Eastwood

Er liebt Jazz und verfilmte das Leben des Trompeters Charlie Parker. Nun hat Clint Eastwood sich Frankie Valli und den Four Seasons gewidmet. Sein Film "Jersey Boys" erzählt die Geschichte des italo-amerikanischen Pop-Quartetts - und der Regisseur von seiner Leidenschaft für Musik

Seine Schauspielkarriere nahm gerade Fahrt auf, als Frankie Valli und die Four Seasons Anfang der Sechziger ihre ersten Hits feierten. Clint Eastwood, inzwischen auch als Regisseur hoch respektiert, schätzt zwar eher Jazz als Pop, hat mit „Bird“ bereits das Leben von Charlie Parker verfilmt, war aber trotzdem Feuer und Flamme, als man ihm die Adaption eines Musicals anbot, das den kometenhaften Aufstieg der Four Seasons erzählt. Ursprünglich hatte er ein Remake von „A Star Is Born“ ins Auge gefasst, doch als sich das Projekt nicht realisieren ließ, war das Broadway-Musical „Jersey Boys“ die perfekte Alternative.

Der 84-jährige Regisseur sah sich diverse Produktionen des Musicals an – immer auf der Suche nach den unentdeckten Talenten, die ihm für seine Verfilmung vorschwebten. John Lloyd Young, Erich Bergen, Michael Lomenda und Vincent Piazza spielen nun die vier Jungs, die aus ärmlichen Verhältnissen kommen, dann aber eine der erfolgreichsten Popbands ihrer Generation werden.

In Manhattan, von New Jersey nur durch den Hudson River getrennt, spricht Eastwood über sein Interesse an den „Jersey Boys“ – und was einen geborenen Westküstler wie ihn an der italoamerikanischen Kultur der Ostküste fasziniert.

Warum dieser Film?

Er bot sich einfach an. Lustigerweise hatte ich im Laufe der Jahre zwar viel über das Musical gehört, aber nie eine Aufführung gesehen. Als jemand mich fragte: „Hättest du Lust auf die Verfilmung?“, sagte ich: „Ich hätte zumindest Lust, mich mit dem Thema eingehend zu beschäftigen.“ Sie schickten mir ein Drehbuch, das von einem exzellenten Schreiber stammte – und mir wurde erst später klar, dass das Drehbuch gar nichts mit dem Musical zu tun hatte. Nur in Hollywood kommt man auf die Idee, nicht auf ein erfolgreiches Script zurückzugreifen, sondern lieber etwas ganz Neues zu machen. Ich sah mir dann in New York, San Francisco und Las Vegas drei verschiedene Theaterversionen an, erlebte diese wundervollen Schauspieler – und das war’s.

Stimmt es, dass Sie einmal sagten: Wer sich nicht neu erfindet, stirbt?

Ich weiß nicht, ob ich es so drastisch formuliert habe. Irgendwann sterben wir alle mal. (lacht) Aber es stimmt schon: Ich möchte Veränderung in meinem Leben – immer noch. Ich möchte nicht stehen bleiben oder rückwärts gehen. Ich möchte noch immer lernen.

Und das ist der Grund, dass Sie mit 84 noch immer Filme machen?

Es ist ganz einfach: Sie haben mich noch nicht weggejagt, sie haben mir noch nicht gesagt, ich solle den Hut an den Nagel hängen. Filmemachen ist kein Zuckerschlecken, aber für einen guten Fight bin ich immer noch zu haben. Ich mag es, Probleme aus dem Weg zu räumen. Vielleicht ist es das, was sich nie ändern wird.

Haben Sie es in Hollywood leichter, weil Sie Clint Eastwood sind?

Sie denken wohl, man hätte dort mit einem alten Trottel etwas Nachsicht, richtig? Nein, so läuft es nicht. Wenn du keinen finanziellen Erfolg ablieferst, hast du Probleme in diesem Geschäft. Aber ich lasse mich nicht runterziehen, sondern komme einfach immer wieder zurück. Soll doch ein junger Punk versuchen, mich zu verscheuchen. Ich werde ihm schon zeigen, was eine Harke ist. (lacht)

In Ihnen scheint noch immer ein bisschen „Dirty Harry“ zu stecken

Natürlich tut es das. Alle Rollen, die ich in meinem Leben gespielt habe, haben irgendwie ihre Spuren hinterlassen.

Hat Hollywood den Respekt für die ältere Generation verloren?

Gute Frage. Ich denke, dass in einem jugendfixierten Land wie Amerika Alter und Lebenserfahrung grundsätzlich nicht viel zählen. In Hollywood dreht sich alles immer um das nächste große Ding – und daran wird sich wohl auch nichts ändern. Und ich bin mit Sicherheit nicht gerade das nächste große Ding.

