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Die 100 besten Songs der Beatles: Plätze 33 bis 1
Mit "Nowhere Man", "And I Love Her" und "Dear Prudence".
33. „I Am The Walrus“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 5., 6., 27.-29. September 1967, Veröffentlicht: 9. November 1967, B-Seite („Hello, Goodbye)
Nach dem Tod von Brian Epstein am 27. August 1967 war an kreatives Arbeiten nicht zu denken. Doch als man die Situation einige Tage später bei einem Meeting besprach, überzeugte McCartney seine Kollegen, dass es nur ein sicheres Mittel gegen die Agonie gebe: wieder ins Studio zu gehen. Als sie sich am 5. September in der Abbey Road trafen, hatte Lennon einen Song mitgebracht, der aus dem Rahmen fiel. Er hatte „I Am The Walrus“ geschrieben, nachdem er in der Zeitung gelesen hatte, dass englische Schüler Beatles-Texte studierten, um darin vielleicht versteckte Botschaften zu finden. Lennon spielte eine Akustik-Version im Studio vor, erntete zunächst aber nur Unverständnis. Lennon hatte die Idee von Lewis Carrolls Gedicht „The Walrus and the Carpenter“ übernommen und dann unzusammenhängende Textfetzen aneinandergereiht:
33. „I Am The Walrus“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 5., 6., 27.-29. September 1967, Veröffentlicht: 9. November 1967, B-Seite („Hello, Goodbye)
Nach dem Tod von Brian Epstein am 27. August 1967 war an kreatives Arbeiten nicht zu denken. Doch als man die Situation einige Tage später bei einem Meeting besprach, überzeugte McCartney seine Kollegen, dass es nur ein sicheres Mittel gegen die Agonie gebe: wieder ins Studio zu gehen. Als sie sich am 5. September in der Abbey Road trafen, hatte Lennon einen Song mitgebracht, der aus dem Rahmen fiel. Er hatte „I Am The Walrus“ geschrieben, nachdem er in der Zeitung gelesen hatte, dass englische Schüler Beatles-Texte studierten, um darin vielleicht versteckte Botschaften zu finden. Lennon spielte eine Akustik-Version im Studio vor, erntete zunächst aber nur Unverständnis. Lennon hatte die Idee von Lewis Carrolls Gedicht „The Walrus and the Carpenter“ übernommen und dann unzusammenhängende Textfetzen aneinandergereiht:
Es begann mit den „pigs from a gun“, streifte Hare Krishna und Edgar Allan Poe und endete mit einem bizarren „goo-goo-g’joob“. „Was zum Teufel soll ich damit anfangen?“, fragte ein irritierter George Martin. Nichtsdestotrotz machten sich alle an die Arbeit. Lennon entwickelte auf dem E-Piano eine kleine Melodie, McCartney übernahm das Tamburin (um sicherzustellen, dass Starr im Takt blieb). Toningenieur Emerick meinte rückblickend, dass es „einer von Pauls besten Momenten“ war, die Band in dieser Situation zusammenzuhalten. Erst in der Post-Produktion erwachte der Song zu seiner verschrobenen Größe. Obwohl er sich anfangs gesträubt hatte, kreierte Martin ein meisterliches Orchester-Arrangement, das akustische Schwindelgefühle auslöste …
Copyright: Cummings Archives/Redferns
Lennon wünschte die maximale Verzerrung auf seinem Gesangs-Track: Seine Stimme sollte so klingen, als käme sie vom Mond. „Die Worte ergeben natürlich nicht gerade Sinn“, kommentierte Lennon. „Die Leute ziehen so viele voreilige Schlüsse, dass es einfach nur noch lächerlich ist. Was soll ,I am the Eggman‘ wohl bedeuten? Von mir aus hätte es auch Pudding sein können.“ Die Lyrics beinhalten allerdings auch diverse Doppelbödigkeiten, die nur für Insider verständlich waren: „Semolina pilchard“ ist eine Anspielung auf den Drogen-Jäger Norman Pilcher, der Mick Jagger und Keith Richards festgenommen hatte; „The Eggman“ war eine Referenz an Carrolls „Humpty Dumpty“.
Auf dem Album: „Magical Mystery Tour“
Copyright: John Pratt/Keystone/Getty Images
32. „Penny Lane“
Autor: McCartney, Aufgenommen: 29. und 30. Dezember 1966, 4.–6., 9., 10., 12. und 17. Januar 1967, Veröffentlicht: 25. Januar 1967, 8 Wochen, Nr. 1
„Wir hatten gerade die Arbeit an ,Strawberry Fields‘ abgeschlossen“, so George Martin, „und ,Penny Lane‘ war das Resultat einer ,Was John kann, kann ich auch‘-Attitüde. ,Strawberry Fields‘ war ein derartiger Knaller, dass Paul nach Hause ging, um das Optimum aus seiner Song-Idee herauszuholen. Und beide Songs waren bedeutsam, beide behandelten ihre Kindheit.“ Ursprünglich als Teil von „Sgt. Pepper“ konzipiert, wurden beide Tracks dann vorab als „Doppel-A-Seite“-Single veröffentlicht. Große Teile des Textes gehen unmittelbar auf seine Jugendjahre in Liverpool zurück …
Penny Lane ist eine Nachbarschaft ganz in der Nähe von Mimis Haus, wo Lennon seine Kindheit verbrachte; es ist auch der Name eines Bus-Depots, wo McCartney umsteigen musste, wenn er Lennon besuchte. Der Friseursalon in der Gegend („Bioletti’s“) zeigte im Fenster Schautafeln mit schicken Frisuren, daher die Zeile: „There is a barber showing photographs/ Of every head he’s had the pleasure to know.“ Der Song sei zum Teil faktisch, so McCartney, „zum Teil nostalgisch: die Erinnerung an den blauen Himmel der Vorstadt, so wie sie in uns weiterlebt.“ „Penny Lane“ lebt nicht nur von seiner exquisiten Melodieführung, sondern auch von den komplexen Arrangements …
Copyright: Ivan Keeman/Redferns
McCartney übernahm Piano, Bass, Harmonium und Tamburin, die Band kümmerte sich um Gitarre, Drums und noch mehr Piano, es gab mehrere Bläsergruppen, und alle zusammen errichteten sie einen filigranen aber trotzdem pompösen Sound, der einerseits alle Kriterien eines Rock-Songs erfüllte und doch völlig anders klang. Dieser Höhepunkt wurde inspiriert von einem Konzert mit Bachs „Brandenburg Concerto Nr. 2“, das McCartney im Fernsehen sah, nachdem der Basic Track von „Penny Lane“ bereits fertiggestellt war. Er holte David Mason, den Trompeter des Fernsehkonzerts, umgehend ins Studio und baute sein Piccolo-Solo in die Aufnahme ein. „Penny Lane“ bescherte den Beatles nicht nur einen Nummer-eins-Hit, sondern Lennons alter Nachbarschaft auch einen touristischen Boom.
Auf dem Album: „Magical Mystery Tour“
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
31.„You’ve Got To Hide Your Love Away“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 18. Februar 1965, Veröffentlicht: 12. August 1965, nicht als Single veröffentlicht
„Das bin ich in meiner Dylan-phase“, sagte Lennon über den Song. „Ich bin wie ein Chamäleon und werde beeinflusst von allem, was um mich herum passiert. Was Elvis kann, kann ich auch. Was die Everly Brothers können, können Paul und ich auch. Das Gleiche mit Dylan.“ So wie die Beatles Dylan motiviert hatten, einen roheren Rock’n’Roll-Sound in seine Musik zu integrieren, so hatte Dylan die Beatles – und Lennon im Besonderen – dazu veranlasst, beim Songschreiben verstärkt nach einer individuellen, persönlichen Perspektive zu suchen …
McCartney konstatierte, dass Dylans Lyrics „bei John einen Nerv trafen. Es war fast so, als würde er sagen: ,Hey, das hätte ich schreiben können.‘ Insofern ist es seine Dylan-Impression, die er auf ,Hide Your Love Away‘ abliefert.“ Auch der Zufall griff Lennon beim Schreiben unter die Arme. Er hatte ursprünglich getextet: „If she’s gone, I can’t go on/ Feeling two foot tall“, doch als er den Song McCartney vorstellte und dabei fälschlichweise „two foot small“ sang, waren beide der Meinung, dass diese Version besser sei. „You’ve Got To Hide Your Love Away“ wurde innerhalb eines Tages für den „Help!“-Soundtrack aufgenommen, und die Performance des Songs gehört zu den Highlights des Films. Es war auch die erste Aufnahme, bei der nur akustische Instrumente gespielt wurden, und es war einer der wenigen Songs, bei dem Lennon darauf verzichtete, seine Stimme im Studio doppeln zu lassen …
Copyright: Stan Meagher/Express/Getty Images
Die Band hatte sich für den Song einen Gastmusiker ins Studio geholt, was bislang nur einmal der Fall war. Für das stolze Honorar von sechs Pfund und ohne Erwähnung in den Credits spielte Johnnie Scott Tenor- und Alt-Flöten-Passagen ein. Man gab ihm im Studio nur einen groben Rahmen vor und ließ ihn sein eigenes Arrangement entwickeln. Scott erinnert sich noch daran, dass die Jungs in bester Stimmung gewesen seien: „Ringo schwamm im Eheglück. Er war gerade von seiner Hochzeitsreise zurückgekehrt.“ Während die Beatles den Song nicht als Single veröffentlichten („nicht kommerziell genug“, so Lennon), landete die englische Folk-Gruppe The Silkie (von Brian Epstein gemanagt) mit ihrer Version einen kleineren Hit. Auch die Beach Boys bekundeten umgehend Respekt und nahmen für „Beach Boys’ Party“ ebenfalls eine Coverversion auf.
Auf dem Album: „Help!“
Copyright: Michael Ochs Archive/Getty Images
30. „We Can Work It Out“
Autor: McCartney/Lennon, Aufgenommen: 20. und 29. Oktober 1965, Veröffentlicht: 22. November 1965, 8 Wochen, Nr. 2
Der Song zieht den Hörer mitten in eine Auseinandersetzung zwischen good cop und bad cop, zwischen optimistischen Refrains und warnenden Versen wie „Our love may soon be gone“. „We Can Work It Out“ ist ein mutmachender McCartney-Song, der nach einem Streit mit seiner Freundin Jane Asher entstand. Mit dräuenden Moll-Akkorden lieferte Lennon allerdings gleich die dunkle Sicht der Dinge: „Life is very short, and there’s no time for fussing and fighting.“ „Paul“, so Lennon, „schreibt natürlich: ,We can work it out‘. Der echte Optimist. Ich dagegen: ungeduldig.“ …
In den EMI-Studios war die Band zufällig auf ein altes Harmonium gestoßen, und McCartney erinnert sich, dass er in dem Moment dachte: „Hm, das könnte eine nette Klangfarbe liefern.“ Harrison schlug dann vor, für die Bridge statt dem vorherrschenden 4/4- lieber einen Walzer-Takt zu verwenden. Gerade durch den unorthodoxen Wechsel auf den 3/4-Takt scheint das alte Harmonium den Klang eines Zirkuskarussells anzunehmen. Elf Stunden Studio-Arbeit investierten sie in den Feinschliff von „We Can Work It Out“ – mehr als für jede andere Aufnahme zuvor …
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Die Spannung in den Lyrics, der Gegensatz zwischen dem hoffnungsvollen McCartney und dem defätistischen Lennon, gaben vielleicht schon einen Vorgeschmack darauf, wie sich die beiden im Lauf der kommenden Jahre auseinander entwickeln würden. „Sie gingen erstmals durch eine Phase, in der sich Risse in ihrer Gemeinschaft zeigten“, so Ray Davies. „Eine meiner kleinen Theorien ist: Jede Karriere hat ihre eigene Geschichte, und wenn man sich die Songtitel anschaut, erzählen sie oft, was sich hinter den Kulissen bereits anbahnte.“
Auf dem Album: „Past Masters“
Copyright: REPORTERS ASSOCIES/Gamma-Keystone via Getty Images
29. „Can’t Buy Me Love“
Autor: McCartney, Aufgenommen: 29. Januar und 25. Februar 1964, Veröffentlicht: 9. März 1964, 3 Wochen, Nr. 24
Mitte März 1964 waren die Beatles die größte Band der Welt: In den USA gingen 60 Prozent der Single-Verkäufe auf ihr Konto, und mehr als drei Millionen Vorbestellungen von „Can’t Buy Me Love“ katapultierten sie in eine unerforschte Stratosphäre. Zwei Wochen nach der Veröffentlichung belegten ihre Aufnahmen die ersten fünf Plätze der Billboard-Charts: „Can’t Buy Me Love“, „Twist And Shout“, „She Loves You“, „I Want To Hold Your Hand“ und „Please Please Me“. Eine Woche darauf brachen sie den nächsten Rekord: In den Top 100 tummelten sich 14 Beatles-Singles. (Den früheren Rekord hatte Elvis 1956 mit neun Singles gehalten.) …
„Die Leute daheim in England“, so George Martin, „bekamen gar nicht richtig mit, dass sie wirklich diesen Kontinent eroberten – und dass ihr Erfolg alles in den Schatten stellte.“ Nach einem 18-tägigen Gastspiel im Pariser „Olympia“, wo sie täglich bis zu drei Auftritte absolvierten, liefen die Beatles wie eine gut geölte Maschine. So brauchten sie nur vier Takes, um „Can’t Buy Me Love“ aus dem Ärmel zu schütteln. Elf Tage später sollten sie in der „Ed Sullivan Show“ ihr US-Fernseh-Debüt geben – und auch den amerikanischen Kontinent mit der Beatlemania infizieren. McCartney sagte später, dass „Can’t Buy Me Love“ „mein Versuch war, eine bluesige Nummer zu schreiben“. Tatsächlich ist der Song aber näher an den frühen Einflüssen der Band: am optimistischen Drive von Motown und dem forschen Sound der Fünfziger …
Copyright: Mark and Colleen Hayward/Redferns
Lennon und McCartney waren mit Rockabilly groß geworden, aber es war Harrison, der sich in diesem Genre wirklich auskannte: Besonders auf den frühen Aufnahmen transportierte er die stilistische Schlichtheit von Carl Perkins und Scotty Moore in die Pop-Gegenwart. Sein Solo in „Can’t Buy Me Love“ klingt wie Memphis im Jahr 1956, aufpoliert für eine neue Generation. Die Lyrics von „Can’t Buy Me Love“ waren im Prinzip Zuckerwatte – Liebe ist wichtiger als materielle Dinge –, und doch schafften es einige Fans, mit ihrer Interpretation McCartney zu irritieren: „Ich vermute, dass man alles in einen Song hineindeuten kann, aber wenn jemand unterstellt, dass ,Can’t Buy Me Love‘ von einer Prostituierten handelt, beginne ich doch zu zweifeln.“
Auf dem Album: „A Hard Day’s Night“
Copyright: Daily Express/Archive Photos/Getty Images
28. „Here Comes The Sun“
Autor: Harrison, Aufgenommen: 7., 8. und 16. Juli, 6., 15. und 19. August 1969, Veröffentlicht: 26. September 1969, nicht als Single veröffentlicht
Harrison schrieb einen der unbeschwertesten Beatles-Songs als er die Schule schwänzte. 1969 war Apple Records nur noch eine Ruine: Manager Allen Klein und Anwalt John Eastman rangen um die geschäftliche Kontrolle, Streitereien über Finanzen standen auf der Tagesordnung. „Apple war so attraktiv wie die Schule – wir mussten uns regelmäßig dort zeigen und den Businessmann spielen:
,Unterschreib hier, unterschreib da!‘ Eines Tages“, so Harrison, „hatte ich die Nase von Apple so voll, dass ich zu Eric Clapton aufs Land fuhr. Es war eine unglaubliche Erleichterung, nicht mehr mit diesen wahnwitzigen Buchhaltern konfrontiert zu werden. Ich ging hinaus in den Garten, nahm eine von Erics akustischen Gitarren und schrieb ,Here Comes The Sun‘.“ Kinfauns, Harrisons Anwesen, war nur etwa eine halbe Stunde von Claptons Villa entfernt – vielleicht auch ein Grund, warum die beiden Gitarristen inzwischen die besten Freunde geworden waren. Clapton hatte das Solo zu „While My Guitar Gently Weeps“ beigesteuert, während Harrisons beim Schreiben des Cream-Hits „Badge“ hilfreich war …
Copyright: Chris Walter/WireImage
„Es war ein wundervoller Frühlingsmorgen“, schreibt Clapton in seiner Autobiografie, „und wir saßen auf einem Hügel. Wir hatten unsere Gitarren dabei und klampften vor uns hin, als er plötzlich zu singen anfing: ,De da de de, it’s been a long cold winter‘. Und Stück für Stück kam es aus ihm heraus – bis es Zeit zum Mittagessen war.“ Zusammen mit „Something“ lieferte Harrisons Song den Beweis, dass die Beatles nun über drei begnadete Songschreiber verfügten. „George taute geradezu auf“, meinte Starr. „Just zu dem Zeitpunkt, als es mit den Beatles bergab ging.“ Selbst Lennon und McCartney, die das Songschreiben bislang als ihre Domäne verteidigt hatten, erkannten Harrisons Qualitäten neidlos an.
