„Chaos macht das Leben aus“
Neil Finn über die Kunst des Songschreibens für Crowded House und andere Projekte.
Neil Finn im siebten Himmel: Der Vormann von Crowded House konnte im letzten Jahr so viele Songs verwerten wie lange nicht mehr. Für Crowded House, deren zweites Post-Reunion Album „Intriguer“ gerade erscheint. Für das mit Ehefrau Sharon ins Leben gerufene Projekt Pajama Party, Veröffentlichung folgt. Und für 7 Worlds Collide – unter diesem Namen haben u. a. Musiker von Radiohead und Wilco sowie KT Tunstall, Bic Runga und Johnny Marr im letzten Jahr zu Hause bei den Finns in Neuseeland ein Doppelalbum namens „The Sun Came Out“ aufgenommen. Die Platte ist ein Loblied auf die Kunst des Songwriting und die Schönheit der kreativen Gemeinschaft. Der Umsatz geht an Oxfam.
Ist Songwriting das Schönste auf der Welt?
Songwriting ist für mich immer noch genauso rätselhaft wie am Anfang. An den Tagen, an denen man nichts hinkriegt, kann man sich nicht vorstellen, jemals etwas hingekriegt zu haben. Und an den Tagen, an denen es läuft, ist es die einfachste Sache der Welt. Der Kampf auf dem Weg dorthin ist unausweichlich.
Das neue Album von Crowded House heißt „Intriguer“, der Intrigant. Kein sehr einladender Titel.
Der Intriguer ist ein mythologischer Charakter, eine Schattenfigur, der ich eine ganze Reihe seltsamer Ereignisse zuschreibe. Wenn etwas schiefläuft oder sich komische Vorfälle häufen, dann hat er seine Hand im Spiel. Vieles auf der Platte behandelt seinen Einfluss auf unser Leben und die Dankbarkeit dafür.
Ich verstehe nicht ganz.
Das Ganze geht auf einen Abend in einem Hotel in Sydney zurück. Ich saß mit meinem Freund Michael Leunig an der Bar und wir sahen diese Gestalt hinter dem Vorhang auf- und abgehen. Immer, wenn die Figur auftauchte, passierte etwas. Ein Kellner ließ ein Tablett mit Gläsern fallen, eine Frau hatte einen lauten Streit mit ihrem Mann und stürmte zur Tür raus, jemand stolperte und fiel hin. Seitdem halten wir nach dem Intriguer Ausschau. Wenn es interessant wird, ist er in der Nähe.
Sie machen Witze.
Nein, nein. Wir glauben an seine Präsenz. Sie kennen in ihrem Leben doch bestimmt auch diese Tage, wenn sich seltsame Zufälle häufen. Man hat ein bisschen Angst, im Chaos unterzugehen, aber gleichzeitig macht das doch das Leben aus, diese Momente bringen einen an interessante Orte.
Ist das eine Strategie für das Leben oder für die Kunst?
Für beides. Jedenfalls haben wir bei Crowded House immer diese Mentalität gehabt, dass man Unfälle geschehen lassen muss, weil aus ihnen heraus etwas Gutes passiert.
Von außen sieht es so aus, als hätten Sie als Songwriter verschiedene Phasen gehabt. Die großen Mitsing-Lieder bei Crowded House, die experimentellen Solo-Jahre, jetzt wieder eine kommunikative Situation in der Band und in verschiedenen Projekten. Sehen Sie diese Phasen auch?
Man kann seine eigene Reise ja nicht analysieren, sie ist ein Kontinuum. Es gibt Zeiten, in denen man plötzlich brennt, dann wird der Drang zu schreiben riesengroß. Ich glaube, das sind die entscheidenden Momente, weil man die Energie hat, um über den Berg zu kommen, in ein neues Gebiet.
Sie haben im letzten Jahr unter dem Namen 7 Worlds Collide eine Art Allstar-Songwriter-Band zusammengebracht. Verderben zu viele Köche nicht den Brei?
Nein, absolut nicht – die Arbeit mit 7 Worlds Collide war einer der Höhepunkte in meinem Leben. Wir haben all diese fabelhaften Musiker mit ihren Familien über Weihnachten nach Neuseeland eingeladen und sie in Ferienwohnungen am Strand untergebracht. Ich habe in Auckland ein wunderschönes Haus, in das ich ein Studio gebaut habe. Drei Wochen lang haben da immer mehrere Leute gleichzeitig geschrieben und aufgenommen, eine Art bootcamp für Musiker.
Im Gegensatz zu ihren oft komplex arrangierten Studioaufnahmen spielen Sie Ihre Lieder live meist einfach, ohne viel Drumherum.
Im Konzert sollten der Song, die Melodie und die physische Umgebung genug sein. In meinem Elternhaus fanden früher oft Partys statt, und auf diesen Partys wurde immer gesungen. Alle standen um das Klavier herum, alle waren dabei, es war ein tolles Gefühl von Freiheit und Gemeinschaft. Ich habe diese Haltung mit auf die Bühne genommen. Bei Crowded House ging es immer darum, die Leute mit hineinzuziehen – als wären sie in unserem Wohnzimmer. Jörn Schlüter