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Wolfgang Doebelings 25 vergessene & verkannte Meisterwerke
Herausragende wie vernachlässigte Alben aus allen Epochen. Mit Merle Travis, The Shadows und Rainy Day.
Merle Travis - The Merle Travis Guitar
Die bare Selbstverständlichkeit, mit der Merle Travis den Saiten seiner Gitarre diese unerhörten Töne entlockte, muss für weniger befähigte Gitarristen einschüchternd gewirkt haben. Die talentierteren begriffen sie als Herausforderung. "Merle zuzuhören, war schon ungeheuer inspirierend", so Chet Atkins, "seinen Fingern dabei zuzusehen, wie sie scheinbar anstrengungslos die Saiten zum Schwingen brachten, war Ansporn." Im Spiel von Travis trafen sich musikalische Traditionen, die einander eher fremd waren. Der melodische Twang des Country und der subversive Swing des Jazz wurden mit Verve und Virtuosität zum Tanzen gebracht, als "Travis Picking" bereichert diese stilbildende Technik seither den Musiker-Wortschatz.
Merle Travis – The Merle Travis Guitar
Die bare Selbstverständlichkeit, mit der Merle Travis den Saiten seiner Gitarre diese unerhörten Töne entlockte, muss für weniger befähigte Gitarristen einschüchternd gewirkt haben. Die talentierteren begriffen sie als Herausforderung. „Merle zuzuhören, war schon ungeheuer inspirierend“, so Chet Atkins, „seinen Fingern dabei zuzusehen, wie sie scheinbar anstrengungslos die Saiten zum Schwingen brachten, war Ansporn.“ Im Spiel von Travis trafen sich musikalische Traditionen, die einander eher fremd waren. Der melodische Twang des Country und der subversive Swing des Jazz wurden mit Verve und Virtuosität zum Tanzen gebracht, als „Travis Picking“ bereichert diese stilbildende Technik seither den Musiker-Wortschatz.
Am 1. Januar 1956 veröffentlicht, setzte Merles erste Solo-LP neue Standards für Studio-Sessions, nicht nur in Nashville. W.C. Handys Memphis wird von Hillbilly heimgesucht, Merles eigene Weisen könnten auf Baumwollfeldern gewachsen sein. Doch sind es weniger die Tunes aus Blues und Country, die begeistern, als die Reinheit des Tons, das superbe Timing und die schiere Musikalität des Pioniers aus Kentucky. It’s the picker, not the tune.
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Cannonball Adderley – Somethin‘ Else
Wer im Jazz zu Hause ist, weiß um Bedeutung und Brillanz dieses Albums und wird sich allenfalls, weil umstritten, über die Rolle im Unklaren sein, die Miles Davis hierbei spielte. War es eine konstitutive, eine führende gar? Den Jazz-Novizen, auch den neugierigsten, muss das zunächst nicht kümmern. Ihm aber sei diese durchweg faszinierende LP dringend empfohlen.
Hard-Bop und Cool begegnen sich auf höchster Ebene, die Solisten finden bei aller Elaboriertheit der Arrangements in blindem Verständnis zueinander. Adderleys Alt-Saxofon, Davis‘ Trompete und Hank Jones‘ Piano agieren und reagieren wunderbar empathisch, Art Blakey trommelt so frenetisch wie oft und so dezent wie selten, Bassist Sam Jones zeigt stets die nötige Präsenz, die Musik ist so raffiniert wie mitreißend. Somethin‘ else, indeed.
Copyright: David Redfern/Redferns
Lightnin‘ Hopkins – Lightnin‘ Hopkins
Als Sam Hopkins acht Jahre alt war, lernte er den Blues von Blind Lemon Jefferson, 20 Jahre danach hatte er den Blues gründlich durchlitten, weitere 20 Jahre später glaubte er nicht mehr daran, als Musiker eine Zukunft zu haben. Hopkins hatte ungezählte Platten gemacht, nicht ohne regionales Echo, doch befand sich Blues Ende der 50er Jahre auf dem absteigenden Ast.
