„Wir mussten schweigen“

Tony Visconti arbeitet seit 45 Jahren mit Bowie. Im Rolling Stone erzählt er, wie es zu dem überraschenden Comeback kam – und was Morrissey nun plant

Ihre Zusammenarbeit reicht bis zu „Space Oddity“ von 1969 zurück. Als Produzent prägte Tony Visconti viele große Bowie-Alben („Heroes“, „Young Americans“, „Scary Monsters“) – und war auch wieder zur Stelle, als Bowie Anfang der Nullerjahre ihre Kooperation mit „Heathen“ und „Reality“ reaktivierte. Vor zwei Jahren begann er mit den Arbeiten am neuen Bowie-Album „The Next Day“, das am 8. März veröffentlicht wird.

ROLLING STONE sprach mit Visconti über die geheimen Sessions, über die Mittelaltergeschichte Englands und ihren Einfluss auf einige der Songs – und warum eine Tournee eher unwahrscheinlich, eine One-off-Show aber durchaus möglich ist. Er erwähnt auch, dass Morrissey, sein anderer langjähriger Klient, momentan genau den anderen Weg einschlagen will … Aber eins nach dem anderen.

Gab es irgendwann in den vergangenen Jahren einen Punkt, an dem Sie davon überzeugt waren, dass Bowie keine Musik mehr veröffentlichen würde?

Nach seinem Herzinfarkt hatte ich mir schon etwas Sorgen gemacht. Und er selbst war wohl auch verunsichert. Er brauchte Zeit für seine Genesung und kommunizierte mit niemandem. Aber ich war einer der ersten, denen er anschließend eine E-Mail schickte – und seitdem waren wir in ständigem Kontakt. Das Thema Musik schnitt er allerdings erst vor zwei Jahren wieder an. Mir gegenüber hatte er allerdings auch nie erwähnt, dass er sich von der Musik komplett zurückziehen wolle. Und jedes Mal, wenn ich ihn traf, machte er auch einen ausgesprochen gesunden Eindruck.

All diese Gerüchte wurden letztlich durch seinen gesundheitlichen Zustand ausgelöst. Aber jedes Mal, wenn ich ihn zum Essen oder auf einen Kaffee traf, sah mein lieber alter Freund wirklich blendend aus. Musik schien ihn aber nicht zu interessieren – bis vor zwei Jahren, als ich von ihm den Anruf bekam. Er sagte: „Was hältst du davon, ein paar Demos zu machen?“ Ich war völlig platt, weil er’s so beiläufig sagte – es war nicht mal der eigentliche Grund seines Anrufes gewesen.

Wie ging es dann schließlich los?

Ich arbeitete gerade in London an einem anderen Projekt – was er aber nicht wusste. Er sagte: „Nun, wann bist du denn wieder zurück?“ Ich sagte: „In ein paar Tagen.“ Am Morgen nach meiner Rückkehr waren wir bereits im Studio. Ich übernahm den Bass, Sterling Campbell die Drums, Gerry Leonard spielte Gitarre und David Keyboards. Eine Woche lang waren wir in diesem winzigen Studio im East Village und spielten Demos ein. Ich musste mir in den Arm kneifen, weil ich’s nicht glauben wollte. Jahrelang war tote Hose – und plötzlich stehen wir im Demo-Studio.

Hatte er zu diesem Zeitpunkt schon ausgearbeitete Songs?

Ja, er hatte sie zu Hause geschrieben und auf einem 8- oder 16-Track-Digi-Recorder vorbereitet. Sie waren schon weitgehend ausgearbeitet. Er hatte nette Ideen für den Bass und ein paar Schlagzeug-Figuren. Wir transkribierten schnell die Akkordfolgen – und Gerry Leonard und ich spielten sie dann vom Blatt. Das Studio war vielleicht gerade mal neun Quadratmeter groß – den Platz fürs Schlagzeug mit eingerechnet. Wir standen uns sprichwörtlich auf den Füßen – und nach ein, zwei Stunden war die Luft so schlecht, dass wir nur noch japsten.

Was war wohl der Auslöser für ihn? Er hatte ja schon jahrelang kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben.

