WIE BLÖD MACHT KIFFEN?
Es war Freitag Nachmittag um drei, als die Berliner Fotografin Carolin Saage in ihr Studio lud, wo eine 60 Zentimeter hohe, leicht bedrohlich wirkende Glasbong auf dem Tisch wartete. „Haschisch oder Gras?“, fragte der Fotoassistent die sechs bekennenden Kiffer, und dann wurde Bong um Bong angezündet und Rauch in die Kamera geblasen. Entstanden sind Bilder, die Gesichter im Cannabisrausch zeigen: vernebelt, verschallert, veralbert. Noch nie hatte die Fotografin eine Produktion erlebt, bei der so viel gelacht wurde. Und selten war ein Büffet so schnell leer gegessen worden.
A ls am 1. januar dieses jahres um 8 uhr morgens in Denver, Colorado, USA, die ersten Marihuanageschäfte öffneten, standen die Menschen in langen Schlangen davor. Es war kalt und es schneite. Ein Mann war extra aus Texas angereist, ein anderer aus New Mexico, und eine junge Frau hatte acht Stunden im Auto verbracht, nur um dann mit dem Gras, das sie ergatterte, im Hotel zu verschwinden. Am Rande der Schlange wurden Burritos an die Wartenden verkauft, 50 Stück in einer halben Stunde. Aber nicht nur Potheads euphorisierte die neue Einkaufsmöglichkeit, auch die amerikanische Börse zeigte heitere Reaktionen: Die Papiere eines Unternehmens, das Lampen für den Anbau von Hanf herstellt, stiegen von 0,04 auf 0,18 Dollar. Und das „Handelsblatt“ wusste zu berichten, dass der Kurs der Firma Tranzbyte Corp., die in Colorado Marihuana verkauft, sich in diesem Jahr schon um unvorstellbare 2.383 Prozent verbessert habe.
Wie in 19 anderen US-Staaten auch war der Verkauf von medizinischem Cannabis auf Rezept schon seit Längerem erlaubt -doch dann hatten die Bewohner Colorados in einem Referendum dafür gestimmt, dass auch mehr oder weniger gesunde Kiffer über 21 Jahren legal Gras kaufen dürfen. Alle. Und einfach so. Auch in Washington stimmten die Menschen jüngst für die Legalisierung, auch dort werden in diesem Jahr die Stoner ihr Pfeifchen ungestraft stopfen können. Dass bald noch weitere Bundesstaaten folgen werden, gilt als sicher. Darauf hoffen nicht nur Konsumenten, sondern auch Geschäftsleute, die den Duft des großen Geldes riechen und sich bereits an das Ende der Alkoholprohibition vor 80 Jahren erinnert fühlen. Nicht ganz zu Unrecht – auch wenn man in Colorados Nachbarstaat Utah wegen eines Joints noch immer im Knast landet.
WIE LÄUFT DAS GESCHÄFT MIT DEM CANNABIS?
In Denver soll es heute bereits mehr Cannabis-Shops als McDonald’s-und Starbucks-Filialen geben. Allein im Januar brachte die Legalisierung Colorado 2 Millionen Dollar an Umsatz-und Gewerbesteuer ein. Das ist deutlich weniger, als die Enthusiasten gehofft hatten -bei geschätzten 14 Millionen Dollar Umsatz mit dem Gras-Verkauf. Allerdings: Bisher durfte das Geschäft mit Cannabis nur in bar abgewickelt werden. Mittlerweile ist es US-Banken – unter bestimmten Auflagen -aber erlaubt, auch Konten von Cannabis-Händlern zu führen. Damit ist der Weg frei für den großen Reibach – sehr zur Freude des Finanzministeriums und der zügig wachsenden Dope-Industrie.
Auffällig sei, so berichtet das US-Magazin „Wired“, dass vor allem Manager aus dem Silicon Valley jetzt am Pot-Markt ihr Glück versuchen. Ein ehemaliger Software-Manager beispielsweise bastelt neuerdings Luxus-Vaporizer -299 Dollar kostet so ein Ding der US-Firma Uptoke, Lieferzeit mindestens acht Wochen, ein hippes Prestige-Objekt. Mit Vaporisatoren verbrennt man das Marihuana nicht, sondern verdampft es. Das Modell Spyre ist ein kleines schwarzes Designergerät in limitierter Auflage mit individueller Seriennummer und integrierter Keramik-Mühle. Durch Quartz-Kristalle wird der Spyre in nur 2,5 Sekunden 190 Grad heiß; sein Akku kann via Micro-USB aufgeladen werden. Und er sieht ziemlich gut aus. Seine Designer arbeiteten mal bei Apple.