Skeptisch zeigte sich der Texas-Blues-Veteran daher, als ihn Sam Charters in Houston aufsuchte, von der Blues-Affinität junger, weißer Folkies schwärmte und anbot, Aufnahmen zu machen. Aus dem Resultat der Session spricht dieser kluge Argwohn, passend zum doppelten Boden der Songs. Hopkins‘ Fingerstyle ist wie eh autark und beredt, zugleich melodiös und perkussiv. „See That My Grave Is Kept Clean“, fleht er in fatalistischer Bescheidenheit, nicht ahnend, dass ihm doch noch eine Zukunft blühen sollte.
Copyright: Jan Persson/Redfern
The Shadows – The Shadows
Diverse Hits hatten bereits bewiesen, dass Cliff Richards Backing-Band auch ohne den Star erfolgsträchtig war, mit auratischen Instrumentals wie „Apache“ oder „Kon-Tiki“. Ihre erste LP sollte indes ein Showcase musikalischer Vielseitigkeit sein, denn man wusste ja nicht, wie lange der patentierte Shadows-Sound noch ziehen würde. Was in den Abbey-Road-Studios dann entstand, war tatsächlich ein beachtliches Stilgemenge.
Natürlich setzte man auf die Fender-Strahlkraft von Hank Marvins Strat und Bruce Welchs Jazzmaster, atmosphärisch besonders schattig auf Hoagy Carmichaels „My Resistance Is Low“. Jet Harris und Toni Meehan durften auf „Nivram“ respektive „See You In My Drums“ solistisch glänzen, Joe Meeks Geist wehte durchs Studio und manifestierte sich klammheimlich in Effekten. Doch es wurde auch gesungen, mehrfach und mehrstimmig sogar, den Merseybeat der Searchers auf „All My Sorrows“ antizipierend, den der Beatles auf „Baby My Heart“.
Copyright: Harry Hammond/V&A Images/Getty Images
Geoff Muldaur – Sleepy Man Blues
Kann ein weißer Junge den Blues unter die Haut singen, ohne jegliche Erfahrung in Deprivation, nur mit „intellectual background“, wie es in den Liner-Notes heißt? Nein? „Sleepy Man Blues“ belehrt eines Besseren. Geoff Muldaur war gerade 20, als seine LP mit Interpretationen von Songs aus der Feder von Bukka White, Lonnie Johnson oder Sleepy John Estes in New York für Furore sorgte.
Weil mit Dave Van Ronk, Eric Von Schmidt und Fritz Richmond einige Szene-Platzhirsche darauf mitgewirkt hatten, vor allem aber, weil dieser Junge schlicht sensationell sang, kräftig und klagend, subtil und doch mit Autorität. „His plaintive, vibrato-laden voice is an exciting vehicle for country blues“, urteilte die „New York Times“ seinerzeit, John Hammond geriet über „beängstigende Frühreife“ ins Staunen.
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Manfred Mann – As Is
Vergessen wie „The Five Faces Of Manfred Mann“ von ’64 und wohl noch verkannter, gebührt „As Is“ hohe Anerkennung, weil es allen widrigen Umständen zum Trotz ein kleiner Triumph wurde. Die Band stand ohne Label da, war ihres Leadsängers verlustig gegangen, und das Publikum verlangte schon lange nicht mehr nach jazzinformiertem R&B. Zum Glück brachte der neue Vokalist Mike D’Abo ein paar eigene Songs mit, Shel Talmy gewährte Freiräume, und die nutzte man für zeitspezifische Klang-Kolorierung mittels Mellotron und Vibrafon.
Die Songs sind selbstreferenziell oder leicht spöttisch, zwischen Music Hall und Beat, da und dort mit naiven Psych-Anleihen. Eine Seelenverwandtschaft mit der gleichzeitigen Kinks-LP „Face To Face“ ist nicht zu überhören: Pop-Exzentrik mit Klassenbewusstsein und einer Tasse Tee.