Er sagte nur: „Ich hab wieder den Wunsch, was zu schreiben.“ Ich weiß nicht, ob er schon früher damit angefangen hatte. Es waren jedenfalls acht Songs, die er mitbrachte.

Und wie lange waren Sie in dem Studio?

Fünf Tage, wobei wir allerdings erst am letzten Tag wirklich aufnahmen. Vorher hatten wir uns mit dem Transkribieren der Noten beschäftigt. Am fünften Tag wussten wir allerdings schon nicht mehr, was wir am ersten Tag gemacht hatten. Aber irgendwie kriegten wir die Sachen aufs Band – wobei es hilfreich war, dass uns der Studiobesitzer eine simple Pro-Tool-Version zur Verfügung stellen konnte. Das war im November 2010. Dann sagte David: „Ich fang jetzt mit dem Schreiben an“, und verschwand für vier Monate. Er schrieb noch weitere Songs und arbeitete sie diesmal auch noch detaillierter aus. Er hatte Lyrics und Melodien – was beim ersten Mal noch nicht der Fall gewesen war. Aber so lief es bei jedem Album, das ich mit ihm gemacht habe: „Scary Monsters“, eigentlich jedes Album, fängt mit einem fertigen Song an, während der Rest aus zehn groben Ideen besteht. Diese Vorgehensweise ist also durchaus typisch für ihn.

Wie ging’s dann weiter?

Im April 2011 gingen wir in ein anderes Studio in New York. Wir arbeiteten jeweils zwei Wochen lang und machten dazwischen eine zweimonatige Pause, in der David weiteres Material schrieb. Ich hörte es mir an, kam selbst mit Ideen, schlug potenzielle Overdubs vor … wir waren in ständigem Kontakt. Das war also vor etwa 18 Monaten. Wenn man all die Wochen zusammenaddiert, die wir im Studio verbracht haben, werden es wohl dreieinhalb Monate gewesen sein.

Sie haben gesagt, dass „Where Are We Now“, die erste Single, mit den anderen Songs des Albums nicht vergleichbar sei. Sind die anderen Songs denn ebenfalls Reflexionen auf sein bisheriges Leben?

Nicht wirklich, das dürfte der einzige Song in dieser Richtung sein. Alle anderen Songs sind eher Beobachtungen, die er in der dritten Person schreibt. Sicher basieren einige auf seinen Lebenserfahrungen, aber sie sind eher so was wie „social commentaries“. Es las seinerzeit viele Bücher über die englische Geschichte des Mittelalters – und der Titeltrack beschäftigt sich explizit mit diesem Thema. Es dreht sich um einen wenig bekannten Tyrannen; ich wusste anfangs nicht mal, von wem er sprach. Aber wenn man dann die Lyrics liest: Es ist schon eine ganz schön schauerliche Geschichte.

Auf dem neuen Album sind fünf fast klassische Rock-Stücke.

Ja, „The Next Day“ fällt sicher in diese Kategorie, „The Stars (Are Out Tonight)“ auch.

Und die Nicht-Rocker sind eher verträumte Sachen – oder wie würden Sie die Atmosphäre der Songs beschreiben?

Sie sind eher funky, mid-tempo, sehr bewegend. Und „Dirty Boy“, der zweite Track, ist ganz schön schlüpfrig.

Schlüpfrig?

Er ist dunkel, geheimnisvoll, sexy. Und hat ein fantastisches Saxofon-Solo. David spielt ja selbst Bariton-Saxofon, aber er lud seinen Freund Steve Elson ein, auf dem Album das Saxofon zu spielen. Ich glaube, Steve war früher mal in der „Saturday Night Live“-Band. Er ist ein kleiner Bursche, hat aber dieses riesige Bariton-Sax – und er spielt dieses aufreizende Solo, das so klingt wie Stripper-Musik aus den Fünfzigerjahren – die klassische Anmach-Musik. Wäre auch auf „Young Americans“ nicht fehl am Platz gewesen.

Erzählen Sie uns etwas über „Dancing Out In Space“.