Auf dem Album: „Abbey Road“
Copyright: P. Shirley/Express/Getty Images
27. „You’re Going To Lose That Girl“
Autor: Lennon/McCartney, Aufgenommen: 19. Februar 1965, Veröffentlicht: 12. August 1965, nicht als Single veröffentlicht
Es war der letzte Song, den die Beatles für den „Help!“-Soundtrack aufnahmen, bevor sie für die Filmaufnahmen auf die Bahamas flogen. Mit zwei schnellen Takes war „You’re Gonna Lose That Girl“ im Kasten. Lennon hatte mit dem Schreiben des Song zunächst alleine angefangen, bei einem Besuch in Lennons Haus in Weybridge hatte McCartney ihm dann unter die Arme gegriffen …
Wie schon „She Loves You“ wendet sich auch in „You’re Going To Lose That Girl“ der Sänger an einen männlichen Freund. Aber während Lennon in dem früheren Hit noch Mitgefühl zeigt, wartet er diesmal mit einer expliziten Warnung auf: „I’ll make a point of taking her away from you.“ Auch wenn Lennons Falsett und Starrs wilde Bongos im Vordergrund stehen, so entwickelt der Song doch erst durch die Background-Vocals seinen Charme …
Copyright: CBS Photo Archive
Die Call-&-Response-Elemente, mit denen die Vorgänge kommentiert werden („Watch what you do!“), dokumentieren den Einfluss, den die Girl Groups der frühen Sechziger noch immer auf die Beatles hatten. Im Film wird der Song in einem verrauchten Studio aufgeführt. McCartney hatte Wert darauf gelegt, dass ihr Material – anders als bei den gängigen Film-Musicals – in einem realistischen Umfeld präsentiert würde.
Auf dem Album: „Help!“
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
26. „If I Fell“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 27. Februar 1964, Veröffentlicht: 6. Juli 1964, 2 Wochen, Nr. 25
„If I Fell“ war Lennons erster versuch, eine langsame, gefühlvolle Nummer für die Beatles zu schreiben. „Man vergisst leicht“, so McCartney, „dass John auch wundervolle Balladen verfassen konnte. Die Leute verbinden mit ihm den scharfzüngigen Witz und die ruppige Ader, aber er hat durchaus eine weiche Seite, auch wenn er die nicht gerne zeigt.“ …
Lennon sagte, dass der Text – in dem er um die Liebe einer neuen Freundin bettelt, nachdem er von seiner letzten abserviert worden war – „halb-autobiografisch“ gewesen sei, auch wenn er keine konkrete Person im Auge gehabt habe. Tatsächlich hatte der beschriebene Vorfall mit seiner da- maligen Lebenssituation wenig gemein: Er war seit Jahren mit Cynthia verheiratet, und Julian, ihr Sohn, war bereits ein Jahr alt. Musikalisch war „If I Fell“ einer der cleversten Songs, die Lennon bis dahin geschrieben hatte:
Copyright: Keystone/Getty Images
Die Harmoniewechsel gleich zu Beginn waren origineller als alles, was die damalige Konkurrenz vorweisen konnte – oder, um mit McCartney zu sprechen: „Die Akkorde flossen nur so aus ihm heraus.“ Der Track dokumentiert auch, dass sie mit ihren gesanglichen Qualitäten ein neues Niveau erreicht hatten: Ihren wundervoll abgestimmten Harmoniegesang, der dem der Everly Brothers nicht unähnlich ist, nahmen Lennon und McCartney mit nur einem Mikro auf.
Auf dem Album: „A Hard Day’s Night“
Copyright: David Redfern/Redferns
25. „Here, There And Everywhere“
Autor: McCartney, Aufgenommen: 14., 15. und 17. Juni 1966, Veröffentlicht: 28.Juli 1966, nicht als Single veröffentlicht
„Revolver“ ist ein Paradoxon: Das Album markiert die Phase, in der die Beatles die experimentellen Möglichkeiten des Studios entdeckten – gleichzeitig gibt es hier einige der schlichtesten, unprätentiösesten Songs im ganzen Beatles-Katalog. Allen voran der Love-Song „Here, There And Everywhere“, den McCartney in Lennons Villa in Weybridge schrieb, während er darauf wartete, dass Lennon aus dem Bett stieg. „Ich saß in einer Liege am Pool, hatte meine Gitarre dabei und spielte eine Melodie in E-Dur. Ich hatte schnell ein paar Akkorde zusammen, und als er endlich aufstand, hatte ich den größten Teil schon geschrieben. Wir gingen rein und gaben ihm den letzten Schliff.“ …
McCartney gab das „Pet Sounds“-Album der Beach Boys als maßgeblichen Impuls für den Song an. Er hatte das Album im Mai bei einer „Listening Party“ in London gehört und schwärmte in höchsten Tönen. Aus der Akkordfolge – drei Tonarten werden angespielt, ohne sich im weiteren Verlauf auf eine festzulegen – ließ sich definitiv Brian Wilsons Einfluss heraushören. Und die stimmlichen Modulationen (besonders in der Zeile „changing my life with a wave of her hand“) lautmalten die Lyrics, die von der Schauspielerin Jane Asher, McCartneys damaliger Freundin, inspiriert waren. (Das Paar, durch ihre Karrieren über längere Phasen getrennt, sollte im Juli 1968 die Beziehung beenden.) …
Copyright: Santi Visalli Inc./Getty Images
Als George Martin den Song hörte, schlug er Background-Vocals in Stile eines Barbershop-Quartetts vor. „Die Harmonien waren simpel. Es gab keine Kniffe, keinen Kontrapunkt – nur die gemeinsamen Harmonien zwischen Lead- und Background-Vocals. Es war einfach, aber sehr effektiv.“ McCartney nannte es mehrfach einen seiner besten Songs – eine Einschätzung, die auch von Lennon geteilt wurde. Die Band arbeitete im Studio drei Tage an der Nummer – für damalige Verhältnisse ungewöhnlich lang. Nach dem Einspielen des Rhythmus-Tracks wurden die Backing Vocals eingesungen, schließlich legte McCartney die Lead darüber. Wobei er für seinen Gesang ein unerwartetes Vorbild fand: „Ich erinnere mich, wie ich im Studio dachte: ,Ich werde einfach wie Marianne Faithfull singen – und niemand wird mir je auf die Schliche kommen. Ich sang fast im Falsett und legte dann noch eine zweite Gesangsspur darüber.“
Auf dem Album: „Revolver“
Copyright: Fiona Adams/Redferns
24. „Happiness Is A Warm Gun“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 23. – 25. September 1968, Veröffentlicht: 22. November 1968, nicht als Single veröffentlicht
Lennon nannte diese erotisch angehauchte Mini-Suite einen der besten Songs, die er geschrieben habe. „Ich liebe ihn“, sagte er dem ROLLING STONE 1970. „Der Song scheint alle möglichen Arten von Rockmusik zu streifen.“ Im Booklet der „Anthology“ ist das beschriftete Textblatt abgebildet, auf dem Lennon die drei Sektionen von „Happiness“ anreißt: „Dirty Old Man“, „The Junkie“ und „The Gunman (Satire of 50’s R&R)“. Der Titel wurde inspiriert durch die Headline in einem Waffen-Magazin, das George Martin für Lennon aufbewahrt hatte. Die Überschrift lautete: „Happiness Is A Warm Gun“ und war eine Anspielung auf den Bestseller des Cartoonisten Charles „Peanuts“ Schulz, „Happiness Is A Warm Puppy“ …
„Mein erster Eindruck war“, so Lennon: „Wie kann man so was Krankes sagen? Eine warme Knarre bedeutet doch, dass man irgendetwas gerade erschossen hat.“ Lennon betonte später, dass der Song „definitiv nicht von Heroin handelt“, obwohl die Drogen-Anspielungen unüberhörbar sind. Das Demo, das er im Mai aufgenommen hatte, bestand nur aus der „Junkie“-Sequenz („I need a fix ’cause I’m going down“), die später im Mittel-Teil landete. Als der Song im September offiziell aufgenommen wurde, nahm Lennon bereits Heroin. Seit er im Juli mit Yoko in das Apartment gezogen war, das Ringo für sie gemietet hatte, waren beide an der Nadel. Die „Mother Superior“ im Text ist eine Verneigung vor Yoko, die Lennon gerne „Mother“ nannte …
Copyright: George Stroud/Express/Getty Images
Zu diesem Zeitpunkt hatte „Happiness Is A Warm Gun In Your Hand“, so der ursprüngliche Titel, bereits seine finale Form angenommen. Die surrealen Zeilen in „Dirty Old Man“ gingen auf ein bekifftes Gespräch mit Apples Pressechef Derek Taylor zurück. „Ate and donated to the National Trust“ etwa thematisiert die weit verbreitete Unsitte, die Notdurft an öffentlichen Plätzen zu verrichten. Die „Satire of 50’s R&R“ mit seinen klassischen Doo-Wop-Akkordwechseln war eine veränderte Version des Demos, das Lennon bereits für „I’m So Tired“ benutzt hatte. Die Beatles brauchten 70 Takes, um in zwei Nächten die kniffligen Tempowechel in den Griff zu bekommen. McCartney war auf das Resultat besonders stolz: „Happiness“ sei für ihn einer der besten Tracks des „White Album“.
