bis Jimi Hendrix an die Große Freiheit auf und unter, doch der Name „Star-Club“ blieb für immer mit den Fab Four aus Liverpool verbunden. Am Neujahrstag 1970, zwei Tage bevor McCartney, Harrison und Starr zum letzten Mal vor der offiziellen Trennung im April gemeinsam als The Beatles aufnahmen, wurde der „Star-Club“ geschlossen.
Copyright: K & K Ulf Kruger OHG/Redferns
Oktober 1962: Motortown Revue – Marvin Gaye, die Supremes und Stevie Wonder on the road
Die Busse waren alt, und Geld gab es auch keins“, erinnert sich Mary Wilson von den Supremes, „aber es waren trotzdem die besten Jahre. Wir waren wie eine große Familie.“ 1962 hatte sich Motown Records vom kleinen Chicagoer Label mit gerade mal 800 Dollar Startkapital zur Erfolgsfirma mit Hits von den Contours, den Marvelettes und den Miracles entwickelt. Um die Botschaft weiter zu verbreiten, erfand Motown-Gründer Berry Gordy Jr. die „Motortown Revue“, ein Tourpaket, das der Firma Schlagzeilen einbrachte und dem strengen Motown-Moralkodex Genüge tat, indem es die Musiker mit Aufpassern durch die Lande reisen ließ. Das erste Konzert fand Ende Oktober im Howard Theater in Washington D.C. statt. Es folgten Auftritte in 19 Städten, davon 15 im streng rassengetrennten Süden, sowie zehn Abende im „Apollo Theater“ in Harlem. Auf dem Programm standen neben den Miracles, den Marvelettes und Mary Wells auch die Supremes, Martha Reeves und die Vandellas, die Contours, Marvin Gaye und, wie er damals hieß, Little Stevie Wonder, „das zwölfjährige Genie“ …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Die Kritiken waren gut, die Bezahlung schlecht. Die Supremes verdienten 290 Dollar pro Woche. Dafür spielten sie, wie alle anderen, ein straff choreographiertes zehn- bis 20-minütiges Set. Die Miracles, die mit ihrem zweiten Nummer-eins-Hit „You’ve Really Got A Hold On Me“ gerade die R&B-Charts anführten, kamen als letzte. Die Konkurrenz zwischen den Gruppen war enorm. „Wir wurden die No-Hit-Supremes genannt“, erzählt Wilson. „Wir mussten uns vors Publikum stellen, unsere zwei Songs singen und hoffen, dass keiner von uns umkippte.“ (Den ersten richtigen Hit landeten die Supremes erst 1964 mit „Where Did Our Love Go?“) Tourmanager Thomas „Beans“ Bowles ließ Stevie Wonder immer vor Marvin Gaye auftreten. „Stevie war ein Energiebündel und hatte das Publikum sofort im Griff. Marvin musste danach alles geben, sonst wäre er durchgefallen.“ Zu seinem Glück schaffte Gaye das fast immer. „Die Leute saßen dir fast auf dem Schoß“, berichtete er später. „Die Frauen kreischten dir direkt ins Gesicht. Ich hatte die Hosen gestrichen voll.“ …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Im Süden, wo vor vielen Veranstaltungsorten die Flagge der Konföderierten wehte und Schwarze und Weiße getrennt saßen, musste die Truppe ständige Demütigungen hinnehmen. „Für uns Schwarze war es ziemlich entmutigend, andere Schwarze oben auf den Rängen hinter dem Geländer stehen zu sehen“, erzählt Katherine Anderson Schaffner von den Marvelettes. „Du versuchst, eine gute Show hinzulegen, aber die ganze Zeit klopft dein Herz wie wild, weil du nicht weißt, ob nicht etwas passieren wird.“ Motown zog schwarze wie weiße Zuhörer an, und so war ihre Musik auch eine Musik der Veränderung. „Als wir in Orlando ankamen, war es heiß und stickig“, erzählt Wilson. „Deshalb rannten wir gleich zum Pool des Motels. Doch als wir reinsprangen, verließen die Weißen geschlossen das Becken. Dann fing jemand an, Platten zu spielen und wir sangen mit. Als sie merkten, wer wir waren, rückten die Weißen langsam wieder näher – und zum Schluss feierten alle zusammen.“
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Oktober 1962: Eine Heilige Gospel-Messe für 5700 Dollar – James Brown schwitzt eine Woche im Apollo Theatre
