Kekse und Katastrophen
Die Kolumnistin Fanny Müller veröffentlicht ihr Gesamtwerk - Frank Schäfer schreibt ihr dazu ein paar bewundernde Zeilen
Wo nehmen wir eigentlich die Kraft her?“
Elsa F. (nach Fanny Müller)
Liebe Fanny, was deine Arbeit vor allem auszeichnet, und sie von den anderen ranghohen Kolumnisten wie Max Goldt, Harry Rowohlt (als er noch schrieb), Wiglaf Droste et alii unterscheidet, ist ihre enorme Anschlussfähigkeit über Geschlechter-, Generations- und nicht zuletzt auch Klassengrenzen hinweg. Bei deinen Lesungen kommt die bauchnabelgepiercte junge Germanistin genauso auf ihre Kosten wie die sonst nur Rosamunde Pilcher goutierende Hausfrau und Mutter oder der hochwasserhosige Nerd, der sonst nur Fachliteratur liest. Ich habe diese Homogenisierung eines aus verschiedenen Milieus stammenden Publikums zu einer dir quasi aus der Hand fressenden Jüngerschaft mehrfach erlebt. Wie erklärst du dir das? Was ist das Geheimnis deines Erfolges? Jetzt sag nicht Kaloderma!
Ich hör wohl nicht richtig! Kaloderma! Dabei habe ich meiner Mutter immer ihr Chanel Nr.5 geklaut! Frauen mögen es, wenn eine Frau in ihren Geschichten nicht angibt. Beispielsweise mal so nebenbei einflicht, dass sie Horaz im Urtext gelesen hat. Männer mögen das auch, allerdings aus anderen Gründen. Merke: Eine Frau darf eine andere Frau nur im Leiden übertreffen, sonst hat sie gleich verschissen.
Ich glaube ja, es hegt daran, dass es dir eben nicht in erster Linie um ein Thema geht, das dann mit Hilfe komischer Rabulistik Funken sprüht – das wäre eher die Methode von Max Goldt. Du erzählst einfach eine Geschichte, und der kann man fast voraussetzungslos folgen. Hinzu kommt, dass deine Prosa sich eher kleiner macht, als sie ist, was nicht heißen soll, dass sie unliterarisch wäre, aber schlicht. Vielleicht auch ein Grund, warum deine Lesungen so gut funktionieren: weil die Texte von vornherein eine gewisse Affinität zum Mündlichen haben.
Kürzlich hat mich ein Journalist interviewt, der fragte: Muss man fiktiv werden, um die Story linear zur Pointe zu fuhren? Ich: Das würde ich so direkt nicht sagen, aber ich werde immer linear, wenn ich eine Fiktion storymäßig kreuzweise zur Pointe… Sie wissen schon. So viel zum „Geheimnis meines Erfolges“.
Gerade ist mit „Keks, Frau K. und Katastrophen“ (Gerd Haffmans bei 2001, 13,90 Euro) auf 545 Seiten dein Gesamtwerk erschienen. Die Gesammelten Werke zu Lebzeiten, das war eigentlich stets ein untrügliches Zeichen dafür, dass man es ab Autor geschafft hat. Gibt’s jetzt bei dir nur noch Likör und Kuchen? Und schlägt sich so ein vorläufiger Schlussstein am Ende auf deine Arbeit nieder? Probierst Du zukünftig mal andere Formate aus, den Historischen Roman etwa, die große Autobiografie oder dergleichen – anstatt des von dir bevorzugten und in all den Jahren perfektionierten Zwei-bis-drei-Seiters?
Likör hatte ich erst neulich, als ich einer alten Dame mein Buch über Frau K. geschenkt hatte und sie nach 14 Tagen fragte, wie es ihr gefallen habe. „Da haben Sie sich aber viel Mühe gegeben“, sagte sie. Auha! Da habe ich aber schon bessere Rezensionen gehabt. Sie holte eine verstaubte Flasche und schenkte mir ein Glas ein. „Passen Sie auf, das mögen Sie!“ Es war Schlehenfeuer.
Mit 20 Jahren wollte ich den großen Roman der Gegenwart schreiben – und kann jetzt der Jungfrau Maria nicht genügend Kerzlein anzünden, weil man damals zu faul war. Biografien, auch Reisebeschreibungen lese ich sehr gern, auch mal einen historischen Roman, aber nicht von der Sorte: „Lancelot betrat die Burg des Königs Artus. Er sah unheimlich gut aus.“ Inzwischen bin ich alt genug um zu wissen, was ich wirklich kann. Deshalb bin ich auch nicht neidisch auf Frau Jelinek. Ich finde, es wurde mal wieder Zeit, dass eine Frau aus einem Entwicklungsland den Nobelpreis bekommt Du bist erst spät zum Schreiben gekommen, jedenfalls zum Publizieren. Gab es so etwas wie ein Initiationserlebnis oder einen konkreten Anlass?