Tom Bollich, früher Mitarbeiter des Spieleherstellers Zynga, hat sich auf ein bodenständigeres Business spezialisiert: Er entwickelt Bewässerungssysteme für die Graszucht. Und die ist gar nicht so einfach. Denn die Pflanzen sind empfindlich, fast wie Orchideen. Bis zu 18 Stunden am Tag müssen sie beleuchtet werden, mit speziellen Natriumdampflampen und Metallhalogenleuchten, mal mit blauem, mal mit rotem Licht. Sie brauchen gute, am besten mit gemahlenen Kokosschalen versetzte Erde, Belüftung, Bewässerung. Über den Hobbyanbau auf deutschen Balkonen können Profis -legale wie illegale -nur schmunzeln.
James Shively, ein ehemaliger Microsoft-Manager, der ins Marihuana-Business gewechselt ist, sagt, in Kalifornien werde schon jetzt mit dem Anbau von Gras mehr verdient als mit dem Anbau von Gemüse oder Weizen. Mit seiner Firma Diego Pellicer will er deswegen nun das erste Marken-Dope etablieren: „Premium Marijuana“ nennt er es ganz unbescheiden. Und es gibt noch mehr Stücke vom Spacecake, die zu teilen sind: Biotechnologieunternehmen arbeiten an der Gewinnung von Cannabisöl mit möglichst geringem THC-, aber hohem Cannabinolgehalt, dem Inhaltsstoff, der angeblich von medizinischem Nutzen ist. Das lindere Beschwerden, high werde man davon aber ganz bestimmt nicht. Andere tüfteln an den besten Geräten für die vollautomatisierte Ernte, und selbst für die Entsorgung der Abfallprodukte werden spezielle Maschinen entwickelt.
Und natürlich will auch die Kulturwirtschaft vom kollektiven Rausch profitieren. Aber während früher verpeilte Kiffer-Filme gedreht und verdaddelte Rockimprovisationen aufgeführt wurden, klinkt sich heute heiter die Hochkultur ein. Das Colorado Symphony Orchestra plant eine Konzertreihe mit dem Titel „Classically Cannabis: The High Note Series“. Kiffen und Klassik: Darauf war bis jetzt noch keiner gekommen. Und auch wenn Google, Apple und Facebook keine Werbung zulassen, die mit Marihuana in Verbindung steht, sorgt die Legalisierung längst für Bewegung im Internet: Auf Leafly werden Gras-
WELCHE MUSIK WÜRDE ES OHNE DOPE WOHL KAUM GEBEN?
Black Sabbath hatten sich in den ersten Monaten des Jahres 1971 in den Island Studios in London eingeschlossen und so lange geraucht, bis Gitarrist Tony Iommi einen üblen Hustanfall bekam. Der wurde kichernd aufgenommen und steht seitdem am Anfang des ersten Songs des Klassikers „Master of Reality“,“Sweet Leaf“, einer Liebeserklärung an das Marihuana. Mit seinem extrem verlangsamten, düster röhrenden Dampfwalzensound wurde das Album nicht nur zum Fundament des Stoner-Rock, eines Genres, das die Lust am Breitsein bereits im Namen trägt, sondern gleich auch noch der Blueprint für Doom-und Sludge-Metal.
Doch eigentlich fällt einem zum Thema Kiffermusik als Allererstes Reggae ein. In den Sechzigern und Siebzigern war die Musik aus Jamaika von den Rastafarians geprägt. Die Männer mit den verfilzten Dreadlocks rauchten ungeheure Mengen Dope, sangen dabei und trommelten den Nyabinghi-Beat. So entstand eine archaische Musik, ein Wiegen und Schaukeln, aus dem sich Ende der Sechziger im Studio von King Tubby auch der Dub entwickelte. Die Produktionstechnik schien wie gemacht für das stille Glück der Kiffer: Erst mal einen rauchen und dann so lange gut gelaunt an den Knöpfchen und Reglern drehen, bis das Ergebnis stimmt. Kein Wunder, dass Peter Tosh in seinem bekanntesten Songs lautstark forderte: „Legalize it, don’t criticize it!“
Die jungen Produzenten, die in den Neunzigern von ihren Schlafzimmern aus die Musikwelt eroberten, sahen das ähnlich und übernahmen nicht nur das Prinzip des Dub, sondern auch die Lust an der Entschleunigung und den dazu nötigen Mitteln. Bereits die Titel ihrer Alben sprachen Bände: „The Orb’s Adventures Beyond The Ultraworld“,“Chill Out“ oder „Smokers Delight“. Das Genre TripHop trug seinen Namen zu Recht. Tricky drehte und rauchte innerhalb eines 40-minütigen Interviews drei Joints. Im Studio wird es nicht viel anders gewesen sein.