Copyright: Richard McCaffrey/ Michael Ochs Archive/ Getty Images
Buffalo Springfield – Buffalo Springfield Again
Die umfangreiche Dankesgrußliste auf dem Cover beginnt mit Hank B. Marvin, einst erstes Idol von Neil Young. Die Tracklist eröffnet mit Youngs „Mr. Soul“, einem Song über Entfremdung und die Hohlheit der Star-Maschinerie zum Riff von „Satisfaction“. Der überragende Track, das von Jack Nitzsche orchestrierte, traumhaft-transzendenale Epos „Expecting To Fly“ ist eigentlich Neil Young solo, der finale und längste Track schließlich ist „Broken Arrow“, eine Suite in drei Akten, hochambitioniert und ebenfalls aus Youngs Feder. Selbst Richie Furays „A Child’s Claim To Fame“ erklärt sich erst als Replik auf Neils Song „I Am A Child“. Eine gefühlte Dominanz freilich nur, denn Young steuerte bloß drei der zehn Songs bei, Steve Stills derer vier, darunter mit dem Fuzz-Jazz-Juwel „Everydays“ und dem erdgebundenen, dann jäh auffliegenden „Bluebird“ immerhin zwei seiner besten.
Vor Kritikern fand die zweite Springfield-LP trotz der vielen Höhepunkte wenig Gnade. Die meisten erkannten auf mangelnde Kohärenz aufgrund zu großer Unterschiedlichkeit des Songmaterials, dabei sträflich das Spannungsmoment gering schätzend, welches in ebendieser Divergenz lag, im Clinch der Charaktere, in der Explosivität einer prekären Band-Chemie. Es krachte dann ja auch, die dritte Springfield-LP „Last Time Around“ war nurmehr Resteverwertung. „A disgraceful mess“, in den Worten eines rechtschaffen angespissten Neil Young.
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Aretha Franklin – Aretha Now
„The girl’s on a roll“, jubilierte Produzent Jerry Wexler, als nach einer Session in den New Yorker Atlantic-Studios den Tapes gelauscht wurde. Eine Untertreibung, denn Arethas Lauf mit fünf fabelhaften LPs in drei Jahren war beispiellos. Ihr erstes Atlantic-Album, „I Never Loved A Man The Way I Love You“, gilt zu Recht als ihr bestes, doch dichtauf folgt „Aretha Now“, das gleich eingangs wiederholt mit purem Genie wuchert.
„Think“ ist fulminant, ein aufpeitschendes Freiheitsfanal, woraufhin ein Stoßgebet für den Geliebten entwaffnet, „before I put on my makeup“. Franklins Fassung des Bacharach/David-Klassikers „I Say A Little Prayer“ ist ultimativ, ihre Aneignung von Sam Cookes „You Send Me“ oder Don Covays „See Saw“ jederzeit autoritativ. „She knows how to get to you“, behaupten die Liner-Notes. Noch so eine Untertreibung.
Copyright: Ron Galella, Ltd./WireImage
Nitty Gritty Dirt Band – Uncle Charlie & His Dog Teddy
Die Wurzeln der Nitty Gritty Dirt Band lagen eigentlich in Blues und Folk, in Vaudeville und Jugband-Burlesken, doch das „Sweetheart Of The Rodeo“ der Byrds veranlasste die kalifornischen Multi-Instrumentalisten, dieses neue Ding namens Country-Rock zu ergründen. „Was uns bei vielen Platten fehlte, war Spontaneität“, erklärte später Jeff Hanna, „ein Element der Überraschung.
Wir wollten die Rock-Rhythmen auflockern, mit traditionellen akustischen Instrumenten wie Fiddle, Mandoline und Banjo, zu einer Art Appalachian Mountain Surf Music“. Gewagt, gewonnen: Was das Quintett im Studio aus dem Ärmel schüttelte, klang abenteuerlich, ja bisweilen bizarr. Barock und Bluegrass, Rags und Rock’n’Roll fanden aufs Wunderlichste zueinander. Buddy Hollys „Rave On“ folgt einem Old-Timey-Backstep, danach intonieren Gitarre und Mandoline ein Fiddle-Tune. Auch zeitgenössisches Liedgut von Michael Nesmith und Randy Newman erfährt superbe Bearbeitung. Das eklektische Vergnügen gipfelt in einem magischen Moment, wenn Onkel Charlies Harmonica und Teddys begleitendes Jaulen aus grauer Vorzeit übergeht ins Jetzt von Jerry Jeff Walkers ansteckend walzerndem „Mr. Bojangles“. Ergreifend, jedesmal.
