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Wolfgang Doebelings 25 vergessene & verkannte Meisterwerke
Wolfgang Doebeling rückt herausragende wie vernachlässigte Alben aus allen Epochen ins rechte Licht.
Billie Holiday - Lady In Satin (1958). Charlie Parkers von Streichern umschmeichelte Aneignung moderner Evergreens wie „April In Paris“ oder „Summertime“ zehn Jahre zuvor war fraglos gewagter und blieb bis heute umstrittener, doch sorgte auch Lady Days Ausflug ins Plüschige für heftige Kontroversen. Legte man Parker zur Last, er improvisiere am Gängelband romantischer Gefühle und seine Ideen würden von üppiger Orchestrierung überwuchert, warf man Holiday vor, ihre stimmlichen Unzulänglichkeiten hinter einem Vorhang opulenter Arrangements zu verstecken ...
Billie Holiday – Lady In Satin (1958). Charlie Parkers von Streichern umschmeichelte Aneignung moderner Evergreens wie „April In Paris“ oder „Summertime“ zehn Jahre zuvor war fraglos gewagter und blieb bis heute umstrittener, doch sorgte auch Lady Days Ausflug ins Plüschige für heftige Kontroversen. Legte man Parker zur Last, er improvisiere am Gängelband romantischer Gefühle und seine Ideen würden von üppiger Orchestrierung überwuchert, warf man Holiday vor, ihre stimmlichen Unzulänglichkeiten hinter einem Vorhang opulenter Arrangements zu verstecken …
Wahr ist, dass die begnadete Stilistin in ihren letzten Monaten nicht mehr souverän über obere Register verfügte, zu ruinös für ihre Stimmbänder war ihr Lebenswandel, jedoch hatte ihre Phrasierungskunst kaum gelitten. Billie Holiday war ein Wrack, ihre Stimme brüchig und fragil, und doch zeitigt gerade das schmerzlich Antagonistische zwischen diesem hinfälligen Gesang und Ray Ellis’ gesund und gesammelt tönendem Klangkörper die erhebendsten Momente, etwa auf dem traurig-einsichtigen „I’m A Fool To Want You“ oder dem rückhaltlos intimen „The End Of A Love Affair“. So klingt Dämmerung, wenn die nahende Nacht kein Vergessen verspricht.
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Jack Scott – I Remember Hank Williams (1960). Dem Shakespeare der Country Music wurden ungezählte Alben gewidmet, darunter nicht wenige, die sich an den hehren Vorlagen vergingen, aber auch überragende, etwa von George Jones oder Del Shannon. Jack Scotts Interpretationen fallen in letztere Kategorie, vor allem, weil der 1936 in Kanada geborene, in Michigan aufgewachsene Sänger keinerlei Anstalten macht, neben Hanks Songs auch dessen musikalisches Vokabular zu übernehmen …
Scott kam vom Hillbilly, reüssierte mit Rockabilly, dann mit großen Balladen, und verfügte über eine Stimme, in der sich Schmelz und Coolness die Waage hielten, über ein Timbre, das von Trauer umflort schien und mit dem Tragischen vertraut. Elvis höchstselbst klingt oft darin an, kongenial zur urbanen Pop-Instrumentation, zum dezent untermalenden Chor, zu Hanks schwermütiger Poesie.
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Lee Hazlewood – Trouble Is A Lonesome Town (1963). Als diese für ihre Zeit ambitionierte Konzept-LP erschien, erregte sie durchaus Aufsehen, geriet indes schnell unter die Räder der britischen Invasion. Die Beatles, da war sich Lee Hazlewood sicher, hatten seine Platte ins Abseits gedrängt. Und dort fristete sie lange ein Schattendasein, nur Eingeweihten bekannt, von diesen aber kultisch verehrt und daher teuer gehandelt. Hazlewood war ein Glücksritter des Plattengeschäfts und bereits 34 Jahre alt, als sein erstes Soloalbum erschien …
Er war DJ, Songschreiber, Studiobetreiber, Soundtüftler und hatte Hits für Duane Eddy und Sanford Clark produziert, nun setzte er auf seinen radiobewährten, auratischen Bariton, als Erzähler. Merkwürdig finstere und makabre Geschichten sind es, die der Texaner sprechend und singend hörbar macht, über das Treiben im fiktiven Wildwest-Nest Trouble und dessen sinistre Bewohner wie den geiergleichen Bestatter, seinen Balsamierflüssigkeit schluckenden Indianergehilfen oder das allseits begehrte, aber frigide Flittchen.