Unter den kiffenden Rockmusikern nehmen Spacemen 3 einen Spitzenplatz ein. „Taking Drugs To Make Music To Take Drugs To“ nannte die britische Band um Jason Pierce eines ihrer vielen inoffi ziellen Alben. Toll, was allein in diesem Titel anklingt: die geradezu jesushafte Pose des Künstlers, der für sein Publikum leidet, die dennoch stattfindende Verbrüderung im Rausch und vor allem die Tatsache, dass hinter alldem ein künstlerisch schlüssiges Konzept stand. sorten bewertet, und MassRoots.com ist eine Fotocommunity-Website, auf der junge Männer Selfies mit Joints hochladen.
All das lässt Legalisierungsfreunde mit leuchtenden Augen auf die USA blicken -und einen ähnlichen Aufschwung auch für Deutschland prognostizieren. Wenn denn die Freigabe mal käme.
WÜRDE CANNABIS DIE DEUTSCHE WIRTSCHAFT PUSHEN?
Der naturgemäß legalisierungsfreundliche Deutsche Hanf Verband hat eine Prognose gewagt: „Selbst bei sehr vorsichtigen Schätzungen und Annahmen kann man davon ausgehen, dass bei einer Cannabislegalisierung mindestens 1,4 Milliarden Euro pro Jahr in die Staatskassen fließen.“ Über 13.000 neue Arbeitsplätze könnten zwischen Flensburg und Friedrichshafen entstehen, behaupten die Hanf-Freunde. „Ich gehe davon aus, dass in Deutschland etwa 200 bis 400 Tonnen Cannabis pro Jahr verbraucht werden“, rechnet der Vorsitzende des Verbandes, Georg Wurth, vor. „Bei einem durchschnittlichen Endverbraucherpreis von 6 Euro pro Gramm ergibt sich ein Umsatzvolumen von 1,06 bis 2,12 Milliarden Euro.“ Zudem würden natürlich auch Repressionskosten in kaum abschätzbarer Höhe wegfallen, wenn die Behörden nicht jeden Gelegenheitskonsumenten mit ein paar Gramm in der Tasche mit Strafverfahren überzögen. Wenn, ja, wenn.
Georg Wurth hat bei der nach nur drei Sendungen abgesetzten Fernsehshow „Millionärswahl“ mitgemacht. Dort konnten sich Anfang des Jahres Bürger mit ihren Projekten einem Publikumsvoting stellen. Sie mussten bloß erklären, wofür sie die Million ausgeben wollen. Manche hätten das Geld gern für die Förderung exotischer Sportarten wie Chairskating genutzt, andere zum Auf bau eines Privatorchesters. Georg Wurth wollte den Batzen, um damit für die Freigabe von Cannabis zu werben. Und tatsächlich: Er gewann – gerade rechtzeitig bevor die Show im Archiv der Fernsehflops versenkt wurde. Mit dem Geld will er nun die Öffentlichkeitsarbeit des Hanf Verbands vorantreiben und beispielsweise „professionelle PR-Spots zur Legalisierung und zum Thema Cannabis als Medizin“ produzieren lassen. „Gegen Ende des Jahres werden zum ersten Mal solche Spots in deutschen Kinos und im Fernsehen zu sehen sein, so wie es sie in den USA schon länger gibt.“
Doch anders als in den USA konnte sich in Deutschland bislang natürlich noch keine ernst zu nehmende mit Cannabis zusammenhängende Industrie entwickeln -von den unzähligen Head-und Growshops mit „Legalize!“-Stickern und Bongs in den Farben der jamaikanischen Flagge mal abgesehen. Sie lassen zumindest ahnen, wie groß der Markt auch hier sein könnte. Ob spezielle Anbauerde oder Hanf-Düngemittel: Die Produktionsfirmen sitzen vorest vor allem in den Niederlanden, wo man seit Jahrzehnten eine liberale Drogenpolitik fährt und wo das Gras angebaut wird, das in Deutschlands Apotheken zu medizinischen Zwecken, zum Beispiel zur Behandlung von multipler Sklerose, verkauft werden darf.
