Sechs Fäuste für Fidel
Wie die MANIC STREET PREACHERS vom Pathos zurück zum Politrock fanden und dabei feststellten, dass sie ihre Identität als Trio gefunden haben
Gesund ist James Dean Bradfield nicht, aber glücklich. Während des Gesprächs muss sich der Sänger der Manie Street Preachers mehrmals ins Bad zurückziehen und ungefähr einen Liter Schleim entsorgen. Er ist erkältet, vor allem aber besorgt um seine Außenwirkung: „Nicht sehr charmant, hier so rumzuröcheln.“
Bradfield übernimmt die Rede-Arbeit für Kontinental-Europa, denn Texter und Bassist Nicky Wire hat in Großbritannien eh schon genug erzählt und Drummer Sean Moore mag nicht so viel sagen. Bradfield dagegen will, dass das neue Album „Know T/burEnemy“ eine möglichst breite Masse erreicht, denn er und seine beiden Freunde sind wieder auf Mission. Sie wollen einiges klarstellen: Dass sie „fieser“ klingen als auf dem vorigen Werk „This Is My Truth TellMe Yours“. Dass sie das Verschwinden ihres Gitarristen Richey James endgültig verkraftet haben. Dass sie immer noch politisch sind und mindestens Sozialisten. Vor allem aber, dass man sie bitte, bitte ernst nehmen solL Inmitten des modernen Musikbiz, zwischen hübschen Lopez-Nullnummern und dauerprovozierenden Eminems, sind die Manics rührend altmodisch. Sie haben eine Botschaft, sie teilen sie freundlich bis vehement mit – und wissen dabei doch genau, dass sie damit das Gegenteil von hip sind. „Wir stehen nicht unter Druck“, sagt James Dean Bradfield entspannt über seine Erwartungen, was die Verkäufe des jüngsten Albums betrifft. „Wir sind ja eigentlich schon froh, dass es unsere Band nach sechs Platten überhaupt noch gibt.“
Helltet ihr von Anfang an, dass der Sound diesmal nicht so pathetisch wird?
Eigentlich schon. Wir haben uns auf unseren Instinkt verlassen. Wir wollten Songs, die schneller und irgendwie physischer sind – keine große Orchestrierung und keinen Breitwandsound.
Weil ihr auf „This Is My Truth Teil Me Yours“an eure Grenzen vestoßen seid?
Einerseits das, andererseits hat’s uns einfach gelangweilt Zudem sind die Texte diesmal etwas härter, und dazu hätte ein expansiver Sound nicht gepasst Der Richtungswechsel fing ja schon mit der letztjährigen Single „The Masses Against The Masses“an.
Das stimmt, obwohl uns das damals gar nicht so bewusst war. Wir haben da aber zum ersten Mal so gearbeitet wie dann fürs gesamte Album: Wir haben es uns zur Regel gemacht, nicht zu proben, bevor wir ins Studio gehen. Wir hatten das Gefühl, als hätten wir unsere ganze Karriere lang dasselbe gemacht, wie jede Band: erst in den Übungsraum, dann ins Studio. Dabei schreibt einem das doch keiner vor!
Habt ihr euch zu Beginn der Aufnahmen nach Spanien zurückgezogen, um Ruhe vor Plattenfirma und Presse zu haben?
Das war der Grund, auch wenn wir s nicht so sagen wollten. Es ist nicht so schön, wenn die Plattenfirmen-Leute ins Studio kommen, und auch wenn wir unseren Manager lieben, so sind wir doch froh, mal Ruhe zu haben. Zudem wollten wir schauen, welchen Einfluss die Sonne auf uns haben könnten. Wir sind ja nicht gerade als sonnige Band bekannt.
Und was hat die Sonne bewirkt?
Naja, „Miss Europa Disco Dancer“ hätten wir in Wales vielleicht nicht aufgenommen.
Einer der politischeren Songs heißt“Freedom Of Speech Won’t FeedMy Children “ – ein Seitenhieb auf den demokratischen Kapitalismus?