Sie waren Zeit Ihres Lebens ein Musikliebhaber. Wie wichtig ist Musik heute für Sie?

Extrem wichtig. Musik hat mich durch die Jahrzehnte meines Lebens begleitet. Musik beruhigt mich und gibt mir den inneren Frieden. Musik ist immer einer Reflexion deiner Persönlichkeit.

Kennen Sie Frankie Valli?

Ich lernte ihn vor Jahren einmal flüchtig kennen und traf ihn dann noch mehrfach. Ich war nicht unbedingt ein glühender Fan der Musik aus dieser Ära, weil ich schon früher andere Vorlieben entwickelt hatte. Aber ich mochte die Four Seasons durchaus -ihre Musik war um einiges besser als die ihrer Zeitgenossen. „Can’t Take My Eyes Off You“ war ein klassischer Song, der auch in den Dreißigern und Vierzigern ein Hit hätte sein können – eigentlich zu jeder Zeit. Ihre Musik war einfach ein großer Spaß. Und die Arbeit am Film war ebenfalls eine sehr angenehme Erfahrung. Ich arbeitete nun mal mit den Schauspielern, die das Musical im Laufe der Jahre zu allererst zum Leben erweckt hatten.

Ihr Film beschäftigt sich auch mit den rassistischen Ressentiments, die damals in New Jersey virulent waren. War das ein Aspekt, der Sie an der Geschichte besonders gereizt hat?

Im Falle von (Four-Seasons-Mitglied) Tommy De-Vito gab es diese Aversionen gegen Italo-Amerikaner mit Sicherheit – und sie waren auch nicht auf bestimmte Nachbarschaften beschränkt. Erfolg war die Triebkraft für diese Jungs, ihrer Umgebung zu entkommen. Nur raus aus der Nachbarschaft – zu diesem Thema gibt’s im Film einige Szenen.

Hatten Sie vorher schon mit dem Gedanken gespielt, sich noch einmal an einem Musikfilm zu versuchen?

Ich wollte ursprünglich ein Remake von „A Star Is Born“ machen. Ich liebe die Verfilmung mit Fredric March und Janet Gaynor und wollte eine Version machen, die sich des Themas aus heutiger Sicht annimmt. Als dann das „Jersey Boys“-Projekt am Horizont auf kreuzte, ging ich zum Chef des Studios, das bereits mit dem Gedanken einer Verfilmung gespielt hatte, sich dann aber anders entschied. Ich sagte: „Warum lehnt ihr das Thema ab? Es ist doch ein unglaublich populäres Musical, das noch immer auf dem Spielplan steht. Irgendwas muss an dem Thema doch dran sein.“ Das Projekt drängte sich einfach auf – was aber nicht bedeutet, dass „A Star Is Born“ völlig aus der Welt ist.

Wenn man nicht mehr wegen des Geldes arbeiten muss und nur noch das macht, was einem Spaß bereitet – was für ein Gefühl ist das?

Wer sagt Ihnen, dass ich kein Geld mehr verdienen muss? Nein, im Ernst, das Leben hat es gut mit mir gemeint – es gibt keinerlei Grund zu klagen. Und um Ihre Frage zu beantworten: Es ist ein ganz wunderbares Gefühl. Mit dem Alter kommen andere Probleme, nicht zuletzt gesundheitliche. Dein Körper mag nicht mehr deinen Befehlen gehorchen. Aber irgendwie kratzt man die Kurve. Man hat auch nicht gerade viele Alternativen.

Sie schauen aber ungemein fit aus. Womit halten Sie sich in Form?

Indem ich kubanischen Zigarren möglichst aus dem Weg gehe und auf dem Golfplatz laufe statt mit dem Wägelchen zu fahren. Und ich mach jeden Tag ein Nickerchen. Schlaf ist das Beste, was ich in meinen Sechzigern entdeckt habe.

Wie setzt man ein Musical um, ohne den biografischen Aspekt der Story zu kurz kommen zu lassen? Was waren die größten Herausforderungen?

Ich würde es nicht mal als Herausforderung bezeichnen. Man lässt die Geschichte einfach atmen. Es ist ein wunderbares Musical, aber ich habe einen etwas realistischeren Ansatz gewählt. Im Theater stellt der Schauspieler die Stühle auf den Tisch und verlässt die Bühne. Es gibt viele Sachen, die man für einen Film nicht übernehmen kann. Ich lasse der Story einfach etwas mehr Raum und wähle einen realistischeren Ansatz.