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Lightnin’ Hopkins – Live At The Bird Lounge (1964). Die Bird Lounge war ein spartanischer Schuppen am Rande des Rotlichtviertels von Houston, das Publikum war vornehmlich weiß und jung. „Wir waren Beatniks, schätze ich“, erinnerte sich Townes Van Zandt, der dort oft zu Gast war, wenn Sam Hopkins auftrat. „Texanische Beatniks“, fügte er lachend hinzu, „das nennt man wohl ein Oxymoron.“ …
Lightnin’ Hopkins war Townes’ Lehrer, unterrichtete den Wissbegierigen unwissentlich in den Kernfächern Blues, Gitarre, Storytelling und Humor. Ganz vorne an der Bühne, so Townes, habe er seinem Vorbild jeden Griff, jeden dramaturgischen Dreh abgeguckt und jede Schrulle memoriert, die Hopkins meist launig zum Besten gab. Zu später Stunde aufgenommen, vor wenigen Bewunderern, bannt dieser Mitschnitt beides, die Atmosphäre der Location und die achtunggebietende Präsenz eines legendären Künstlers.
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Don Covay & The Goodtimers – Mercy! (1965). Es waren vor allem James Browns Bewegungen und Don Covays Gesang, die den jungen Mick Jagger inspirierten, als die Stones im gelobten Land erste eigene Erfahrungen sammelten. Also versuchte er, wie Brown über die Bühne zu tänzeln und traf auf „Mercy, Mercy“ Covays Ton so originalgetreu, dass daraus eine Hommage wurde …
Natürlich fügten die Stones ihrer Version noch hedonistisches Bravado hinzu und gehörig Rabatz, was Don Covays Vorlage vergleichsweise leidenschaftslos erscheinen lässt, doch das täuscht. Der Stilist aus South Carolina mag beherrscht zu Werke gehen und seinen Rhythm & Blues lieber schwelen als lodern lassen, besonders auf den langsameren Cuts seiner fabelhaften Debüt-LP, doch wenn es der Song verlangt, kann Covay auch knurren und beißen wie jeder würdige Vertreter des Southern Soul.
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The Hollies – For Certain Because … (1966). Nur halt jährlich ein paar Hits zu landen, reichte 1966 nicht mehr. Auch die erfolgsverwöhntesten Beat-Pioniere Britanniens mussten umdenken, wollten sie nicht als gestrig abgeschrieben werden. Musikalische Dynamik und die global verschärfte Konkurrenzsituation führten dazu, dass man „Aftermath“ und „Revolver“ etwas entgegenzusetzen hatte, eine LP also mit ausschließlich selbstgeschriebenem Material und zeitgemäß innovativer Klanggestaltung …
Manchesters Hollies brachten dafür „For Certain Because …“ an den Start, ein vorzügliches Album voller superber Songs, hinreißendem Harmony-Gesang, durchaus nicht ohne introspektive Momente und garniert mit Bläsern, Banjo und Glockenspiel. Allein, es ging den Hollies wie den Kinks mit deren „Face To Face“: Der erwartete zählbare Erfolg blieb ebenso aus wie die höheren Weihen der Kritik.
