„Uncool? Gern!“

Dezember 2004 Nach 25 Jahren waren U2 mit ihrer Unzufriedenheit endlich zufrieden. Schließlich war es immer ihre kreative Unrast, die sie in stilistische Abenteuer getrieben hat. Im folgenden Interview erzählten alle vier, warum es sie überhaupt nicht mehr irritiert, in gewissen Kritikerkreisen als uncool zu gelten.

Gemütlich haben sie’s. U2 empfangen im bandeigenen Studio am Hanover Quay, das nicht gerade in der schönsten Ecke Dublins liegt, aber hell und freundlich wirkt. Direkt hinter den großen Fenstern fließt der Liffey vorbei. Ein paar abgewrackte Boote liegen am Kai, sie dienen nur der Abschreckung. Ist doch besser, wenn Fans nicht hier anlegen und stören können. Schließlich wurde hier in den letzten Monaten unter Hochdruck gearbeitet. Jetzt ist das Album „How To Dismantle An Atomic Bomb“ fertig – und die Iren sind einigermaßen bereit, darüber zu reden.

Die Gesprächspaare könnten kaum unterschiedlicher sein. Bassist Adam Clayton trägt jetzt keine Brille mehr, die grauen Haare raspelkurz und hat immer noch diese Aura der Unnahbarkeit. Seit sechs Jahren trinkt Clayton keinen Alkohol mehr, er sieht fitter aus denn je. Mit seinen Louis-Vuitton-Schühchen und der auffälligen Bulgari-Uhr passt er allerdings nicht ganz ins eher bodenständige Interieur und noch weniger zu dem Mann neben ihm: Gitarrist The Edge nimmt seine Hafenarbeitermütze niemals ab, er hat eine speckige Hose an und alte Converse-Turnschuhe, die auch schon bessere Zeiten gesehen haben. Er spricht leise, aber bestimmt, immer mit Nachdruck. Es stimmt tatsächlich, was Bono mal sagte: Edge wirkt wie „ein Mädchen mit Schnurrbart“. Clayton gibt lieber den Distanzierten, zieht gern die Augenbrauen hoch und scheint sich ständig zu fragen, warum er eigentlich dabeisitzen muss, wenn der Kollege Auskunft gibt.

Auch bei den anderen beiden ist die Redezeit ungerecht verteilt. Bono ist schon in Fahrt, bevor das Interview überhaupt beginnt. Plötzlich ist ihm eingefallen, dass es doch besser wäre, wenn die Journalisten das neue Album mehr als zweimal hören könnten, bevor sie Fragen dazu stellen müssen.

Das will er noch mit dem Management klären. Er zündet sich eine Zigarette an, wirft aus Versehen die Schachtel zu Boden, schüttelt über sich selbst den Kopf. Dann setzt er sich endlich aufs Sofa – auf den äußersten Rand, und auch da hält es ihn nicht lange. Er steht gern auf, um Details mit raumgreifenden Gesten zu verdeutlichen. Bono ist ganz in Jeans gekleidet, trägt die obligatorische getönte Brille, und wenn mich nicht alles täuscht, hat er bei der Haarfarbe ein bisschen nachgeholfen. Macht ja nichts, man wird eben älter. Es sei denn, man heißt Larry Mullen Jr. Der Schlagzeuger hat immer noch keine Falten, auch wenn er oft so nachdenklich, fast angestrengt guckt. Er bietet Tee an, versinkt in seinen Stuhl und lässt erst mal seinen Freund reden. Es kommt einem vor, als sei er nur hier, um in die Bresche zu springen, wenn Bono mal nicht weiter weiß – oder pinkeln gehen muss. Dann erzählt Mullen durchaus Interessantes. Aber halt nur, wenn es nicht anders geht.

How To Develop An Atomic Bomb Ein Album verselbstständigt sich

Wenn Mullen sich entscheiden müsste, ob U2 lieber ihre Fans konstant erfreuen oder doch eher überraschen wollen, dann nimmt er den Mittelweg: „Consistent surprises!“, ruft er und lächelt. Bono versucht, es genauer zu erklären: „Man kann nur eine gewisse Menge Primärfarben ertragen. Immer nur Rot, Gelb und Blau. Das sind doch die Primärfarben, oder? Jedenfalls gibt es ja auch Violett und all die anderen Farbtöne, an denen wir interessiert sind. Türkis, Aquamarin. Letztendlich wollten wir viel mehr Dimension. I said dimension, not dementia! We got both though.“

Ein reines Rock’n’Roll-Album wurde es am Ende nicht. Am Anfang klang laut Larry alles „aggressiv und abgenervt“, dann wurde es doch wieder versöhnlicher. “ That’s the story of U2″, seufzt Mullen. „Die Alben verselbstständigen sich immer. Wir bekommen eine ganz bestimmte Platte, auch wenn wir eine ganz andere wollen. Wir können dagegen ankämpfen, wie wir wollen, es ist sinnlos. Als wollte man ein Quadrat in ein rundes Loch stecken.“