Copyright: Alan Band/Fox Photos/Getty Images
David Blue – Stories
Seinen Sturm und Drang lebte Stuart David Cohen aka David Blue in den Straßen und Clubs von New York aus, ein Folkie von vielen, zornig, poetisch, romantisch. Und irgendwann süchtig. Anfang der Siebziger versuchte er einen Neubeginn, als Singer-Songwriter, wie sich die Folkies nun nannten. Seine Songs bezogen sich nicht mehr auf gesellschaftliche Zustände, Blue sang über persönliche Siege und Niederlagen, mit einer Stimme, die sein bewunderter und bewundernder Namensvetter Leonard als „deep and sweet“ empfand. „Stories“ ist ein emotional absorbierender Song-Zyklus aus bösen Erinnerungen und guten Vorsätzen.
„I still have the tracks to remind me/ What life was like, high and wasted/ When I wanted to die“, beteuert er und beschließt die suizidale Reminiszenz lebensbejahend: „When you can’t go back no more/You know your life has been resumed.“ Die Musik hält Schritt mit dem Auf und Ab der Lyrik; Pete Jollys Akkordeon, Ry Cooders Slide-Girlanden und Jack Nitzsches Schmus-abweisende Streicher lenken nicht ab vom Eigentlichen: David Blues Purgatorium.
Copyright: Jorgen Angel/Redferns
The Beach Boys – Holland
Im Beach-Boys-Camp hielten die Egos einander eifersüchtig in Schach, für kreative Entfaltung fehlte es an Kraft und Konzentration, und um Brian Wilson in seiner Umnachtung zu erreichen, brauchte es mehr als gute Worte. Ein radikaler Ortswechsel, so Manager Jack Rieleys Spekulation, könnte inspirativ wirken und Brian aus der Depression reißen. Also verbrachte man den Sommer ’72 in Holland, wo im teuer nachgebauten Heimstudio tatsächlich eine ganze Reihe exzellenter Aufnahmen entstanden, ohne großes Zutun von Brian, der zwar widerwillig mitgeflogen war, sich aber vornehmlich mit einer gut zehnminütigen Petitesse titels „Mount Vernon And Fairway“ beschäftigte, die dem Album äußerlich blieb und als 7inch-Beilage verschenkt wurde.
Carl Wilson übernahm die Regie, steuerte selbst mit dem anti-kolonialistischen „The Trader“ den besten Song bei. Auch Bruder Dennis‘ herrlich rumorendes „Steamboat“ und das naturselige Heimweh-Epos „California Saga“ von Mike Love und Al Jardine überzeugen. Dasselbe lässt sich nur bedingt von „Leaving This Town“ behaupten. Obschon sich der ausufernde kompositorische Beitrag von Ricky Fataar und Blondie Chaplin schön ins Sequencing fügt und somit kaum stört, ist er doch eine Konzession an das seit Brians Ausfall angestrebte Konzept der Band als demokratischere, herrschaftsfreie Zone. Weil keiner der Tracks zur Single taugte, bestand Reprise auf geeigneter Ergänzung. So kam ein alter, halbfertiger Song von Brian Wilson zu späten Ehren, das wogende Album maritim verankernd: „Sail On, Sailor“.
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Old & In The Way – Old & In The Way
Die Evolution des Bluegrass schien zu Beginn der siebziger Jahre in Richtung Elektrik zu gehen, selbst die Dillards machten längst Country-Rock, als in San Francisco fünf befreundete Musiker mit Bluegrass-Background zusammenkamen, um gemeinsam ihrer Spielfreude Ausdruck zu verleihen. Alle hatten sie auch andere musikalische Interessen, alle hatten sie sich wegentwickelt vom klassischen Hoedown, alle hatten ihre eigene, besondere Stilgeschichte. Jerry Garcia mit den Grateful Dead, David Grisman und Peter Rowan mit Jugband-Folk oder Psychedelic Blues, und Vassar Clements auf halber Strecke vom Bluegrass zum Hillbilly-Jazz. Was beim Gipfeltreffen der Virtuosen an Banjo, Mandoline, Gitarre, Fiddle und Bass herauskam, war demgemäß nicht Bluegrass in Reinkultur.