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Rick Nelson – Country Fever (1967). Rick Nelsons 66er-Ausflug in C&W-Gefilde titels „Bright Lights And Country Music“ gilt nicht von ungefähr als erster, schüchterner Flirt über den Graben zwischen zwei Lagern hinweg, die einander in Zeiten von Vietnamkrieg und Flowerpower alles andere als freundlich gesinnt waren. Noch ahnte niemand, dass die Byrds und Burritos diese Kluft bald waghalsig überwinden würden, noch konnte man nicht von einer Verschmelzung unterschiedlicher Musiktraditionen und Wertvorstellungen sprechen. Und doch war Nelsons Aneignung mehr als bloß opportune Annäherung, er ließ sich auf das Wesen dieser Songs von Merle Travis oder Willie Nelson ein, erspürte ihre Wahrhaftigkeit …
„Will you be doing more of this type of music?“, wurde er in den Liner Notes gefragt, und Nelson antwortete: „I hope I will, because I like it so much.“ Wenige Monate später bereits stand „Country Fever“ in den Plattenläden, eine vorsichtige Fortentwicklung, für die Nelson dieselbe Crew beschäftigte, Cracks wie James Burton, Clarence White, Glen Campbell und Glen D. Hardin. Wieder arrangierte und dirigierte Jimmie Haskell ingeniös das Streicher-Ensemble, wieder mischte Nelson einen eigenen Song unter die bewährten von Hank Williams oder Jimmie Rodgers, wieder stellte der Sänger seine Begabung unter Beweis, Rock und Country in seiner Stimme miteinander versöhnen zu können.
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Jerry Jeff Walker – Driftin’ Way Of Life (1969). Er hätte von den Royalties für seinen Jahrhundert-Song „Mr. Bojangles“ sehr lange sehr gut leben können, doch Jerry Jeff Walker war ein rastloser Fahrensmann, bevor er den Texaner in sich entdeckte und Mitte der Siebziger im Lone Star State Wurzeln schlug. „Driftin’ Way Of Life“ dreht sich um die Wanderjahre, zieht Lehren aus Beobachtungen und schreckt nicht vor dem einen oder anderen Rigorismus zurück …
„There is a right way, and there is a wrong way“, weiß Walker und überlässt seinen Songs die weitere Überzeugungsarbeit. Wie viele Folkies seinerzeit hatte es auch ihn nach Nashville gezogen, dorthin, wo man die besten Session-Musiker buchen konnte, erschwinglich zumal. So veredeln Dobro-Licks von Pete Wade und Flatpicking von David Bromberg diesen herrlich vagabundierenden Songzyklus, Charlie McCoys Harmonica tönt sehnsuchtsvoll und Jerry Jeff Walkers warme, tiefe Stimme umfängt den Hörer wie ein alter, vertrauter Freund.
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Fotheringay – Fotheringay (1970). Drei fantastische LPs veröffentlichten Fairport Convention 1969 wie in kreativem Rausch, das Tempo ihrer musikalischen Evolution war atemberaubend, vom amerikanisch geprägten Folkrock mit psychedelischen Pop-Ornamenten zum elektrifizierten, virtuos aufspielenden Ableger des britischen Folk-Revivals, von kontemporären Kompositionen zu uralten, mündlich überlieferten Weisen. Sandy Denny war darüber nicht glücklich, zum einen, weil ihr das abenteuerlich lose Zusammenspiel der Lead-Instrumentalisten nicht behagte, zum anderen, weil ihre eigenen Songs so nicht mehr zum Zuge kamen …
Also stieg sie bei Fairport aus, gründete mit Trevor Lucas Fotheringay und verwirklichte mit dem gleichnamigen Album ihre Vision musikalischer Schönheit und Transzendenz. Man kann verloren gehen in „The Sea“, sich wärmen an „Winter Winds“ und alle Skepsis fahren lassen bei „Peace In The End“. Das Ende der Band freilich war unfriedlich und kam plötzlich, als Sandy Denny – Einflüsterungen und kommerziellen Erwägungen folgend – Fotheringay verließ, ehe noch das zweite Album fertiggestellt war, um fortan Solo-Pfade zu beschreiten.
