Neil Young
Ich mag den begriff ‚coveralbum‘ nicht besonders“, sagt Neil Young über seine neue Platte. „A Letter Home“ wirkt eher wie eine Schachtel voll Jugenderinnerungen mit einem nostalgischen Flair: solo eingespielte Songs von Phil Ochs, Bert Jansch und seinem Landsmann Gordon Lightfoot, aufgenommen in einer Voice-O-Graph-Kabine von 1947, die in Jack Whites Studio in Nashville steht. „Diese Songs habe ich gehört, als mir klar wurde, was ich mit meinem Leben anfangen will“, erklärt Young. Dabei hat er im Moment aber auch die Zukunft fest im Blick: Er geht auf Tournee, schreibt neue Songs, beendet den Nachfolger seines autobiografischen Bestsellers „Waging Heavy Peace“ und bringt sein digitales Musikformat Pono auf den Markt. Lachend antwortet er auf die Frage, wie „A Letter Home“ auf Pono klinge: „Es ist dermaßen Lo-Fi, dass es in jedem Format gut klingt. Ein bisschen, als würde man aus einem kleinen Fenster singen -und alle können zuhören.“
Jack White schätzt die Unabhängigkeit ähnlich leidenschaftlich wie Sie und hat ein vergleichbar magisches Verhältnis zu Technik. Sehen Sie in ihm eine Art jüngere Version von sich selbst?
Jack ist ein Original. Ich habe mich mein ganzes Leben lang für Originale interessiert, habe sie aufgesogen, mir Sachen abgeschaut und sie mir einverleibt. So funktioniert der Folk-Prozess. So ähnlich ist es auch bei Jack. Er erinnert mich aber auch an Charlie Chaplin: wegen seines empathischen Herzens und seiner kuriosen Ideen. Man spürt seine Seele in allem, was er macht. Alles funkelt auf neue Art. Und das gelingt ihm, indem er Fäden neu verknüpft.
Auf dem neuen Album findet sich eine Nachricht an ihre verstorbene Mutter. Darin sprechen Sie davon, dass Sie viele der Songs zuerst in der Grosvernor Street gehört hätten.
Dort habe ich damals gelebt, in einer kleinen Maisonette. Ich hatte einen Seabreeze (einen tragbaren Plattenspieler – Red.). Er klang ungefähr wie die Aufnahmen von „A Letter Home“. Ich habe vor allem Singles gespielt, aber ich hatte auch ein Album von Jimmy Reed. Ich habe den Deckel des Seabreeze hochgeklappt und dabei die Platte gehört. Wie eine Art Privatvideo.
Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Platten?
Ich erinnere mich an „It‘ ll Be Me“ von Jerry Lee Lewis, an „I Wonder Why“ von Dion And The Belmonts. Und an „Bop-A-Lena“ von Ronnie Self, ein irrer Schreihals. Ausgesprochen temperamentvolle Nummern. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen.
Ihre Fans werden sich vermutlich fragen, wie Sie von dort zu „Heart of Gold“ und dem „Harvest“-Album gekommen sind.
Man weiß einfach nie, was an der nächsten Ecke auf einen wartet. Solange man sich dem nicht verschließt, bewahrt man sich den offenen Blick. So schreibe ich meine Songs. Egal wie eine Idee daherkommt – ich versuche immer, sie unvoreingenommen geschehen zu lassen, ohne einzugreifen. Das ist das Mantra meines Lebens.
Als Sie im Januar in der Carnegie Hall Songs von Jansch und Ochs spielten, wirkte das wie eine Hommage auf die Zeit, als sich Ihr Songwriting gerade entwickelte.
Ich möchte diese Zeiten ein bisschen ans Licht holen, damit man ein Gefühl für mich bekommen kann – was es heißt, ein Singer/Songwriter zu sein und über Dinge zu schreiben, die einem nahe sind. Ich spiele ein paar Songs, die ich früher eher nicht gespielt habe, vielleicht weil es zu einfach gewesen wäre. Jetzt haben sie eine andere Bedeutung. Sie bringen, mehr als je zuvor, etwas in mir zum Schwingen.
Ich fand es sehr schön, wie Sie das Orchester von „Man Needs A Maid“ durch dieses etwas rostig klingende Keyboard ersetzt haben.
Das ist ein superverzerrter Streicher-Synthesizer von 1973 oder 1974. Ich habe ihn gespielt, als ich an „Like A Hurricane“ gearbeitet habe. Ich wollte den Sound so hinkriegen, dass man sozusagen an den Ort kommt, an dem der Song damals lebte.
Sie haben ja eine Schwäche für antiquiertes Gerät -alte Autos, Harmoniums. Mochten Sie in Ihrer Jugend auch Bandmaschinen?
Ich habe einmal gemeinsam mit meiner Mutter Les Paul in einem Abendlokal in Winnipeg gesehen. Er hatte ein Tonband auf der Bühne, das er zur Performance mitlaufen ließ oder für Ping-Pong-Effekte benutzte -als würde er mit Mary Ford vor unser aller Augen eine Platte aufnehmen. Man hat Les gesehen, aber plötzlich haben da auch jede Menge Leute gesungen, und alles Mögliche ist passiert. Er fing mit nichts an – und schuf etwas Neues, das es vorher noch nicht gegeben hatte.
Gehören die Songs, an denen Sie derzeit arbeiten, zu einem geplanten Album?
Im Moment explodiere ich förmlich. Ich habe noch keine Ahnung, was mit diesen Stücken geschehen soll. Ich habe die Bühne eigentlich immer als Privatstudio benutzt. Das Album „Rust Never Sleeps“ zum Beispiel ist live eingespielt worden. Ich habe aus den Aufnahmen nur das Publikum herausgenommen. Wenn ich vor Leuten spiele, bin ich besser. Heute steht so was natürlich sofort auf YouTube, und all die jungfräulichen Songs sind da draußen -aber ich will sie nicht planlos und stückweise preisgeben. Ich versuche möglichst kreativ mit der Situation umzugehen.
Also Sie explodieren, aber das Publikum muss sich noch gedulden?
(Lacht) Das muss ich doch auch.