Mein damaliger Freund, ein Biker, klaute gerne mal die „Titanic“ und „Kowalski“. In der letzteren standen unter „Zeichen, Zeiten, Tage und Wunder“ kurze Texte von Autoren – von Autorinnen weniger -, die las ich durch und dachte: So was kann ich auch.
Ich schickte dann eine Geschichte los, übrigens die erste aus „Frau K.“, die wurde sofort gedruckt, und man verlangte mehr. So fing’s an. Als „Kowalski“ pleite ging, fragte dann die „Titanic“ an.
Dieses Interview erscheint ja in einer Musikzeitschrift. Wenn man deine Texte mal auf einschlägige Stellen hin durchsieht, wird man kaum fündig. Man muss schon ein bisschen suchen, und dann sind es auch mehr die Ab- und Irrwege der Musikgeschichte, die dir in den Blick geraten: Bata IIlic, Rex Gildo, Marianne Rosenberg, so dieses Kaliber… Fanny, Du bist doch eine moderne Frau! Fällt dir zur Popmusik gar nichts ein?
Ich und modern? Ich bin altmodisch! Ich will meine Ruhe haben! Aus dem Grund höre ich kaum Musik, weil ich von der Nachbarschaft bereits hinreichend damit zugeballert werde. Ich sage nur, dass gegenüber ein Jungvolk wohnt, das pausenlos Rap hört, schräg gegenüber die Marianne-Rosenberg-Gemeinde und über mir ein Trommel-Fetischist. Ganz abgesehen vom „Punk-Bunker“, der gern mal mitten in der Nacht eine bunte Mischung von allem bietet Übrigens, ROLLING STONE, das ist natürlich schon ’ne coole Nummer – das ist ungefähr so, als würde in „Heim und Garten heute“ über streetfreestyler berichtet.
Eine letzte Frage unter Kaffeeschwestern: Wann hast du dich zuletzt verliebt?
Das letzte Mal? Warte mal vor ungefähr… ist ja auch egal. Jedenfalls war ich 16, und ER war der Schauspieler Oskar Werner. Von ihm habe ich an meinen Küchenschrank ein Foto geheftet, auf dem er zusammen mit Jeanne Moreau im Film Jules und Jim“ zu sehen ist. Kommt die Nichte vorbei und fragt: „Wer ist das denn?“ Sage ich enthusiastisch: „Der wunderbare Oskar Werner, oh mein Gott, wie war der gut! Früher war er am Burgtheater und dann…“ Sie unterbricht mich: „Und – wer ist die Schlampe?“
MUSlkbÜCher vonWolfgangDoebeling „In Black And White – Hie Life Of Sammy Davis Jr“ (Aurum,ca.35Euro) von Wil Haygood ist ähnlich angelegt wie „Dino“, die furiose Dean-Martin-Bio von Nick Tosches, haut in dieselbe literarische Kerbe und dürfte sich ebenso erfolgreich vermarkten lassen. Es gilt ja längst wieder als cool, was jahrzehntelang verpönt war: Lounge Music und noch leichteres Entertainment, Rat-Pack-Legenden über wüste Gelage und kriminelles Gelichter. Heygood befriedigt derlei Voyeurismus, spart nicht mit Details über Drogenexzesse, Porno-Partys und Glasaugen, versteht es aber blendend, Sammys bizarres Leben und seine prekäre Persönlichkeit inmitten des Las-Vegas-Rummels und der politischen Grabenkämpfe in den Sixties stets im Fokus zu behalten. Das verhängnisvolle Faible für weiße Frauen, die nicht selten unterwürfige Verehrung für Frank Sinatra, die Parteinahme für Nixon: Haygood lässt keine noch so eklatante Schwäche aus, ohne je zu denunzieren. Das übernahm die Black-Power-Bewegung, für die Sammy Davis Jr. ein nützlicher Idiot der herrschenden Rasse war, ein besonders peinlicher Onkel Tom. Als sich Davis auf einer einschlägigen Veranstaltung blicken ließ, wurde er ausgepfiffen. „Sammy cares about his people“, stand auf einem Schild, „and black people too.