„Ich habe Angst vor dem Tag, an dem einer der Rolling Stones stirbt“

Reden wir über Begegnungen. Was war die erste Begegnung des kleinen Joachim Król im Ruhrgebiet mit Kunst? Kunst im weitesten Sinne.

Ruhrfestspiele Recklinghausen, Gastspiele! Weil mein Vater als kleiner Gewerkschaftsmann von Tür zu Tür gegangen ist und die Kumpels animiert hat, auch Eintrittskarten zu kaufen. So habe ich zum Beispiel noch die Godot-Inszenierung vom Schillertheater gesehen mit Bollmann und Wigger. Aber jetzt sind wir doch schon wieder beim Theater.

… kann auch Musik sein …

Na ja, Rockpalast, die ganze Rockpalast-Ära. Essen, Grugahalle. Das ist aber ein bisschen später. Ich bin nicht so ein Konzertgänger gewesen in frühen Tagen.

Kommen wir noch einmal zurück zu den Begegnungen. Hast du deinen Vater begleitet, wenn der von Tür zu Tür ging, und versuchte, die Kumpels davon zu überzeugen, ins Theater zu gehen? Nein, nein, daran habe ich keine Erinnerung. Ich glaube, das hat er ganz gerne allein gemacht, weil es da auch immer einen Drink gab zwischendurch.

War er ein politisch bewusster Arbeiter?

Ja.

Hast du ihm etwas zu verdanken?

Alles. Er hat mich ermutigt, immer weiter zu suchen und weiter zu suchen. Und er hat mich auf die Schule geschickt. Er hat mich unterstützt. Und das war in jenen Tagen nicht unbedingt selbstverständlich. Er hat genau gewusst, dass er mir kein gefülltes Konto und auch kein Riesenhaus hinterlassen wird. Aber er hat mir einen einfachen Satz mit auf den Weg gegeben: „Lern! Bildung ist alles in unseren Kreisen!“ Ich weiß nicht, aus welchen Verhältnissen du kommst, aber das war in den Siebzigern möglich. Da gab es diese ganze Diskussion um Chancengleichheit, das war mal für eine ganz kurze Zeit auf einem richtigen Weg.

Du bist ein Kind des Ruhrgebiets. In den 70er-Jahren war es unter der Intendanz von Peter Zadek so: Wenn man eine Karte beim VfL Bochum kaufte, bekam man automatisch Rabatt im Schauspielhaus und wenn man eine Karte im Schauspielhaus kaufte, bekam man automatisch Rabatt beim VfL Bochum.

Die hatten das ganze System auf den Kopf gestellt. Das Schauspielhaus war ja voller junger Leute. Es war billiger, ins Theater zu gehen als ins Kino. Wann immer da Premieren waren, wurde das ganze Theater unter ein Motto gestellt. Da gab es Feste und Livemusik, bei „Die Geisel“ von Brendan Behan spielten im Schauspielhaus zwei, drei irische Bands, nächtelang. Oder bei García Lorca war dann eben alles spanisch.

Es war eine lustige Zeit, obwohl sie politisch war. Oder es war eine lustige Zeit, weil sie politisch war?

Weil!

Was hat dein Vater für Musik gehört?

Mein Vater war Jahrgang 31. Und er war definitiv kein Rock’n’Roller. Er kommt noch so aus der Rudi-Schuricke-Fraktion

Willy Hagara?

Ja solche Dinge eben. Der deutsche Schlager war durchaus dominant.

Gab es da so eine Stimme deiner Kindheit? Bei mir war das Willy Schneiders „Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde“. Schauderlich!