Auch mit der Reihenfolge der Songs quälten sich U2 lange herum. Für The Edge, den die anderen gern „mad professor“ nennen, ist es kein Problem, ein paar Dutzend Optionen durchzuprobieren. Er fand das diesmal gar nicht so schlimm.“So ein Albtraum wie bei, All That You Can’t Leave Behind‘ war es nicht. Diesmal hatten wir ein paar Möglichkeiten, und eines Abends saß ich da mit ein paar Gläsern Wein und versuchte, das objektiv zu beurteilen. Als wäre ich ein DJ, der die Songs auflegt. Man ist immer unsicher. Die Plattenfirma will ja immer, dass die besten, eingängigsten Stücke am Anfang stehen. Aber wir wollten ein rundes Ding. Bono fiel erst später etwas auf: Das Album spannt einen ganz bestimmten Bogen – we take it from fear to faith. In diesen Zeiten gibt es ja grundsätzlich zwei Strategien, wie man Entscheidungen treffen kann: Entweder man wird von Angst bestimmt und erlaubt ihr, zu entscheiden, wie man lebt und agiert. Oder man beschließt, Glauben als konstruktivere Herangehensweise anzunehmen. Diese beiden Strategien bestimmen den Bogen des Albums. Erstaunlich, wie sich versteckte Logik manchmal unbewusst auswirkt.“ Oder, wie Bono es ausdrückt: „Das Album ist eine Reise, die an diesem freakigen, angstbesetzten Ort der Paraonia namens, Vertigo‘ beginnt und auf den Knien endet, mit ‚Yahweh‘. Es ist kein Konzeptalbum, aber es spiegelt irgendwie wider, wie das Album entstanden ist: Es beginnt mit dem Album, das wir machen wollten, und endet mit dem, das wir bekommen haben. Das passiert uns oft.“

Viele Diskussionen um die einzelnen Songs, die schließlich auf dem Album landen, gibt es bei den vieren nicht.

The Edge: „Wenn etwas nicht stimmt, dann streiten wir. Aber wenn der Song schließlich richtig ist, dann empfinden wir das alle so. So funktioniert unsere Band. Wir arbeiten demokratisch, aber am Ende gewinnen immer die besten Ideen. Jeder sieht das große Ziel, keiner will persönliche Punkte sammeln. Und gerade weil unsere Geschmäcker so verschieden sind, wissen wir: Wenn alle den Song, die Melodie, den Text oder den Mix mögen, dann haben wir recht.“

At A Place Called Vertigo Warum U2 viele Produzenten brauchen

Zuerst produzierte Chris Thomas das Album, dann kam Steve Lillywhite dazu, der schon für die ersten drei U2-Werke verantwortlich war. Brian Eno und Daniel Lanois tauchten auch wieder auf, ebenso Nellee Hooper, Flood und Jacknife Lee. Muss das denn sein? Wären U2 inzwischen nicht in der Lage, mit weniger Personal auszukommen? Die machen das doch seit 25 Jahren. Bono lacht, ein bisschen verschämt fast: „Wir brauchen manchmal jemanden im Raum, der objektiv sein kann. Because we can disappear up our own arse. And it’s a nice arse, but you do need somebody to come in. Chris Thomas war wunderbar mit seiner Rock’n’Roll-Erfahrung. Aber wir brauchen auch diese gewisse Irritation im Studio, diese Alchemisten, diese Menschen, die es mögen, wenn das Wasser unruhig wird, weil man dann Magie finden kann. Die Brian Enos. Oder in diesem Fall Jacknife Lee, ein toller junger Produzent Wir wollen experimentieren, aber wir wollen dann irgendwann auch kommunizieren. Es muss eine Kombination aus beidem sein. Flood ist zum Beispiel ein Alchemist und ein großartiger Kommunikator. Es ist schwierig mit uns. Wenn man sich die Produzentenliste anschaut, sieht man, wie schwer es ist, ein großes Album zu machen. Sobald man sich das vergegenwärtigt hat, scheut man nicht mehr davor zurück, um Hilfe zu bitten.“

Ob U2 die annehmen, ist eine andere Frage, Mal so, mal so. „Vertigo“ hat zum Beispiel einen langen Weg hinter sich. The Edge setzte die Musik „aus ein paar Larry-Drum-Loops und ein paar Gitarrenriffs zusammen, dann nahmen sie eine Version mit Thomas auf. Damals hieß der Song noch „Native Son“, gefiel aber nicht hundertprozentig. Lillywhite arbeitete weiter dran, schließlich fiel Bono eine neue Melodie ein, alles wurde umgeworfen und „Vertigo“ war fertig. „Für uns ist das nichts Neues“, zuckt Edge mit den Schultern. „Oft nehmen Lieder im allerletzten Moment eine komplette Wendung. Was unsere Produzenten absolut verrückt macht. Sie wissen nie, was läuft, bis das Album wirklich ganz im Kasten ist und wir mischen. Dann fangen sie an, sich zu entspannen.“ Oder sich zu ärgern. Wer weiß das schon.

Sometimes You Can’t Make It On Your Own Bono und die Songtexte

Seine Songtexte schreibt Bono am liebsten am Morgen. Er wacht oft mit Ideen auf und hat stets Schreibutensilien parat. Seine Fähigkeit, auch dann noch kreativ zu sein, wenn andere längst erschöpft sind, hat Mullen immer beeindruckt. „Selbst bei 24-Stunden-Flügen nach Australien, wenn wirklich jeder gelangweilt war, saß Bono da mit seinem Computer und freute sich.“ Bono mag Flugzeuge, Züge, Busse. „Ich bin gern in Transit, weit weg von mir selbst. Das trifft ja auch auf die Band zu: Wenn wir wissen, wer wir sind, sind wir nicht gut. Deshalb improvisieren wir so viel. Dann weiß man nicht, was als Nächstes kommt, was hinter der Ecke auf einen wartet.“

Dieses Album klingt aber, als wüsstet Ihr wieder genau, wer Ihr seid. Es ist praktisch die Essenz von U2.