Auf dem Album: „The Beatles“
Copyright: C. Maher/Daily Express/Hulton Archive/Getty Images
23. „Abbey Road Medley“ (You Never Give Me Your Money/Sun King/Mean Mr. Mustard/Polythene Pam/She Came in Through the Bathroom Window/Golden Slumbers/Carry That Weight/The End)
Autor: McCartney/Lennon, Aufgenommen: 6. Mai – 18. August 1969, Veröffentlicht: 26. September 1969, nicht als Single veröffentlicht
Die ursprüngliche Idee stammte von McCartney, doch George Martin reklamiert für sich, dass die letzte Großtat der Beatles – ein achtteiliges Medley, das die zweite Seite von „Abbey Road“ dominiert – auf seine Initiative zurückzuführen sei. „Ich wollte, dass John und Paul ernsthafter an ihre Musik herangingen. Und Paul war für Experimente immer offen.“ So war es denn auch McCartney, der am 6. Mai das erste Teilstück in Angriff nahm: „You Never Give Me Your Money“, eine nur oberflächlich fröhliche Abrechnung mit den geschäftlichen Albträumen der Apple Corporation. Lennon zeigte an dem Medley weit aus weniger Interesse, auch wenn er mit „Mr. Mustard“ und „Polythene Pam“ zwei der exzentrischsten Teile besteuerte. Er denunzierte das ganze Konzept später im ROLLING STONE als „Schrott“ und sagte, dass „keiner der Songs etwas miteinander zu tun hatte. Es gab keinen Faden – außer der Tatsache, dass wir sie zusammengepappt haben.“ In gewisser Weise hatte er natürlich Recht …
Die 16-minütige Sequenz, die von „Money“ über Lennons stimmungsvoll gehauchtes „Sun King“ und dem souligen „She Came In Through The Bathroom Window“ bis zum Wiegenlied „Golden Slumbers“ mäandert, um dann in „The End“ von einer McCartneyschen Lebensweisheit abgerundet zu werden („The love you take/ Is equal to the love you make“), hat keinen erzählerischen Zusammenhang. Und gleichzeitig zeigt das Medley die Beatles at their best: verspielt, behutsam, bitter – und immer durch ihre Musik miteinander verbunden. Die Gesangsharmonien sind atemberaubend komplex, die Gitarren selbstbewusst und auf den Punkt präzise. „Irgendwie hielten wir noch immer zusammen“, so McCartney, „auch wenn wir mit heftigen Strudeln zu kämpfen hatten. Doch selbst an unseren Tiefpunkten hatten wir noch immer Respekt füreinander.“ Die einzelnen Teile des Medleys wurden im Juli und August aufgenommen, ohne festgelegte Reihenfolge. („Mean Mr. Mustard“ stammte bereits von Anfang 1968.) Wenn es in diesen Fragmenten ein übergeordnetes Thema gab, dann war es sicher ihre finanzielle Situation, die sie fast in den Bankrott trieb und mental auslaugte. Lennon hatte sich dafür starkgemacht, den Rolling-Stones-Manager Allen Klein zu engagieren, um das Chaos bei Apple zu entwirren. McCartney bestand auf Lee und John Eastman, den Vater und Bruder seiner künftigen Frau …
Copyright: Keystone/Hulton Archive/Getty Images
McCartney gab später zu, dass er mit „You Never Give Me Your Money“ direkt „gegen Allen Klein und seine Versprechungen schoss, die nie eingehalten wurden“. In „Golden Slumbers“ (ursprünglich ein Wiegenlied aus dem 17. Jahrhundert) und „Carry That Weight“ greift McCartney dann noch einmal das Thema der mentalen Erschöpfung auf. „Letztlich bin ich ein positiver Mensch“, sagte er, „aber es gibt Momente, an denen kann ich nicht mehr positiv sein. Und das war so ein Moment: „carry that weight a long time – like forever!“ Die sich kreuzenden Gitarren-Soli in „The End“ waren das Resultat eines gemeinsamen Brainstormings. Lennon schlug vor, dass er, Harrison und McCartney sich die Licks zuspielen sollten. McCartney sagte, er wolle anfangen. Und so hört man nach Ringos einzigem Solo auf einer Beatles-Aufnahme drei flammende Breaks (Harrison in der Mitte, Lennon am Ende), die live im Studio aufgenommen wurden – das letzte gemeinsame Fanal einer Band, die nur noch Monate von ihrer Auflösung entfernt war. „Mir war nicht bewusst“, sagte Harrison über „Abbey Road“, „dass es unsere letzte Platten sein würde, obwohl ich schon das Gefühl hatte, dass wir am Ende einer Entwicklung angekommen waren.“ „Auf den Trümmern dieses ganzen Wahnsinns“, erklärte Starr später dem ROLLING STONE, „spielten wir noch einmal eine Nummer ein, die zu den besten gehört, die die Beatles je gemacht haben.“
Auf dem Album: „Abbey Road“
Copyright: Keystone/Hulton Archive/Getty Images
22. „Eleanor Rigby“
Autor: McCartney, Aufgenommen: 28. und 29. April, 6. Juni 1966, Veröffentlicht: 28. Juli 1966, B-Seite (Yellow Submarine)
Als McCartney den Song erstmals seinem Nachbarn Donovan vorspielte, lautete die erste Textzeile noch: „Ola Na Tungee/ Blowing his mind in the dark/ With a pipe full of clay“. McCartney tüftelte so lange an der Zeile, bis er eine akzeptable Alternative gefunden hatte: „… picks up the rice in the church where a wedding has been“. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde ihm klar, dass der Song von einsamen Menschen handeln würde. Er erfand eine alternde Jungfer und einen Priester und beschrieb, wie sich ihrer beider Leben an ihrem Begräbnis überschneiden. Wie McCartney auf den Namen seiner Protagonistin stieß, ließ sich nie eindeutig klären. Laut McCartney nahm er den Vornamen von Eleanor Bron, der Hauptdarstellerin in „Help!“, und den Nachnamen von einem Firmenschild, das er in Bristol gesehen hatte: Rigby & Evans Ltd., Wine and Spirit Shippers. Lionel Bart, der Komponist des Musicals „Oliver!“, behauptet indes, er sei mit McCartney über einen Londoner Friedhof gegangen, als sie auf einem Grabstein „Eleanor Bygraves“ lasen. McCartney habe behauptet, dass er diesen Namen für einen neuen Song nutzen wolle …
Paradoxerweise wurde in den 80er Jahren der Grabstein einer „Eleanor Rigby“ gefunden, der sich im Friedhof von St. Peter in Woolton befand – also nur ein paar Schritte entfernt von dem Ort, wo sich Lennon und McCartney nach einem Auftritt von Lennons Quarry Men kennengelernt hatten. „Es muss entweder ein krasser Zufall sein“, so McCartney, „oder irgendwo in meinem Unterbewusstsein geschlummert haben.“ Nachdem McCartney die Melodie in Jane Ashers Apartment fertiggestellt hatte, trommelte er Lennon, Harrison, Starr und Lennons Jugendfreund Pete Shotton zusammen, um an dem unvollendeten Text zu feilen. An einige Resultate können sich alle Beteiligten erinnern: dass der Priester zunächst „Father McCartney“ hieß, bis sie im Telefonbuch auf einen „McKenzie“ stießen; dass Starr die Zeile „darning his socks in the night“ beisteuerte – und dass es Shottons Idee war, den Text mit einem Begräbnis abzuschließen, bei dem sich die Wege der Protagonisten kreuzen. Darüber hinaus gibt es aber gravierend unterschiedliche Darstellungen über die Entstehung des Songs. „Die erste Zeile kam von ihm“, sagte Lennon 1980 dem Journalisten David Sheff, „und der Rest überwiegend von mir. Es war Pauls Baby, aber ich habe bei der Erziehung des Kindes geholfen.“ McCartney dagegen ist sich sicher, dass „John mit ein paar Worten geholfen hat, dass es aber 80:20 auf meinem Mist gewachsen ist“ …
Copyright: K&K Ulf Kruger OHG/Redferns
Keiner der Beatles ist instrumental auf der Aufnahme vertreten. McCartney singt die Lead-Vocals, während Lennon und Harrison den Harmoniegesang übernehmen. Die Musik stammt von zwei Streich-Quartetten, die von George Martin arrangiert wurden. „Paul war zunächst von dem Vorschlag wenig begeistert“, so Ton-Ingenieur Geoff Emerick. „Er glaubte, dass der Sound abstoßend und unpassend sein würde.“ Als er schließlich doch zustimmte, bestand er darauf, dass die Streicher „Biss“ haben müssten. Emerick versuchte daraufhin, genau den Klang einzufangen, der beim Aufsetzen des Bogens auf der Saite entsteht. Statt das Oktett mit nur einem Mikro aufzunehmen, platzierte er je eins direkt an jedem Instrument – und erzielte so eine Präsenz, die in der Aufnahmetechnik, ob Klassik oder Rock, bislang ungehört war. „Die Musiker hassten es, dass ich mit dem Mikro so nah ranging, weil sie Angst hatten, man könne dann ihre individuellen Fehler hören.“ Die Meditation über Altern und Einsamkeit sollte für den Songschreiber McCartney ein wichtiger Einschnitt werden. In späteren Jahren erzählte er, dass er beim Schreiben von „Eleanor Rigby“ darüber nachdachte, wie wohl seine Musik klingen würde, wenn das Kapitel Beatles einmal abgeschlossen sei. „Dies könnte ein gangbarer Weg sein“, erinnerte er sich. „Ich sah mich selbst in einer Fischgrät-Jacke mit den Lederflicken am Ellenbogen, dazu eine Pfeife. Ich würde ein ernsthafter Komponist sein, kein Pop-Schreiber mehr. “
Auf dem Album: „Revolver“
Copyright: Ron Howard/Redferns
21. „All You Need Is Love“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 14., 19., 23., 24. und 25. Juni 1967, Veröffentlicht: 30. Juni 1967, 8 Wochen, Nr. 1
Die erfolgreichen Aufnahmen zu „Sgt. Pepper“ gerade hinter sich, setzten die Beatles umgehend zu neuen kreativen Höhenflügen an. Als sie die Einladung erhielten, bei der Fernsehshow „Our World“ teilzunehmen – einer zweistündigen Sendung mit internationaler Besetzung, die am 25. Juni simultan in 24 Länder ausgestrahlt wurde –, machten sie sich umgehend an die Arbeit. Ihr Beitrag zu der Show sollte ein neuer, aufwändig orchestrierter Song namens „All You Need Is Love“ werden. „Brian Epstein kam aufgeregt ins Studio und erklärte, dass wir England in diesem weltweiten TV-Programm repräsentieren würden“, erinnert sich George Martin …
„Und dass wir nicht einmal zwei Wochen Zeit hätten.“ Lennon ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: „Mein Gott, wird es wirklich so eng?“, witzelte er einige Tage vor der Ausstrahlung. „Dann wird es wohl Zeit, dass wir mit dem Schreiben anfangen.“ Die Beatles hatten im Studio einen Basic Track aufgenommen, doch die Vocals wurden live bei der Ausstrahlung gesungen. Ebenfalls live war das Orchester und ein Chor, dem unter anderem Mick Jagger, Keith Richards, Marianne Faithfull, Donovan und Keith Moon angehörten. Martins Arrangement sollte dem internationalen Charakter der Veranstaltung Rechnung tragen: In die Einleitung hatte er einen Schnipsel der „Marseillaise“ eingebaut, während Bachs „Brandenburg Concerto Nr. 2“, das Traditional „Greensleeves“, Glenn Millers „In The Mood“ und sogar der Refrain von „She Loves You“ ins Finale geschmuggelt wurden …
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Der Hauptteil des Songs war dagegen nur auf den ersten Blick simpel. „John hat wirklich ein Gespür für originelle Tempowechsel“, sagte Harrison dem ROLLING STONE. „Bei ,All You Need Is Love‘ wogt es ständig zwischen 3/4- und 4/4-Takt hin und her, wobei einige Beats einfach ausgelassen werden.“ Auch der Text bereitete McCartney etwas Kopfzerbrechen: „Der Refrain ist kein Problem, aber die Zeile ,Nothing you can do/ But you can learn how to be you in time/ It’s easy‘ ist etwas vertrackt. Ich habe sie auch nie so recht verstanden.“ Mit „All You Need Is Love“ lieferte Lennon zum ersten Mal einen Song ab, dessen Titel so griffig war, dass er auch von einem sloganversierten Werbe-Guru hätte stammen können. „Ich mag Slogans“, sagte Lennon. „Ich mag Werbung. Ich mag Fernsehen.“
Auf dem Album: „Magical Mystery Tour“
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20. „Please Please Me“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 11. September und 26. November 1962, Veröffentlicht: 28. Februar 1963, 2 Wochen, Nr. 20
Es war eine Kombination aus Bing Crosby und Roy Orbison.“ So versuchte Lennon die Einflüsse von „Please Please Me“ zu benennen, die als erste Beatles-Single auf Platz 1 der britischen Charts schoss. Lennon schrieb den Song im Haus von Tante Mimi. „Ich erinnere mich noch genau an den Tag, sogar an die rosarote Tagesdecke auf dem Bett. Und ich hörte ,Only The Lonely‘ oder irgendwas anderes von Roy Orbison. So kam der Song zustande. Und gleichzeitig liebte ich immer das Wortspiel in ,Please, lend me your ears to my pleas‘ (aus Bing Crosbys 1932er-Song „Please“). Ich fand die doppelte Benutzung von ,please‘ einfach clever.“ „Wenn man sich den Song weitaus langsamer vorstellt“, so McCartney, „hat man eine ungefähre Vorstellung, wie John ihn geplant hatte. Alles war da: die betont hohen Noten, alle Kennzeichen eines charakteristischen Orbison-Songs.“ „Please Please Me“ war einer der Titel, die die Beatles George Martin bei ihrer zweiten Abbey-Road-Session am 11. September 1962 vorspielten. Starr erinnert sich, dass „ich bei der Aufnahme die Bass-Drum spielte und in einer Hand Maracas und in der anderen ein Tamburin hielt“ …
Er vermutet, dass dieser Fauxpas der Grund war, warum Martin zu „Love Me Do“, der folgenden Aufnahme, lieber einen Session-Drummer ins Studio holte. Martin war auch nicht angetan von dem langsamen Tempo und nannte „Please Please Me“ einen „Trauergesang“. Er schlug vor, das Tempo zu verschärfen und an den Arrangements weiter zu arbeiten. Überhaupt war er von den Beatles nicht übermäßig beeindruckt. „Ihre Versuche als Songschreiber waren Mist“, sagte er später einmal. „Als ich ihre ersten Songs hörte, dachte ich mir: ,Mein Gott, wo kann ich bloß einen guten Song für sie finden?‘ Die erste Single, die wir veröffentlichten, war ,Love Me Do‘ und ,P.S. I Love You‘ – und das war nicht gerade Cole Porter.“ „Love Me Do“ entpuppte sich trotzdem als Hit, und die Beatles wurden umgehend ins Studio bestellt, um an einem Nachfolger zu arbeiten. Als sie am 26. November wieder in der Abbey Road waren, schlug Martin ihnen einen Song namens „How Do You Do It“ von Mitch Murray vor. Die Beatles versuchten ihn zu überreden, es lieber mit eigenem Material zu versuchen, aber Martin hörte nichts, das qualitativ an den Murray-Song herangereicht hätte. Die Beatles schlugen erneut „Please Please Me“ vor und wiesen darauf hin, dass sie Martins Vorschlag gefolgt seien, das Tempo erhöht und noch eine Mundharmonika eingebaut hätten, die Harrisons Eingangs-Riff aufgreifen würde …
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Die Beatles selbst waren überzeugt, dass sie inzwischen ein neues Niveau erreicht hatten. „Wir hatten das Tempo erhöht“, so McCartney, „und plötzlich war er da – dieser treibende Beatles-Spirit.“ Lennon erzählte später, dass „wir die Nummer nicht schnell genug aufnehmen konnten, als wir einmal im Studio waren, weil wir so euphorisiert waren“. Und Starrs stoisch klopfender Back-Beat überzeugte Martin auch, dass er sich in den Qualitäten der Drummers wohl verschätzt hatte. Die neue Version hatte eine magnetische Energie, zudem auch eine ungewohnt sexuelle Aggressivität. (Vielleicht zu aggressiv: Capitol weigerte sich, die Single in den USA zu veröffentlichen, da man gehört hatte, dass man den Text als Hymne auf Oral-Sex verstehen könne. Stattdessen erschien „Please Please Me“ auf dem Vee-Jay-Label in Chicago.) Als die Band ihre Tracks eingespielt hatte, meldete sich Martin über das Studio-Intercom: „Gentlemen, ich glaube, Sie haben Ihre erste Nummer eins.“ Er sollte Recht behalten: „Please Please Me“ war der erste von vier aufeinanderfolgenden Nr.-1-Hits und markierte den Beginn der Beatlemania in England. Die Single verkaufte sich so blendend, dass Brian Epstein die laufende Tour unterbrach, um sie für ihr Debütalbum ins Studio zu schicken. Am 11. Februar kamen sie für drei dreistündige Sessions zurück in die Abbey Road und nahmen „Please Please Me“ auf – benannt nach ihrem aktuellen Hit.