Hier waren Freigeister am Werk. Garcias Improvisationslust und Grismans Dawg-Swing trafen auf John Kahns Standbass-Stoizismus und die Trad-Versiertheit von Clements und Rowan. Die hatten einst bei Bill Monroe Disziplin gelernt, integriert im rigiden Ensemble-Spiel der legendären Bluegrass Boys. Eine Tugend, auf die sie bei Bedarf zurückgreifen konnten, so auch am 8. Oktober 1973, als diese live auf Tape gemixten Aufnahmen in San Franciscos Boarding House vor kleinem, aber enthusiastischem Publikum entstanden. Ein phänomenales, völlig zwangloses Vergnügen fernab fader Traditionspflege, souverän Genre-Grenzen unterpflügend. „Panama Red“, Rowans frivole Heroisierung eines gesetzlosen Lüstlings, wird hier nicht im Galopp erzählt, sondern akustisch gezügelt, „White Dove“ und „Wild Horses“ klingen, als hätten die Stanley Brothers und die Rolling Stones sie aus demselben Holz geschnitzt.
Copyright: Michael Ochs Archives/Getty Images
Guy Clark – Old No. 1
Nie wieder werde sie ihre Harmonies an die Stimme eines Sängers schmiegen, schwor in tiefer Trauer Emmylou Harris, als Gram Parsons starb. Monate später schon wurde sie wortbrüchig, überwältigt von Guy Clarks Songs. Einige davon hatten zwar auf Platten von Jerry Jeff Walker oder Gary Stewart bereits für Aufsehen gesorgt, sie jedoch von diesem Hünen aus Houston selbst gesungen zu hören, in dessen rau-nasalem Texas-Twang, war etwas anderes. Clark machte nicht viele Worte, seine Lakonik lebte von der Genauigkeit der Beobachtung und der Nähe zu den Charakteren, die er besang.
Ausgestoßene und Herumtreiber bevölkern seine Songs, vergessene Alte und um Würde ringende Malocher, allesamt Verlierer auf die eine oder andere Art. „She just had to go to work and he just had to go“, so trennen sich morgens zum Weinen der Steel-Guitar die Wege einer alleinstehenden Kellnerin und eines ziellosen Vagabunden nach ein paar Stunden gestohlenen Glücks in betrunkener Umklammerung.
Copyright: Guy Clark Photo by Michael Ochs Archives/Getty Images
Sammy Walker – Blue Ridge Mountain Skyline
Den Freitod seines Freundes und Mentors Phil Ochs hat Sammy Walker nie verwunden. „Sing me your sweet ‚Changes‘ when I’m down and blue“, ruft er ihm beschwörend nach, „and I’ll treasure precious hours that I stole away from you.“ Ochs hatte den jungen Walker entdeckt und protegiert, hatte dessen erstes Album produziert und sich dann für immer verabschiedet, ohne Sammys beste Songs je gehört zu haben.
Rank Strangers – Rank Strangers
Ihren Moniker verdankte die Band um Chris Darrow und Robb Strandlund dem sagenhaften Bluegrass-Song der Stanley Brothers, doch war „High Lonesome“ nur eines von vielen Stilmitteln ihrer leider einzigen Platte. Auch in den Steinbrüchen von Trad-Folk und Country & Western, Honky Tonk und Rhythm & Blues bedienten sich die Rank Strangers, die Songs fanden sie im Nachlass der Sons Of The Pioneers, im Repertoire von George Jones oder auf Stax-Singles.
Slits – Cut
„Cut“ kam spät, post-Punk. Zu spät, um den anarchischen Wahnwitz und die nackte Wildheit einzufangen, die Slits-Gigs zuvor ausgezeichnet hatten. Gerade rechtzeitig aber, um beim Erkunden der Punky-Reggae-Dub-Ästhetik zur Avantgarde zu gehören und schon ein wenig Agit-Funk zu proben.
