Bonnie Raitt – Es fehlt das Geld
Bonnie Raitt über neu gewonnene Freiheiten, finanzielle Sorgen und berühmte Fans
Sieben Jahre Anlauf hat Bonnie Raitt für ihr neues Album „Slipstream“ genommen – so viel wie nie zuvor in ihrer Karriere. Die 62-jährige Kalifornierin mit der blonden Strähne im Rotschopf hat sich nicht nur von der Firma (Capitol) verabschiedet, mit der sie 1989 mit dem Grammy-dekorierten „Nick Of Time“ doch noch ihren späten Mainstream-Durchbruch verbuchen konnte, Raitt musste auch den Verlust ihrer Eltern und ihres Bruders verarbeiten. Gleichzeitig wird sie von einer neuen Generation entdeckt: Sowohl Adele als auch Bon Iver versuchten sich an ihrem Klassiker „I Can’t Make You Love Me“, den die umtriebige Anti-Atom-Aktivistin auf ihrem Multi-Platin-Album „Luck Of The Draw“ (1991) gesungen hatte.
Wie fühlt es sich an, mit Ihrem 19. Album auf dem eigenen Label Redwing zu debütieren?
Oh, großartig! Ich hatte das lange vorbereitet, mit diesen vier tollen Frauen aus meinem Büro. Wir haben die Hausaufgaben gemacht, auch mit anderen Künstlern gesprochen. Mit den Möglichkeiten des digitalen Vertriebs ist eine große Firma heute einfach nicht mehr notwendig. Und wie meine Freundin Beth Nielsen Chapman sagt: „You’ll love the math!“
Sie haben für „Slipstream“ auch das erste Mal mit Joe Henry als Produzent gearbeitet. Seit wann ist Ihnen seine Arbeit bekannt?
Schon ziemlich lange. Und jetzt wollte ich endlich Songs von ihm aufnehmen. Wie sich rausstellte, wollte er mir auch gerade eine Zusammenarbeit vorschlagen – eine wundervolle Synchronizität. Bill Frisell sollte auch dabei sein, der hatte auf Joes „Scar“-Album gespielt, das ich so sehr mag. Wir dachten an zwei, drei Songs – und am Ende waren’s acht oder neun. Aber ich hatte ja auch noch die Stücke mit meiner Band.
Es ist also kein ganzes Album mit Henry geworden, weil Sie sich Ihrer Band gegenüber loyal verhalten wollten?
Es geht allein um die Musikstile. Funky Songs, Reggae, Afrikanisches – es muss meinen breit gefächerten Geschmack komplett reflektieren. Besonders nach dieser langen Pause wollte ich kein Album nur mit Joes Art von Material. Ich liebe es, mit ihm zu arbeiten – aber ein ganzes von ihm geprägtes Album hätte mich doch eher falsch repräsentiert. Also habe ich erst mal vier Songs mit Joe aufgenommen.
Wobei jeweils einem düsteren Dylan-Song wie „Million Miles“ ein tröstlicher Song von Joe Henry wie „You Can’t Fail Me Now“ folgt, so als wollten Sie sagen: Ach, ganz so schlimm ist es doch nicht bestellt um uns …
Ich verstehe Ihre Sichtweise, aber es geht immer ums komplette Album, um diese emotionale Reise, auf die ich die Leute mitnehme. Da werde ich nie zu viele dunkle Songs aneinanderreihen – es sei denn, ich bin gerade angepisst. (lacht)
Randall Brambletts „Used To Rule The World“ spricht zwar von Charakteren, meint aber wohl auch die USA selbst. Den meisten US-Amerikanern scheint noch nicht klar zu sein, dass ihr „way of life“ aufs Ende zusteuert .
Ja, da liegen Sie richtig. Der Song wurde lange vor der Occupy-Geschichte geschrieben, aber gerade in einem Wahljahr war es mir wichtig, solch ein Stück dabeizuhaben. Es ist deprimierend, dass sich die politische Debatte hier so polarisiert und dass die Wall Street mit ihrem Geld immer noch unbegrenzt Einfluss hat. Ich nenne es deshalb Auktion, nicht Wahl. Auch in den USA bemerken zwar viele Leute, dass etwas falsch läuft, aber sie zeigen bloß mit dem Finger auf Obama, was lächerlich ist. Gott sei dank ist Deutschland ganz vorn dabei, was alternative Energien und den Atom-Ausstieg angeht.
Künstler wie Adele und Bon Iver singen Ihre Klassiker. Ein gutes Gefühl, noch mal ein bisschen hip zu werden?
Ich war schon überrascht und erfreut, als ich Bon Iver mit „I Can’t Make You Love Me“ und „Nick Of Time“ sah. Justin (Vernon, der Bon-Iver-Frontmann) nahm dann auch Kontakt auf, wir haben Lieblingssongs ausgetauscht, vielleicht entwickelt sich da eine Freundschaft. Und Adele mit ihren ganzen Grammys – das war eine große Ehre für mich.
Sie sind selbst bei den letzten Grammys aufgetreten, um die verstorbene Etta James zu würdigen. Mavis Staples, auch eine große Stimme dieser Soul-Generation, wird Sie auf Ihrer US-Tour supporten. Was ist aus Ihrer R&B-Foundation geworden, die Sie 1988 für weniger begünstigte Künstler gegründet hatten?
Unsere Award-Show hab ich jedenfalls ganz bewusst auf den Tag nach den Grammys gelegt – dann können sich die Stars nicht damit rausreden, dass sie gerade nicht in der Stadt sind. Es gab aber viel zu wenig Unterstützung, auch aus der Musikindustrie. Nach 13 Jahren stimmten die Firmen endlich einer Erhöhung der Royalties zu! Wir dachten auch, wenn die alten Verträge schon so unfair waren und die Künstler daraus kaum Geld sehen, dann zweigen sie zumindest einen Teil ihrer Profite für die Stiftung ab. Doch die Rezession, die Implosion der Industrie, große Stars, die sich raushalten – es fehlt einfach das Geld, um unsere Ziele wirklich zu erreichen. Aber wir existieren noch, zwischen Teilerfolg und Frustration. Immerhin konnten wir bisher rund 1,5 Millionen Dollar an bedürftige Künstler und Musiker überweisen, und darauf bin ich stolz.
Ihre Webseite listet über 80 Non-Profit-Organisationen. Wie kriegen Sie diese ganze Benefiz-Arbeit eigentlich auf die Reihe?
Nur mit den Frauen in meinem Büro, die alle Multitalente sind. Benefiz-Sachen sind mir schon wichtig, seit ich damals allein mit Gitarre unterwegs war. Bob Dylan, Joan Baez, Mavis Staples, all meine Idole waren doch für eine gute Sache im Einsatz. Ich arbeite nie nur für mich selbst – denn ich habe mehr, als ich brauche, und meine Bedürfnisse sind eher bescheiden.