Wir waren ein Haufen Landeier aus Georgia“, beschreibt Bobby Byrd den Auftritt der James Brown Band im Oktober 1962 im Harlem Apollo Theatre, bei dem „Live At The Apollo“ entstand. „Und wir waren nach New York gekommen, um es richtig krachen zu lassen.“ Die 16-köpfige Band war für eine Woche gebucht, zusammen mit Solomon Burke, Blues-Gitarren-König Freddie King, den Valentinos und dem Komödianten Pigmeat Markham. Pro Tag waren fünf Auftritte zu absolvieren, und das berüchtigte Apollo-Publikum machte Brown keine Angst: „Ich war fest davon überzeugt, dass wir sie wegpusten würden.“ Natürlich behielt er Recht …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
In den drei Jahren seit ihrem ersten Gig im Apollo hatte Brown seine Band zu einer der strammsten Formationen im R&B getrimmt. Ein Grund waren die 300 Gigs, die sie im Jahr spielten, ein anderer die Geldstrafen, mit denen Brown Bandmitglieder belegte, die eine Note verhauten, Tanzschritte verpassten oder mit kaputten Schuhen antraten. Am 24. Oktober waren die Strafen besonders hoch: „Wenn dir an dem Abend etwas daneben ging, kostete das nicht fünf oder zehn Dollar, sondern zehn Mal so viel“, erzählt Bobby Byrd. Der Grund: Der Auftritt um Mitternacht wurde live aufgenommen, und Brown hatte eigenes Geld investiert. Inspiriert von Ray Charles’ „In Person“ (1960), wollte er auf einem Live-Album zeigen, was seine Band alles konnte – und das war viel, nach jeder seiner gnadenlosen Performances war Brown schweißgebadet und angeblich drei Kilo leichter …
Copyright: Don Paulsen/Michael Ochs Archives/Getty Images
Doch weil Syd Nathan, Chef von Browns Label King, meinte, Plattenkäufer seien nur an neuen Singles interessiert, finanzierte Brown die Aufnahme mit 5700 Dollar selbst: „Das war alles, was ich hatte.“ Das Album erwies sich mit einer Million verkauften Exemplaren als gute Investition. Browns Band prügelte sich derart schnell durch die Songs, dass Radio-DJs Probleme hatten, einzelne Stücke rauszupicken. King Records brachte Single-Auskopplungen heraus, doch die Hörer wollten das ganze Paket, so dass manche Sender eine ganze Albumseite durchspielten. „Ich wollte die Atmosphäre einer Gospel-Messe einfangen, diese Momente, wenn der Heilige Geist in die Leute fährt“, so Brown. „Wahrscheinlich ist es das beste Album, das ich je gemacht habe.“ Das war es tatsächlich.
Copyright: Don Paulsen/Michael Ochs Archives/Getty Images
April 1963: Party-Knaller aus der Garage – Die Kingsmen nehmen „Louie Louie“ auf
Im April 1963 legten fünf schlaksige Teenager aus Portland, Oregon 50 Dollar auf den Tisch, um im Northwest Recorders einen Song aufzunehmen. Keiner von ihnen war schon mal in einem Studio gewesen, und weil sie ihren Live-Sound so naturgetreu wie möglich rüberbringen wollten, standen sie in einem Kreis um das Hängemikrofon, mit Sänger Jack Ely in der Mitte. Die Zeit reichte nur für eine Aufnahme von „Louie Louie“, das die Leute immer zur Tanzfläche strömen ließ, und bei der lag Schlagzeuger Lynn Easton manchmal ebenso daneben wie Ely mit seinem Text. „Saubere Aussprache kannst du knicken, wenn du den Kopf ganz nach hinten gebeugt hast und versuchst, gleichzeitig laut zu singen und Gitarre zu spielen“, erklärt er. „Louie Louie“ wurde ein Meilenstein des Rock’n’Roll: Vorbild für „You Really Got Me“ von den Kinks und „Gloria“ von Van Morrison und Them sowie Inspirationsquelle für Hunderte von Garagenbands, die noch rauer und ungeschulter waren als die Kingsmen …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