Auf dem Album: „Please Please Me“
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19. „Lucy In The Sky With Diamonds“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 28. Februar – 2. März 1967, Veröffentlicht: 30. Mai 1967, nicht als Single veröffentlicht
Lennon legte immer wert auf die Feststellung, dass „Lucy In The Sky With Diamonds“ kein Drogen-Song sei. 1970 beteuerte er gegenüber dem ROLLING STONE: „Ich schwöre zu Gott, ich schwöre zu Mao oder wem auch immer: Mir war nicht bewusst, dass der Songtitel ,LSD‘ buchstabiert werden kann.“ Die Inspiration sei vielmehr ein Bild gewesen, das sein vierjähriger Sohn Julian von Lucy O’Donnell gemalt habe, die in der Vorschule neben ihm saß. „Er hatte im Hintergrund ein paar Sterne gemalt und nannte das Ganze ,Lucy In The Sky With Diamonds‘. So einfach ist es, das ist die Geschichte.“ Der Song lebt von Lennons Faible für Lewis-Carroll-ähnliche Kinderreime …
Lennon lieferte die „kaleidoscope eyes“, McCartney dachte sich „cellophane flowers“ und „newspaper taxis“ aus – und im Nu hatten sie einen psychedelischen Reim. „Die Bilder stammten aus ,Alice in Wonderland‘“, räumte Lennon 1980 ein. „Da ist Alice im Boot. Dann kauft sie ein Ei, das auf einmal Humpty Dumpty ist. Die Frau in dem Geschäft verwandelt sich in ein Schaf, und gleich im nächsten Moment rudern sie im Boot fort.“ In seiner Villa in Weybridge, wo er den Song schrieb, verbrachte Lennon die meiste Zeit allein, eingelullt von Drogen, Fernsehen und dem dumpfen Gefühl, dass seine Ehe nicht mehr zu retten war. Und doch war „Lucy In The Sky With Diamonds“ in dieser Situation auch ein Zeichen der Hoffnung für ihn …
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„Es war das Bild einer weiblichen Person, die mich irgendwann retten würde. Und die Person war dann Yoko – obwohl ich sie damals noch gar nicht kannte.“ Lucy O’Donnell starb im September 2009, gerade einmal 46 Jahre alt. Julian Lennon verneigte sich vor seiner ehemaligen Klassenkameradin, indem er kurz darauf eine Benefiz-Single namens „Lucy“ veröffentlichte. Als sie als Teenager zum ersten Mal „Lucy In The Sky With Diamonds“ hörte, erzählte sie ihren Freunden, dass sie die besagte Lucy sei. Man glaubte ihr nicht und belehrte sie, dass der Song von LSD handele. Lucy wollte sich nicht streiten, „weil es mir peinlich war, nicht zu wissen, was LSD überhaupt war“.
Auf dem Album: „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“
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18. „Tomorrow Never Knows“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 6., 7. und 22. April 1966, Veröffentlicht: 28. Juli 1966, nicht als Single veröffentlicht
Der letzte und auch der experimen-tellste Track auf „Revolver“ war der erste, der für dieses Album aufgenommen wurde: Lennons akustischer Reisebericht von dem großen Abenteuer LSD. Auf seinen Acid-Trips hatte Lennon zum ersten Mal einen Fluchtweg aus der ungeliebten Popstar-Realität gefunden – „Tomorrow Never Knows“ war sein Versuch, diese Parallelwelt mit all ihren Ekstasen und ihrer quälenden Identitätssuche im Studio zu rekonstruieren. Mit einem Schlag war der poetische Modernismus von „Rubber Soul“ – das gerade einmal fünf Monate vor diesen Sessions erschienen war – ein uralter Hut. Und verglichen mit den wüsten Tape-Loop-Effekten und Lennons gespenstisch verfremdeter Stimme auf diesem Track scheinen auch die anderen „Revolver“-Aufnahmen nur wie ein Zwischenstadium auf dem Weg, Acid und die Form des Popsongs miteinander zu versöhnen. Auf dem Album konnte „Tomorrow Never Knows“ nur ganz am Ende stehen. „Eleanor Rigby“, „I’m Only Sleeping“ und „She Said She Said“ mochten mutige Schritte in die neue Richtung sein – „Tomorrow Never Knows“ war der Sprung von der Klippe …
Möglicherweise beginnt auch die Kunstform des Samplens mit dieser Aufnahme. Im Januar 1966 nahm Lennon auf einem Trip das Buch „The Psychedelic Experience“ von LSD-Guru Timothy Leary zur Hand, das letztlich nur eine Fortführung buddhistischer Konzepte (Re-Inkarnation, Aufgabe des Ego) ist. Lennon schaltete sein Bandgerät an, las Passagen aus dem Buch vor (unter anderem die Beschreibung eines außerkörperlichen Zustands) – und begann schon bald mit dem Schreiben eines Songs, der diese Leary-Zitate beinhaltete. Selbst der Arbeitstitel – „The Void“ – stammte aus „The Psychedelic Experience“. Die Beatles gaben ihr Bestes, um Lennons Visionen im Studio umzusetzen. Sie brauchten nur drei Versuche, um sich auf den zugrundeliegenden Rhythmus-Track zu einigen. (McCartney hatte die ungewöhnlichen Schlagzeug-Figuren vorgeschlagen.) Die meisten der surreal klingenden Overdubs wurden in der Nacht vom 6. April und am Nachmittag des 7. April produziert – in gerade einmal zehn Stunden. Es gab keine Tonquelle, die nicht bis zur Unkenntlichkeit verfremdet wurde, sei es das rückwärts abgespielte Gitarrensolo, das schwebende Dröhnen von Harrisons Sitar oder Lennons Stimme, die gerade in einen anderen Bewusstseins- zustand zu taumeln schien …
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Starrs Tom-Toms klangen plötzlich wie Tablas, ein Mellotron suggerierte Flöten und Streicher – und der Sound gackernder Seemöven stammte entweder von einem lachenden McCartney oder aber dem Holz eines geklopften Gitarrenkorpus’. Lennon selbst wollte seine Stimme völlig entstellt hören: „Sie sollte so klingen wie der Chant des Dalai Lama, der auf einem weit entfernten Berggipfel sitzt.“ Toningenieur Geoff Emerick erzielte den gewünschten Effekt, indem er Lennons Stimme durch die rotierenden Lautsprecher einer Leslie-Box schickte, die an eine Hammond-Orgel angeschlossen war. „Das klingt verdammt großartig“, rief Lennon begeistert, als er das Resultat zum ersten Mal hörte. Auch McCartney war von diesem Sound sofort überzeugt und beschrieb ihn mit den Worten: „It’s the Dalai Lennon!“ Bis zum letzten Overdub am 22. April wurde der Song auf den Aufnahmeprotokollen des Studios unter dem Titel „Mark 1“ geführt. Es war wieder einmal Starr, der schnell mit einer Alternative zur Stelle war (wobei der Song-Titel in den Lyrics nun allerdings überhaupt nicht aufgegriffen wird): „Tomorrow never knows“ war – wie „A Hard Day’s Night“ – eine seiner verbalen Verballhornungen (gemeint war eigentlich „tomorrow never comes“). Aber er sollte sich täuschen. „Tomorrow Never Knows“ kam – mit viel Hall und aller Macht, ekstatisch und in Technicolor, am Ende von „Revolver“.
Auf dem Album: „Revolver“
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17. „Ticket To Ride“
Autor: Lennon/McCartney, Aufgenommen: 15. Februar 1965, Veröffentlicht: 25. April 1965, 5 Wochen, Nr. 2
Lennon behauptete einmal, dass „Ticket To Ride“ – der erste Track, der für „Help!“ aufgenommen wurde – „eine der frühesten Heavy Metal-Aufnahmen“ gewesen sei. „Es war ein etwas anderer Sound, weil er für die damalige Zeit verdammt heavy war“, sagte Lennon 1970 dem ROLLING STONE. „Wenn man sich die Charts der damaligen Zeit anschaut – und dann ,Ticket To Ride‘ nochmal hört, dann ist die Nummer eigentlich gar nicht so übel. Es passiert etwas, es ist heavy, die Drums sind heavy – und genau deswegen mag ich sie.“ Nachdem er auf „A Hard Day’s Night“ und „Beatles For Sale“ vorwiegend Akustik-Gitarre gespielt hatte, packte Lennon für „Ticket To Ride“ wieder seine E-Gitarre aus. Eine glockenartige Melodie liefert zu Beginn einen psychedelischen Schnörkel, doch dann grooven sich die knirschenden Gitarren über Ringos unbeirrbaren Beat ein. Der Sound dürfte von Bands wie den Stones, Kinks und The Who beeinflusst sein, die zu diesem Zeitpunkt in England geradezu explodierten, und doch waren die Beatles der Konkurrenz noch immer einen Schritt voraus …
„Ticket To Ride“ war die erste Beatles-Aufnahme, die die magische Drei-Minuten-Grenze durchbrach, und Lennon nutzte die Zeit für ein Wechselbad der Gefühle. Die Lyrics und sein Gesang schwanken zwischen Unsicherheit und Verzweiflung, und in der Bridge schleudert er seine ganze aufgestaute Empörung heraus: „She oughta think right/ She oughta do right by me“. Eine andere Überraschung gibt es am Ende, wo sowohl Melodie als auch Rhythmus komplett kippen, während Lennon dazu mehrfach die Zeile „My baby don’t care“ singt. „Ich glaube fast“, so McCartney, „dass wir als Erste diese Idee hatten, zum Ende eines Songs noch einmal eine ganz neue Melodie einzuführen. Damals war das geradezu radikal.“ Für die Beatles war der Prozess der Plattenaufnahme inzwischen eine zusätzliche Herausforderung geworden. Es ging nicht mehr darum, einen Song auf Vinyl festzuhalten, sondern die moderne Studiotechnik optimal auszunutzen. Statt einen Song live aufzunehmen, den besten Take auszuwählen und noch einige Overdubs drüberzulegen, begann man nun mit einem Rhythmus-Track, auf dessen Basis die Arrangements entwickelt wurden. Angesichts dieser aufwändigen Methode ist es ein Wunder, dass „Ticket To Ride“ in gerade mal drei Stunden im Kasten war. Die Aufnahme sollte so etwas wie ihre Visitenkarte werden:
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Der Titel ihres letzten „BBC Radio Special“ wurde kurzfristig geändert in: „The Beatles (Invite You To A Ticket To Ride)“. Lennon sollte Zeit seines Lebens behaupten, dass McCartneys Beitrag zu diesem Song minimal gewesen sei, während McCartney überzeugt ist, dass sie bei einer dreistündigen Session in Lennons Villa „den Song gemeinsam schrieben“. Die Unstimmigkeit mag auch erklären, warum es so viele Interpretationen zur Bedeutung des Songtitels gibt: Eine offensichtliche Erklärung besagt, dass es sich um ein Zug-Ticket handelt. (Als die Beat- les im November ’65 einen Promo-Clip zum Song filmten, konnte man im Hintergrund überdimensionale Fahrscheine sehen.) Der englische Journalist Don Short, der mit den Beatles auf Tour war, behauptet allerdings, dass der Ausdruck aus ihrer Zeit auf St. Pauli stamme und nichts anderes als „Bock-Schein“ bedeute: „Die Prostituierten in Hamburg mussten sich regelmäßig von der Gesundheitsbehörde bescheinigen lassen, dass sie keine Geschlechtskrankheiten hatten – und bekamen dann diesen Schein. John bestätigte mir, dass er dafür den Ausdruck ,ticket to ride‘ erfunden habe.“ McCartney wiederum hatte eine unschuldigere Erklärung: Es sei nur eine Anspielung auf das Städtchen Ryde auf der Isle of Wight gewesen. Und noch eine andere Möglichkeit: Am Tag der Aufnahme von „Ticket To Ride“ bestand Lennon seine Führerscheinprüfung.
Auf dem Album: „Help!“
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16. „I Saw Her Standing There“
Autor: McCartney, Aufgenommen: 11. Februar 1963, Veröffentlicht: 6. Februar 1964, B-Seite (Matchbox)
Die Anfänge des Songs liegen in einer Nacht des Jahres 1962, als McCartney zu seiner Wohnung in Liverpool fuhr. „Der Text, der mir durch den Kopf ging, fing an mit: ,She was just 17/ She’d never been a beauty queen‘.“ Doch als er das Fragment am nächsten Tag Lennon vorspielte, „verzogen wir an dieser Stelle beide den Mund und sagten: ,Nein, nein, nein, ‚beauty queen‘ geht definitiv nicht.‘ Wir gingen also durch das Alphabet: between, clean, lean, mean…“ Am Ende einigten sie sich auf „you know what I mean“, das laut McCartney deshalb den Zuschlag bekam, „because you don’t know what I mean“. Obwohl Lennons Beitrag unklar blieb („Ich schrieb einen Teil des Textes“, sagte er), ist „I Saw Her Standing There“ ein klassisches Beispiel dafür, wie das songschreibende Lennon-McCartney-Tandem immer mehr Fahrt aufnahm. Ein Foto aus dem September 1962, geschossen von McCartneys Bruder Mike, zeigt die beiden im Wohnzimmer von Pauls Haus: Beide haben Akustikgitarren und schauen sich an, Lennon trägt die Brille, die er so hasste, und kritzelt Texte in sein „Liverpool Institute“-Notizbuch. Die Vorlage für den Song lieferte eine von McCartneys Freundinnen, die Tänzerin Iris Caldwell, die tatsächlich 17 war, als er sie im Dezember 1961 zum ersten Mal sah:
Im „Tower Ballroom“ in New Brighton tanzte sie Twist – in Netzstrümpfen! „Es wurde nie wirklich ernst. Ich tanzte damals in verschiedenen Theatern in der ganzen Umgebung, aber wenn ich wieder zu Hause war, gingen wir zusammen aus.“ sagt sie. „Es gab keine Versprechungen und keine Liebesschwüre,“ Caldwells Bruder war Rory Storm von „Rory and the Hurricanes“, deren Drummer – Ringo Starr – die Band im August 1962 verließ, um bei den Beatles einzusteigen. Caldwell behauptet, dass McCartney den neuen Song eigentlich Storm schenken wollte, was aber Brian Epstein zu verhindern wusste. Unter dem Titel „Seventeen“ wurde der Song 1962 fester Bestandteil ihres Live-Repertoires, manchmal in zehnminütigen Versionen, die mit mehreren Soli gestreckt wurden. Bei der knalligen Bass-Melodie bediente sich McCartney bei Chuck Berrys ‘61er-Single „I’m Talking About You“, die auch bei den Beatles-Auftritten nicht fehlen durfte.“ Nachdem sich EMI entschlossen hatte, ein Album der Beatles in Auftrag zu geben, hatte George Martin zunächst überlegt, ob er das Album live im Cavern Club vor heimischem Publikum aufnehmen solle. Auch wenn man sich entschloss, das Album lieber in den EMI-Studios in Abbey Road aufzunehmen, bestand das Material doch überwiegend aus den eingespielten Live-Klassikern. Um gleich die gewünschte Atmosphäre zu erzeugen, beginnt das Album mit „I Saw Her Standing There“, eingeleitet durch einen atemlos klingenden McCartney, der die Nummer anzählt: „one-two-three-faw“. Die ungestüme Hymne auf die Jugend wurde im Studio noch durch Klatschen und „Ooohs“ aufgepeppt, die später auch auf Singles wie „She Loves You“ auftauchen sollten …
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Die Aufnahme, die Harrisons erstes Solo beinhaltet, wurde als B-Seite für „I Want To Hold Your Hand“ ausgewählt, die in Amerika an die Spitze der Charts marschierte. „I Saw Her Standing There“ war auch einer der fünf Songs, die am 5. Februar 1964 in der Ed Sullivan Show von 73 Millionen Amerikanern gesehen wurden. Lennon beschreibt den Titel als „das, was Paul nun mal gut drauf hatte – und was George Martin gerne einen ,Schnellimbiss‘ nannte“, wobei der Song in Lennons späterem Leben auch noch eine andere Bedeutung gewinnen sollte. Im Jahr 1974 schlossen Lennon und Elton John eine Wette ab: Sollte Lennons „Whatever Gets You Thru The Night“ (auf dem Elton Klavier spielt) die Nr. 1 der amerikanischen Charts werden, würde Lennon bei einem Elton-Auftritt auf die Bühne kommen. Als der Song dann tatsächlich an die Spitze der Charts marschierte, hielt er sein Versprechen und kam am 28. November auf die Bühne des Madison Square Garden. Vor dem abschließenden Song sagte Lennon: „Wir dachten, wir sollten vielleicht eine Nummer zum Besten geben, die eine meiner alten Verlobten namens Paul geschrieben hat.“ Und sie beendeten das Konzert mit einer sprühenden Version von „I Saw Her Standing There“. „Ich wollte doch nur etwas Spaß und nochmal Rock’n’Roll spielen“, sagte Lennon später. Es sollte der letzte Song sein, den Lennon je auf einer Bühne spielte.