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
David Bromberg – Demon In Disguise (1972). So bärbeißig und bisweilen hartgesotten sich David Bromberg als Sänger ausnimmt, so skurril und frivol sich seine Geschichten anhören, alles entspringt lebensbejahender Bonhomie. Brombergs Durchhalte-Appell an den Malocher ist nicht ohne Zorn, seine Würfelspielmoral nicht ohne Bitterkeit, und wenn er sich lüstern nach einer Schlangenfrau verzehrt, die tanzen kann, „like her back had no bone“, verhöhnt er sich selbst, reiht sich ein in die lange Schlange der um ein wenig Lebensglück Betrogenen. War seine erste LP die Visitenkarte eines Saiten-Magiers, ist diese zweite ein erdiges, burleskes Vergnügen …
Wofür schon das Personal sorgt: An Brombergs Seite wirkt mit Jerry Garcia, Phil Lesh, Bill Kreutzmann und Keith Godchaux der halbe Grateful-Dead-Clan. Entsprechend organisch wachsen die Tracks, gewinnen an Statur, ohne je auch nur ein Gramm Fett anzusetzen. Ein „Medley Of Irish Fiddle Tunes“ bewältigt der Multiinstrumentalist live und solo per Akustik-Gitarre, ebenfalls live wagt er sich singend an „Mr. Bojangles“ und „Tennessee Waltz“, an veritable Klassiker mithin, und schließlich übernehmen Mandolinen die Rolle von Tut Taylors Dobro auf dessen Tune „Sugar In The Gourd“. Köstlich.
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Country Gazette – Don’t Give Up Your Day Job (1972). Die Evolution des Bluegrass hat Haken geschlagen und die unwahrscheinlichsten Kurven genommen, seit ihre große Blütezeit Mitte der Fünfziger zu Ende ging. Elvis Presleys Findung des Rockabilly in jenem denkwürdigen Sommer ’54 passierte zwar mittels Beschleunigung von „Blue Moon Of Kentucky“, einem Song des Bluegrass-Erfinders Bill Monroe, doch dessen Stil war nicht mehr gefragt. In den frühen Sixties waren es dann primär Westcoast-Folkies, die Monroes High Lonesome Sound für sich wiederentdeckten, Musiker wie Clarence White und Chris Hillman, Bands wie die Dillards, allesamt freilich längst in Sachen Country-Rock unterwegs, als sich die Dekade verabschiedete …
Aus diesem Dunstkreis rekrutierte sich das Line-up von Country Gazette, einer Art Supergroup des Bluegrass: Byron Berline an Fiddle und Mandoline, Alan Munde am Banjo, Kenny Wertz an der Gitarre und Roger Bush am Bass. Mit ihrer ersten LP, „A Traitor In Our Midst“, desavouierte das Quartett das Gerücht, Bluegrass sei mausetot, mit „Don’t Give Up Your Day Job“ wurde der schlagende Gegenbeweis erbracht. Als Vehikel für die fulminanten, oft halsbrecherisch virtuosen Hoedowns dienten auch Songs aus der Welt des Pop, darunter Graham Nashs „Teach Your Children“ und Stephen Stills’ „The Fallen Eagle“. Elton Johns „Honky Cat“ fiel gar auf die Füße, fand erst hier seine wahre Bestimmung.
Copyright: Tony Russell/Redferns
New Riders Of The Purple Sage – Brujo (1974). Als Country-Ableger der Grateful Dead gestartet, wo sich Jerry Garcia nach Herzenslust an der Steel-Guitar austoben konnte, emanzipierten sich die New Riders Of The Purple Sage binnen drei Jahren und sechs Alben vom Hippie-Cowboy-Image und mutierten zu einem eigenwilligen, unberechenbar quertreibenden Klangkörper mit einer Vorliebe für boshafte und bizarre Song-Charaktere. Solange Mastermind John Dawson das Material lieferte, waren es fiese Revolverhelden, gutherzige Saloon-Girls und ehrbare Outlaws, zu deren meist tragischem Ende Buddy Cage seine Pedal-Steel bitterlich jaulen lassen konnte. Als aber Skip Battin das Gründungsmitglied Dave Torbert nicht nur an Bass, Gitarre und Mikro ersetzte, sondern auch Songs beisteuerte, die er mit seinem nicht minder schillernden Partner Kim Fowley verfasst hatte, änderte sich der Kurs, erweiterte sich das Spektrum der Band …
Noch wurde zünftig den Zelluloid-Heroen Gene Autry und Roy Rogers tributiert, noch war Platz für Dawsons makabre Moritaten, noch hatte das patentierte Klangbild der New Riders wenig von seinem Wiedererkennungswert eingebüßt, doch nun tummelten sich die dubiosen Songhelden auch außerhalb des Wildwest-Habitats, waren Schmuggler am Amazonas oder Opfer bestechlicher Richter, die es nach Boston verschlug. Dazwischen erfreuen höchst gelungene Versionen des Don-Gibsons-Hits „Ashes Of Love“ und Bob Dylans „You Angel You“. Mit der Battin/Fowley-Zusammenarbeit „Neon Rose“ endet das Album ambivalent, zu wenig erfährt man über die Rumtreiberin, aufgetakelt und „only out for fun“, aber „easy money“ verschmähend. Den schlüpfrigen Klartext sparte sich Fowley vermutlich für die Runaways auf.