Dub-Crack Dennis Bovell wurde an die Controls gesetzt, mit Budgie übernahm ein Metronom die Beats-Abteilung. Der Widerspenstigen Zähmung? Nein, die auf dem Cover in Schlamm gekleideten Amazonen hatten nun aber ein rhythmisch belastbares Gerüst, von dem aus sie ihre Erkenntnis schleuderten, voller Verachtung für alle „Typical Girls“ im Kaufrausch, wo doch „Shoplifting“ das Gebot der Stunde war.
Copyright: Ebet Roberts/Redferns
Justin Trouble – Justin Trouble
Kein schützender Szene-Schoß bot ihm musikalisches Heimrecht, keine In-Crowd von New York City nahm ihn als einen der Ihren an. Justin Trouble setzte sich zwischen alle Stühle, er hatte ein Image-Problem. Statt exklusiv Punk, Power-Pop oder Rockabilly zu exerzieren, nutzte er die Essenz dieser Stile für seine Musik, ließ sie kollidierend verschmelzen, schrieb für das heiße Konvolut kongeniale Songs mit jeder Menge Hooks und nahm siebzehn davon für seine erste LP auf, die Guitar-Bass-Drums-Phalanx nur qua Saxofon durchbrechend.
Rainy Day – Rainy Day
Ein funkelndes Kleinod des Paisley Underground, unzeremoniell aufgenommen von Mitgliedern szeneprägender Bands: Bangles, Rain Parade, Three O’Clock, Dream Syndicate. Man wollte nur einigen Lieblingssongs Tribut zollen, so die Protagonisten des außerordentlichen Projekts, mit einfachsten Arrangements, ohne produktionstechnischen Aufwand.
The Colour Field – Virgins And Philistines
Den sinistren Drive der ersten Single „The Colour Field“ fand man nirgendwo auf „Virgins And Philistines“, dafür jedoch andere Qualitäten. Was Terry Halls neues Trio hier bot, war weit entfernt vom burschikos-konfrontativen Pop der Fun Boy Three, vereinte auf unerhörte Weise Poesie und Misstrauen, Melancholie und Zynismus.
„Castles In The Air“ romantisiert die Vergänglichkeit von Gefühlen in der Latin-Lounge, während sich in „Take“ Halls Stimme säurehaltig durch den Flausch akustischer Gitarren ätzt. Der pastorale Ton ist Camouflage, Gleichmut meint Grausamkeit: „Fur coats on ugly people, expensively dressed up to kill/ In a sport that’s legal in the minds of the mentally ill.“
Copyright: Hayley Madden/Redferns
Because – Mad Scared Dumb And Gorgeous
Eine so sublime wie obskure Sammlung von Popsongs über gescheiterte Beziehungen und Brian Wilson. Eigentlich geht es im Titelsong um mehr als den „stranger on the shore“, es geht ums Krepieren im Krieg, um unüberbrückbare Abgründe. Because nannten die langjährigen Freunde Chris Ingham und Jim Irvin ihr kurzlebiges Duo: Weil diese Lieder Gehör finden mussten. Im Heimstudio, „on a shoestring budget“, verkniff man sich jede Extravaganz, arrangierte streng songdienlich.
Oasis – Be Here Now
Auf „Morning Glory“ konnten sich alle einigen, die Weltherrschaft winkte, doch Oasis wollten mehr. Ein gewaltigeres, noch imposanteres Monument wurde in Angriff genommen, präpotent und vollgedröhnt, ohne Maß und Muse. Ein Gitarrensturm braust auf, Helikopter-Donner und manisches Feedback verdichten sich apokalyptisch. „All my people right here, right now“, sammelt der Tribun die Getreuen, „d’you know what I mean?“. Eine rhetorische Frage, die Antwort gibt er selbst: „Yeah, yeah“.
Dies war keine museale Veranstaltung, sondern der gottverdammte Turmbau zu Babel, Schicht für Schicht aufgetragen, Spur um Spur hochgezogen, mehr Limiter, mehr Loops, mehr Reverb. Natürlich verprellte „Be Here Now“ die Freunde gefällig-beatlesker Liedkunst.