Auf dem Album: „Please Please Me“
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15. „Help!“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 13. April 1965, Veröffentlicht: 5. Juli 1965, 10 Wochen, Nr. 2
„Help“ sollte der Titeltrack des zweiten Beatles-Films werden – eine Slapstick-Action-Komödie, die ursprünglich für Peter Sellers konzipiert worden war. Komödie hin oder her: Der verzweifelte Unterton war nicht zu überhören, vor allem in Zeilen wie „And now my life has changed in oh-so-many ways/ My independence seems to vanish in the haze“. „Ich meinte es wirklich so“, sagte Lennon 1970 dem ROLLING STONE. „Die ganze Beatles-Chose wuchs mir über den Kopf.“ Spätestens 1965 war Lennon von dem ununterbrochenen Touren, Aufnehmen und Filmen erschöpft. Und wenn er einmal zu Hause war, fühlte er sich in der Villa außerhalb Londons, die er mit Cynthia und Sohn Julian bewohnte, komplett isoliert. „Cynthia wollte ihn sesshaft machen“, so McCartney. „In dem Moment, als sie mir das sagte, wusste ich: Das ist der Kuss des Todes. Ich kannte meinen Freund. Das war das Letzte, was er wollte.“ …
Laut Harrison war Lennon „paranoid“, was sein Aussehen betraf. „Es war meine Fat-Elvis-Phase“, sagte Lennon selbst. „Ich aß und trank wie ein Schwein, ich war deprimiert – und schrie instinktiv nach Hilfe.“ Für McCartney sah die Situation völlig anders aus: Er blühte im Swinging London auf und war – ungeachtet einiger Affären – mit der Schauspielerin Jane Asher liiert, deren Familie ihm die Türen zur High Society öffnete. John „war definitiv eifersüchtig auf mich, weil er sich all die Sachen verkneifen musste. Es machten sich die ersten Risse in seinem Familienleben bemerkbar, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als sie zu übertünchen.“ Lennon schrieb den größten Teil von „Help!“ zu Hause und holte dann McCartney zu Hilfe. Wie so oft traf man sich zu einer Songschreibe-Session in Lennons Musikzimmer und schloss den Song innerhalb weniger Stunden ab. Lennon hatte „Help!“ eigentlich als Midtempo-Ballade angelegt, aber die Beatles peppten das Arrangement im Studio auf – mit Harrisons Surf-Gitarre, Starrs donnernden Tom-Toms und den umgedrehten Call & Response-Vocals, die das Trademark des Songs werden sollten …
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Trotzdem räumte Lennon später ein, dass „ich die Aufnahme nicht übermäßig schätze. Wir haben sie zu schnell gespielt, damit sie kommerzieller wurde.“ Auch das Filmen machte nicht mehr so viel Spaß wie früher. „Der Film glitt uns aus den Händen“, so Lennon im „Playboy“. „Bei ,Hard Day’s Night‘ konnten wir noch mitreden. Aber bei ,Help!‘ konnte uns Dick Lester nicht vermitteln, was wir da eigentlich machten.“ Wobei alle Beatles eingestanden, dass das Problem nicht unbedingt bei Regisseur Lester lag. „Während der Dreharbeiten“, so Starr, „wurden Unmengen von Pot geraucht. Wenn man sich im Film unsere Gesichter anschaut, wird man viele rote Augen sehen. Wir rauchten schon zum Frühstück Gras“, so Lennon. „Niemand konnte mit uns kommunizieren. Wir waren in unserer eigenen Welt.“
Auf dem Album: „Help!“
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14. „She Loves You“
Autor: Lennon/McCartney, Aufgenommen: 1. Juli 1963, Veröffentlicht: 12. August 1963, 5 Wochen, Nr. 7
Als die Beatles am Nachmittag des 1. Juli 1963 in den EMI-Studios „She Loves You“ aufnehmen wollten, war plötzlich die Hölle los. Geoff Emerick, damals Assistent, später Ton-Ingenieur der Beatles, erinnert sich: „Die schreienden Mädchen, die normalerweise vor dem Eingang warteten, hatten die Tür eingeschlagen. Ganze Pulks liefen hysterisch durch die Gänge und wurden von Londoner Bobbys gejagt“. Die Unterbrechung hatte auch ihr Gutes, da die Beatles im Anschluss eine der überschäumendsten Pop-Singles aller Zeiten heraushauten. „Das Chaos“, so Emerick, „schien ihr Spiel auf ein neues Energie-Level zu katapultieren.“ Den Anfang von „She Loves You“ hatten Lennon und McCartney im Tourbus geschrieben – und wollten den Song eigentlich abends im „Turk’s Hotel“ in Newcastle abschließen. Der Knackpunkt in den Lyrics war die Einführung einer dritten Person, die das stereotype„I love you“-aufbrechen sollte …
Die Eingebung dazu stammte von Bobby Rydell, der gerade mit „Forget Him“ in England einen kleinen Hit hatte. „Es ist also eine andere Person, die diese Nachricht überbringt“, so McCartney. „Wir bauten eine Distanz ein. Es war nicht mehr einer von uns.“ Trotzdem fehlte noch immer etwas.„Der Song war fertig“, so Lennon, „aber wir brauchten noch ein zusätzliches Element. Also versuchten wir es mit ,yeah yeah yeah‘ – und es funktionierte. Ich weiß nicht mal, wo wir das zum ersten Mal gehört hatten. Lonnie Donegan benutzte es ständig – und Elvis in ,All Shook Up‘ auch.“ In McCartneys Elternhaus in Liverpool gaben sie dem Song den letzten Schliff. Pauls Vater schlug vor: „Es gibt doch schon so viele Amerikanismen. Wollt ihr es nicht mit ,yes, yes, yes‘ versuchen?“ „Du verstehst das nicht“, antwortete Paul. „Das würde nicht funktionieren.“ …
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Auch wenn der Sound von seiner rohen Direktheit lebt, dokumentiert die Aufnahme doch eine zunehmende Finesse: Um den Song mit einem Knall zu eröffnen, beginnt „She Loves You“ gleich mit dem Refrain – ein kleiner Kniff, den ihnen George Martin ans Herz gelegt hatte. Den Abschluss bildet ein eigentümlicher Akkord, der von Harrison stammte, von Martin aber zunächst als „kitschig“ abgelehnt wurde. „Aber ohne den Akkord passte es einfach nicht. Also ließen wir ihn drin, bis George am Ende doch überzeugt war“, so McCartney. Als die Beatles am 13. Oktober 1963 den Song in London erstmals auf der Bühne spielten, brachen alle Dämme: Die „Beatlemania“ war nicht mehr aufzuhalten. Die Band sollte im Lauf der kommenden Jahre von einem Triumph zum nächsten eilen, aber in England blieb „She Loves You“ die erfolgreichste Single des ganzen Jahrzehnts.
Auf dem Album: „Past Masters“
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13. „Revolution“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 10. und 11. Juli 1968, Veröffentlicht: 16. August 1968, B-Seite (Hey Jude)
Im Frühjahr 1968 war der Vietnamkrieg auf seinem Höhepunkt, Martin Luther King war ermordet worden und die Studenten in Paris hatten die Regierung in die Knie gezwungen. Als die Beatles Ende Mai das Abbey-Road-Studio betraten, um mit der Arbeit am „Weißen Album“ zu beginnen, stand zuoberst „Revolution“ auf der Agenda – der erste explizit politische Song, den die Beatles veröffentlichten. „Ich wollte ausdrücken, was ich über die Revolution dachte“, sagte Lennon 1970 dem ROLLING STONE. „Es war höchste Zeit. Als wir mit Brian (Epstein) unterwegs waren, kam ein Zeitpunkt, an dem wir uns entschlossen, auch Fragen zum Vietnam-Krieg zu beantwortet. Wir mussten Brian eintrichtern: ,Wir werden diesmal über den Krieg reden.‘“ …
Die erste Version von „Revolution“ war ein langsamer, bluesiger Shuffle, der den Titel „Revolution 1“ trug. (Die letzten sechs Minuten des Masterbandes waren ein aggressiver Jam, der später abgetrennt und als „Revolution 9“ veröffentlicht wurde.) Am 10. Juli versuchten sie es mit einer beschleunigten Version, die dann auf der B-Seite von „Hey Jude“ landete. Man hatte die Beatles im Studio bislang noch nie so hart rocken gehört, angefangen von Lennons siedend-heißem Gitarren-Intro (eine Referenz an Pee Wee Craytons Blues-Single „Do Unto Others“ von 1954) bis zu dem abschließenden Wutgeheul. „John wollte einen verzerrten Sound“, so Ton-Ingenieur Phil McDonald. „Die Gitarren wurden durch die Aufnahmekonsole gejagt, was technisch nicht gerade empfehlenswert ist, weil die einzelnen Kanäle überlastet werden. Zum Glück kriegten es die Studiotechniker nicht mit.“ …
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Der gravierendste textliche Unterschied zwischen den beiden Versionen besteht in einem einzigen Wort. „Revolution 1“ beinhaltet die Zeile: „When you talk about destruction/ Don’t you know that you can count me out … in.“ (Laut McCartney habe sich Lennon damit alle Türen offenhalten wollen.) Als die Beatles die Single-Version fertigstellten, wurde daraus ein eindeutiges „count me out“. Während die bürgerliche Presse Lennon feierte, war die Linke wenig beeindruckt. Das linksradikale US-Magazin „Ramparts“ nannte die pazifistische Position gar einen „Verrat“. „Der Text steht auch heute noch“, sagte Lennon 1980. „Das ist noch immer meine politische Position: Ich möchte die Alternative sehen, ich möchte wissen, was passiert, wenn alles eingerissen wird. Gibt es nicht irgendwas, das noch brauchbar ist? Warum Bomben auf die Wall Street werfen? Wenn man das System verändern will – verändere das System! Es bringt nichts, die Leute zu erschießen.“
Auf dem Album: „The Beatles“
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12. Norwegian Wood (This Bird Has Flown)
Autor: Lennon/McCartney, Aufgenommen: 12. und 21. Oktober 1965, Veröffentlicht: 7. Dezember 1965, nicht als Single veröffentlicht
„Norwegian Wood“ greift auf eine Inspirationsquelle zurück, die aus dem Rock’n’Roll nicht wegzudenken ist: Sex. „Ich wollte über eine Affäre schreiben, ohne meine Frau wissen zu lassen, dass ich über eine Affäre schrieb.“ Nicht nur das: Lennons sehr persönliches Songwriting sollte von nun an fester Bestandteil seiner Arbeit werden.
Lennon stellt das gängige Rollenklischee auf den Kopf: „I once had a girl/ Or should I say, she once had me.“ Er erzählt von einem nächtlichen Techtelmechtel mit einer erfahrenen Frau, die ihr eigenes Apartment hat, ihre eigene Karriere – und Herren gerne mal auf ein Glas Wein in ihre Wohnung bittet. Sie ist also das Gegenteil des Frauentypus, der in früheren Songs beschrieben wurde. McCartney erklärte später, dass die Mädchen aus Swinging London ein Faible für Möbel aus norwegischem Holz hatten. „Insofern war der Song schon eine Parodie. Es war natürlich immer billige Kiefer. Aber ,Cheap Pine‘ hätte als Songtitel nicht funktioniert.“ Auch wenn es die Geschichte einer Affäre mit einem Mod-Groupie ist, erzählt Lennon sie aus einer erwachsenen Perspektive. Er lässt das damalige London aufleben, beschreibt, wie er die Nacht in ihrem Apartment verbringt (und in der Badewanne aufwacht), wie er es ist, der verführt wird, wie er nervös auf ihrem Teppich sitzt, bis sie schließlich sagt: „It’s time for bed.“ …
Angesichts der verklausulierten Andeutungen war Cynthia Lennon wohl nicht die einzige, die sich beim Versuch einer Interpretation die Zähne ausbiss. Als er morgens alleine aufwacht, heißt es: „I light a fire“: Soll das bedeuten, dass er das Haus in Brand steckt? Lennon hat sich dazu nie geäußert, während McCartney durchaus der Meinung ist, dass die Brandstifter-Theorie so verkehrt nicht ist. Während Lennon 1980 behauptete, dass „Norwegian Wood“ „completely my song“ sei, hatte er dem ROLLING STONE zehn Jahre früher noch erzählt, dass „Paul bei den mittleren acht Takten geholfen hat“. Laut McCartney habe er sogar nur die ersten Zeilen fertiggestellt. „Das war alles, kein Titel, kein Nichts“. Harrisons Sitar-Debüt ist sicher das herausstechendste Detail des Songs, doch „George hatte die Sitar gerade erst bekommen“, so Lennon, „und ich fragte ihn, ob er das Ding überhaupt spielen könne. Er war sich nicht sicher, wollte es aber versuchen.“ Harrison hatte die Sitar auf dem Set des zweiten Beatles-Films „Help!“ entdeckt. Fasziniert kaufte er ein Instrument, spielte mit ihm herum und nahm später sogar Unterricht bei Ravi Shankar. Gleichzeitig entdeckte er für sich die fernöstlichen Lebensweisen und Religionen, die ihn sein ganzes Leben lang begleiten sollten …
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Als er sich 1990 an diese Zeit erinnerte, beschrieb Harrison sein Sitarspiel als „reichlich rudimentär. Obendrein war es ein billiges Exemplar, das ich mir gerade erst gekauft hatte. Aber das war damals eben die Attitüde der Band: Wir waren offen für alle neuen Einflüsse. Wir beschäftigten uns mit den unterschiedlichsten Sachen – Stockhausen, Avantgarde – und vieles davon landete auf unseren Platten“. „Norwegian Wood“ wurde als kreativer Meilenstein gewürdigt. Brian Jones zollte Harrisons Sitar in der Stones-Nummer „Paint It, Black“ Tribut, während sich Dylan mit „4th Time Around“ an einer Parodie versuchte. Er bestand darauf, Lennon die Nummer persönlich vorzuspielen. „John war schon verunsichert, weil ihn die anderen Beatles ob seines Dylan-Faibles „ständig durch den Kakao zogen“. Er befürchtete, dass Dylan ihm nun eins auswischen wollte. „Er fragte mich: ,Gefällt es dir?‘ Ich sagte ihm ehrlich, dass es mir nicht gefalle.“ Später gab er zwar zu, dass er es doch mochte, aber die Tage von Lennons ungebremster Dylan-Verehrung waren gezählt.