„Es klang, als wären sie bei der Aufnahme betrunken gewesen, und deshalb ist es Pflicht für alle, die einen sitzen haben“, meint der Regisseur John Landis, der in seiner legendären Fernseh-Comedy-Serie „National Lampoon“ den drogensüchtigen und notorisch chaotischen Schauspieler John Belushi den Song singen ließ. „Es ist der ultimative Party-Knaller.“ Es ist auch der ultimative Cover-Song: Otis Redding, Tina Turner, Bruce Springsteen, Black Flag, sogar Barry White – und ein paar hundert andere Künstler nahmen es in ihr Repertoire auf. Eigentlich stammt „Louie Louie“ aus der Feder von Richard Berry, der es 1956 mit seinen Pharaohs das erste Mal zu Gehör brachte. Ein paar Monate später wurde es ein bescheidener Radio-Hit an der Westküste und von lokalen Tanzkapellen nachgespielt. Die Version, die die Kingsmen 1961 hörten, kam von den Wailers, einer Band aus Seattle …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Im Dezember 1963 erreichte die erste Platte der Kingsmen den zweiten Platz in den amerikanischen „Billboard“-Charts. Viele meinten, in dem vernuschelten Text sexuelle Anspielungen zu erkennen: „I smell the rose, ah, in her hair“ wurde von manchen DJs und Hörern als „I felt my boner in her hair“ interpretiert, was den Song bei vielen Sendern auf der schwarzen Liste landen ließ. Im Januar 1964 brandmarkte Indianas Gouverneur Matthew Welsh den Song als „pornografisch“; einen Monat später leitete das FBI sogar Ermittlungen ein, die zwei Jahre später allerdings ergebnislos eingestellt wurden. Die angeblichen Zweideutigkeiten beflügelte den Ruhm des Stücks, das von jungen Bands umso lieber nachgespielt wurde und sich über Jahrzehnte den Ruf einer exquisiten Schweinerei erhalten hat. Der Text wurde je nach Gusto variiert und verballhornt. „Ich würde gern behaupten, dass der Erfolg das Ergebnis meisterhafter Vermarktung, Planung und künstlerischer Sorgfalt war“, meint Easton. „Aber eigentlich hatten wir nur Riesendusel. Irgendwie standen die Sterne gerade richtig.“
Copyright: GAB Archive/Redferns
Frühjahr 1963: Mäuse und Ratten – Produzent Phil Spector baut die „Wall of Sound“
„Ich glaube, mit mir arbeiteten alle gern, aber sie hassten Gold Star“, sagt Phil Spector über das kleine, feuchte Studio in Hollywood, wo seine klassischen „Wall of Sound“-Singles entstanden. „Im Gold Star gab’s Scheiße, Mäuse, Ratten, Kakerlaken, eine 90-Prozent-Wahrscheinlichkeit, dass sie draußen dein Auto knackten, und einen Toilettensitz, auf dem man sich Filzläuse holte. Alle Musiker hatten welche und gaben sie an ihre Frauen und Freundinnen weiter – ich wette, diese Filzläuse haben ein paar langjährige Beziehungen auf dem Gewissen.“ Aber, so fügt er hinzu, „wen kümmerte das? Es hatte einen super Hallraum.“ Dieser Hallraum bestand aus Betonkästen, jeder etwa einen Meter hoch und etwas über einen Meter breit, und war einer der wichtigsten Bausteine in Spectors „Wall of Sound“ …
Copyright: Ray Avery/Redferns
Ein anderer war sein gnadenloser Perfektionismus. Der Mann, dem Tom Wolfe den Spitznamen „Tycoon of Teen“ verpasste, war im Studio ein gnadenloser Schinder: Die Mitglieder seiner Hausband (intern hießen sie „das Abbruchkommando“), mussten ihre Stücke bis zum Umfallen proben, und Spector ließ die Arrangements so oft wiederholen, bis er haargenau das bekam, was er wollte. Es war nicht zuletzt die schiere Menge an Musikern, die diesen Sound hervorbrachte: Anfang 1963, als er mit den Aufnahmen für „Be My Baby“ begann – als Teil einer Serie von 20 Monster-Hits zwischen 1962 und 1966 –, stopfte der Produzent mehr Musiker ins Studio, als eigentlich reinpassten. Zwei Bassisten, fünf bis sechs Percussionisten, fünf bis sechs Keyboarder, eine fünfköpfige Bläsersektion, ein Schlagzeuger und sieben bis acht Gitarristen …
Copyright: Ray Avery/Redferns
„Ernsthaft, oft mussten wir die Leute stapeln“, erklärt Spector. „Es war nicht ungewöhnlich, dass zwei oder drei Pianisten am selben Instrument zugange waren – einer im oberen Register, der zweite in der Mitte und der dritte unten –, zusammen mit einem Cembalo, einem elektrischen Piano und einem Klavier.“ Im Zentrum des ganzen angerichteten Irrsinns-Bombastes stand die erst 17-jährige Sängerin (und spätere Mrs. Spector) Ronnie Bennett, die so schüchtern war, dass sie grundsätzlich nur in der Garderobe übte. Sie brauchte drei Tage für den Gesang, danach laborierte Spector noch drei Monate an dem Song herum, bis er endlich zufrieden war. „Ich war ständig im Studio, änderte etwas, änderte es dann wieder, um es noch besser hinzukriegen. Ich musste das Stück hunderte Male hören, und jeder Overdub war kritisch. Nach Hause ging ich, wenn die anderen Schlaf brauchten. Ich konnte sowieso nicht schlafen.“