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Richard Digance – England’s Green And Pleasant Land (1974). Die an sich nicht ehrenrührige Eigenschaft, komödiantisches Talent zu haben, gereichte Richard Digance mehr zum Schaden als zum Nutzen. Bei Live-Auftritten erntete er Ovationen, kein Auge blieb trocken, wenn er auf Cockney schaltete und „Working Class Millionaire“ anstimmte. Doch dem angeheiterten Publikum hernach eine LP mit ernsten Songs zu verkaufen, mit lakonischen oder sardonischen, gestaltete sich schwierig …
Daher waren die Hallen voll, wenn der Performer aus dem Osten Londons auf Tour war, doch seine Platten liefen eher mäßig. Was besonders im Falle dieses Albums jammerschade ist, denn Digance weist sich darauf als Meister auch leiser Töne aus, als Sachwalter der Zukurzgekommenen, mit den Stilmitteln von Folk, Rock und Music Hall. Im Titelsong über Naturzerstörung konvergieren Wut und Resignation zu einem Gefühl der Ohnmacht: „England’s green and pleasant land is sinking/ There ain’t nothing green and pleasant two miles down/ So forget your dreams of understanding/ Rule Britannia’s losing ground.“
Copyright: RB/Redferns
Martin Carthy – Crown Of Horn (1976). Seine bahnbrechenden, dem Trad-Folk Virtuosität verleihenden, neue Ausdrucksmöglichkeiten eröffnenden Platten machte Martin Carthy in den späten Sechzigern, meist gemeinsam mit Fiddler Dave Swarbrick. Werke wie „Byker Hill“ oder „Prince Heathen“ sind jede Aufmerksamkeit wert, bekommen die aber auch, nicht nur in Folk-Zirkeln …
„Crown Of Horn“ dagegen wird schon deshalb die Kanonisierung verweigert, weil sich mit dem Synthesizer von Tony Cox eine Signatur zu Carthys Gitarre gesellt, die so gar nicht ins Trad-Bild passen will. Der Synth-Einsatz mag äußerst sparsam sein, ein schnarrender Komment nur hier und da, den uralten, oft malträtierten Songs gewiss nicht abträglich, doch kann halt nicht sein, was nicht sein darf.
Copyright: David Redfern/Redferns
Shoes – Black Vinyl Shoes (1978). Diese Aufnahmen entstanden in einem Wohnzimmer via Vierspurgerät und sollten eigentlich als Demo dienen. Doch dann war das Echo so überwältigend, dass man eine LP daraus machte, randvoll mit Hooks und von entwaffnender Unmittelbarkeit. „The album’s unusual sound quality is a result of the extreme limitations put on the band by the lack of expensive studio equipment“, lügt das Cover nicht. Brill!
Ron Wood – Gimme Some Neck (1979).Ob Bob Dylan in Gönnerlaune war und seinem Kumpel Woody nur gefällig sein wollte, als er dessen Version von „Seven Days“ zur besten erklärte, weiß niemand, vermutlich nicht einmal His Bobness selbst, aber dass er damit den Nagel auf den Kopf traf, darf festgehalten werden …
Nicht nur dieses herausragenden Tracks wegen ist „Gimme Some Neck“ Woods stärkstes Soloalbum. Natürlich war Keith Richards beteiligt, mit dem Wood dann die New Barbarians gründete, um „Neck“ auf die Bühne zu bringen. Auch Mick Jagger, Charlie Watts, Mick Taylor, Bobby Keys, Dave Mason und Ian McLagan tun mit, Woods Einsichten sind so lapidar wie nicht von der Hand zu weisen: „We All Get Old“.