Auf dem Album: „Rubber Soul“
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11. „A Hard Day’s Night“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 16. April 1964, Veröffentlicht: 19. Juni 1964, 3 Wochen, Nr. 2
Der Song beginnt mit dem bekanntesten Akkord der Rock’n’Roll-Geschichte: Der Ausbruch einer 12-saitigen Gitarre scheint das Chaos und die Euphorie der Beatlemania noch einmal wiederbeleben zu wollen. Das Strahlen in diesem Akkord, die mit Händen greifbare Begeisterung der Band und die im Titel angesprochene physische Erschöpfung machen „A Hard Day’s Night“ zu einem Mini-Film, der den meteorhaften Aufstieg der Beatles noch einmal Revue passieren lässt. „Damals waren es vor allem die Intros und die Abschlüsse eines Songs, um die ich mich vorrangig kümmerte“, sagt George Martin. „Wir brauchten einen Knalleffekt, damit man sofort in den Song gesogen wurde.“ Bei den Proben spielte Lennon mit einigen Akkorden herum, um den gesuchten Knalleffekt zu finden. „Es war reiner Zufall“, so Martin, „dass er den richtigen fand. Als wir ihn hörten, wussten wir sofort, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.“ …
Der Titel basierte auf einem von Ringos schnoddrigen Sprüchen. „We were working all day and then into the night, and I came out thinking it was still day and said: ,It’s been a hard day‘, and noticing it was dark: …’s night.‘“ Als Lennon davon Regisseur Richard Lester erzählte, war der Name des Films gefunden. Sie mussten nur noch den Song schreiben, der zum Titel passte. „John und ich hielten immer die Augen nach pfiffigen Songtiteln auf“, so McCartney. „Wenn man einen guten Titel hat, ist das schon die halbe Miete. Mit ,A Hard Day’s Night‘ hatten wir gleich den Fuß in der Tür.“ Lennon schrieb den Song am Abend vor der Aufnahme und kritzelte den Text auf eine Geburtstagskarte für seinen Sohn Julian. In drei Stunden nahm die Band den Song auf …
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Das größte Problem bereitete Harrisons Solo. Doch als die Session abends um zehn Uhr zu Ende ging, hatte er eines seiner cleversten Soli kreiert – ein aufwärts steigender Gitarrenlauf, der zwei Mal wiederholt und mit einem kreisenden Schnörkel abgerundet wird, wobei Martins Piano den glockenartigen Sound der Gitarre wieder aufgreift. „George“, so Geoff Emerick, „konnte intensiv an seinen Soli arbeiten.“ Harrisons spielte auch das Solo im Fade-out, ein kreiselndes Gitarren-Arpeggio, das ebenfalls Martins Idee war: „Ich habe ihnen immer zu erklären versucht, wie wichtig es ist, einen Song einzubetten – ihn nicht einfach abzuschließen, sondern so nachhallen zu lassen, dass gleich der Übergang zum kommenden Klangbild gewährleistet ist.“
Auf dem Album: „A Hard Day’s Night“
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10. „While My Guitar Gently Weeps“
Autor: Harrison, Aufgenommen: 5. und 6. September 1968, Veröffentlicht: 22. November 1968, B-Seite (Ob-la-di, Ob-la-da)
Der Text zu Harrisons erstem großen Beatles-Song entstand aus einem Zufall. Harrison hatte den Großteil der Musik schon auf dem Indien-Trip von Februar bis April 1968 geschrieben, machte sich aber erst nach seiner Rückkehr auf die Suche nach den passenden Worten. Inspiriert von den Theorien des „I Ching“ zog er im Haus seiner Eltern ein Buch aus dem Regal, schlug eine Seite auf und schrieb einen Text zu den ersten Worten, die ihm ins Auge fielen. Es war „gently weeps“ – und stammte vermutlich aus dem Gedicht „Rain on the Roof“ von Coates Kinney, in dem sich die Zeile befindet: „And the melancholy darkness/ Gently weeps in rainy tears“. Obwohl die Band Harrison-Songs schon auf sechs Alben eingesetzt hatte, glaubte Harrison noch immer, von Lennon und McCartney nicht wirklich ernst genommen zu werden. Lennon bemerkte später einmal, dass „es eine peinliche Phase gab, in der Georges Songs einfach nicht so gut waren. Aber niemand wollte mosern, also arbeiteten wir an ihnen.“ Die erste Aufnahme von „While My Guitar Genly Weeps“ stammt vom 25. Juli 1968. Eine zweite Version mit der ganzen Band (Lennon spielte die Orgel) wurde am 16. August sowie am 3. und 5. September aufgenommen …
Diesmal hört man Spielereien mit der Bandgeschwindigkeit, Maracas und ein rückwärts abgespieltes Gitarrensolo, das allerdings nie den „weeping sound“ erzeugt, den sich Harrison vorgestellt hatte. Produzent George Martin hatte gerade einen vierwöchigen Urlaub angetreten, als sich die Band am 5. September an einer weiteren Version versuchte – diesmal mit Lennon an der Leadgitarre und einem schlingernden Rhythmus, den Ringo beisteuerte. Doch auch dieser Versuch fand kein Gefallen. „Sie gaben sich einfach keine Mühe“, klagte Harrison später. „Ich fuhr an dem Abend nach Hause und dachte: ,Es ist einfach zum Heulen‘, weil ich wusste, dass der Song verdammt gut war.“ Am nächsten Tag nahm Harrison Eric Clapton von Surrey nach London mit – und hatte eine Idee, wie er seine Kollegen zu einem größeren Engagement animieren könne: Er fragte Clapton, ob er nicht mit ins Studio kommen und den Gitarrenpart übernehmen wolle. Clapton lehnte erst ab. Aber Harrison ließ nicht locker: „Schau her, es ist schließlich mein Song. Ich möchte, dass du darauf spielst.“ …
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(Monate zuvor waren Clapton, Harrison, McCartney und Starr mit Jackie Lomax im Studio gewesen, um dessen Version von Harrisons „Sour Milk Sea“ einzuspielen.) Mit dem angesagten Gast im Studio kamen die Beatles plötzlich in die Hufe – besonders McCartneys Harmonien klingen ausnehmend inspiriert. „Es war schon eine interessante Erfahrung“, so Harrison, „wie nett die Leute miteinander umgingen, wenn man einen Gast mitbrachte. Vor Außenstehenden wollten sie einfach nicht zeigen, wie zickig sie manchmal sein konnten.“ Claptons filigranes und lyrisches Solo war das perfekte Ferment: Noch in der gleichen Nacht wurde die Aufnahme abgeschlossen. „Es ist wundervoll elegisch“, sagte Mick Jagger dem ROLLING STONE 2002. „Nur ein Gitarrist konnte diesen Song schreiben. Ich liebe ihn.“ Clapton wurde einer von Harrisons engsten Freunden – und gleichzeitig sein größter Konkurrent. Als Harrison während der „Let It Be“-Sessions kurzzeitig die Band verließ, knurrte Lennon: „Wenn er bis Dienstag nicht zurück ist, nehmen wir eben Clapton.“
Auf dem Album: „The Beatles“
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9. „Come Together“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 21. – 23, 25., 29. und 30. Juli 1969, Veröffentlicht: 26. September 1969, 8 Wochen, Nr. 1
„Come Together“ war ursprünglich der Wahlkampf-Slogan von Timothy Leary, der sich 1970 um das Amt des kalifornischen Gouverneurs bewarb. Der LSD-Guru und seine Frau Rosemary waren im Juni 1969 von John & Yoko zu ihrem „Bed-In“ in Montreal eingeladen worden und sangen dort auch auf der Aufnahme von „Give Peace A Chance“ mit. Lennon fragte Leary, ob er noch irgendetwas tun könne, um Learys Kandidatur zu unterstützen. „Die Learys fragten, ob ich ihnen einen Song für den Wahlkampf schreiben könne“, sagte Lennon dem ROL-LING STONE, „und ihr Slogan war ,Come together‘.“ Er gab ihnen ein Demo mit einem „Mitsing-Ding“ auf den Weg, das Leary zu Hause an einige Radiostationen verteilte. Aber Lennon glaubte inzwischen, aus dem Fragment noch mehr machen zu können. „Ich kam nie dazu, den Campaign-Song abzuschließen, sondern schrieb am Ende einen neuen Song, der ,Come Together‘ hieß.“
Als er ihn in die Abbey Road brachte, war er noch erheblich schneller und offensichtlich an Chuck Berrys „You Can’t Catch Me“ angelehnt. Die erste Zeile – „Here come old flat-top“ – stammt eins zu eins von Chuck Berrys Aufnahme aus dem Jahr 1956. (Nach Erscheinen von „Abbey Road“ klagten Berrys Anwälte auf Copyright-Verletzung. 1973 kam es zu einem Vergleich, nachdem sich Lennon verpflichtet hatte, drei Songs aus ihrem Katalog aufzunehmen). McCartney machte ein paar Vorschläge, wie man den Song verbessern könne. „Ich sagte: ,Lass uns den Song deutlich langsamer spielen und ihm dieses sumpfige Bass-&-Drum-Feeling geben. Ich schlug eine Bass-Melodie vor, und von da an ging alles wie von selbst.“ Lennon erwähnte, dass das „over me“ am Ende des Refrains eine Anspielung auf Elvis gewesen sei. Der Text war ohnehin eine Anhäufung von Anspielungen, Insider-Jokes und dem, was er „gobbledygook“ nannte: improvisierte Wortschöpfungen, die er sich im Studio ausdachte. Der wichtigste Bestandteil war für Lennon aber der hypnotische Rhythmus:
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„Die Aufnahme war wirklich funky – einer meiner liebsten Beatles-Tracks.“ Nach „Let It Be“ schien es undenkbar, dass die Band noch einmal zu einem kreativen Miteinander zurückfinden würde. „Wenn ich einen Song herausgreifen müsste“, so George Martin, „der nicht nur ihre individuellen Talente dokumentiert, sondern auch die Art und Weise, wie sie diese Talente zu einem fantastischen Ganzen zusammensetzten, nähme ich ,Come Together‘. Der ursprüngliche Song ist schon gut, aber mit Johns Stimme wird er noch besser. Dann hatte Paul die Idee zu diesem kleinen Riff. Worauf Ringo einstieg und sich dazu genau das passende Drum-Pattern einfallen ließ. Und dieses Gerüst wiederum war die Basis für Johns „shoot me“-Einlagen. Und am Ende kommt dann noch Georges Gitarre wundervoll zur Geltung. Die Vier waren einfach so viel besser als die Summe der einzelnen Komponenten.“ „Come Together“ sollte die letzte Aufnahme sein, an der alle vier Beatles gemeinsam arbeiteten.
Auf dem Album: „Abbey Road“
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8. „Let It Be“
Autor: McCartney, Aufgenommen: 25., 26. und 31. Januar, 30. April 1969, 4. Januar 1970, Veröffentlicht: 6. März 1970, 9 Wochen, Nr. 2
McCartney hatte den gospelnden Soul von Aretha Franklin im Hinterkopf, als er 1968 – während der „White Album“-Sessions – mit dem Schreiben des Songs begann. Die erste Songzeile – „When I find myself in times of trouble/ Mother Mary comes to me“ – ging auf einen Traum zurück, in dem seine verstorbene Mutter Mary ihm sagte, dass er sich um die Zukunft nicht sorgen solle. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Worte ‚Let it be‘ benutzte, aber das war die Quintessenz des Traums.“ Die Beatles hatten zu diesem Zeitpunkt Probleme in Hülle und Fülle. Einen ganzen Monat lang hatte man vor Filmkameras geprobt und Live-Aufnahmen gemacht, um die Beat- les zu ihren Wurzeln als Beat-Band zurückzuführen. (George Martin wurde dabei bewusst aufs Abstellgleis geschoben.) Tatsächlich aber entpuppten sich die Aufnahmen als Desaster, bei dem die bisherigen Differenzen in offene Feindseligkeit umschlugen. Lennon, der von „Let It Be“ nicht begeistert war, machte seine Scherze über die Ernsthaftigkeit des Songs: „Sollten wir bei dem Solo nicht vielleicht alle kichern?“ …
Immerhin arbeitete die Band mehrere Tage an dem Song und nahm am 31. Januar 1969 die Basic Tracks im Apple Studio auf. Nachdem am gleichen Tag auch die Filmaufnahmen abgeschlossen waren, drückte man die gesammelten Bänder Toningenieur Glyn Jones in die Hand, der daraus ein Album herauskristallisieren sollte, für das der Arbeitstitel „Get Back“ vorgesehen war. Harrison war mit dem „Let It Be“-Solo nicht glücklich, das Lennon ausgesucht hatte. Er nahm ein neues Solo auf und ließ es über die rotierenden Leslie-Lautsprecher der Orgel laufen. Diese Version landete schließlich auf der Single. Fast ein Jahr nach der ursprünglichen Aufnahme kamen McCartney, Harrison und Starr zusammen, um einige Songs, darunter auch „Let It Be“, endgültig abzuschließen. McCartney nahm Lennons Bass-Track neu auf, Harrison spielte ein weiteres Solo ein (das dann auf der Album-Version erschien), ein Bläsersatz, von Martin arrangiert, wurde hinzugefügt, und Harrison sang neben Paul und Linda die Background-Vocals …
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Nachdem Phil Spector die Lennon-Single „Instant Karma“ produziert hatte, war Lennon von Spectors Arbeit so angetan, dass er und Beatles-Manager Allen Klein ihn baten, die Bänder vom Januar 1969 neu zu bearbeiten. „Man gab ihm die beschissenste Sammlung beschissen klingender Aufnahme mit einem scheußlichen Feeling“, sagte Lennon, „und er schaffte es immerhin, etwas Vernünftiges auf die Beine zu stellen.“ Spector mischte den Titeltrack des Albums neu ab und bekam dafür den Produzenten-Credit. McCartney sollte Spectors Version später als „scheußlich“ bezeichnen. Glyn Jones betonte, dass er nach wie vor seinen rudimentären Mix bevorzuge – „bevor sich Spector darüber auskotzte“. Spector selbst meinte, dass die Atmosphäre innerhalb der Band „ein Minenfeld“ gewesen sei – und dass er unter diesen Umständen das Beste herausgeholt habe: „Wenn es beschissen ist, wird man es natürlich mir anhängen. Ist es erfolgreich, waren es die Beatles.“ „Let It Be“ wurde am 11. März 1970 veröffentlicht. Einen Monat später, am 10. April, nahm McCartney die Veröffentlichung seines ersten Solo-Albums zum Anlass, das endgültige Ende der Beatles zu verkünden.