In Deutschland muss man lange suchen und wird schließlich in Mannheim fündig. Dort hat Enrico Rothfuchs vor knapp zwei Jahren seine Firma Green Buzz Liquids gegründet, mit der er spezielle Düngemittel entwickelt. Was würde eine Legalisierung für eine kleine Firma wie seine bedeuten?“Ich erwarte einen Umsatzanstieg nach der Freigabe, denn legale Coffeeshops haben ein erhöhtes Interesse an hochwertigen Produkten, sprich an organisch gedüngten und vor allem geschmackvolleren Endprodukten“, sagt der Agrarunternehmer.
Ob legal oder nicht: Die Zahlen aus dem Drogenbericht der Bundesregierung geben einen Einblick in die deutsche Wirklichkeit: 91 Outdoorund 691 Indoor-Plantagen entdeckte die Polizei allein im vergangenen Jahr. Die Dunkelziffer, darauf deuten die unzähligen Zubehörläden und spezialisierten Onlineshops hin, ist weitaus höher. Und auch wenn man auf die richtige Temperatur, die richtige Lichteinstrahlungsdauer, den richtigen Dünger achten muss: Ein wachsender Teil der deutschen Konsumenten kauft sein Cannabis nicht mehr im Wohnzimmer der Dealer oder konspirativ im Park, sondern baut das Gras selbst an. Ganz unabhängig vom Schwarzmarkt, an der Steuer vorbei.
Von der Herstellung von Cannabis-Snacks über die Entwicklung der besten Zuchterde bis zur, zynisch betrachtet, Behandlung der ungewollten Nebenwirkungen des Kiffens: All das sind Nischen, in denen auch deutsche Unternehmen sich gern breitmachen würden. Auf absehbare Zeit fehlt in Deutschland aber eine politische Mehrheit. Außer einer ulkigen Koalition aus Grünen, Piraten und der FDP gibt es keine Partei, die für die Freigabe eintritt.
KANN KIFFEN WIRKLICH DAS HIRN SCHÄDIGEN?
„Solange Politiker glauben, dass sie mit dem Hanfverbot die Gesundheit und vor allem Jugendliche schützen, werden sie die hohen Kosten der Illegalität einfach ignorieren“, glaubt Georg Wurth, der Hanf-Verbands-Chef. „Erst wenn sie verstanden haben, dass das Verbot nicht vom Konsum abhält, werden sie auch andere wichtige Argumente ernst nehmen. Dazu gehören nicht nur finanzielle Fragen, sondern auch die Förderung krimineller Strukturen durch das Verbot oder gefährliche Streckmittel auf dem Markt.“
Michael Lohmann sieht das etwas differenzierter. Er arbeitet in der Suchtberatung Kö 16a in Hamburg und hat täglich mit den oft wenig erfreulichen Nebenwirkungen des Cannabiskonsums zu tun. „Es gibt zwar anders als beim Alkohol bislang keinen Nachweis für irreparable Hirnschädigungen“, erklärt Lohmann. „Klar ist jedoch, dass das Kurzzeitgedächtnis durch das Kiffen stark eingeschränkt wird. Außerdem imitiert THC die Wirkung des körpereigenen Dopamins, weswegen Jugendliche sich schnell daran gewöhnen und die Versuchung groß ist, sich scheinbare Erfolgserlebnisse und Konfliktlösungen durch das Kiffen zu holen.“
Forscher der Duke University in Durham, North Carolina, haben über 38 Jahre lang eintausend Menschen bei ihrem Cannabiskonsum begleitet. Sie fanden heraus, dass „Hanf konsum das zentrale Nervensystem unwiderruflich schädigen und den Intelligenzquotienten senken kann“, wie es in ihrer vor zwei Jahren veröffentlichten Langzeitstudie heißt. Die Untersuchungen zeigten darüber hinaus, dass Langzeit-Kiffer mehr Probleme haben, „sich zu konzentrieren oder sich an etwas zu erinnern. Auch ihr IQ nahm deutlich ab.“ Kaum veröffentlicht, wurde die US-Studie von dem norwegischen Wissenschaftler Ole Rogeberg heftig kritisiert. Er behauptet, die Ergebnisse seien ungenau, da die Autoren davon ausgingen, dass allein der Cannabiskonsum die Entwicklung des IQs der beobachteten Teenager beeinflusst habe – Faktoren wie Erziehung, sozioökonomischer Status oder Erbfaktoren seien nicht berücksichtigt worden.