Copyright: Ray Avery/Redferns
Sommer 1964: Mod’s Finest – The Who explodieren in London
„Alle Kumpels aus der Kunstschule waren gekommen, um die Who in diesem kleinen Club zu sehen“, erinnert sich Pete Townshend an den Tag, an dem er zum ersten Mal sein Instrument zertrümmerte. „Als ich probehalber so ein bisschen mit der Gitarre rumwedelte, brach auf einmal der Hals durch. Ein paar Leute kicherten, und ich dachte: ‚Mist, wenn das Ding sowieso hinüber ist, kann ich es auch gleich zu Klump hauen.‘“ Später machte er daraus eine Gewohnheit, die er selbst auf ein Interesse an „autodestruktiver Kunst“ zurückführt. Sie gab aber auch eine tolle Show ab. Beim nächsten Gig war der Club rappelvoll und die Menge hoffte auf eine Wiederholung. Townshend weigerte sich, aber Keith Moon, „der nicht außen vor bleiben wollte“, zerlegte dafür sein Schlagzeug …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Das war im Sommer 1964, und die Who, die damals noch die High Numbers hießen, spielten jeden Dienstag in einem schäbigen Pub namens „Railway Tavern“ in Harrow, einem Arbeiterviertel im Nordwesten Londons. Townshend, Sänger Roger Daltrey, Bassist John Entwistle und Moon spielten auf einer Bühne aus Bierkästen unter einer einzigen roten Glühbirne, in einem winzigen Raum voller perfekt gestylter, Pillen schluckender Teenager, die sich Mods nannten und in der Hauptstadt stilmäßig den Ton angaben. Townshend mit seiner Windmühlentechnik konnte kaum verhindern, dass der Hals seiner sechssaitigen Rickenbacker Bekanntschaft mit der Zimmerdecke machte. Die Who waren alle Mods, und ihre Debüt-Single „I’m The Face“ – noch unter dem alten Namen und in derselben Woche veröffentlicht, in der die Band erstmals im „Railway“ auftrat – war eine der ersten Mod-Hymnen …
Copyright: The Visualeyes Archive/Redferns
Ein „face“, Kurzform von „ace face“, war der Typ, der die schärfsten Anzüge trug und die heißeste Vespa fuhr. Doch für die Mods, die ins „Railway“ pilgerten, waren die Who noch mehr: der Soundtrack zu ihrem eigenen Leben. „Mods sind nicht die Art Leute, die Gitarre spielen können“, erzählte Townshend 1968 dem ROLLING STONE, „deshalb war’s toll für sie, eine Band zu haben. Ich weiß, wie man sich als Mod unter zwei Millionen anderer Mods fühlt. Es ist unglaublich. Das ist meine Generation.“ Mit der Zeit lernte Townshend damit zu leben, dass manche Leute nur kamen, um ihn als Vandalen zu erleben: „Ich bin oft mit dem Gedanken auf die Bühne gegangen, heute haust du keine Gitarre kaputt, egal, was ihr davon haltet. Aber dann machte ich es doch. Es ist einfach eine spontane Geste, eine Performance, eine Aktion. Ein kurzer Augenblick, der nicht wirklich etwas zu bedeuten hat.“
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
25. Juli 1965: Dichterkönig unter Strom – Bob Dylan elektrisiert das Newport Folk Festival
Der umstrittenste Auftritt im Rock’n’Roll dauerte 15 Minuten: drei Songs, gespielt in ohrenbetäubender Lautstärke von einer elektrifizierten Blues-Band, angeführt vom jungen Dichterkönig, beim geheiligten Jahreskongress der Akustik-Puristen, dem „Newport Folk Festival“. In dieser Viertelstunde am 25. Juli 1965, einem warmen Sonntagabend, verkündete Bob Dylan, 24, mit der vollen Stromladung der Paul Butterfield Blues Band im Rücken, seine Unabhängigkeit von der Orthodoxie der Folkszene. Dafür zahlte er einen hohen Preis. Augenzeugen berichten, dass er die Bühne mit Tränen in den Augen verließ – geschockt vom Geplärre und Geschimpfe aus dem Publikum –, bevor er noch einmal zurückkehrte, um mit zwei akustischen Nummern Buße zu tun. Butterfield-Gitarrist Mike Bloomfield meinte, Dylan habe „richtig verstört“ ausgesehen …