Auf dem Album: „Let It Be“ und „Past Masters“
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7. „Hey Jude“
Autor: McCartney, Aufgenommen: 29. Juli – 1. August 1968, Veröffentlicht: 30. August 1968, 12 Wochen, Nr. 1
„Hey Jude“ wurde inspiriert durch Julian Lennon, den fünfjährigen Sohn von John und Cynthia. „Paul und ich waren häufig zusammen“, so Julian, „häufiger, als ich mit meinem Vater zusammen war. Vielleicht hatte Paul damals ja eine ausgeprägtere Ader für Kinder.“ McCartney hatte Cynthia besucht, als sie und John sich gerade getrennt hatten. Auf der Fahrt dorthin ging ihm Julian nicht aus dem Kopf: „Ich saß im Auto und summte diese Melodie, und irgendwie stellten sich die Worte ,Hey, Jules‘ ein. Später schien mir dann der Name Jude passender – er klang mehr nach Country & Western.“ Die ersten Verse „sollten eine positive Botschaft für Julian sein: ,Come on, man, deine Eltern lassen sich scheiden. Ich weiß, dass du nicht glücklich bist, aber du wirst drüber hinwegkommen.‘“ „Hey Jude“ kann auch als tröstliche Botschaft an sich selbst verstanden werden, da seine Beziehung zu Jane Asher in die Brüche ging und die Zukunft der Beatles immer fraglicher wurde. Der Song wurde während der „White Album“-Sessions eingespielt, die zunehmend unter Machtkämpfen in der Band litten und dem Phänomen, dass der jeweilige Songschreiber die anderen Beatles zu Befehlsempfängern degradierte …
McCartney, Harrison und Starr wollten sich mit der ständigen Anwesenheit von Yoko im Studio nicht anfreunden. Toningenieur Geoff Emerick war von dem Hickhack so genervt, dass er den Dienst quittierte. George Martin musste zwischen zwei Studios hin- und herlaufen – was ihm schließlich so auf den Geist ging, dass er sich in einen mehrwöchigen Urlaub verabschiedete. Ringo Starr mochte auch nicht mehr und stieg einfach aus der Band aus – wenn auch nur für zwei Wochen. Als Lennon „Hey Jude“ zum ersten Mal hörte, war er begeistert. Er glaubte, dass der Song von ihm handle und seiner Beziehung zu Yoko und den daraus erwachsenden Spannungen zu McCartney. (Lennons Beitrag bestand darin, McCartney vom Streichen einer Zeile abzuhalten: „The movement you need is on your shoulder.“ ) „Ich habe es immer als einen Song verstanden, der an mich gerichtet war. Yoko war gerade auf der Bildfläche erschienen, und er schien zu sagen: ,Hey, Jude – hey, John.‘ Im Unterbewusstsein sagte er wohl: ,Geh nur, lass mich zurück.‘“ Die Band engagierte ein 36-köpfiges Orchester und animierte die Musiker, bei den Aufnahmen auch zu klatschen und mitzusingen. George Martin erinnert sich, dass einer der Musiker trotzdem nicht mitmachen wollte: „,Ich klatsche nicht und ich singe auch nicht McCartneys bescheuerten Song.‘ Er wies darauf hin, dass auf seinem Gewerkschaftausweis ,Geiger‘ stehe – und stürmte aus dem Studio. Alle Anwesenden waren perplex.“ …
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Es sollte noch weitere Probleme geben. McCartney bluffte Harrison an, den Gitarren-Einsatz zu reduzieren, da andernfalls die Songtexte zugekleistert würden. Als man endlich zur abschließenden Aufnahme bereit war, hatte McCartney nicht mitbekommen, dass Ringo gerade auf der Toilette saß. Zum Glück kommt der Drum-Einsatz bei „Hey Jude“ so spät, dass Starr es noch gerade schaffte, rechtzeitig zu seinem Schlagzeug zu eilen. Der Refrain am Ende des Tracks erstreckt sich über vier ganze Minuten und ist damit länger als der eigentliche Song, der mit gut drei Minuten zu Buche steht. Geplant war das nicht, aber McCartney war so in Fahrt, dass „ich einfach nicht aufhören konnte, immer wieder ,Judy Judy Judy – wooow‘ zu singen. Es war wie Cary Grant im Overdrive.“ (Die Zeile war Grants Trademark und taucht im Film „Only Angels Have Wings“ auf. – Red.) „Hey Jude“ war die erste Veröffentlichung auf Apple Records. In den USA hielt sich die Single neun Wochen lang auf Platz eins – länger als jede andere Beatles-Nummer. Mit sieben Minuten und 11 Sekunden sollte es auch die bislang längste Beatles-Aufnahme sein – was George Martin überhaupt nicht gefiel. Er befürchtete, dass die Nummer im Radio nicht gespielt würde. Lennon wollte davon nichts wissen: „Wenn sie von uns kommt, wird sie gespielt.“
Auf dem Album: „Past Masters“
Copyright: Mark and Colleen Hayward/Redferns
6. „Something“
Autor: Harrison, Aufgenommen: 16. April, 2. und 5. Mai, 11. und 16. Juli, 15. August 1969, Veröffentlicht: 23. September 1969, keine Chartplatzierung
Am 25. Februar 1969, seinem 26. Geburtstag, nahm George Harrison in den EMI-Studios drei Demos auf. Er machte je zwei Takes von „Old Brown Shoes“ (das später die B-Seite von „Let It Be“ wurde) und „All Things Must Pass“ (später der Titelsong seines ersten Solo-Albums). Dazwischen versuchte er sich an einer gefälligen Ballade, die er 1968 in einer Pause der „White Album“-Sessions geschrieben hatte: „Something“. „Man maß Georges Material nicht allzu viel Bedeutung zu“, erinnert sich Toningenieur Glyn Jones. „Was sogar dazu führte, dass er mich bat, im Studio zu bleiben, nachdem die anderen nach Hause gegangen waren. Und dann spielte er diesen Song, der mir die Sprache verschlug.“ Da der Song so catchy war, glaubte Harrison zunächst, dass er ihn schon einmal gehört habe …
„Ich legte ihn sechs Monate lang auf Eis, weil ich dachte: ,Das geht viel zu einfach!‘ Die erste Zeile – „Something in the way she moves“ – stammte tatsächlich von James Taylor. (Harrison war bei den Sessions anwesend und sang auf einem anderen Track Background-Vocals.) „In meinem Kopf“, so Harrison, „stellte ich mir vor, wie Ray Charles diesen Song singen würde.“ Trotzdem hielt er ihn nicht für substanziell genug, um ihn den Beatles anzubieten. Er überließ den Song sogar Joe Cocker, der ihn als Erster aufnahm. Als Harrison „Something“ schließlich den Beatles vorschlug, waren alle sofort begeistert. Lennon behauptete sogar, dass „Something“ „der beste Track auf dem Album“ sei. „Es verschlug mir den Atem“, sagte George Martin später. „Weil ich nie und nimmer geglaubt hätte, dass George es packen würde. Es war eine schwierige Situation für ihn, weil er keinen Sparringspartner wie die beiden anderen hatte. Er war gezwungenermaßen ein Einzelgänger.“ …
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Die anderen Beatles arbeiteten an „Something“ über mehrere Monate, arrangierten und bearbeiteten den Song und nahmen ihn so lange auf, bis alles perfekt saß. Plötzlich war Harrison der musikalische Direktor, der McCartney sagte, wie er den Bass zu spielen habe. „Was wirklich ein Novum war“, so Geoff Emerick. „George hätte nie gewagt, Paul Anweisungen zu geben.“ Bei der abschließenden Session stand Harrison neben Martin auf dem Dirigentenpult bei den Streicher-Aufnahmen, und live mit dem Orchester spielte er auch ein neues Gitarren-Solo ein, das ein romantisches Schwelgen mit einer bluesig-dreckigen Slide-Gitarre verband. „Something“ schaffte es in den USA auf Platz 3 und wurde nach „Yesterday“ der meistgecoverte Beatles-Song. Ray Charles sollte ihn tatsächlich singen, und Frank Sinatra nannte ihn „den größten Love-Song der letzten 50 Jahre“. „Er war immer nervös, wenn es um seine Songs ging“, so Martin über Harrison. „Weil er genau wusste, dass er nicht der eigentliche Songschreiber der Gruppe war. Er musste immer ein Pfund draufpacken.“ Mit „Something“ aber schaffte er es, nicht nur seine Kollegen, sondern die ganze Welt zu überzeugen.
Auf dem Album: „Abbey Road“
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5. „In My Life“
Autor: Lennon/McCartney, Aufgenommen: 18. und 22. Oktober 1965, Veröffentlicht: 7. Dezember 1965, nicht als Single veröffentlicht
„In My Life“ sollte sich als Wendepunkt in Lennons kreativem Schaffen erweisen. Das Arbeiten an dem Song begann mit einer Frage: Warum, so fragte ihn der Journalist Kenneth Allsop im März 1964, schreibe Lennon eigentlich nicht mehr Texte, die sein Leben und seine Erfahrungen reflektierten? „Ich hatte diese professionelle Songschreiber-Attitüde“, sagte Lennon 1970 dem Rolling Stone. „Wenn ich persönliche Erfahrungen artikulieren wollte, schrieb ich Bücher wie ,In seiner eigenen Schreibe‘. Der songschreibende John Lennon, der Popsongs für die Galerie verfasste, befand sich in einer anderen Schublade. Für mich waren es oberflächliche Wegwerf-Produkte.“ Lennon nahm sich Kritik zu Herzen und schrieb einen längeren Text über Menschen und Orte aus seiner Vergangenheit – und natürlich spielte Liverpool eine große Rolle: „Ich setzte mich in einen Bus, fuhr durch die Stadt und schrieb einen Text, der so ziemlich jede Sehenswürdigkeit auflistete.“ …
Als er die Lyrics später las, „war es ein schnarchlangweiliger ,Was machte ich im Urlaub‘-Song. Aber dann ließ ich es mir nochmal durch den Kopf gehen und kam auf Orte, mit denen mich wirklich persönliche Erinnerungen verbanden.“ Es folgte ein Disput, der sich wohl nie auflösen lassen wird. „In My Life“ ist einer der wenigen Lennon/McCartney-Songs, bei denen die Autoren gegensätzliche Erinnerungen haben, was ihren jeweiligen Beitrag betrifft. Laut Lennon „waren die Lyrics schon komplett geschrieben, als Paul den Song zum ersten Mal hörte. Er hat an den Harmonien gearbeitet und an den acht Takten im Mittelteil.“ Laut McCartney hatte Lennon bloß die erste Strophe geschrieben. Bei einer ihrer Schreib-Sessions in Lennons Weybridge-Villa habe man den Text komplett überarbeitet und dabei allzu Spezifisches gegen universellere Alternativen getauscht. (Einige der ursprünglichen Zeilen wie „some are dead and some are living“, Lennons Reverenz an den verstorbenen Bassisten Stu Sutcliffe, seien aber übernommen worden.) …
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McCartney behauptet weiterhin, dass er die Melodie auf Lennons Mellotron entwickelt habe (und sich dabei von Smokey Robinson habe inspirieren lassen), ebenso wie die behutsamen Gitarrentupfer am Anfang des Songs. Wie immer auch die Urheberschaft aussehen mag: „In My Life“ dokumentiert Lennons Entwicklung als Künstler. „Ich fing an, das Subjekt meiner Songs zu werden. Ich vermute, dass es Dylan war, der mir dabei geholfen hat.“ Die Beatles waren Anfang 1964 große Fans und spielten „The Freewheelin’ Bob Dylan“ nonstop. Als Dylan im August die Beatles in New York besuchte, machte er sie mit Marihuana bekannt. (Er war allerdings davon ausgegangen, dass die Beatles bereits Pot rauchten, nachdem er in „I Want To Hold Your Hand“ die Zeile „I can’t hide“ als „I get high“ missverstanden hatte.) Dylan und Gras sollten die beiden Faktoren werden, die die Beatles aus der Moptop-Existenz befreien und zu ihrem ersten Meisterwerk führen sollten: „Rubber Soul“.