Unbestritten ist jedoch, dass der THC-Gehalt in Cannabispflanzen durch Hi-Tech-Züchtung in den vergangenen Jahren ähnlich stark zugenommen, wie das Einstiegsalter von Marihuanakonsumenten abgenommen hat.
„Die Gehirnentwicklung eines 12-oder 13-jährigen Kindes ist in einem ganz anderen Stadium als bei einer volljährigen Person“, erklärt Michael Lohmann. „Und THC wirkt auf die Entwicklung des Großhirns, das etwa für reflexives Denken verantwortlich ist.“ Worin sich Experten heute überwiegend einig sind: Je jünger die Konsumenten, desto gefährlicher der Konsum von Cannabis. Kiffen kann blöd machen -vor allem wenn das Hirn noch nicht ausgewachsen ist.
WAS SIND DIE 10 BESTEN CANNABIS- INDUZIERTEN ALBEN?
01. DR. JOHN „Gris-Gris“
02. THE GRATEFUL DEAD „Anthem Of The Sun“
03. RAS MICHAEL AND THE SONS OF NEGUS „Nyahbinghi“
04. MASSIVE ATTACK „Blue Lines“
05. NIGHTMARES ON WAX „Smokers Delight“
06. SPACEMEN 3 „The Perfect Prescription“
07. THE ORB „The Orb’s Adventures Beyond The Ultraworld“
08. BLACK SABBATH „Master Of Reality“
09. GONG „Angel’s Egg“
10. AMON DÜÜL II „Yeti“
Besonders attraktiv für junge Konsumenten sind wahrscheinlich die in Denvers Cannabisläden so beliebten Gummibärchen mit THC-Gehalt. Doch gerade bei der Aufnahme des Wirkstoffs durch den Darm setzt der Rausch später ein und hält länger an. Dadurch lässt sich nicht nur die Dosis schwerer kalkulieren, das THC kann sich auch weitaus stärker auf die Psyche auswirken als das Rauchen. Man kennt das von den Spacecakes: schmecken lecker und wirken langsam, dann aber heftig.
Ob durch Rauchen oder Essen: Angstzustände und Halluzinationen sind unangenehme Nebenwirkungen, von denen die meisten Kiffer berichten können. Psychologen weisen immer wieder auf die psychischen Auswirkungen hin.
Ein anderes unkalkulierbares Risiko sind gestreckte Grassorten. Der Fachhandel bietet Streckmitteltests an, seit Haarspray, Pflanzenschutzmittel, Hormone und sogar Blei und Glassplitter im Gras gefunden worden sein sollen. Und wie das dann so ist: Während die Befürworter der Legalisierung die Panscherei zum Anlass nehmen, einen kontrollierten Anbau zu fordern, sehen sich die Gegner in ihren Warnungen bestätigt.
WIRD ES IN DEUTSCHLAND TROTZDEM BALD DEN ERSTEN COFFEESHOP GEBEN?
Es sieht so aus, als würde sich das auf einer 14 Hektar großen Grünfläche in Berlin-Kreuzberg entscheiden: Der Görlitzer Park ist ein inzwischen fast deutschlandweit bekanntes Erholungsgebiet mit Barfußpfad und Streuobstwiese, in dem Eltern mit ihren Kindern spielen, in dem Freunde sich zum Grillen treffen, ein Park, in dem auch -und das ist im anarchisch-coolen Kreuzberg seit den späten Sechzigern eine Frage des Lebensgefühls -Gras verkauft wird. Illegal, versteht sich. Doch wo früher drei Dealer standen, stehen heute zehn. An manchen Tagen sollen es sogar fast 200 im und um den „Görli“ sein, meist Afrikaner, viele von ihnen Flüchtlinge. „Weed, yeah!“ – „You want some?“ – „Hey, wie geht’s?“ Fünf Gramm dreißig Euro. Viele Anwohner, Eltern und Touristen nervt das; andere kommen immer wieder zum Einkaufen dorthin. Durchschnittlich zwölf Polizeirazzien im Monat gab es hier in der letzten Zeit -ohne nachhaltigen Erfolg. Seit Mai patrouillieren nun jeden Tag Streifen durch den Park.