Bono: Essenz ist ein großartiges Wort. Wir mögen dieses Wort. Wir suchen immer das Essenzielle.

War die Arbeit diesmal leichter, nachdem „All That You Can’t Leave Behind“ überall so gut aufgenommen wurde? Hat euch das nach den harschen Kritiken in den 90er-Jahren versöhnt?

Das war die Rache! Das letzte Album war wahrscheinlich unsere beste Zusammenstellung von Songs. Aber wir fanden, dass das Ganze nicht besser war als die Summe der Einzelteile. Und das ist ja das Allerschwerste: mehr daraus zu machen, dem Ganzen ein eigenes Gesicht zu geben. Bei „Achtung Baby“ war uns das gelungen, bei „Zooropa“, auch bei „The Joshua Tree“. Diese Gesamtstimmung. Danach streben wir. Wir hätten letztes Jahr ein Album veröffentlichen können, und es wäre wirklich gut gewesen, vielleicht sogar sehr gut. But very good is the enemy of great. Great is what happens when very good gets tired. If you’re lucky.

Wisst Ihr immer, wann etwas großartig ist? Wann der Song richtig ist?

Edge mischt das Album immer noch. Kein Witz! Ich bin mir ganz, ganz sicher, dass er das tut. Er sitzt zu Hause und probiert Verschiedenes aus -obwohl wir ihm gesagt haben, dass das Ding doch längst im Presswerk ist. Du kannst nichts mehr daran ändern! Jetzt macht er sich an das Artwork. Als Nächstes kommen die Poster dran.

Wie leicht gingen dir die Texte von der Hand?

Sehr leicht. Ich habe zwei Kritiker – mit Larry und Adam – und einen Rächer mit Edge. So funktioniert das. So leicht wie diesmal fielen mir die Texte noch nie. Ich habe sie in Minuten geschrieben. Was dieses Album betrifft: Wir haben vielleicht zwei Jahre daran gearbeitet, aber die Songs selbst, die haben wir in drei oder vier Takes aufgenommen. „Yahweh“ hat vielleicht zehn Takes gebraucht, „Vertigo“ vier. Die meiste Zeit haben wir also damit verbracht, die Tinte zu mischen. Wie ein chinesisches Sprichwort sagt: Man braucht ein Jahr, um die Tinte zu mischen, und eine Sekunde, um den Punkt zu setzen. Songwriting, Improvisation, wir haben immerhin an 30 Songs gearbeitet. Manche sind nicht auf dem Album, weil sie nicht zur Stimmung passen – nicht, weil sie nicht großartig sind. Da gibt es einen Song mit Dr. Dre namens „Treason“, einen Song über Johnny Cash namens „North Star“. Erstaunliche Songs, die ich gern bald fertigstellen würde. Ich will nicht zu lange warten. Ich hätte gern bald ein weiteres Album.

Larry: Halt nicht den Atem an.

Bono: Aber bei uns stimmt zurzeit alles. We’re in the zone. In the zone. That’s the mental state, not the diet!

„Sometimes You Can’t Make It On Your Own“ handelt von der Beziehung zu deinem Vater, der vor drei Jahren starb. Hast du nie Hemmungen, persönlichste Erfahrungen in Songs zu packen?

Exhibition is a prerequisite for being an artist. Tatsächlich würde ich sagen, mein Leben, mein Job ist es, mich selbst auszustellen. Es ist eine Arbeit am offenen Herzen. Mein Job ist die Arroganz zu glauben, dass andere Leute das, was ich denke, das, was mich verletzt, gern mit mir teilen möchten. Ich habe ja keine Wahl. Dieser Schrei, das Geheul – das kommt von einem Ort, den ich auch nicht verstehe. Ich wache morgens mit einer Melodie auf. Ich schreibe Sachen für mich selbst auf, um gesund zu bleiben. Ich muss das machen, egal ob andere zuhören.

Entsteht Musik immer aus Schmerz?

Ich glaub schon. Die Arbeit von Künstlern ist es dann aber, Schönheit an unerwarteten Orten zu finden. Oft an hässlichen Orten. So viele Menschen, die singen, wurden verlassen – John Lennon, John Lydon. Ob das der Tod ihrer Mutter war oder was auch immer – Schmerz gehört dazu. Der Dalai Lama sagte mal: „Beginne die Meditation über das Leben mit dem Tod.“ Das ist ein prätentiöser Spruch, aber ich bin ein großer Fan von Menschen, die prätentiöse Ansagen machen. Er ist viel eloquenter und fähiger als ich. Ich glaube, er hat recht, auch wenn ich das alles noch nicht ganz durchschaut habe. Aber ich glaube, ich wäre nicht in einer Band, wenn meine Mutter nicht gestorben wäre, als ich 14 war. Und Larry wäre nicht derselbe Musiker, wenn sein Vater nicht gestorben wäre, als er 17 war. Diese Verzweiflung in Freude umzuwandeln – das ist Rock’n’Roll. Auch wenn ich eine schreckliche Zeit hinter mir habe … Der Tod meines Vaters war eine Art Büchse der Pandora. Als sie aufging, sprangen viele Geister heraus und jagten mich um den Tisch und auf die Straße und in viele finstere Ecken. Aber daraus ist am Ende diese Platte geworden. Für mich ist das erstaunliche, aufbauende Musik. Mit einer Bittersüße, einer Melancholie – aber voller Freude.

Konntest du deine Gefühle gleich in Songs verwandeln?