Eine sehr schnelle Nummer. Sie hat einen Motown-Beat, aber ist ansonsten völlig psychedelisch – alles sehr atmosphärisch und fließend. David Torn spielt die Gitarre. Er kam mit einem riesigen Equipment und malte damit diese wundervollen akustischen Landschaften. Er mischte Ambient-Klänge in einen Rock-Kontext, zauberte mit seinem Tremolo-Arm und was weiß ich. Der ganze Track hat jedenfalls einen völlig abgefahrenen Sound.

Was ist mit „Boss Of Me“?

Das ist eine der langsameren, funky Nummern, die auf den Punkt kommt. Es erinnert leicht an „Young Americans“, geht aber melodisch neue Wege. Klingt nicht wie ein typischer Bowie-Track, ist aber nichtsdestotrotz eine ausgezeichnete Nummer.

Das Album endet mit „Heat“.

Sehr dramatisch! Ich weiß auch nicht, wovon der Song handelt, aber es ist jedenfalls eine klassische Bowie-Ballade. Er singt ganz wunderbar, sehr tief und voll. Aber ich kann nicht viel dazu sagen, weil ich über den Inhalt nichts weiß. Er handelt entweder von einem sehr realen Gefängnis oder aber davon, in seinem eigenen Kopf gefangen zu sein. Aber auch in diesem Fall ist es nicht autobiografisch – er gibt einer anderen Person seine Stimme.

Und wie ist das bei „I’d Rather Be High“?

Es gibt einige Songs über Kriege, über Soldaten. Einer ist „How Does The Grass Grow“, in dem es darum geht, wie Soldaten dazu konditioniert werden, andere Soldaten zu töten. „How does the grass grow“ ist Teil eines Kampfschreis, den sie bei der Ausbildung ausstoßen müssen, wenn sie mit ihrem Bajonett in eine Attrappe stechen. „I’d Rather Be High“ handelt von einem Soldaten, der aus dem Krieg zurückkehrt und innerlich völlig ausgebrannt ist. Statt zu versuchen, sich wieder ins Leben einzugliedern, jammert er nur: „I’d rather be high/ I don’t want to know/ I’m trying to erase these thoughts from my mind.“

Welche Musiker waren an den Aufnahmen beteiligt?

Wir hatten zwei Drummer: überwiegend Zachary Alford, während Sterling Campbell nur auf einigen Tracks vertreten ist. Es war blöd gelaufen: Sterling war bei den frühen Demo-Sessions dabei, aber da wir nicht wussten, wann genau die eigentlichen Aufnahmen anfangen würden, hatte er sich verpflichtet, auf eine Tournee mit den B-52’s zu gehen. Wir riefen daraufhin Zach an, der wahnsinnige Drum-Parts einspielte. Sterling ist aber auch noch auf einigen Songs vertreten – auf „Valentine’s Day“ etwa oder „(You Will) See The World On Fire“, was ein weiteres knalliges Rockstück ist.

Am Bass war überwiegend Gail Ann Dorsey, die unglaubliche Sachen spielte und auch ein paar Back-up-Vocals mit David einsang. Auf vier oder fünf Tracks übernahm Tony Levin den Bass. Die Gitarren stammen von Gerry Leonard, der ja schon auf „Heathen“ und „Reality“ mitwirkte und Davids musikalischer Direktor ist, dann David Torn mit seiner Ambient-Gitarre – und schließlich holten wir noch Earl Slick, der ein paar fantastische Soli und Heavy-Gitarren einspielte. Ich sprang als Bassist auf zwei Tracks ein, während David die Keyboards übernahm, aber auch etwas Akustik- und E-Gitarre spielte.

Wie schwer war es, die Sessions geheim zu halten?

Es war überhaupt kein Problem, da wir nun mal alle loyale Freunde sind. Ich kenne ihn schon seit 45 Jahren – und alle anderen in der Band seit mindestens zehn. Wir lieben den Jungen eben. Er sagte: „Erzählt es niemandem, nicht mal eurem besten Freund.“ Worauf ich fragte: „Was ist mit der Freundin?“ Und er meinte: „Na ja, die Freundin wird man wohl informieren müssen, aber sie darf’s nicht weitererzählen.“ Man musste ja schließlich morgens seiner Freundin erklären, wo man tagsüber hinging.