Auf dem Album: „Rubber Soul“
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4. „Yesterday“
Autor: McCartney, Aufgenommen: 14. und 17. Juni 1965, Veröffentlicht: 14. September 1965, 5 Wochen, Nr. 6
Die Melodie, die zur meist gecoverten der Pop-Geschichte werden sollte, trug erst einmal den Titel „Scramble Eggs“, und die Geschichte dieser Melodie begann mit einem Traum. „Ich fiel buchstäblich aus dem Bett“, erinnerte sich McCartney. „Ich hatte dort gleich ein Klavier stehen, und ich muss den Song geträumt haben, weil ich aus dem Bett stolperte, meine Finger auf die Tasten legte und die Töne sofort im Kopf hatte. Alles war da, von Anfang bis Ende.“ Die Melodie war so stimmig, dass er den Verdacht hatte, unbewusst bei einem Song geklaut zu haben. Er ließ den Song monatelang in der Schublade liegen, spielte gelegentlich ein paar Takte für George Martin und Ringo Starr, fragte sie: „Könnte das was werden?“ Martin erinnert sich, den Song bereits im Januar 1964 gehört zu haben – also noch vor dem ersten Besuch in Amerika, „auf jeden Fall“ – so Lennon – „existierte er bereits einige Monate, bevor wir ihn fertigstellten.“ Es dauerte lange, bis McCartney für die provisorische Zeile „Scrambled eggs/ Oh, my baby, how I love your legs“ Ersatz gefunden hatte. Bei einem Urlaub mit seiner Freundin, der Schauspielerin Jane Asher, wurde er fündig. Der Text artikuliert ein vages Gefühl von Melancholie und Bedauern und sollte zum „rundesten Song werden, den ich je geschrieben habe.“ …
Die Umsetzung im Studio erwies sich als komplizierter. Wie George Martin erklärt, „war es nicht der typische Song für drei Gitarren und ein Schlagzeug. Deshalb sagte ich zu Paul: ,Lass uns zunächst nur die Gitarre sowie deinen Gesang aufnehmen und dann weiter überlegen.‘ Nach einigen Versuchen, einmal mit Lennon auf der Orgel, machte Martin einen unorthodoxen Vorschlag: „Ich erinnerte mich an meinen Geigenunterricht und sagte: ‚Warum versuchen wir es nicht mal mit Streichern? Die müssen ja nicht automatisch schmalzig sein‘. Paul sagte nur: ,Lass mich bloß mit diesem Mantovani-Schmus in Ruhe.‘ Ich schlug daraufhin vor: ,Wie wäre es mit einem Streichquartett?‘“ McCartney war noch immer nicht überzeugt: „Ich sagte George: ,Willst du mich auf den Arm nehmen? Wir sind eine Rock-Gruppe!‘ Doch er sagte: ,Lass es uns versuchen, und wenn es dir aufstößt, werfen wir es weg und kehren zu Gesang und Gitarre zurück.‘ Also setzte ich mich ans Klavier und schrieb mit ihm die Arrangements, dann nahmen wir es auf und – klar – waren rundum glücklich damit.“ Die Aufnahme zeigte deutlich, dass die Band bereit für neue Stilrichtungen war …
Copyright: Paul Ryan/Michael Ochs Archives/Getty Images
„Yesterday“ signalisierte der Welt, dass die Beatles – wie Rock’n’Roll überhaupt – zum Quantensprung von schnoddriger Jugendlichkeit hin zu literarischer Reife angesetzt hatten. Nach der Session nahm George Martin Manager Brian Epstein zur Seite und fragte, ob der Song nicht als McCartney-Solo veröffentlicht werden sollte, da keiner der anderen an der endgültigen Aufnahme beteiligt war. Epstein antwortete knapp: „Es sind die Beatles. Wir grenzen in der Band niemanden aus.“ Die Band war allerdings noch immer unsicher und verzichtete in England auf eine Single-Veröffentlichung. „Der Song war uns ein bisschen peinlich“, so McCartney. „Schließlich waren wir eine Rock’n’Roll-Band.“ In den USA stieg „Yesterday“ umgehend auf Platz eins der Single-Charts. (Der Titel gehörte zu den sechs Tracks, die Capitol nicht auf die US-Version von „Help“ gepackt hatte.) Er ist im Beatles-Katalog der mit Abstand populärste Song und wurde über 2500 Mal gecovert – eine Tatsache, die Lennon missfiel: „Wenn ich ein Restaurant betrete, spielen die Bands ,Yesterday‘. In Spanien musste ich einmal die Geige eines Typen signieren, der gerade ,Yesterday‘ darauf gespielt hatte. Er wollte nicht glauben, dass ich mit dem Song nichts zu tun hatte. Aber er konnte vermutlich nicht von Tisch zu Tisch gehen und dabei ‚I Am The Walrus‘ spielen.“
Auf dem Album: „Help“
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3. „Strawberry Fields Forever“
Autor: Lennon, Aufgenommen: 24., 25. und 29. November, 8., 9., 15., 21. und 22. Dezember 1966, Veröffentlicht: 17. Februar 1967, keine Chartplatzierung
John Lennon schrieb den Song im September 1966, als er während der Dreharbeiten für „Wie ich den Krieg gewann“ in Spanien war. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er das tägliche Beatles-Business hinter sich gelassen und nutzte die Freiheit, um tief in seinen Kindheitserinnerungen zu kramen. 1968 erzählte er dem ROLLING STONE: „Wir wollten einen Song über Liverpool machen, und ich listete die wohlklingenden Namen der Stadt auf. Im Fall von Strawberry Fields stellten sich Assoziationen ein, denn das kann letztlich jeder Ort sein, an den man sich wünscht.“ Strawberry Field (das „s“ stammt von Lennon) war ein Kinderheim, ganz in der Nähe des Hauses seiner Tante Mimi, in dem Lennon aufgewachsen ist. Der junge Lennon, von seinen Eltern zur Tante abgeschoben, kletterte oft über die Mauer des Waisenhauses, um in dem verwilderten Garten zu spielen. „Im Kindergarten fanden mich die anderen cool“, so Lennon 1980 …
„Ich war mein Leben lang anders. Im zweiten Vers heißt es: ,No one I think is in my tree.‘ Was ich sagen wollte: Niemand schien so beliebt zu sein wie ich. Deshalb musste ich entweder verrückt oder ein Genie sein. Dann die nächste Zeile: ,I mean it must be high or low‘: Irgendetwas muss mit mir nicht stimmen, dachte ich mir, weil ich Dinge sah, die andere Leute offensichtlich nicht sahen.“ Nachdem er den Song an einem spanischen Strand zu Ende geschrieben hatte, kehrte er nach England zurück und stellte ihn der Band vor. Toningenieur Geoff Emerick erinnert sich: „Für einen Moment war es komplett still, bis Paul beeindruckt sagte: ,Das ist brillant.‘“ Bis zu diesem Zeitpunkt war der Song eine akustische Ballade, die vage an Dylans „It’s All Over Now, Baby Blue“ erinnerte. Im Studio aber, nachdem die Beatles tagelang experimentiert hatten, entwickelte er ein eigenes Leben. Da die vier sich Monate zuvor von Live-Auftritten verabschiedet hatten, hatten sie nun die Muße, an dem Song zu feilen und in den nächsten zwei Wochen mehrere Versionen auszuprobieren. Das Intro komponierte McCartney an einem Mellotron, dem Vorläufer des Synthesizers. Lennon wollte unterschiedliche Aufnahmen kombinieren – ungeachtet der Tatsache, dass sie verschiedenen Tempi und Tonarten hatten …
Copyright: Fiona Adams/Redferns
Produzent George Martin löste das Problem, indem er die eine leicht beschleunigte und die andere verlangsamte – was den unheimlichen Tonfall von Lennons Stimme noch verstärkt und dem Song eine Atmosphäre surrealer Zeitlosigkeit verleiht. Die endgültige Version endet mit dem Auszug einer längeren Jam-Session, in deren Verlauf Lennon einmal „cranberry sauce“ sagt. Die „Paul is Dead“-Spinner sollten darin später „I buried Paul“ hören. „Strawberry Fields“ war die erste Aufnahme der „Sgt. Pepper“-Sessions. Die ungeahnten Möglichkeiten der neuen Studiotechnik, die auch der anderen Liverpool-Reminiszenz – McCartneys „Penny Lane“ – sichtlich zu Gute kamen, eröffneten neue Möglichkeiten. Auch die LSD-inspirierten, traumwandlerischen Texte schienen ein neues Kapitel aufzuschlagen. Die beiden Tracks sollten daher eigentlich das Herzstück des kommenden Albums werden, aber da EMI eine neue Single forderte (die letzte war bereits sechs Monate alt), wurden beide Songs im Februar 1967 als „Doppel-A-Seite“-Single veröffentlicht. Die Entscheidung, die beiden Tracks aus dem „Sgt. Pepper“-Kontext zu entfernen, bezeichnete George Martin später als „die größte Fehlentscheidung meiner ganzen Karriere“.
Auf dem Album: „Magical Mystery Tour“
Copyright: Cummings Archives/Redferns
2. „I Want To Hold Your Hand“
Autoren: Lennon/McCartney, Aufgenommen: 17. Oktober 1963, Veröffentlicht: 19. November 1963, 6 Wochen, Nr. 1
Als der euphorische Krach von „I Want To Hold Your Hand“ erstmals über den Äther ging, war Amerika noch gelähmt vom Kennedy-Attentat. Es waren schon früher Beatles-Songs über den Atlantik geschickt worden, aber bisher hatte keine englische Rock’n’Roll-Band auch nur ansatzweise den Fuß in die Tür bekommen. Die Beatles und Manager Brian Epstein hatten sich geschworen, die USA erst dann zu besuchen, wenn sie auf Platz 1 der amerikanischen Charts gelandet wären. Nach „I Want To Hold Your Hand“ war diese Voraussetzung gegeben. „Zum Glück hatten wir nur eine vage Vision und keine realistische Vorstellung von Amerika,,“, sagte Paul McCartney 1987 dem ROLLING STONE. „Ansonsten hätten wir die Hosen voll gehabt.“ Die Single war für die meisten Amerikaner die erste Begegnung mit Lennons und McCartneys Kompositionen, die den Song am Klavier von Pauls damaliger Freundin Jane Asher geschrieben haben …
„Ich erinnere mich noch an den Moment“, so Lennon später, „als wir auf den Akkordwechsel stießen, der den Song ausmacht. Wir hatten ,Oh, you-u-u/Got that someting‘, und plötzlich spielt Paul diesen Akkord. Ich drehe mich zu ihm um und sage: ,Das ist es.‘ Alle Songs aus dieser Phase wurden eigentlich genauso geschrieben: Wir schoben uns die Elemente gegenseitig zu.“ Der Song „war der Höhepunkt in der ersten Phase ihrer Entwicklung“, so Produzent George Martin. „Als sie mit Sachen wie ,Love Me Do‘ anfingen, klauten sie viel aus anderen Liedern. Erst als sie feststellten, dass sie selbst Songs schreiben können, wurde die Tür zu besseren Songs aufgestoßen.“ Die geballte Energie der Nummer wird von einem knackigen Rhythmus vorangetrieben, der so vertrackt ist, dass viele Cover-Bands beim Nachspielen kläglich scheitern. Die Stimmen von Lennon und McCartney wechseln ständig zwischen Einstimmigkeit und Harmoniegesang, jedes Element des Songs ist ein Hook in sich, von Lennons knalligen Riffs über Harrisons Gitarren-Intermezzi bis zum synkopierten Klatschen …
Copyright: Mark and Colleen Hayward/Redferns
Mit Vorbestellungen von einer Million Exemplaren wurde „I Want To Hold Your Hand“ Ende November in England veröffentlicht und verdrängte „She Loves You“ von der Spitze der Charts. Und als ein Teenager einen amerikanischen Radio-DJ überredete, die importierte Single vorzustellen, lief die Platte auch dort heiß – vorausgesetzt, man hatte eine der raren Importe auftreiben können. Aufgrund einer vorgezogenen Veröffentlichung kam die US-Single dann am Tag nach Weihnachten auf den Markt – und war am 1. Februar bereits die Nummer eins. Am 9. Februar traten die Beatles in der „Ed Sullivan Show“ auf – und lockten 70 Millionen Zuschauer vor den Fernseher, ein Rekord für die damalige Zeit. Aber nicht nur Teenager, auch etablierte Kulturgrößen wurden von der Beatlemania mitgerissen. Als Allen Ginsberg „I Want To Hold Your Hand“ erstmals in einem Club hörte, begann er spontan zu tanzen. Leonard Bernstein zog Parallelen zu anderen Künstlern: „Ich habe mich in die Musik der Beatles verliebt, in den Schubert-ähnlichen Fluss musikalischer Ideen, aber auch in diese „Fuck you“-Coolness, mit der sie als die vier Reiter unserer Apokalypse auftreten.“ Bob Dylan sah Großes für die Beatles voraus: „Sie wiesen die Richtung, in die sich die Entwicklung der Musik bewegen musste.“
Auf dem Album: „Past Masters“
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1. „A Day In The Life“
Autoren: Lennon/McCartney, Aufgenommen: 19. und 20. Januar, 3., 10. und 22. Februar 1967, Veröffentlicht: 30. Mai 1967, nicht als Single veröffentlicht
Als sie „A Day In The Life“ aufnehmen waren die Beatles auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, vielleicht war es sogar die gelungenste Kooperation zwischen Lennon und McCartney aller Zeiten: „Am ganzen Album, aber besonders an ,A Day In The Life‘ haben Paul und ich intensivst zusammengearbeitet“, sagte John Lennon dem ROLLING STONE 1970, als er die „Sgt. Pepper“-Phase rekapitulierte. Nach ihrem Konzert in San Francisco, am 29. August 1966, hatten sich die Beatles endgültig von der Bühne verabschiedet. Da in den kommenden Monaten kein neues Material veröffentlich wurde, vermehrten sich die Gerüchte, es würde kriseln. „Die Leute in den Medien behaupteten, wir seien ausgebrannt“, so McCartney im Rückblick. „Wir wussten aber nur zu gut, dass das Gegenteil der Fall war.“ Mit „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ lieferten die Beatles ein Album voller psychedelischer Visionen ab, wobei „A Day In The Life“ – am Ende des Albums platziert – den Untergang der Welt zu beschwören scheint. Lennon singt über Tod und Zerfall, und er tut es mit einer geradezu gespenstischen Stimme. Seine Vocals wurden im Studio mit einem Effekt verfremdet, den Lennon sein „Elvis-Echo“ nannte …
Eine Stimme über die Produzent George Martin im Jahr 1992 sagte: „Da läuft es dir eiskalt den Rücken herunter.“ Lennons Inspirationen kamen sowohl aus Zeitungen als auch aus seinem eigenen Leben: Der „lucky man who made the grade“ war Tara Browne, ein 21-jähriger Aristokraten-Sohn, der im Dezember 1966 bei einem Autounfall ums Leben kam; „The English Army had just won the war“ bezieht sich auf seine Filmrolle in „Wie ich den Krieg gewann“ – und in der „Daily Mail“ fand Lennon tatsächlich einen Artikel über die „4000 potholes in Blackburn, Lancashire“. Er selbst hatte das Grundgerüst des Songs geschrieben, war aber überzeugt, dass noch etwas Elementares fehlen würde. McCartney hatte ein Fragment in der Schublade, das mit den Zeilen „Woke up, fell out of bed“ begann. ,,Paul war wohl anfangs nicht so begeistert“, so Lennon, letztendlich trat McCartney aber nicht nur seine Zeilen ab, sondern lieferte auch die Idee, ein klassisches Orchester ins Studio zu holen. Die Session am 10. Februar wurde als Party inszeniert: Gäste wie Mick Jagger, Keith Richards, Marianne Faithfull und Donovan wurden dafür eingeladen, das Studio mit Ballons dekoriert und die Musiker mit Hüten, Pappnasen und Gorilla-Tatzen ausstaffiert …
Copyright: David Redfern/Redferns
Martin und McCartney, die dirigierten, forderten sie auf, mit der tiefsten Note ihres Instruments zu beginnen und auf der höchsten zu enden. Zwei Wochen später fügten die Beatles den finalen Geniestreich, den donnernden Piano-Klang hinzu, der 53 Sekunden lang drohend in der Luft hängt. Martin hatte etliche Klaviere ins Studio schaffen lassen, wo alle gleichzeitig den E-Dur-Akkord spielten, während Toningenieur Geoff Emerick die Regler aufriss, um auch noch die letzten Klangnuancen einzufangen. Die BBC hatte allerdings Probleme den Song zu spielen: kaum dass „A Day In The Life“ veröffentlicht war, kam er wegen der vermeintlich drogenverherrlichenden Zeile „I love to turn you on“ auf den Index. Nicht ganz zu Unrecht: „Als George Martin später eine TV-Dokumentation über ,Pepper‘ machte“, so McCartney rückblickend, „fragte er: ,Was genau hat eigentlich ,Pepper‘ ausgelöst?‘ Ich sagte: ,Drogen. Pot. Sgt. Pepper‘ war definitiv ein Drogen-Album.“ Der Song war für die regulären Radio-Programme aber ohnehin zu extrem, und so sollte es Jahre dauern, bis er gebührend gewürdigt wurde. Wie so oft waren die Beatles auch hier ihrer Zeit voraus.
Auf dem Album: „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“
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