„Sometimes You Can’t Make It On Your Own“ hat viel Zeit in Anspruch genommen, es war ein slow burner. Ich saß schon daran, als mein Vater krank war, ich habe ihn dann auf seiner Beerdigung gesungen, aber wir haben ihn nicht richtig hingekriegt. Wir wollten, dass er wie die Walker Brothers klingt, wie eine 50er-Jahre-Ballade, aber wir blieben immer wieder stecken. Erst Nellee Hooper und Steve Lillywhite haben uns auf den richtigen Weg gebracht.

Doch zunächst, bevor der Song überhaupt aufgenommen werden konnte, musste Bono erst einmal sich selbst wieder in Ordnung bringen. Er gibt zu, eine Zeit lang viel zu viel getrunken zu haben – und die Nerven seiner Ehefrau Ali extrem strapaziert zu haben. Aber die beiden sind seit fast 30 Jahren zusammen, sie haben vier Kinder. Die wirft so schnell nichts um. Und seine Bandkollegen waren in der größten Krise seines Lebens auch viel mehr als das – echte Freunde. Als Bob Hewson beerdigt wurde, trugen Mullen und Edge den Sarg zusammen mit Bono.

Und schließlich kam Trost sogar aus Ecken, in denen man ihn nicht erwartet hatte. Als Bono eines Tages bei Noel Gallagher beklagte, er wisse nicht, was nach dem Tod geschehe und wo sein Vater nun sei, antwortete der Oasis-Kopf lakonisch: „Well, he’s one step closer to knowing, isn’t he?“ Daraus wurde schnell das Lied „One Step Closer“.

Auch wenn es ein paar politsche Stücke auf dem Album gibt – „Miracle Drug“, „Crumbs From Your Table“ -, so sind es doch die Liebeslieder und die persönlichen Dramen von Verwirrung, Verzweiflung und Verlust, die „Bomb“ tragen. The Edge sieht das auch so: „Es geht um das Trauma, das Bono durch den Tod seines Vaters durchlebt hat. Die politische, sozialkritische Seite läuft mit durch, aber für mich ist sie nicht so offenkundig.“ Manchmal hilft der Gitarrist beim Texten mit, aber zu viel will er sich nicht einmischen. „Ich versuche gewöhnlich nur, ihm zu sagen, was er meiner Meinung nach noch genauer ausarbeiten könnte, um seine Sichtweise zu verdeutlichen. Ich zwänge ihm nicht meine auf. Ich stachle ihn nur an, damit er noch besser wird. Aber letztlich muss er das singen. Gerade bei unserer Musik ist es so wichtig, dass man völlig dahinterstehen kann. Wenn das nicht so ist, nagt das ewig an dir und du wirst dich immer komisch bei solchen Songs fühlen. Normalerweise werden das dann B-Seiten …“

Gefragt, welches seiner Hauptthemen – Liebe, Glaube, Politik – auf dem neuen Werk am wichtigsten sei, antwortet Bono sofort: „Liebe. Denn es ist der Mangel an Liebe, der die Welt so macht, wie sie ist. Und Gott und Liebe sind ohnehin dasselbe.“ Der Abschluss-Song heißt „Yahweh“. Der Titel war nicht unumstritten im U2-Camp. „Wir spielten es einem von der Plattenfirma vor, und er fragte, was ist denn das,, Yahweh‘? Ich sagte: einer der geheimnisvolleren Namen für Gott. Fundamentalistische Juden dürfen ihn gar nicht aufschreiben oder sagen. Er sah mich sehr entsetzt an und sagte: Ich wünschte, du hättest mir das gar nicht erzählt! Kannst du den Song nicht umbenennen? Nenn ihn, Ali‘, dann ist es ein toller Song! Aber das Wort entstand einfach in meinem Mund, als ich sang, also blieben wir dabei.“

Edge ist gern bereit, Kritik dafür in Empfang zu nehmen. Er vertraut Bonos Instinkten, aber vorsichtshalber betont er doch noch einmal, dass das Lied auf keinen Fall respektlos sein soll. Das ist ihm schon wichtig, immerhin sind drei der U2-Mitglieder bekennende Christen. Bono liest jeden Tag in der Bibel, wenn ihm nichts dazwischenkommt. Nur Clayton hat den Weg zu Gott noch nicht gefunden – und mag „Yahweh“ trotzdem: „Ach, es ist ein sehr schöner Song, der Text politisiert zwar auf gewisse Weise, aber es geht am Ende doch um Vergebung. Diese Zeile, dass keiner Jerusalem besitzen kann, gefällt mir. Ich habe kein Problem mit dem religiösen Aspekt, nein.“ Länger darüber reden will er jetzt aber auch nicht.

Es scheint Bonos Schicksal zu sein, dass er oft falsch verstanden wird. Nicht nur im übertragenen Sinn. Er hat sich daran gewöhnt. Sogar Leute, mit denen er ständig zusammenarbeitet, können seine Texte nicht immer richtig transkribieren. „Manchmal sind ihre Worte viel besser als meine! Mein Lieblingsfehler kommt von einem japanischen Plattenfirmentypen, der sagte: Wir haben gehört, dass Bono ein Duett mit Frank Sinatra aufnimmt, ein Lied namens, Under My Chicken‘. Fantastisch!“ Er gibt eine Kostprobe, wie das klingen würde. Und dann fällt Larry ein, dass er bei diesem einen neuen Stück, „All Because Of You“, auch ganz schön daneben lag. „Stimmt!“, fallt Bono ihm ins Wort „Da hieß es: ‚I was born a child of grace/ Little else about the place‘. Und Larry dachte, es hieße, little elfs‘.“ Naja, grinst Larry, „Bono war ein paar Tage unterwegs gewesen, aber da fragte ich mich schon, was passiert war!“ Später änderte Bono die Zeile um in „Nothing else about the place“.