Zur Lösung des Konflikts haben die Kreuzberger Grünen im November vergangenen Jahres aber einen gänzlich anderen Vorschlag auf die politische Ebene katapultiert: Das Modellprojekt kontrollierte Abgabe von Cannabis wurde im Bezirksparlament beschlossen -ein Coffeeshop für Kreuzberg, der erste in Deutschland. Eingereicht hatte den Antrag Jonas Schemmel, Fraktionssprecher der örtlichen Grünen. „Wenn man so weitermacht wie bisher, lässt man alle allein: die Anwohner, die Dealer und auch die Polizisten“, sagt der 26-jährige Politiker mit dem Fünf-Tage-Bart und dem Beanie auf dem Kopf.
Nach den Plänen der Grünen soll der Coffeeshop aber keine lustige Kifferkneipe werden, sondern eine staatliche Verkaufsstelle außerhalb des Görlitzer Parks – mit medizinisch und pädagogisch geschultem Personal. So könne man für die Qualität der Drogen garantieren und sicherstellen, dass nicht an Jugendliche unter 18 Jahren verkauft wird. Staatlicher Anbau, staatlicher Handel.
In Uruguay geht das doch auch. Der legale Verkauf soll den illegalen Handel eindämmen und den Markt für weiche Drogen von dem für harte trennen. So argumentiert man bei den Grünen.
Andere politische Kräfte ziehen plötzlich nach: Auch im gutbürgerlichen Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf soll bald quasilegal gekifft werden dürfen. Hier hat die Fraktion der Piraten mit Unterstützung der Linken einen Antrag auf Einrichtung eines Coffeeshop-Modellprojekts vorgestellt. Bloß: Anders als in Kreuzberg, wo die Grünen regieren, haben Piraten und Linke im Berliner Westen nicht viel zu melden.
Aber auch die Kreuzberger Ökos müssen noch einige Hürden überwinden. Um ihr Modellprojekt umzusetzen, muss die Partei einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einreichen, das nur bei wissenschaftlichem oder öffentlichem Interesses eine Ausnahmeregelung vom Betäubungsmittelgesetz erteilen kann. Klar, ist vorhanden, denken die Grünen. Doch Berlins Drogenbeauftragte, Christine Köhler-Azara, bezweifelt das: „Ich halte eine Ausnahmeregelung für unrealistisch.“ Die konservative Politikerin unterstellt den Grünen, mit dem ersten Coffeeshop letztendlich nur die „echte“ Legalisierung von Cannabis erreichen zu wollen. So denkt man eben bei der CDU.
Doch der weitverbreitete Gedanke, dass sich in der Drogenpolitik etwas ändern müsse, führte schon vor dem Coup der Berliner Grünen zu Bewegung: Mehr als 120 namhafte Professoren für Strafrecht unterzeichneten ein Manifest, in dem sie ein Ende der repressiven Cannabis-Politik forderten und die Einsetzung einer Enquete-Kommission des Bundestages verlangten. Dass Grüne eine liberale Haltung zum Kiffen haben, ist nichts Neues, dass Strafrechtler am denkmalgleichen Betäubungsmittelgesetz rütteln, schon.
Auch wenn die Grünen mit ihrem Modellprojekt wahrscheinlich an den bürokratischen Hürden eines der CDU unterstellten Bundesinstituts scheitern werden: Am Ende entscheiden die Gerichte. „Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ist nicht der Schiedsrichter über die Wissenschaft“, sagt Ulrich Gassner, Direktor des Instituts für Bio-, Gesundheits-und Medizinrecht der Universität Augsburg. „Selbst wenn das Bundesamt den Antrag ablehnt: Mit der richtigen Argumentation kann man über die verschiedenen Gerichtsinstanzen bis vor den Bundesgerichtshof ziehen.“ Genau das haben die Kreuzberger vor.
UND WIE GEHT ES NUN WEITER?
Wie bisher. „Der Anstieg der Cannabisdelikte setzte sich auch 2013 fort und erreichte mit 145.013 polizeilich registrierten Straftaten ( ) einen neuen Höchststand seit 2008“, heißt es im aktuellen Drogenbericht. Kiffen ist illegal, aber in der Gesellschaft angekommen. Heute tun es Banker, Handwerker und Beamte. Marihuana ist Mainstream. Niemals hätten wir diese Seiten mit einem kiffenden Bob Marley oder dem ikonischen Hanf blatt illustriert. Denn das Thema ist verstopft mit Klischees. Doch der Hippienebel hat sich gelichtet, das Image der Droge hat sich gewandelt. Mit Revolte und Dissidenz hat Kiffen nichts mehr zu tun. Andere Drogen sind gefährlicher, mitunter tödlich, aber Cannabissucht ist sozialverträglicher als Alkoholsucht, Bekiffte sind angenehmer als Betrunkene. Und meist erheiternd kauzig. Joints werden nicht geraucht, um das Bewusstsein zu erweitern, sondern um es zu wattieren. Und die wenigsten Konsumenten verschwenden einen Gedanken daran, ob das, was sie tun, nun legal, toleriert oder illegal ist. Wer kifft, tut dies mit großer Selbstverständlichkeit.