Mein Vater hatte tiefes Misstrauen gegen englische Texte, weil er einfach nicht wusste, was die da singen. Es kam ihm blöd und unglaubwürdig vor, dass alle den Beatles nachjubelten. „Die wissen doch gar nicht, was die singen!“ Dieses schlagende Argument habe ich gut verstanden. Was mich sehr früh dazu bewegt hat, in die Texte zu gucken. Mein Englisch ist relativ gut und das hat sicherlich auch einen Grund darin, dass ich mich immer interessiert habe, worum es geht. Aber es gab schon ein Lied, das meinen Vater sehr bewegt hat. Ich hab ihm für diese Telefunken-Musikbox mal eine Langspielplatte zu Weihnachten geschenkt, weil ich wusste, dass ihn dieses Lied sehr bewegt. Immer. Und das war „Ich hab‘ die Liebe geseh’n“ von Vicky Leandros. Auf der LP war, glaube ich, auch der „Theo“ drauf, diese Stimmungsnummer. Na ja, und das weiß ich noch: Meine Mutter lag zu Bett mit Migräne und wir haben die letzte Flasche Bier getrunken und „Ich hab‘ die Liebe geseh’n“ gehört. Das war schon ein großer Moment.

Wenn dein Vater deutsche Musik mochte und eine tiefe Skepsis vor englischen Texten hatte,

dann wäre doch eigentlich damals die Rockmusik das ideale Instrument gewesen, sich vom Vater zu lösen? Also hier der Schlager, da die Rockmusik. Gab es diesen Vater-Sohn-Konflikt über Musik?

Nein, denn das war ja sein Haus, und da wurde gespielt, was er hörte. Und das war auch akzeptiert.

Ernsthaft?

Natürlich! Sollte man sich deshalb lächerlicherweise ins Zimmer zurückziehen, das man sich eh noch mit dem älteren Bruder teilen musste? Nee! Außerdem gab es keine Stereoanlage. So wie die Emanzipation zum Theater hin über eine befreundete Familie stattgefunden hat, ging das auch mit der Musik. Man besucht sich und da gibt es die Familie, wo alle Kinder ein Theaterabonnement haben, wo man immer mal einspringen kann. Da gab es die andere Familie mit drei wunderschönen Töchtern und einem Kumpel und die haben alle Gitarre gespielt oder Querflöte. Und da wurde moderne zeitgenössische Musik gehört. Und die haben dann auch früh Bandprojekte gehabt. Aber ich bin ja kein Musiker, leider.

Hast du damals deutsche Bands gehört? Das war ja die Zeit von Amon Düül II, Embryo, Jane

Ja, natürlich. Frumpy!

Frumpy, die Band von Inga Rumpf …

Ja. Das habe ich sehr früh entdeckt. Ich habe aber auch Werner Lämmerhirt gehört damals; dieser Gitarren-Virtuose, der tingelt glaube ich auch heute noch. In meiner Heimatstadt gab es eine sehr aktive Fraktion, die solche Leute zu Konzerten in die Schulaulen geholt hat, Hannes Wader und …

… Dieter Süverkrüp?

Das ist jetzt natürlich wieder die Verbindung von Musik und Politik und Kritik und Kabarett! Das hat mich sehr interessiert. Aber eines der frühen Alben, das ich dann auch hatte, obwohl ich wie gesagt gar keinen Schallplattenspieler besaß, war die erste Lindenberg-LP mit den englischen Texten und dem Lied „Legs Are Moving“. Die hatte ein gezeichnetes Cover mit einem Berg und einer Linde oben drauf. „Legs are moving I look at them/is it me, is it another man“.(lacht)

Thema Kino: Gab es die Sozialisation über einen Film?

Über einen Kinofilm, nein. Kein Geld.

Auch nicht mal reingeschlichen? Mit dem Mann am Projektor irgendwie einen Deal gemacht?

Nee. Ich habe eine andere Geschichte. Als mein Bruder ausgezogen war, hatte ich mein eigenes Zimmer, das war natürlich von meinen Eltern nach deren Willen gestaltet worden, mit einer -heute würde man sagen – psychedelischen Tapete, die mir furchtbar auf den Sack ging. Und da gab es eine Frau Novak, die hat im Kino an der Kasse gesessen und die lebte in unserer Nachbarschaft. Und über sie habe ich für mein Zimmer alte Theaterplakate abgestaubt, die an die Lichtburg geschickt wurden und die Gastspiele vom Landestheater Castrop-Rauxel oder der Bühne soundso aus Zürich bewarben.

Lichtburg war ein Kino in Essen?