The Travelling Salesman Bono, die Politik und die Leidenschaft

In den vergangenen Jahren war Bono eher selten als Texter und Sänger aufgetreten, häufiger als Sprecher für politische Zwecke. 2002 gründete er DATA (Debt Aids Trade in Africa) mit, eine Organisation, die Schulden und Aids in Afrika minimieren, Handelsbeziehungen zu reicheren Ländern maximieren will. Er traf Bush, Blair, Schröder, Annan, Gates, den Papst und alle, die sonst noch was zu sagen haben. Er wurde, wie er es nennt, „a rock star with a cause – das Schlimmste, was es auf Gottes grüner Erde gibt“.

Hast du dich manchmal gefragt, warum du das überhaupt machst? Es gab ja viel Kritik an deinen politischen Aktivitäten …

Bono: Aber das ist Kritik, mit der ich leben kann. Die Leute feinden mich an oder wollen mit mir streiten, weil sie anderer Meinung sind. Das ist doch eigentlich ein großes Kompliment. Es interessiert sie. Wenn jemand starke Emotionen U2 gegenüber hat und diesen Bono nicht ausstehen kann – in Ordnung. Gleichgültigkeit ist der Feind der Liebe, nicht Hass.

Aber lässt sich die Arbeit mit U2 immer gut vereinbaren mit der politischen? Kannst du problemlos hin- und herschalten?

Bono: So unterschiedlich ist die Arbeit gar nicht. Ich sehe mich selbst als Handelsvertreter. Mit U2 ziehen wir von Stadt zu Stadt und verkaufen Songs. Ansonsten gehe ich von Politiker zu Politiker und verkaufe Ideen. Ich bin ein guter Verkäufer, ich stamme aus einer langen Linie von Verkaufsleuten auf Mutters Seite. Der Hauptunterschied ist: Dies macht viel mehr Spaß! Mir ist die Musik jetzt noch heiliger. Aber der Kommunikationsprozess ist der gemeinsame Nenner. Ideen kommunizieren zu können. Das eine ist mir zugefallen, weil Politiker ihren Job nicht richtig machen, also muss ich das jetzt machen. Das andere ist viel natürlicher für mich, es ist ein Geschenk. Musik ist ein Geschenk, das man bekommen hat, und das sollte einen demütig machen. Zu wissen, dass man dieses tolle Leben nur wegen eines Geschenks hat. Ich bin immer überrascht, wie arrogant manche Künstler sind – viel arroganter als die meisten selfmade men, die sich durchs College gekämpft haben und für ihren Erfolg hart arbeiten müssen. Talentiert zu sein ist doch kein Verdienst.

Haben U2 unter Bonos Aktionen gelitten?

The Edge: Wir sind sehr stolz auf Bonos politische Leistungen. So skeptisch ich auch gewesen sein mag … Ich musste mir oft auf die Zunge beißen – und mir oft eingestehen, dass ich unrecht hatte. Er hat es irgendwie – und ich habe keine Ahnung wie – geschafft, von hohen politischen Kreisen sehr respektiert zu werden. Und gleichzeitig konnte er noch alles Nötige für U2 tun – texten, singen, performen.

Ohne U2 hätte Bono vermutlich auch nicht so viele hochrangige Politiker treffen können …

The Edge: Er weiß, tief in seiner Seele, dass seine Glaubwürdigkeit, die es ihm ermöglicht, diese Meetings einzuberufen und diese Politiker zu treffen und diesen Respekt zu bekommen, hauptsächlich damit zusammenhängt, dass wir so viele Fans haben. Jemand, der so viele Menschen anzieht, ist für einen Politiker ein attraktiver Verbündeter – und ein unangenehmer Feind.

Aber als Bono verkündete, er werde George W. Bush treffen, warst du doch unglücklich, oder?

The Edge: George W. war schlimm genug, (der republikanische Ex-Senator) Jesse Helms noch übler. Zu der Zeit war ich wirklich dagegen und habe ihm das auch sehr deutlich gesagt. Er hat meine Zweifel mit auf den Weg genommen, aber am Ende muss er selbst entscheiden, was er tut. Für ihn geht es darum, was er erreichen kann, was er rausziehen kann aus so einem Treffen. George Bush zu treffen war für ihn keine Kleinigkeit, er hat das nicht so mir nichts dir nichts entschieden. Er wusste ja sehr wohl, dass das sehr unhip ist, und dass es für ihn wahrscheinlich einen negativen Effekt haben würde. Aber er wollte über Aids in Afrika reden, er wollte etwas schaffen. Und tatsächlich ist ja einiges passiert, mehr als bei anderen Regierungen – es floss sehr viel Geld. Sein anderes Hauptthema – die Handelsbeziehungen, die angekurbelt werden müssen – wurde auch besprochen. Das sind alles Dinge, die sich noch Generationen lang auswirken werden. Was kann man am Ende also dagegen sagen? Die Resultate stimmen. War es die Sache wert? Heute muss ich zugeben: Ja, definitiv. Er hatte mal wieder recht.