Mit welchem der Four Seasons können Sie sich am meisten identifizieren?

Ich habe versucht, mich mit der ganzen Geschichte zu identifizieren. Ich wuchs in Oakland in einer Gegend auf, die zur Hälfte aus Italo-Amerikanern bestand. Entsprechend auch auf der Schule. Insofern glaube ich, mich mit den Umständen ganz gut auszukennen. Ich hatte eine Menge Freunde, die ich „Dago“ („Spaghetti“) rief. Statt „What A Difference A Day Makes“ sangen wir immer „What A Difference A Dago Makes“. Es aber natürlich alles andere als politisch korrekt, aber es war eine freundschaftliche, liebenswerte Zeit. (lacht) Und in jedem Fall bekam man ein Gespür dafür, dass die Italo-Amerikaner in der Nachbarschaft wie Pech und Schwefel zusammenhielten.

Und diese Erfahrungen haben Sie dann in den Film integriert?

Wir haben sie zumindest anklingen lassen. Man muss schon aufpassen, wenn man Klischees über die italienische Gemeinde verbreitet. Wenn man sich einmal bei ihnen unbeliebt gemacht hat, ist man fürs Leben gezeichnet. Wobei ich nicht weiß, ob das auch heute noch der Fall ist. Aber ich konnte die Situation jedenfalls nachvollziehen, weil meine damaligen Freunde in Oakland genauso tickten. Als ich dann nach New Jersey kam, stellte ich allerdings fest, dass man dort sogar eine Straße nach Tommy DeVito benannt hat. Nach mir hat in Oakland noch niemand eine Straße benannt. (lacht)

Zumindest haben Sie eine kleine Cameo-Rolle im Film.

Sie meinen meine Hitchcock-Szene? Das war Erich Bergens Vorschlag. Wir sprachen über eine Szene, in der er gerade fernsieht -und man sieht im Fernsehen „Rawhide“(Eastwoods frühe TV-Serie). Ich dachte mir: „Ja, das passt ganz gut.“ „Rawhide“ war mein Durchbruch, nachdem ich bis dahin nur wenig attraktive Minirollen bekommen hatte. Durch die Serie bekam ich die Chance, überhaupt weitere Erfahrungen machen zu können.

Wie würden Sie denn nun die Erfahrung beschreiben, einen Film über Popmusik gemacht zu haben?

Ich liebe Filme über Musiker – oder Sänger in diesem Fall. Dieser Film war ein Kinderspiel, weil die Jungs alle so unkompliziert waren. Beim Besuch der Broadway-Show bekam ich sogar Beifall, als ich zur Toilette ging – wahrscheinlich das erste und letzte Mal, dass mir diese Ehrung widerfuhr. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade Michael Lomenda verpflichtet, der Nick Massi spielt. Auf Erich kam ich über Bob Gaudio. Ich fragte ihn, welcher Schauspieler ihn bei den Bühnenshows am überzeugendsten gespielt habe – und er sagte ohne Zögern: „Erich“.

Und wie kamen Sie letztlich auf John Lloyd Young, der Frankie Valli spielt?

Als ich ihn erstmals auf der Bühne erlebte, hatte ich schon drei verschiedene Versionen von „Jersey Boys“ gesehen. Es waren alles gute Schauspieler, aber mit ihm war das Team perfekt. Seine 1200 Aufführungen – das ist eine Erfahrung, die man nicht kaufen kann. Ich hatte einfach Glück. Nach dem Drehbuch ist das Casting das A und O eines Filmes. Wenn man beim Casting eine glückliche Hand hat, fügt sich alles wie von selbst zusammen. Anderenfalls wird es ein steiniger Weg.

Was war im Rückblick denn ausschlaggebend dafür, dass Sie das Projekt erfolgreich abschließen konnten?

„Ich wäre lieber glücklich als gut“, sagt ein altes Sprichwort. Ich hatte einfach das Glück, diese Schauspieler vorab auf der Bühne sehen zu können. Man sagt sich: „Okay, besser wird’s nicht mehr.“ Wenn ich eine derartige Familie zusammenbekomme, kann ich mich schon sehr, sehr glücklich schätzen. Aber ich verneige mich auch vor den Drehbuchautoren (Marshall Brickman und Rick Elice). Der Regisseur interpretiert, die Schauspieler interpretieren. Das man bei null anfangen kann und daraus etwas macht, ist immer ein kleines Wunder für mich. Ich war einfach glücklich, mit diesem Material arbeiten zu können.

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Ausgewählt und kommentiert von Maik Brüggemeyer

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