Dabei schlägt „Stand By Me“ nicht nur melodisch „Wonderwall“ um Längen, und „All Around The World“ wuchert mit Streichern, lässt keinen Sound von ’67 unzitiert. Dazu setzt es dynamischen Slide-Blues, brachialen Boogie und verwegene Riffs, kompromisslos in einen monolithischen Mix gesperrt. Nichts für Saturierte mithin, Noel Gallagher geht zu „Be Here Now“ gern auf Distanz. Little does he know.
Copyright: DPR
Mark Lanegan – Scraps At Midnight
Mehr Morricone als Duane Eddy, bereitet der Twang von „Hospital Roll Call“ einen Untergrund wie Treibsand, in dem der Patient zu versinken droht. „Sixteen“, grummelt Lanegan, sonst nichts. Auch das „Hotel“ gewährt keinerlei Komfort, der Gast horcht in sich hinein und muss erkennen: „Everything inside is dead.“ Wie Mark Lanegans rostige, nichts Gutes verheißende Stimme kennt auch seine Themenpalette kaum helle Farben.
Es geht um Entzug und die scheußlichen Begleitumstände, um „cold chills and shakes“, um quälende Seelenspiegelung und latenten Lebensüberdruss. Ebenso lichtlos dräut die Musik, nur selten dringt ein Hoffnungsstrahl durchs Dickicht, in einem warmen Sax-Ton, in melancolischem Piano-Pastell oder im mitfühlenden Hallo einer Harmonica.
Freakwater – End Time
Um die Trübsal des Lebens und seine Endlichkeit drehen sich die Songs von Catherine Ann Irwin und Janet Beveridge Bean, der Tod ist allgegenwärtig, das Schicksal stets bestrebt, den Weg des Menschen von der Wiege bis zur Bahre eng zu bemessen und tragisch zu gestalten. Es sind morbide Songs mit archaischem Twist, gesanglich gekleidet in Harmonies, die ob ihrer Schönheit betören und ob ihrer Zerrissenheit nachhaltig verstören.
Aaliyah – Aaliyah
„It ain’t just rhythm and blues“, haucht Aaliyah in „Loose Rap“ zu aquatisch gurgelnden Electronica und gewieften Beats und entgrenzt damit nicht nur eine geschlechtliche Begegnung im Songtext, sondern auch das Stilgefühl ihrer Musik. „Aaliyah“ akzentuiert Soul oder Pop, Funk oder HipHop, je nach Vorliebe des Studiopersonals. Rapture, Bud’da und Missy Elliott hinterließen Soundspuren, doch trägt das Album vor allem den Stempel von Timbaland.
Seine Audio-Skills sind es, die Aaliyahs hinreißende vokalistische Verführungsarien glamourös und avant-tönerisch rahmen, von „We Need A Resolution“, einem Thriller über Beziehungs-Yin-Yang, bis zum überragenden, mittels Sexiness aufmunternden „Try Again“. If at first you don’t succeed …
Copyright: Kevin Mazur/WireImage
Julia Holter – Tragedy
So asexuell, pompös und kunstbeflissen das Konzept, so musikalisch befriedigend ist das Hörerlebnis. Es braucht indes Zeit und die Bereitschaft, sich von ein paar liebgewonnenen Vorurteilen zu trennen, um Julia Holters Elaboration aus Ambient-Äther, Klassik-Collagen, mäandernden Synths, schwer definierbaren Naturgeräuschen und elektronisch verfremdeten Stimmen goutieren zu können. Vocoder, my ass.
Ganz abgesehen von der Bürde, beim Hören das griechische Altertum mitzudenken: Euripides‘ „Hippolytos“! Keuschheit, Scham, Rachsucht, Erhängen! Die Willkür der Götter! Holters Musik dazu ist selten detailliert, sie fließt, zerfließt dissonant, findet zu Takt und Harmonie zurück; Stimmen murmeln, säuseln, prononcieren. Nähert sich Holter dem Pop, drängen sich Parallelen zu Laurie Anderson auf, doch verbietet „Tragedy“ bequemes Etappenhören, erst im Kontext offenbart sich die Faszination.
Copyright: Jordi Vidal/Redferns via Getty Images
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