Nein, in Herne gab es auch eine Lichtburg. Aber in Herne gibt es heute gar nichts mehr, das Kino existiert nicht mehr. Und mit diesen Theaterplakaten habe ich dann das Zimmer tapeziert, um die grässliche Tapete zu eliminieren. Sehr schöne Plakate, ich wünschte, ich hätte sie heute noch! Über dem Bett hing „Tod eines Handlungsreisenden“ und „Geschlossene Gesellschaft“ von Sartre mit diesen wunderbaren Grafiken. Das war dann mein Zimmer! Aber fürs Kino war wirklich das Taschengeld zu knapp. Keine Kinosozialisation. Nicht wie bei Tom Tykwer, den ich sehr früh kennengelernt habe. Er erzählte mir, dass er für seine bleiche Haut bekannt war, weil er nie an die Sonne kam. Wenn er nicht selber geguckt hat, hat er die Filme eingelegt oder archiviert und sauber gemacht. Der war ja nur im Kino. Ich war eher draußen.

Ich habe das Gefühl, du hast lange mit den Dingen geflirtet. Du warst kein leidenschaftlicher Triebtäter, der sich das alles mit Kampf erobert hat.

Ja. Ich glaube, dass ich auf etwas zugegangen bin. Und dass der Weg genauso wichtig war wie die Entscheidung. Es ist ja nicht so, dass man sagt: „Aha, das ist toll, das mache ich jetzt.“ Jedenfalls nicht, wenn du so strukturiert bist wie ich. Zwischen diesem Wahrnehmen und dem Zwang, es tun zu wollen, da liegt dann noch eine Zeit, wo man vielleicht Mut sammeln muss oder Wissen oder vielleicht einfach nur älter werden muss.

Hat dein Vater deine Karriere noch erlebt?

Der ist 1991 gestorben und das war vor dem ersten Filmpreis. Aber er hat mich auf der Bühne spielen sehen und das hat ihn dann letztlich mehr als überzeugt. Der mochte das sehr. Eigentlich war er, glaub ich, sehr überrascht …

… was da für ein Sohn steht?

Ja. Aber wenn ich zurückdenke an Kindheit und frühe Jugend, dann gab es immer etwas Spielerisches um uns herum, auch im privaten Bereich. Es gab diese Leute, die sich nebenbei ein paar Mark verdient haben als – wie würde man heute sagen? – Stand-up-Comedians. Es gab ja damals noch unzählige Feiern und bunte Abende in Hintersälen von Kneipen, wo dann Amateurkomiker aufgetreten sind.

Jürgen von Manger fing so an, der bei euch im Ruhrgebiet aber nicht so gemocht wurde …

Stimmt, ich mochte den am Anfang auch nicht. Ich habe ihn erst sehr spät verstanden.

Ich fand den sensationell.

Ich fand den immer over the top. Weil er ein Bild geprägt hat, von dem wir uns emanzipieren wollten. Wir kamen nach München und da hieß es: „Sprich doch mal wie Jürgen von Manger.“ Im Ruhrgebiet hat kein Mensch wie Jürgen von Manger gesprochen. Er hat es überhöht.

Wie sah der Plattenladen aus in deiner Heimatstadt, an dem du mutmaßlich mehrmals vorbeigegangen bist, bevor du dir die erste Platte dort hast leisten können.

Damals gab es ja in jeder Fußgängerzone zwei, drei Plattenläden. Da hat sich ein verkrachter Student einen Kredit vom Großvater besorgt und Pressspanregale bauen lassen, da standen die LPs drinnen, und wenn man so wie ich keinen Schallplattenspieler hatte, konnte man Stunden in so einem Laden verbringen und sich die Cover angucken und mal reinhören.

Mit zwei Telefonhörern ohne Muschel.

Genau. Wenn man nie was gekauft hat, wurde man irgendwann zumindest schief angeguckt. Aber als meine Eltern vor Weihnachten ganz verzweifelt waren, weil sie nicht wussten, was sie meinem fünfeinhalb Jahre älteren Bruder schenken sollten, gaben sie mir den Auftrag, ihm zwei Platten zu kaufen. Da habe ich ihn durch meine Sachkenntnis verblüfft – ich besorgte „In-A-Gadda-Da-Vida“ von Iron Butterfly und dieses bunte Jimi-Hendrix-Album, mit dieser wunderschönen indischen Grafik („Axis: Bold As Love“ – Anm. der Red.). Das konnte man aufklappen und drinnen wurde es noch bunter. Mein Bruder war platt, dass meine Eltern so was ausgesucht hatten. Die Wahrheit hat er erst viel später erfahren.