Copyright: Alice Ochs/Michael Ochs Archives/Getty Images
Als Dylan in Newport die Bühne betrat, in schwarzen Hosen und grünem Hemd, eine Fender Stratocaster im Arm, zeigte er sich das erste Mal seit seiner High-School-Zeit öffentlich mit einer elektrischen Gitarre. Einen Monat zuvor hatte Dylan seinen ersten Top-Five-Hit, „Like A Rolling Stone“, in New York mit einer Band aufgenommen, zu der auch Kooper und Bloomfield gehörten. Bei seinem ersten Auftritt an jenem Wochenende, einem Workshop am Samstag, hatte er noch Folksongs gespielt. Danach wurde Kooper von Dylans Manager Albert Grossman angesprochen. „Er sagte, Bob würde nach mir suchen. Ich ging hinter die Bühne und Bob sagte: ‚Am Sonntag will ich elektrisch spielen.‘“ Dylan, Kooper, Bloomfield und der Rest der Butterfield Band probten den ganzen Samstagabend mit Pianist Barry Goldberg in einer nahe gelegenen Villa. „Es war ein anstrengender Abend – schwierig, unangenehm“, erinnerte sich Kooper …
Copyright: Alice Ochs/Michael Ochs Archives/Getty Images
Die Ad-hoc-Formation schaffte nur drei Songs: das beißende „Maggie’s Farm“, „Like A Rolling Stone“ und dem neuen „It Takes A Lot to Laugh, It Takes A Train to Cry“. Die mangelnde Vorbereitung zeigte sich gleich zu Beginn ihres Sets: Drummer Sam Lay drehte den Beat in „Maggie’s Farm“ um, was die ganze Band in Verwirrung stürzte. Folk-Ikone Pete Seeger gestand, Dylans Auftritt habe ihn derart erbost, dass er am liebsten das Mikrofonkabel durchtrennt hätte, aber nur deshalb, weil Dylans Stimme so verzerrt gewesen sei.Die Menge regte sich vermutlich eher auf, weil der Star des Newport-Programms schneller von der Bühne war, als manche Folkies für eine Mörderballade brauchen. Die Folkszene erholte sich nie von dem Schock, Rock’n’Roll war danach auch nicht mehr derselbe, und Dylan wusste, dass er die Verantwortung trug. Maria Muldaur erinnerte sich, wie Dylan bei bei der anschließenden Party allein in der Ecke saß. Sie fragte ihn, ob er tanzen wolle. „Ich würde schon“, antwortete er, „aber meine Hände brennen.“
Copyright: Alice Ochs/Michael Ochs Archives/Getty Images
August 1966 : König Ödipus – The Doors sorgen mit „The End“ für einen Skandal auf dem Sunset Strip
Im Sommer 1966 gab es in Los Angeles Krawalle auf dem Sunset Boulevard, als friedlicher Protest gegen den Vietnam-Krieg eskalierte. Und eine Rockband namens The Doors, die keiner kannte, landete einen Gig im „Whisky a Go-Go“, einem Club auf dem Sunset Strip. Die Gruppe war im Jahr zuvor von zwei Filmstudenten gegründet worden, dem Nachwuchs-Poeten Jim Morrison und dem Blues-Keyboarder Ray Manzarek. „Wir waren Hausband im ,London Fog‘, einem jämmerlichen kleinen Club in der Nähe des Whisky“, erzählt Manzarek heute. „Das ,Whisky‘ war Mekka für uns. Dort spielten all die großen Bands. Wenn wir Pause hatten, gingen wir rüber und guckten durch die Tür: ‚Hallo, wir sind die Band von nebenan.‘ Dafür wurden wir regelmäßig ausgelacht.“ Als Ronnie Harran, die das „Whisky“-Programm buchte, die Doors schließlich live sah, war sie beeindruckt von Morrisons Bühnenpräsenz und bot der Band an, als feste Vorgruppe jeden Abend zwei Sets zu spielen. Den ersten Abend eröffneten sie gleich für Them – er gipfelte in einem von beiden Morrisons (Van und Jim) gemeinsam gesungenen „Gloria“. Das Repertoire der Doors bestand damals aus 15 Songs, die sie mit ein bisschen James Brown und Chicaco-Blues auffüllten …
Copyright: Don Paulsen/Michael Ochs Archives/Getty Images