Und ist trotzdem nicht vor einer Strafe sicher: Wer abends einen Joint raucht und am nächsten Tag ins Auto steigt, in eine Verkehrskontrolle gerät und eine Urinprobe abgeben muss, kann fast sicher sein, dass THC nachgewiesen wird. Das bedeutet: Auch wer nüchtern ist, kann seinen Führerschein verlieren, denn die Werte geben keine genaue Auskunft darüber, wann jemand zur Bong gegriffen hat. Dabei arbeiten die Justiz und die Landesämter, die die Führerscheinvergabe verantworten, oftmals Hand in Hand: Die Führerscheinstelle hat nicht nur Zugriff auf Ermittlungsdaten; in einigen Fällen wurden sogar schon ganze Akten an die Behörde weitergereicht. Die gute Nachricht: Außer der Führerscheinbehörde kümmert sich sowieso kaum noch einer um die Verfolgung von Kiffern.
In Colorado ist der Konsum nun schlicht und einfach legal, dort hat sich die Popkultur-Forderung „Legalize it!“ erfüllt, und es darf ganz ohne Vorwände gekifft werden, „for recreational use“, wie es im neuen Gesetz heißt: zur Entspannung also, zum Genuss.
Eigentlich müsste eine letzte Frage lauten: Wie spießig ist das denn? Legalize it? Die Illegalität ist doch das, was dem Kiffen noch den letzten verruchten Charme vergangener Zeiten verleiht!
WIE FÜHLT SICH DAS EIGENTLICH AN, WENN MAN MIT 29 JAHREN ZUM ERSTEN MAL BEDRÖHNT IST?
„Stell dir vor, es kommt einer und setzt dir ein Paar von diesen überdimensionalen Lärmschutz-Kopfhörern auf, die Leute auf dem Bau tragen. Dein Kopf ist wie in Watte gepackt und dir ist auf einmal alles ein bisschen egaler“, sagt Linda.
Ich muss 29 Jahre alt werden, um das erste Mal einen Joint in der Hand zu halten. Bisher hat mich das Kiffen nie gereizt. Wohl deshalb, weil Kiffer in meinen Augen oft irre langsam sind und ich selbst eher zu der ungeduldigen Sorte Mensch gehöre.
Heute aber will ich auch langsam sein! Ich will einer kleinen Armee Cannabis-Soldaten Zugang zu meinem zentralen Nervensystem gewähren. Sie dürfen sich richtig danebenbenehmen, meine Synapsen in Beschlag nehmen und es sich anschließend im Schützengraben meines Hirns bequem machen. Egaler, ja, das will ich.
Das Gras besorge ich selbst. Berlin, Hasenheide, Samstag Nachmittag. Zur Tarnung nehme ich eine
Freundin und ihren Hund mit. „Für 10 Euro“, raune ich betont lässig in das Ohr des Mannes, der seiner Gestalt nach zu urteilen auf Raunende spezialisiert ist. Zwei Minuten später stehe ich mit einem Häufchen Marihuana in der bloßen Hand hinter einem Busch. Für einen Zehner gibt’s anscheinend keine Verpackung dazu, nach einer Tüte zu fragen halte ich im gegebenen Kontext für verfänglich. Zum Glück hat meine Freundin einen, wie sie es nennt: „Kackbeutel“ für ihren Hund dabei. Passt ja auch irgendwie, denke ich beim Blick auf das Häufchen Shit in meiner Hand.
Jetzt sitzt Linda vor mir und gibt Anweisungen. Linda ist Vollprofi. Erst der Filter (Aktivkohle, was auch immer das besser macht), dann Tabak, dann Gras, dann rollen, lecken, drehen – bravo!
Ich ziehe einmal und noch mal und direkt noch mal. Es schmeckt nach Stall und Kräutertee. Mistig. Frisch. In der Summe gut. Tief einatmen, Luft anhalten, ausatmen.