“ 4,0 „The Beach Boys – The Definitive Diary Of America’s Greatest Band On Stage And In The Studio“ (Backbeat, ca. 32Euro)von Keith Badman wendet sich ausschließlich an Menschen, die mit der axiomatischen Formulierung des Buchtitels keinerlei Probleme haben. Auf fast 400 Seiten werden die Aktivitäten der Band ausgebreitet, strikt chronologisch, grafisch ansprechend, mit 120 Abbildungen, Studio-Protokollen, Interviews und einem vorbildlichen Index. Und mit einer Faktenfülle, die noch den informationshungrigsten Fan sättigt. So erfahren wir erstaunt, warum den Boys im Sommer 1964 mit „I Get Around“ der Durchbruch in den UK-Charts gelang. Badman zufolge nicht zuletzt aufgrund eines „public endorsement from Rolling Stones singer Mick Jagger on the hip TV show ,Ready Steady Go’°. Man lernt nieaus.4,5 „Twist And Shout! – Merseybeat, The Cavern, The Star-Club And The Beatles“ (Nirvana, ca. 25 Euro) von Spencer Leigh sei vor allem jenen ans Herz gelegt, die meinen, der Beat-Boom sei ein Synonym für Beatles-Mania. Weit gefehlt! Zwar stehen die Fab Four im Zentrum des Geschehens, ihr Werdegang zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, doch macht Leigh deutlich, dass Liverpool kein luftleerer Raum war und dass es Dutzende von Movers und Shakers brauchte, um den Merseybeat auf die Landkarte zu setzen. Und die kommen, sofern sie noch leben und sich gern erinnern, zu Wort. Mit vollständiger Discograf ie. 4,0 „This Is A Modern Life – The 1980s London Mod Scene“ (Heiter Skelter, ca. 20 Euro) wird herausgegeben von Enamel Verguren und ist eine Anekdotensammlung aus erster Hand. Die schlampig redigiert sein mag und mehr auf Mode- als auf Musikbewusstsein abhebt, die aber dennoch einen intimen Einblick gewährt in eine Zeit, als Tribes die Jugendkultur bestimmten, als die Zugehörigkeit zu einer Szene die militante Abgrenzung zu einer anderen bedeutete. Embleme, Marken, Rituale, Clubs, Fanzines und Bands bilden ein paralleles Kontinuum, von demausessich auf die ahnungslose Restwelt abschätzig herabsehen lässt. Diese juvenile Arroganz spricht noch mehr als 20 Jahre danach aus manchem persönlichen Erinnern, oft pampig, zuweilen anrührend. Etwa was die ausgefeilten Eroberungsstrategien in Bezug auf stilbewusste Mod-Girls betrifft. Und da macht es dann auch keinen Unterschied mehr, dass es sich „nur“ um das Revival einer Gegenkultur der Sixties handelt, dass The Secret Affair den Ton angaben und nicht The Small Faces, The Jam und nicht The Who: Aufregend war’s. 3,5 „Vinyl Junkies – Adventures In Record Collecting“ (St. Martins Press, ca. 14 Euro) von Brett Milano ist keine Lektüre für Billigheimer und Schnäppchenjäger, für Lethargiker und Leute, die es gern bequem haben. Nein, hier geht es um den schmalen Grat zwischen Passion und Pathologie, zwischen Magnetismus und Manie. Peter Bück, den das Fieber bereits in jungen Jahren ergriff und nicht wieder losließ, erinnert sich, wie er mit 14 Jahren mitten in der Nacht 15 Meilen per Anhalter zum nächsten Plattenladen zurücklegte, um“Fx//e On Main Street“ in der Stunde des Erscheinens zu erwerben: „And hitchhiking in Georgia, if it’s 1972 and you have hair down to your shoulders? Totally fucked. A bad, bad experience.“ Bück hat es inzwischen auf je 10 000 LPs und Singles gebracht, alles erstklassiger Stoff, wie er glaubhaft versichert. Milano kennt viele Vinylisten und Analogiker, weiß um ihre Argumente und Vorurteile, ist selbst einschlägig vorbelastet: „Compact Discs are a lot like the Republican Party. They may have all the power but if you move in certain circles, you can’t find anybody who actually voted for them.“ 4,0 „Basis-Diskothek Rock und Pop“ (Reclam, fünf Euro)von Uwe Schütte, Jahrgang 1967, empfiehlt aus der Ära bis 1966 eine einzige LP („Elvis“), aus dem Jahr 1980 gleich derer sieben, darunter “ V/sage“von Visage. 2,0