Weil das trotzdem nicht für zwei Sets reichte, wurde gestreckt, was das Zeug hielt – so entstand der epische, sololastige Doors-Sound. Die Band hatte bald eine eigene Fangemeinde, und das „Whisky“ wurde zum Treffpunkt merkwürdiger Gestalten. Manzarek: „Da gab es diese beiden Typen, Carl und Vito, die so eine zigeunermäßige Tanztruppe anführten. Sie wurden umsonst reingelassen, weil sie so aussahen, wie Touristen sich Hippies vorstellen. Keine Ahnung, ob die überhaupt was einschmissen, die waren von Haus aus völlig meschugge, aber sie tanzten wie die Teufel. Und sie liebten ‚The End‘“. Eine frühe Version von „The End“ – eine, die man zum Beispiel gefahrlos in der Halbzeit des Superbowl hätte zeigen können. Doch dann tauchte Morrison eines Abends nicht zum ersten Set auf. Die Band spielte ohne ihn, aber „Whisky“-Chef Phil Tanzini war stinksauer und bestand darauf, Morrison habe pünktlich zum zweiten Set an Ort und Stelle zu sein. Sie fanden ihn in seiner Wohnung, in Unterwäsche und auf einem Acid-Trip, und transportierten ihn rechtzeitig zurück ins „Whisky“, „ein bisschen bedröhnt, aber klar im Kopf“, wie sich Manzarek erinnert. „Nach der dritten Nummer drehte er sich plötzlich um und meinte: ‚Lasst uns „The End“ spielen.‘ Ich sagte: ‚Jim, wir haben erst drei Stücke gespielt!‘“ Normalerweise wurde „The End“ fürs Finale aufgespart, doch Morrison bekam seinen Willen …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
„Es gab eine Stelle im Stück, an der Jim ein bisschen improvisieren durfte, und er signalisierte uns, dass wir leiser spielen sollten. Und dann deklamierte er zum ersten Mal: ‚The killer awoke before dawn. He put his boots on.‘ Die Tänzer blieben einer nach dem anderen mit großen Augen stehen. Als er fortfuhr, ‚Father, I wanna kill you‘, wusste ich, was kommen würde. Bitte, tu es nicht, dachte ich.“ Doch Morrison tat es natürlich. Als er brüllte, „Mother, I want to fuck you!“, schaltete die Band, die seine Rezitation bis dahin leise begleitet hatte, auf Overdrive. Manzarek: „John prügelte auf die Trommeln ein, ich hämmerte auf die Orgel, Robby ließ seine Gitarre kreischen wie einen Dämon. Es war die Hölle, die Leute tanzten wie die Irren, in dionysischer Ekstase. Wir hatten Ödipus Rex exorziert, mitten auf dem Sunset Strip!“ Als die Doors von der Bühne stiegen, wussten sie, dass sie einen Killer gelandet hatten. Sie hatten aber auch Tanzinis Sinn für Anstand verletzt. Er ging hinter die Bühne, fragte Morrison: „Wie zum Teufel kannst du so was über deine Mutter sagen?“ und feuerte die Band auf der Stelle. Krieger fragte: „Willst du, dass wir am Wochenende noch spielen, oder sollen wir gleich gehen?“ Tanzini überlegte einen Moment und erwiderte: „Ihr spielt durch bis Sonntag, dann schmeiß ich euch raus.“
Copyright: Anthony Stern/Photoshot/Getty Images
Sommer 1965: Ungekrönte Könige des Swinging London – Carnaby Street, King’s Road – und der Siegeszug von „Satisfaction“
Im Sommer 1965 war Swinging London vielbestaunter Nabel nicht nur der Popwelt. Hier konvergierten Kunst, Kino, Literatur, Medien, Mode und Musik auf ungekannt schillernde Weise, hierhin pilgerte die hippe Jugend aus aller Herren Länder, um sich an den Hotspots der Stadt zu treffen. King‘s Road und Carnaby Street hießen die zugkräftigen und umsatzträchtigen Fashion-Biotope, in den Clubs von Soho spielten nächtlich die heißesten Acts der Mod-Szene, in den Galerien von Chelsea und Notting Hill war es Ehrensache, seiner Zeit weit voraus zu sein. Paradox also, dass der globale Sommerhit jenes denkwürdigen Jahres seinen Siegeszug nicht von der britischen Metropole aus antrat, sondern von amerikanischem Territorium …
Copyright: Terry O'Neill/Getty Images
Sicher, die USA waren nach der „British Invasion“ vom Vorjahr popmusikalisch kolonialisiert. Dennoch sorgte es für Indignation bei der In-Crowd, dass die „ungekrönten Könige des Swinging London“, wie die „Times“ schrieb, „ihren neuesten Schrei“ zuerst auf fremdem Kontinent vernehmen ließen. Die Rede ist natürlich von den Rolling Stones und „Satisfaction“. In Clearwater, Florida von Keith im Traum ausgeheckt, in Hollywood aufgenommen und eigentlich nicht für Single-würdig erachtet, entwickelte das Wutgeheul wider Konsumterror und Fremdbestimmung eine ungeahnte Eigendynamik, wurde im Juni auf den nach neuer Stones-Musik lechzenden US-Markt geworfen und hatte dort mehr als eine Million Abnehmer gefunden, ehe Decca in England in die Gänge kam …