Man kann U2 nicht vorwerfen, dass sie es sich jemals leicht gemacht hätten. Nachdem sie in den 80er-Jahren zu einer der größten Rockbands der Welt aufgestiegen waren, zogen sie selbst die Handbremse und weigerten sich, so weiterzumachen. Es war erst mal Schluss mit wichtigen Botschaften und großen Gesten. Während man bei allem Surrealismus und unter der Ironie bei „Achtung Baby“ auch als Freund der alten Alben noch mitkam, musste man sich spätestens bei den folgenden Tourneen doch wundern. Riesige Zitronen auf der Bühne, Glitzeranzüge, Maskeraden wie MacPhisto. Bono als kleiner Teufel? Er versteht schon, dass manch einer da überfordert war: „Wenn wir vorher darüber nachdenken würden, was die Leute von unserem Zeug halten, dann hätten wir sicher viel weniger Ärger gehabt. Ich auf jeden Fall. Larry ist vermutlich mein bester Bodyguard in der Band. Er hat oft Angst, dass wir, wenn wir von einem Gebäude springen, am Ende vielleicht doch nicht fliegen können.“ Er lacht auf, wird aber gleich wieder ganz ernst. „Ich finde, es ist Teil unseres Jobs als Band, Dinge anzugehen, die andere als Tabu betrachten. Das war schon auf dem ersten Album so, auf ‚Boy‘. Vorher gab es all diese adoleszente Musik, alles drehte sich um Sexualität und Hormone. Wir schrieben dann ein Album darüber, wie vielschichtig das ist, diese Männlichkeit, wie fragil das Konstrukt für einen Teenager ist, dieser Verlust der Unschuld. Es war komplett uncool. Aber ehrlich. We were never cool. We were always hot. Leidenschaftlich. Blut schoss durch unsere Adern, der Adrenalinspiegel war extrem hoch. Was das Gegenteil von cool ist.“ Heute kann er damit gut leben. Er weiß, dass genau das so viele Menschen anzieht. „Viele identifizieren sich mit mir, weil es eben so viele uncoole Leute auf der Welt gibt, und ich bin gern einer von ihnen. Cool bringt dich nicht weit. Die Leute identifizieren sich auch mit mir, weil – hoffentlich – mein Verstand und mein Herz offen sind. Mein Gesicht war früher viel offener. Aber obwohl ich eine Brille trage, bin ich immer noch transparenter als die meisten Rockstars. Sogar, wenn ich den Rockstar-Gang einlege. Durch mich kann man leichter hindurchsehen. Hoffe ich. Es stimmt wohl auch, denn ich werde dauernd angequatscht, man behandelt mich nicht wie einen Star.“ Larry schaut seinen Freund genau an, schüttelt dann zufrieden den Kopf und sagt: „Wir sind nicht wie so Berühmtheiten. Celebrity ain’t worth a shit.“

Berühmtheit drehe sich nur um Neid, fügt Bono an – und der führe dann zu Wut. Seine These lautet: Die Paparazzi, die allerorten Stars auflauern und versuchen, sie im ungünstigsten Moment abzuschließen, rächen sich im Namen aller Neidischen an der Popkultur. Wie Zahnärzte seien die, erklärt Bono, die einen ständig mit dem Bohrer verfolgen. Er macht das ganz plastisch vor. Fast bekommt man Angst dabei. Adam Clayton sieht das alles entspannter. Noch vor ein paar Jahren, bevor mit „All That You Can’t Leave Behind“ alles gut wurde, wollte kaum eine Band gestehen, dass sie von U2 beeinflusst wurde und deren Musik immer noch liebt. Heute ist das anders. Von Travis über Starsailor bis zu Coldplay verneigen sich viele jüngere vor den großen Kollegen. „Man braucht wohl ein bisschen Distanz. Viele der jungen Gruppen sind weit genug von uns entfernt, um zugeben zu können, dass sie uns mögen. Früher fehlte diese Distanz. Da wäre es nicht cool gewesen, U2 zu loben. Das ist so ein Generationending.“ The Edge nickt, mit so einem wunderbar milden Gesichtsausdruck, der alles zu verzeihen scheint. „Ja, die Zeit vergeht, und man überlebt, trotz aller Fehler. Die Hipness einer Band – oder das Fehlen der Hipness – spielt irgendwann keine Rolle mehr.“ Er überlegt einen Moment und fügt dann hinzu: „Ich warte nur darauf, dass die Haarschnitte der frühen 80er wieder geschätzt werden! Ich glaube, in ganz Europa liegen noch Haarteile rum. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der mullet wieder modern wird. Ich könnte mich aber auch irren.“

Wenn es nach Bono geht, irrt er sich garantiert. Der antwortet auf die Frage, ob er irgendetwas in der U2-Karriere bereue, ohne zu zögen: „Es gibt diese Vokuhila-Frisur. Und es gibt unerträgliche Momente. Ich habe schon mit so vielen verschiedenen Stimmen gesungen, und manches kann ich mir kaum anhören. Zum Beispiel ‚Pride (In The Name Of Love)‘. Ich klinge wie ein Mädchen.“

Er sieht mich an und meint: „No offence!“ Larry springt sofort zur Seite: „Er mag Mädchen!“ Stimmt, sagt Bono, aber als The Edge die U2-Compilation „The Best Of 1980-1990“ zusammenstellte, wollte er sich das trotzdem nicht anhören. „Ich sah nur unvollendete Texte, unvollendete Gedanken, unvollendete Songs. Und der Gesang war so roh. Aber ich habe auch gemerkt, dass die Musik eine ekstatische Qualität hatte. Sie hatte etwas Besonderes, so peinlich sie auch war und ist.“