Was war die erste LP, die du dir gekauft hast?

„Goats Head Soup“ von den Stones. Ich glaube, das war 75, da war ich also 18. Ich hatte noch immer keinen Plattenspieler. Aber diese Platte hatte mich gepackt, natürlich wegen „Angie“, die perfekte Liebesballade. Aber auch die anderen Songs, „Heartbreaker“ hat mich total erschüttert, der Text ging mir nicht aus dem Kopf.

Warst du Konzertgänger – und gehst du heute noch auf Konzerte?

Ich bin ein großer Konzertverpasser. Ich lebe ja in Köln, und der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat eine wunderbare Art, großartige Auftritte immer bloß hinterher zu thematisieren. Man weiß genau zwei Tage später, wer da war. Aber manchmal notiere ich mir auf dem Handy einen Konzerttermin, den ich auf einem Plakat sehe, Iggy And The Stooges zum Beispiel oder Patti Smith. Aber ich habe vor allem tolle Konzerte verpasst. Ich hatte eine Karte fürs Bob-Marley-Konzert in der Dortmunder Westfalenhalle. Aber ich hatte sehr lieben Besuch und habe mir gesagt:“Weißte was, den Blödmann kann ich mir irgendwann auch noch einmal woanders angucken“ – aber die Chance kam nie wieder, weil er kurz danach gestorben ist. Die gleiche Geschichte habe ich mit Miles Davis erlebt. Ich hatte eine Karte und habe sie verschenkt und dachte, den guckst du dir ein anderes Mal an. Die beiden Konzerte, die vermisse ich.

Du sprichst von Miles Davis. Wie wichtig ist Jazz für dich?

Die Impulse kamen so ab 15,16, und gehen auch wieder auf einen Schulfreund zurück, der Saxofonist war. Bei dem habe ich gehockt und Trane und Miles Davis und Gillespie gehört, diese alten Platten, die er wiederum von seinem älteren Bruder bezogen hat. Diesem Freund verdanke ich meine Jazzsozialisation. So war das eigentlich immer: Ich bin rumgelaufen und hab die Ohren gespitzt. Ich hatte später einen Theaterintendanten, der mich der Oper nah gebracht hat.

Welcher Intendant war das?

Sag ich nicht.

Ok. Wenn man musikbegeistert ist, dann leidet man darunter, dass bestimmte Musiker die Anerkennung, die man ihnen selber gibt, nie bekommen haben. Sie haben nie den Durchbruch gehabt. Wer ist das bei dir?

Wann hast du mit Wolfgang Niedecken gesprochen?

Vergangenen Freitag.

Ist da der Name Gerd Köster mal gefallen?

Nein.

Frank Hocker?

Nein.

Ich lebe ja seit über 30 Jahren in Köln und da ist man zwangsläufig ein Wegbegleiter von BAP. Und ich finde ja auch großartig, was die gemacht haben und dass sie sich so lange in dem Geschäft behaupten, auf dem Niveau. Aber es gibt zwei Musiker, die ich genauso lange kenne. Und die immer auch da waren, wo die anderen waren. Die ganz nah dran sind an dieser Stadt. Und das sind Gerd Köster und Frank Hocker. Da gibt es auch in den Bands Überschneidungen, dass ein Gitarrist bei denen und bei denen spielt. Und Gerd hat ein paar Songs geschrieben, die ganz, ganz viel mit meiner Kölner Biografie zu tun haben.

Zum Beispiel?

„Mord ohne Hass“, das ist für mich die absolute Vater-Sohn-Ballade und Kriegsverarbeitungsgeschichte. Find ich großartig. Er hat eine Zeit lang Tom-Waits-Sachen gecovert. Auch ganz großartig. Köster und Hocker sind so wie Jagger/Richards, die sind auch noch immer unterwegs, denen wünsche ich alles Glück der Welt. Ich hätte mir immer gewünscht, dass die mal einen richtigen Hit raushauen.