Copyright: Mark and Colleen Hayward/Redferns
Die paar Wochen zwischen US- und UK-Release überbrückten die Piratensender mit Import-Copies, was der Popularität dieser Sender, die von Schiffen aus Pop-Britannien beschallten, ungeheuren Auftrieb gab. Die Interpreten selbst stellten den Song im heimatlichen England bei einigen Gigs live vor und wunderten sich, dass lauthals mitgesungen wurde, wiewohl die im Stones-Camp umstrittene Single erst im August in die Läden kommen sollte. Er habe sich am Sound der Fuzz-Gitarre schnell überhört, sagte Richards, es wäre ihm lieber gewesen, man wäre seiner ursprünglichen Idee gefolgt und hätte Bläser dafür eingesetzt, so wie später Otis Redding. Fraglich freilich, ob man so eine ähnlich durchschlagende Massenwirksamkeit erzielt hätte. Womöglich wäre es „Satisfaction“ sogar ergangen wie der anderen großen Hymne des swingenden London: „My Generation“ nämlich von The Who. Die fand außerhalb Englands zunächst kaum Abnehmer, am wenigsten in Amerika.
Copyright: Mark and Colleen Hayward/Redferns
Januar 1966: Ashbury High – Die Grateful Dead heben bei Konzerten und „Acid Tests“ in San Francisco ab
Die Fahnen der Freaks wehten Mitte der 60er Jahre schon über ganz Amerika, aber nirgends so bunt wie in San Francisco, dem Geburtsort der Psychedelic-Rock-Szene. „Damals konnte jeder tun, was er wollte“, sagt Grace Slick, Sängerin von Jefferson Airplane. „Man denkt immer, es wären alle in Batik-Shirt und Schlaghosen rumgelaufen. Aber ich trug Opernkostüme, und zwar nicht nur auf der Bühne, sondern jeden Tag. Manchmal auch eine Uniformjacke der LAPD, mit Handschellen als Armreifen. Ich wurde oft verhaftet. Oder ich zog ein Pfadfinderinnen-Outfit an. Ich war nie Pfadfinderin.“ Währenddessen hatte eine Bar-Band namens The Warlocks LSD entdeckt und ihre Begeisterung für John Coltranes Jazz-Improvisationen mit Blues und Rootsmusik verschmolzen – der ideale Freistil-Soundtrack zum lokalen Trip …
Copyright: Don Paulsen/Michael Ochs Archives/Getty Images
Die Band musste ihren Namen ändern: Warlocks gab es schon in Texas (aus denen wurde später ZZ Top) und New York (bald bekannt als Velvet Underground). Jerry Garcias Vorschlag Mythical Ethical Icicle Trycicle verkniff man sich klugerweise, stattdessen hießen sie nun The Grateful Dead. „Wir waren eine Kneipenband“, bemerkte Gitarrist Bob Weir einmal, „mit außerordentlichen Eigenschaften.“ Berühmt und berüchtigt wurden sie zuerst durch ihre Auftritte bei den sogenannten Acid Tests, den Drogen-Happenings, die der Autor Ken Kesey und seine Merry Pranksters organisierten. Garcia beschrieb die Szene 1969 dem ROLLING STONE: „Kesey schrieb auf, was er sah, und diese Messages wurden an die Wand projeziert …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Jemand kommentierte es über ein Mikro irgendwo, und das hörte man über einen Lautsprecher, der wieder ganz woanders stand… Es gab keine regulären Sets – manchmal standen wir auf und spielten zwei Stunden lang, manchmal spielten wir nur zehn Minuten, und dann waren wir von der Rolle und gingen auseinander… “ All das kulminierte beim „Trips“-Festival, einem dreitägigen Event im Januar 1966 in der Longshoreman’s Hall. Zwischen 3000 und 5000 Leute kamen, um die Dead, Big Brother And The Holding Company und andere zu erleben. Von einem „elektrischen Zirkus“ war die Rede. „Nach dem Festival“, sagt Weir, „wurde die Szene von San Francisco deutlich mehr beachtet.“ Auch Konzertpromoter Bill Graham war vor Ort, registrierte die wirkungsvolle Verbindung von psychedelischer Lightshow und Rockmusik – und setzte sie bald auch selbst bei Veranstaltungen ein.