Seine 13-jährige Tochter Eve, die sonst nur HipHop hört, wollte neulich mal „Boy“ hören, das hat er dann schon zugelassen. Die 15-jährige Jordan mag lieber Queens Of The Stone Age, findet U2 aber in ihren aggressiven Momenten okay. Balladen kann sie nicht ausstehen. In den Familien der Bandmitglieder spielt Musik allerdings ohnehin keine entscheidende Rolle. Alle sind froh, wenn sie auch mal Pause machen können. Deshalb sind U2 auch nie aus Dublin weggezogen, in eine angesagtere Stadt wie London oder New York. Oder? „You think Dublin is not cool?“ Bono zieht die Augenbrauen hoch und erinnert jetzt doch noch mal an MacPhisto. Dann muss er lachen. „Na ja, wir benutzen es tatsächlich als Rückzugsmöglichkeit. Wir gehen weg und tun so, als wären wir Rockstars, und dann kommen wir heim und hängen mit Familie und Freunden rum. Wir haben hier eine Gemeinde, mit der wir aufgewachsen sind, und die interessiert es gar nicht, dass wir in so einer Band sind. Manchmal vergessen wir das dann auch, und das ist nett.“

Genau deshalb sind U2 wahrscheinlich auch noch so nett. Die Beständigkeit und Loyalität der Musiker gilt ja nicht nur im Privaten, sondern auch im Geschäftlichen. Seit den Anfangstagen haben sie denselben Manager, Paul McGuinness, und dieselbe Plattenfirma. Sie haben immer die Rechte an ihren Liedern behalten und sie nie zu Werbezwecken verkauft. Bis jetzt.

In dem Punkt machen sie gerade eine kleine Ausnahme: Vor Kurzem stellten sie den U2-iPod vor, der schwarz-rot gestaltet ist wie das neue Album, das Gesamtwerk der Band geladen hat und für Apple eine große Sache ist. Für U2, so scheint es, ist das einfach eine nette Abwechslung. Und das Geld werden sie sicher gut anlegen.

A Sort Of Homecoming Ambitionen, Erfolg und Rock’n’Roll

Natürlich wollten U2 immer den Erfolg. Sie wollten die größte Band der Welt sein, sie wollten die Stadien füllen, sie wollten die Hits. Aber inzwischen, nachdem sie all das jahrelang hatten, ist Bonos Ambition eine andere: „Relevant zu sein und ein Album zu machen, das den Menschen etwas bedeutet.“

The Edge ist aufgefallen, dass sie jedes Mal, wenn sie versuchten, kommerziell erfolgreiche Musik zu schreiben, auf die Nase fielen. Ein, zwei Mal kam das vor, und jetzt haben sie es aufgegeben. Für Platin reicht es ja sowieso meistens noch. Larry erinnert sich aber auch an andere Zeiten: „Man gewöhnt sich sehr an den Applaus, man genießt ihn. Da ist es hart, wenn die Leute plötzlich auf ihren Händen sitzen. Aber solange wir absolut an das glauben, was wir tun, kommen wir auch damit klar. Man muss uns schon erlauben, dass wir selbst entscheiden, in welche Richtung wir gehen, dass wir mal experimentieren wollen – und dann auch mal scheitern. Ich will keinen normalen Job, echt nicht Also hofft man, dass einem das Publikum eine lange Leine lässt – und ich finde, das haben sie bisher auch getan. Eine sehr lange Leine.“

Momentan haben es U2 ohnehin recht leicht, zumindest empfinden sie das selbst so. Endlich spielt Rock’n’Roll wieder eine wichtige Rolle, und niemand ist darüber glücklicher als The Edge. „Wir arbeiten ja nicht in einem Vakuum. Obwohl unsere Musik nie im Zentrum einer gewissen Zeit stand, ist ein gewisses zeitgenössisches Element immer dabei. Diese Wiederentdeckung echter, frischer, interessanter Rock’n’Roll-Bands – Yeah Yeah Yeahs, Black Rebel Motorcycle Club, Razorlight – hat uns beflügelt, nachdem jahrelang HipHop in fast jeder Hinsicht – Innovation, Songwriting, Produzieren – wegweisend gewesen war.“ Clayton schwärmt noch von Franz Ferdinand und The Hives, wie aufregend das alles sei und dass bei den „Q Awards“ gerade lauter Rock-Bands nominiert waren. Das fand er toll. Dass U2 den „Icon“-Preis bekommen haben – das erwähnt er zuerst gar nicht, aber ach ja, das war natürlich auch schön. Sie sind jetzt wohl die elder statesmen des Rock. Es gab schon schlimmere Bezeichnungen für sie.

U2 wissen genau, wie sehr einem ein falsches Image schaden kann. Wie ein paar Bilder, ein paar falsche Auftritte die Musik in den Hintergrund drängen können. Die 90er-Jahre waren für sie ein einziges Verpackungsproblem. Hinter all der Fassade wurde manch guter Song glatt übersehen. Aber U2 verstehen auch etwas davon, sich in Geduld zu üben. The Edge glaubt ja, dass U2 „praktisch keine Hit-Singles“ hatten, weil alle immer zu lange brauchen, um die Lieder richtig zu verstehen und sie einzuschätzen. Und dann sind sie schon wieder raus aus den Charts. „We push things. We take big risks. Und entweder haben wir dann große Erfolge oder gelegentlich große Fauxpas. Deswegen muss man wohl Stellung zu U2 beziehen – das ist nicht bei jeder Band so, weil viele Kollegen vorsichtiger sind. Das Hauptverdienst – oder die Hauptschuld, je nachdem, wie man das sieht – daran muss ich da Bono zuschreiben. Er hat keine Angst davor, kontrovers zu sein und Aufregung zu verursachen.“