Es geht uns einfach darum: Jeder hat erkannt, dass der Kapitalismus gewonnen hat, aber niemand scheint zu kapieren oder darüber reden zu wollen, was er uns kostet. Beispiel: In Russland gab es so viele sozialistische Ideale, die – Überraschung! – ziemlich gut waren. Und was haben sie nun dort? Den Extra-Super-Thrill, falsche Levi’s-Jeans kaufen zu können, und das Spektakel, mitansehen zu dürfen, wie die Herzkranken-Rate steigt, weil sie jetzt McDonald’s haben. Das ist verrückt Mit Kuba ist es ähnlich. Sie haben es geschafft, ein wirklich gutes Gesundheitswesen aufzubauen, und das bei ihrer problematischen Situation. Man kann sich ausmalen, was sie noch alles erreichen könnten, wenn es dieses dumme Embargo nicht gäbe.
War die Album-Präsentation auf Kuba schwer zu organisieren?
Wir mussten ein paar Unterlagen hinschicken, uns vorstellen und so weiter. Irgendwann kam ein Fax; sie wollten mehr „über den Mann im Kleid“ wissen. Das kam ihnen seltsam vor. Aber Nicky konnte ihnen glaubhaft versichern, dass er nicht gerade gemeingefährlich ist
Auf wen bezieht sich der Albumtitel „Know YourEnemy“?
Der kleine rote Faden, der sich durchs Album zieht, ist die Kritik an der Selbstgefälligkeit unserer Politiker. Zum Beispiel „Baby Elian“: Die Amerikaner können sich gar nicht vorstellen, dass man nicht in Amerika leben möchte. Sie gehen automatisch davon aus, dass es den Menschen dort besser geht Sie glauben, alle Kubaner wollten Kuba verlassen und nach Amerika auswandern.
In einem anderen Lied,, Jntravenous Agnostic“, geht es darum, dass wir alle gleich geboren werden und uns dann entsprechend der Umstände verändern, in denen wir leben. Für uns war entscheidend, dass wir in Wales aufwuchsen und den Aufstand der Minenarbeiter mitbekamen und die Probleme der Arbeiterklasse.
Kann ’s passieren, dass Nicky dir einen Text vorlegt, den du gar nicht singen willst?
Das kam erst einmal vor. Er hatte eine Nummer namens „Anniversary To No One“ geschrieben. Es war wie ein Todesurteil für die gesamte Menschheit. Ich las es und bekam Angst. Also sagte ich, Mensch, da hast du wohl einen miesen Tag gehabt. Überleg’s dir noch mal.
Hiir er beleidigt?
Nein, gar nicht. Es war ja nur dieser eine Text in 14 Jahren. Wenn es dauernd vorkäme, wären wir vermutlich schon längst erledigt.
Fühlt ihr euch ab Trio jetzt insgesamt wohler? Ab Richey verschwand, hat es doch sicher lange gedauert, bis ihr euch nicht mehr ab Quartett gesehen habt.
Vbr kurzem habe ich darüber intensiv nachgedacht, weil mir bewusst wurde, dass wir jetzt mehr Gigs als Trio denn als Quartett gespielt haben. Wir haben drei Alben zu viert und drei zu dritt aufgenommen. Ich hätte nie gedacht, dass wir so weit kommen. Es macht mich etwas traurig, aber es ist auch schön, dass wir unsere Identität als Trio gefunden haben. Und wir sind stolz darauf, dass wir die Herausforderung angenommen haben. Wir sind aus dem Schatten der Vergangenheit herausgetreten und müssen uns nichts mehr beweisen. Wir haben abgeschlossen mit früher.
Du rechnest nicht mehr damit, dass Richey irgendwann wieder auftaucht?
Nein, Wohl nicht Manchmal erwisch ich mich, wie ich denke, er ist doch nicht tot Aber wenn er noch lebt, muss er mit unglaublich viel Willenskraft sein Leben verändert haben, und dann wird er nicht zurückwollen.