Aber die wirkliche Herausforderung bestand darin, es nicht einmal seinen besten Freunden erzählen zu können. Bowie-Fans sind nun mal nicht zu bremsen: Wenn jemand Wind bekommen hätte, wäre schon vor Jahren alles aufgeflogen. Es gab allerdings eine Person, der aber niemand glaubte …

Wer?

Robert Fripp. Wir hatten bei ihm nachgefragt, ob er auf dem Album spielen wolle. Er lehnte zwar ab, schrieb dann aber auf seinem Blog, dass man ihn gefragt habe. Aber niemand glaubte ihm. Das Gerücht kursierte für ein paar Tage im Internet, aber dann kamen alle zu dem Schluss: „Wie kann das angehen? Wir haben von niemandem sonst eine Bestätigung bekommen.“

Die Gretchenfrage: Glauben Sie, dass Bowie noch einmal auf Tour gehen wird?

Er sagt, dass er nur spielen wird, wenn er wirklich Lust verspürt – aber bestimmt keine Tournee. Falls es sich um eine einzelne Show in New York oder London handelt, würde er’s vielleicht machen. Und er hat seinem Label von vornherein klargemacht, dass er weder touren noch eine große Promo-Kampagne mitmachen wird. Es war seine Idee, die Meldung an seinem Geburtstag um Mitternacht bekannt zu geben, um dann die Dinge einfach ins Rollen kommen zu lassen.

Glauben Sie wirklich, dass die Beschränkung auf nur eine einzige Show realistisch ist?

Warum nicht – wenn er’s denn so will? Ich sprach noch vor zwei Tagen mit ihm. Er meinte: „Ich werde unnachgiebig bleiben, was eine Tour angeht. Wenn überhaupt, werde ich eine Show spielen.“ Wann und wo, weiß aber niemand.

Das Album-Cover ist etwas ungewöhnlich …

Als ich es bekam, war ich mir nicht sicher, ob das wirklich der endgültige Entwurf ist …

Es ist endgültig.

Ich dachte zuerst, ein Fan hätte ein Witz-Cover eingereicht.

Und – was ist Ihre Meinung dazu?

Ich finde es großartig. Obendrein hat er jetzt genug Platz, um in der Mitte Autogramme schreiben zu können.

Eine Einschätzung bitte noch zu einem anderen Künstler, mit dem Sie viel verbindet: Glauben Sie, dass Sie noch einmal mit Morrissey zusammenarbeiten werden?

Ich hoffe doch. Wir schreiben uns regelmäßig E-Mails und sprechen auch oft miteinander. Er hat im Moment keinen Plattendeal und sträubt sich, einen neuen Vertrag zu unterschreiben, weil sie im Moment nur diese 360-Grad-Deals anbieten, bei denen sie ein Stück von allen deinen Einnahmen fordern. Ob du ein Buch schreibst, einen Song, in einem Film mitspielst – sie wollen Prozente von allem. Das ist gegenwärtig die Einstellung der großen Firmen: Weil die Verkäufe so rückläufig sind, müssen sie das Geld aus anderen Quellen reinholen. Aber Morrissey ist nun mal old school und kann sich damit überhaupt nicht anfreunden. Und ich kann ihn gut verstehen.

Er könnte doch die Radiohead-Nummer durchziehen und sein Album selbst online verkaufen.

Ich weiß. Aber er ist auch old school, was die Finanzierung eines Albums angeht. Normalerweise schoss ein Label diese Kosten ja vor – und im Showgeschäft gibt’s diese alte Faustregel, dass man nie sein eigenes Geld in eine Show investieren sollte. Bis zu einem gewissen Grad hatte sich diese Einstellung auch im Musikgeschäft breitgemacht, aber in letzter Zeit hat sich da einiges geändert.

Und wenn er bei einem Indie-Label unterschriebe, das nicht auf einem 360-Grad-Deal besteht? Davon abgesehen: Er hat doch genug Fans, die liebend gerne zehn Dollar für ein Album zahlen würden und die Kosten so locker wieder einspielen.

Ja, er würde das Geld wieder reinholen, ganz sicher. Aber stattdessen stellt er seine neuen Songs einfach auf der Bühne vor, wo sie allabendlich mit Handys aufgenommen werden. Und es sind wundervolle Songs.

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