Die lustigste Begründung für all die Haken, die U2 schon geschlagen haben, hat Larry Mullen. „U2 arbeiten nicht auf Bestellung“, sagt er. „Wir warten immer auf die magischen Momente. Wir haben keinen Plan. Unsere Art zu arbeiten ist unkonventionell und komisch. Wir versuchen immer noch herauszufinden, wie wir funktionieren. Zum einen sicher, weil wir Freunde sind und uns respektieren. 25 Jahre – das schafft ja kaum eine Ehe. Aber das andere, was U2 so besonders macht, ist die Tatsache, dass wir keine bewanderten Musiker sind. Uns fehlen die Fähigkeiten und das Handwerkszeug, das viele andere Songwriter haben. Deshalb funktionieren wir besser als interpretive force. Wir experimentieren und probieren herum. Wir machen alle komische Sachen, die normale Musiker nicht machen würden, weil wir das professionelle Ding nicht hinkriegen.“

Er guckt nach links und rechts, als könnte er gleich ertappt werden, und erzählt fast flüsternd, dass Adam Clayton nicht bis vier zählen kann. Also keinen Takt halten. Deshalb spielt er anders Bass als die meisten Kollegen, genau wie The Edge nie das Naheliegende tut. Und deshalb sind alle vier immer so glücklich, wenn ein Album im Kasten ist: „Die Aufregung ist jedes Mal riesengroß. Schau, wir haben’s wieder geschafft!“ Bono bestätigt:, ,Das ist keine Koketterie. Auch wenn wir die Tauben in die Jacke stecken oder das Kaninchen in den Hut, sind wir doch sehr gespannt und können es kaum glauben, wenn der Zaubertrick tatsächlich funktioniert und das Tier rauskommt!“

Diamonds In The Dirt Wie es nach 25 Jahren weitergehen kann

Das schlechte Gewissen lässt U2 nie so ganz los. Irgendwie finden sie das immer noch nicht korrekt, dass sie so viel Geld scheffeln und in so schönen Villen wohnen und sich keine Sorgen machen müssen. Auch deshalb setzt Bono sich so vehement für weniger Begünstigte ein und arbeitet so hart, um sich all die Anerkennung wirklich zu verdienen. „Es gibt jetzt für uns keinen anderen Grund mehr. Es ist ein Segen oder ein Fluch, diese finanzielle Unabhängigkeit. Wenn wir das hier angefangen hätten, um reich und berühmt zu sein, gäbe es jetzt keinen Grund mehr zu arbeiten. Doch das war es nie. Wir hatten schon viel Spaß daran, aber wir wollten immer etwas beweisen. Man kann dieses Leben, das wir bekommen haben, mit Sommerhäusern und ohne Hypotheken und ohne Zukunftsängste, nicht führen und Mist sein. Das hieße, ein Versprechen zu brechen. Wir haben mit unserem Publikum einen Deal: Sie geben uns ein außergewöhnliches Leben, aber im Gegenzug müssen wir ihnen außergewöhnliche Musik geben. Und wenn wir damit aufhören, hören sie auch auf.“

Für Bono bedeutet das freilich, dass er sich weiterhin in den Wind stellen wird, seine Gefühle und Gedanken auf einem Tablett serviert und abwartet, ob sie angenommen oder zerpflückt werden. Er wird damit zurechtkommen. „Ich habe eine Karriere aus einer Persönlichkeitskrise gemacht. Aber nicht um meiner selbst willen. Ich möchte einfach nur, dass wir unser Potenzial ausschöpfen. Und dafür muss man viel versuchen und oft scheitern und weiterhin bereit sein, zu scheitern. Man zieht verschiedene Klamotten an und verschiedene Schuhe und schaut, wie weit sie einen bringen. Es ist nur intellektuelle Neugier. Man hebt Steine hoch und schaut, was darunter ist. Manchmal sind es nur scheußliche Kriechtiere, manchmal findest du Diamanten im Schmutz. Diese Neugier hat vielleicht dazu geführt, dass man denkt, ich hätte all diese verschiedenen Persönlichkeiten in mir.“ Er war der Kämpfer mit der weißen Flagge, der wütende Ire, der Messias, The Fly, MacPhisto, der verzweifelte Sohn, der glückliche Familienvater, der Ehrendoktor, der Boxer, der Tänzer in der Diskothek, der Samariter; der Politiker; der Typ am Abgrund. Und demnächst werden ihm bestimmt ein paar neue Rollen einfallen. „Aber im Grunde ist das alles derselbe Megalomaniac.“ Wie beruhigend.

Die Story zur Story

Einen Interviewtermin bei U2 zu bekommen, gleicht einem Lotteriegewinn, wenn man kein langjähriger Freund der Band ist. Birgit Fuß hatte im Jahr 2004 Glück und konnte in Dublin ausführlich mit den vieren sprechen. Den Artikel fertigte sie danach auf Deutsch und Englisch an – die ROLLING-STONE-Ausgaben in Australien, Russland, Italien, Frankreich, Spanien und Mexiko übernahmen die Titelgeschichte. Dabei fiel der Autorin die Computerarbeit schwer: Nach einer komplizierten Laseroperation konnte sie ihren Text anfangs nur schemenhaft sehen. Aber Bono heilt ja bekanntlich auch Blinde.

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