Copyright: Michael Putland/Getty Images
The Zantees – Out For Kicks (1980). The Zantees lebten den Rock’n’Roll, gehörten aber nicht zur Rockabilly-Revival-Szene, sie lebten in New York City, doch lagen die Orte ihrer musikalischen Inspiration viel weiter westlich und südlich. Schlagzeugerin Miriam Linna hatte bei den Cramps getrommelt und erwarb sich mit Sänger Billy Miller unsterbliche Verdienste mit der Herausgabe des coolsten Fanzines aller Zeiten: „Kicks“ war das publizistische Pendant zu dieser LP, leidenschaftlich das Hohelied auf die wahren Helden des Rock’n’Roll singend.
Girls At Our Best! – Pleasure (1981). Das Gesangsregister von Judy Evans hatte seine Grenzen. John Peel liebte ihre Kopfstimme, in manchen Reviews wurde sie als ausdrucksarm geschmäht, uncharmant und ungerecht. Wie viel Ausdruck in Judys Gesang steckte, belegen die elf keineswegs eindimensionalen Tracks der ersten und einzigen LP von Girls At Our Best!, einer Gruppe, die das Ausrufezeichen bereits im Namen trug …
Und deren Songs ebenfalls mit Imperativ heranstürmten, was Fragezeichen nicht ausschloss. Das querdenkende Quartett aus Leeds hatte Punk verinnerlicht, klang aber wie keine andere Band und liebte es, Songtexte widersprüchlich anzulegen: „This is heaven, we will die of pleasure“, jauchzt Judy Evans im Titelsong kulturkritisch, „no measure of leisure.“
Copyright: Virginia Turbett/Redferns
Squire – Get Smart! (1983). Das Mod-Revival lag bereits in den letzten Zügen, was seine Anziehungskraft als Tribe betraf, doch stiftete es auch in den Jahren nachlassender Gravitation noch genug Identität, vermittelte hinreichend Stilgefühl, um dem Powerpop von Squire ein Gesicht zu geben. Mastermind Anthony Meynell war zwar die Restriktionen leid, die den Zusammenhalt der Szene erst ermöglichten, er hasste den Elitismus der In-Crowd, doch hätte seine universell geschneiderte Gitarrenpop-Konfektion, die auch den Beatles circa „Ticket To Ride“ und den Monkees circa „Alternate Title“ blendend gestanden hätte, schwerlich Abnehmer gefunden ohne das Mod-Zertifikat, in den finsteren Zeiten von Kajagoogoo und Haysi Fantayzee.
Martin Stephenson & The Daintees – Boat To Bolivia (1986). Über die Herkunft von Songideen in Liner Notes Auskunft zu geben, dort ihre Genese zu erklären, mag im Folk gang und gäbe sein, im Pop ist es die Ausnahme, erregt den Verdacht der Wichtigtuerei. Martin Stephenson wusste das, als er seine Beweggründe offenlegte und in einen historischen Kontext stellte. Folk und Pop dachte er zusammen, und die Daintees pendelten zwischen diesen Polen …
Ihre Musik daher Folk-Pop zu nennen, ist nicht falsch, gibt indes nicht die ganze Palette wieder, derer sich die Band aus Englands Nordosten bediente. Spuren von Country und Rock, Punk und Rockabilly, Show-Tunes und Singalongs durchziehen ihre Aufnahmen, stets songdienlich arrangiert, denn es ist Stephensons Kunst, die im Vordergrund steht. Nirgendwo eindrücklicher als auf Boat To Bolivia, emotional fordernd und geistig befriedigend. No mean feat.