Zu Niedecken zurück. Der hat eine CD gemacht, die heißt „Zosamme alt“. Gibt es einen Musiker, eine Musikerin, die mit dir gealtert ist?

Die Stones, klar. Das ist ja das Einzigartige, dass es da eine Gruppe von Leuten gibt, die sich allein durch ihre Existenz jeder Kritik entzieht. Ich habe Angst vor dem Tag, an dem ich höre, einer von ihnen ist tot. Das gab es ja tatsächlich mal probeweise. Da war ich auf der Autobahn und höre im Radio, dass „ein Rolling Stone“ tot ist. Gemeint war Ian Stewart, der Pianist. Das kam in der Nachricht aber erst nach 30 Sekunden rüber, weil ich angemacht hatte, als die schon im Text waren. Da hatte ich für einen kurzen Moment das Gefühl, ich hätte verpasst, dass Jagger oder Richards tot sind – und bin rechts rangefahren. Bis die „Ian Stewart“ gesagt haben, und dann leck mich am Arsch Da habe ich noch eine andere Geschichte: Ich drehe in München. Gehe in den Bayerischen Hof, ziehe die Jacke aus, mache Fernsehen an und sehe nur das Bild von Rio Reiser um drei Uhr morgens. Und wusste sofort, dass kann nur eine Todesmeldung sein. Das war eine Scheißnacht. Das war auch so ein Moment.

Kanntet Ihr euch?

Ich habe ein paar Konzerte gesehen, aber wir sind uns nie begegnet.

Würdest du sagen, deine Festplatte ist voll, ich kenne jetzt genug Musik, mit der ich mich vertieft beschäftige und -bei allem Respekt – ich will eigentlich keine neue Musik mehr so richtig kennenlernen?

Vertiefte Beschäftigung … hier, schau mal …

(Król klappt seinen Laptop auf und lässt eine Liveaufnahme von „Wild Horses“ von den Rolling Stones laufen.)

Das ist mein Hit, mein absoluter. Schau ihn dir an (er meint Mick Jagger – Anm. der Red.) Hast du gesehen? Ein eitler Sack. Wann hat er gemerkt, was für eine Macht er hat? Wann ist das passiert?

Vielleicht schon, als sich Mick Jagger und Keith Richards an einer U-Bahnstation getroffen haben? Da hätte ich gern am Nachbargleis gestanden.

Kennst du die Geschichte, wo Jagger an die Hotelbar kommt und sagt:“Where is my drummer?“ Eine halbe Stunde später kommt Watts, knallt ihm eine und sagt: „I am not your fucking drummer! You are my fucking singer!“

Bei dieser „Wild Horses“-Aufzeichung ist schon Ron Wood dabei. Das muss also Mitte der 70er-Jahre sein.

Da gibt es einen Blick, wo die einen Moment komplett im Einverständnis sind. Da gibt es so ein Lächeln von Jagger, da musst du mal drauf achten … Jetzt!

Ja, stimmt.

Wenn es mir schlecht geht, gucke ich mir diesen Moment an. Ich möchte nicht wissen, was er gerade sieht. Glücklicher kann ein Mensch nicht aussehen.

Du bist fasziniert von einem winzigen Moment des Einverständnisses, der lächelnde Mick Jagger blickt zu Keith Richards nach einem Solo. Was geht da in dir vor?

Ich schaue mir das sehr gerne an. Wann immer ich irgendwo im Hotel einchecke, spiele ich erst mal das Lied. Oder wenn es mir schlecht geht. Das ist ja kein Zufall, dass die ausgerechnet die Nummer ausgesucht und remastert und zum 100. Mal verkauft haben mit diesem Filmausschnitt. Ich glaube, dass diese Aufnahme viele perfekte Momente hat. Wie man sie auch als Schauspieler auf der Bühne sucht. Für mich gibt es ja erst mal zwei Momente: Die Stille vor dem ersten Wort und der große Lacher, wenn eine Pointe funktioniert im großen Saal. Das sind Momente, die unvergleichbar sind. Ich möchte nicht wissen, was die eingepfiffen haben, vor dem Konzert. Aber ich glaube, dass sie in dem Moment so zusammen sind, wie sie es sich immer gewünscht haben. Musiker müsste man sein!