Während ich den Joint allein um die Hälfte reduziere, singt Damian Marley davon, dass die Erde einst flach war, jetzt rund ist und dass, wenn sie noch mal ihre Form änderte, alle anfangen würden zu lachen. Ich stufe das als einen unglaublich witzigen Gedanken ein und nehme mir vor, später darüber zu sinnieren -im Moment ist mir das zu anstrengend. Auf einmal bin ich davon überzeugt, dass innerhalb der letzten zehn Minuten der Typ mit den Lärmschutz-Kopf hörern da gewesen sein muss. Ich sauge noch mal an der aktiven Kohle.
In einem ungewöhnlich langen Denkprozess, der mehrere Pro-und Contra-Runden durchläuft, entscheide ich mich schließlich dafür, das Küchenfenster zu öffnen. Zwei Schritte sind es bis dorthin. Auf dem Weg wünsche ich mir nichts mehr, als verdammt noch mal einfach schon da zu sein, und stelle fest, dass mein Kopf auf einem Körper sitzt, der mir a) nicht gehören kann, weil er b) echt verdammt langsam ist.
Draußen ist es noch hell. Wir wollen Tischtennis spielen. Inzwischen wurde Damian von seinem Vater Bob abgelöst, wir wippen zu den Klängen von „Stir It Up“ in Richtung Wohnungstür. Wippen hin, wippen her und merken erst draußen an der Platte, dass es irgendwie doch schon dunkel ist. Auf dem Heimweg kaufen wir uns an der Ecke sechs Schokoriegel. Ich wohne im zweiten Stock. Als wir im ersten ankommen, ist die Schokolade alle. Zum Glück hat Linda Hartkaramelle in Kunststoffmuscheln mitgebracht. Keine Ahnung, wo sie die aufgetrieben hat, aber ihr neonfarbener Anblick treibt mir Tränen der Rührung in meine ohnehin schon roten Augen. Früher sagte man Leckmuschel dazu. Wir entscheiden uns dafür, nostalgisch zu sein.
„Früher waren die Leckmuscheln größer“, sagt Linda, neben mir auf dem Boden liegend.
„Früher waren wir kleiner.“ „Du hast recht. Egal.“ „Total egaler.“
WIE WAR DAS MIT DEM POT IM SCHUH, TORI AMOS?
In einem Interview zu ihrem neuen Album, „Unrepentant Geraldines“, erzählt Tori Amos eine amüsante Episode, in der es um Drogenfahnder und Phil Collins geht.
Tori Amos: Meine Karriere hätte 1991 an der deutschen Grenze in Aachen schon zu Ende sein können. Was ist passiert?
Wir wurden dort gefilzt, meine Freundin hatte ein bisschen Pot in den Schuhen -und das führte zu ziemlicher Aufregung.
Sahen Sie denn verdächtig aus?
Weiß der Himmel, wie wir aussahen. Vermutlich mit massenhaft Haarspray im Haar, schließlich waren es die frühen Neunziger. Jedenfalls geriet ich an diese Grenzpolizistin, eine deutsche natürlich, die mir gleich den Magen auspumpen wollte. Sie hat mir tief in die Augen gesehen, und da habe ich ihr gesagt: Ich habe gerade eine eigene Platte aufgenommen. Es war Frühling, „Little Earthquakes“ war zwar noch nicht veröffentlicht, aber schon fertig.
Konnten Sie sich rausreden?
Ich habe keine Ahnung, was in mich gefahren war, aber irgendwie erzählte ich ihr, dass ich mit Phil Collins gearbeitet hätte. Wir hatten tatsächlich mal zusammen auf der Bühne gestanden, nichts Großes, aber irgendwie merkte die Grenzerin, dass ich nicht log. Plötzlich hatte sich das mit dem Magenauspumpen erledigt. Zwei kleine Wörter haben mich damals gerettet: ‚Phil Collins‘.
Welche zwei Wörter könnten Sie denn heute retten?
Ich bin mir nicht sicher, ob zwei Wörter heute reichen würden. Vielleicht ja eines: ‚Prince‘.
Wie das?
Wenn man Prince erwähnt, benehmen sich die Leute plötzlich, na ja, anders. Er war auf meinen Konzerten in Minneapolis, mit der ganzen Entourage, wie man’s sich vorstellt. Es ist einfach wahnsinnig toll, wenn er da ist. Er ist klug, wundervoll, großartig. Ich habe ihm gesagt, wenn er mal jemanden fürs Keyboard brauchen sollte, wäre ich bereit.