Copyright: IM
Liz Phair – Exile In Guyville (1993). Er wirbelte vor 20 Jahren eine Menge Staub auf, Liz Phairs Gegenentwurf zu „Exile On Main Street“, dem überlegenen Monument des Rock’n’Roll. Ein eigenes Manifest sollte es werden, ebenso wild und wüst, jedoch aus unabhängig femininer Perspektive. Ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt war, aber im Scheitern eine Größe zeigte, an die erinnert werden muss, jetzt, wo sich der Staub längst wieder gelegt hat. Song für Song, so Phair damals, werde „Guyville“ dem Stones-Opus begegnen, ihm Track für Track die Stirn bieten, wie „Main Street“ über die vier Seiten einer Doppel-LP …
Was man dann zu hören bekam, als sich der Tonarm senkte, mag die Rolling Stones nicht gejuckt haben, war aber von einer manischen Intensität, die sofort in Bann schlug. Liz Phairs impressionistischer Angriff auf die Sinne schockiert, hier wird nichts sublimiert, Dämonen überall. Träume wie Ängste werden sexualisiert, doch schleicht die Song-Autorin dabei nicht um den heißen Brei, feiert die Nässe zwischen ihren Schenkeln, ist stolz eine „blow-job queen“. Freimütige Bekenntnisse, die freilich nichts Befreiendes haben, sondern Selbstanalyse sind, peinigend und decouvrierend. Und beinahe so absorbierend wie das andere, berühmtere „Exile“.
Copyright: IM
The High Llamas – Gideon Gaye (1994). Sean O’Hagan, Kopf der High Llamas, kennt seinen Brian Wilson in- und auswendig, kann jede Beach-Boys-LP zwischen „Pet Sounds“ und „Holland“ im Schlaf herunterbeten, weiß um die Geheimnisse mehrstimmigen Satzgesangs und die Idiosynkrasien Wilson’scher Melodieführung ebenso wie um die Studio-Kniffe, die es braucht, die Ingredienzien der Rezeptur in ein heilsames Mischverhältnis zu bringen …
Auf „Gideon Gaye“ gelingt ebendas: Gleißende Melodien scheinen auf, gleiten in den Hintergrund, Flöte und Glockenspiel treffen sich vor Panorama-Streichern, ganz allerliebst. Doch ist Brian Wilson nicht die einzige Inspirationsquelle, auch Bacharach-Weisen klingen an, und auf „Checking In, Checking Out“ glaubt man gar Steely Dan zu hören. Can’t be bad.
Copyright: IM
R.L.Burnside – Come On In (1998). Eigentlich ist Skepsis geboten, wenn tradierter Musik mit Technologie zu Leibe gerückt wird. Oft sind musikalische Taugenichtse am Werk, bestenfalls Tüftler, die gerade nichts Besseres zu tun haben. Auf dem Papier war das Konzept von „Come On In“ also wenig geeignet, Vertrauen zu wecken: Tom Rothrock, sonst eher mit Kinkerlitzchen von Beck oder Moby befasst, war angetreten, Delta-Blues mittels Sampling und Looping zu traktieren …
R.L.Burnside, 71 Jahre alt, hatte „keine Einwände“, wie er sagte, „’cause I didn’t know what they were talkin’ about“. Er tat, was er immer tat, jagte seine Riffs durch alte Amps, stampfte und hollerte, wie es von jeher zum guten Ton gehört in Mississippi, und war gespannt, was diese europäischen Jungs damit anstellen würden. Nun, Rothrock programmierte triphoppig, Alec Empire remixte einen Track technoid. Das Ergebnis? So gewöhnungsbedürftig wie großartig. Burnsides Kunst nimmt keinen Schaden, verliert nicht an Würde, gewinnt aber durchaus eine zusätzliche Dimension.
Copyright: PAUL BERGEN
Meg Baird, Helena Espvall, Sharron Kraus – Leaves From Off The Tree (2006). Auf dem Insert werden die Quellen für die Songs offenbart, die drei Grazien bedanken sich artig bei musikalischen Relais-Stationen wie Martin Carthy oder Michael Hurley, ganz so wie es sich bei einer properen Folk-LP gehört. Dabei entstammt keine der Sängerinnen dem Trad-Gewerbe, alle schreiben sonst eigene Songs, nicht selten mit Pop-Appeal.
Elisa Randazzo – Bruises & Butterflies (2010). The Red Krayola ist seit etlichen Jahren Lisa Randazzos gesangliches Experimentierfeld, was hier nur insofern relevant ist, als sie solo ganz anders geartete, ruhigere Singer/Songwriter-motivierte Musik macht, mit Country-Tupfern von Pedal-Steel und Dobro, zu kontemplativer Lyrik über des Lebens Licht und Schatten.
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