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Januar/Februar 1966: Genius auf Hasch – Brian Wilson komponiert die „Pet Sounds“
Als die Beach Boys im Januar 1966 auf Japan-Tournee gingen, blieb ihr Anführer Brian Wilson daheim in Bel Air, Kalifornien, in dem Haus, in das er nicht nur ein Tonstudio hatte einbauen lassen, sondern später auch einen Sandkasten. Nach einem Nervenzusammenbruch hatte Wilson das Touren aufgegeben. Und war fest entschlossen, als nächstes ein Meisterwerk zu kreieren. Die Beatles hatten „Rubber Soul“ veröffentlicht. Wilson wollte Lennon-McCartney noch übertreffen. Das Ergebnis, „Pet Sounds“, sollte seinerseits die Beatles zu neuen Höhenflügen anstacheln: Paul McCartney nannte das Album als Inspiration für „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. „Ich wusste, dass wir da etwas Besonderem auf der Spur waren“, sagt Wilson. „Und wir folgten stets meinem Gefühl.“ Er arbeitete mit dem Texter Tony Asher zusammen, dem Jinglekomponisten einer Werbeagentur, die für Mattel-Spielzeug oder Gallo-Wein Reklame gemacht hatte …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Die zwei waren sich in einem Studio kurz begegnet, und Wilson hatte Asher aufgeregt einige neue Instrumentaltracks vorgespielt. Ein paar Wochen später – als er unter einer Schreibblockade litt und Capitol Records wegen des neuen Albums schon Druck machte – rief er Asher an. „Ich dachte zuerst, da spielt mir jemand von meinem Büro einen Streich“, sagt Asher. „Wir sollten nicht vergessen, dass er zu der Zeit ziemlich verzweifelt war.“ Wilsons Verhalten bei den Sessions war, gelinde gesagt, sonderbar. Eine Fernsehserie wie „Flipper“ rührte ihn zu Tränen, und er verweigerte das meiste Essen und ernährte sich von Krabbencocktail und Steak in Restaurants. Asher erinnert sich an einen Abend, an dem sie dermaßen viele Haschkekse verspeisten, dass er dachte, er würde sterben. Und doch: Je wirrer Wilsons Geisteszustand wurde, desto genialer gerieten seine musikalischen Ideen …
Copyright: RB/Redferns
Wilson und Asher begannen die meisten Sessions damit, dass sie eine Stunde lang zusammensaßen und sich über frühere Freundinnen unterhielten, was die textliche Richtung der Songs vorgab. Dann gingen sie ans Klavier. Wilson versuchte die Musik in seinem Kopf herauszulassen, Asher kritzelte auf einen Schreibblock. Als Produzent probierte Wilson hemmungslos alles aus. Für das Cembalo-artige Intro von „You Still Believe In Me“ öffneten sie das Klavier und zupften die Saiten von innen. „Das hatte ich längst mal versuchen wollen“, sagt Wilson. Fürs Instrumental „Let’s Go Away For A While“ benutzte er zwölf Geigen, vier Saxofone, Klavier, Oboe, Vibrafon, zwei Bässe, Percussion sowie eine Gitarre, die zwecks Steel-Guitar-Effekt mit einer Colaflasche auf den Saiten gespielt wurde. Gesangsgäste bei „Caroline, No“ waren Banana und Louie, Wilsons Hunde. „Ich weiß schon, dass es ein gutes Album war“, sagt Wilson, „aber wenn immer gesagt wird, es sei eines der besten…“ Er hält inne. „Dann ehrt mich das.“ Sein Lieblingstrack auf „Pet Sounds“ ist bis heute „God Only Knows“, denn, wie er sagt: „Liebeslieder mochte ich immer schon.“
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Empfehlungen der Redaktion
Abonniere unseren NewsletterVerpasse keine Updates