Wenn du dir das anguckst, guckst du dann zuerst zu Keith Richards oder zu Mick Jagger? Ist deine Identifikationsfigur bei den Stones eher Jagger oder eher Richards?

Richards! So wie Günter Netzer und nicht Beckenbauer. Klar. Keith ist die Personifizierung einiger Epochen.

Du wirkst andächtig.

Ich wäre fast mal mit ihm Aufzug gefahren.

Fast?

Fast. Wir haben – ich glaube es war „Rossini“ – in München gedreht. Und wir waren alle im Kempinski. Ich komme ins Hotel und vor der Tür sind mehrere Kamerateams. Und ich sage: „Ey, Leute, ihr seid doch nicht wegen mir da! Was ist los?“ Die Stones waren da, die spielten in Nürnberg und niemand wusste sicher, ob Richards dabei ist oder nicht. Das war die Zeit, als er diesen Unfall hatte, als er in seiner Bibliothek die Werke von Jack Daniels gesucht hat …

So will es die Legende.

Ok. Und im selben Moment sehe ich, wie ein Bedford-Bus mit schwarzen Scheiben hinter den ganzen Journalisten lang fährt. Und ich weiß, wo die Tiefgarage vom Kempinski ist. Ich bin also rein und habe vier, fünf Minuten abgewartet und tatsächlich kam er von der Tiefgarage die Treppe rauf, Zylinderhut, Stock mit silbernem Kopf. Der kleine Mann geht auf den Aufzug zu und ich stürze auch dort hin und im selben Moment baut sich ein 2,20-m-Gebirge von schwarzem Mann vor mir auf:“This elevator is not available.“(lacht)

Was hört dein Sohn?

Mein Sohn sammelt mittlerweile Schallplatten. Es wird ja wieder modern, Vinyl zu hören und aufzulegen.

Und wofür schwärmt er?

Sachen, von denen ich noch nie gehört habe. Aber auch Reggae, wo ich ihm dann wiederum Geschichten erzählen kann, Sachen, die wir für uns neu entdeckt haben. Man hat ja in der Vergangenheit auch schon falsch gelegen. Ich hatte mal eine Kneipe in Dortmund und da haben wir „Rapper’s Delight“ gespielt, und ich höre mich sagen: „Die Scheiße, das ist eine Sache von drei Monaten, dann ist das wieder weg. Dieser ganze Rap hat keine Zukunft.“(lacht)

Mann in Bewegung

Die Karten werden wieder neu gemischt, heißt es für den 1957 in Herne geborenen BVB-Fan. Seine Rolle als Hauptkommissar Frank Steier im Frankfurter „Tatort“ erklärte er nach dem Ausstieg seiner Kollegin Nina Kunzendorf für beendet. Die Dreharbeiten der letzten Folgen, in denen er solo ermittelt, sind abgeschlossen. Sie kommen 2014 ins Fernsehen. Ende Oktober 2013 kehrte Król bereits wieder ans Theater zurück -mit Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ im Schauspielhaus Stuttgart. Zuvor spielte er im Winter 2011 an der Seite von Devid Striesow und Ursina Lardi in Tschechows „Kirschgarten“ in den Berliner Sophiensälen. Seine Leidenschaft für die Bühne entdeckte er am Bochumer Schauspielhaus der 70er-Jahre während der Ära von Intendant Peter Zadek. Seit seiner Rolle als Kipp in Detlef Bucks Film „Wir können auch anders“ aus dem Jahr 1993 deckt Król auch in Kino und TV ein weites Rollenspektrum ab. Vom Publikumserfolg „Der bewegte Mann“(1994) über „Es geschah am hellichten Tag“(1996),“Gloomy Sunday“(1999) bis zu Paul Schraders „Adam Resurrected“(2008). Im Fernsehen spielte er zudem eigenwillige Kriminaler, wie Kommissar Lutter oder den Commissario Brunetti in der Donna-Leon-Krimireihe.

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