Tom Petty über das ungeliebte Leben im Rampenlicht, sein neues Album und den Kampf mit dem inneren Knödel
Dieses fies weißbunt gestreifte Hemd aus der Nyltest-Ära und das beigefarbene Jackett hätte selbst im Schlußverkauf keiner auf denselben Bügel gehängt Jetzt dekorieren beide den dünnen, blassen Mann, der durch den Flur seiner Suite schlurft und sich trotz drei Metern Spiegelwand keines Blickes würdigt. Dafür aber sieht man Tom Petty lächeln vorausgesetzt, man schaut genau hin. Er greift sich eine lauwarme Cola und sinkt langsam in die Sesselecke. Und weil Stars sich halt bisweilen durch kleine Gesten verraten, hat Petty einen Aschenbecher mitgebracht „Hi, let’s have an indoor cigarette!“ Das ist in Kalifornien schlimmer als Fernseher aus dem Hotelfenster zu werfen. Das ist fast schon Rock’n’RolL Ihn liebt Petty wie nichts und niemand anderes, bloß wie man ihn karriereforderlich leben, womöglich verkörpern soll, das hat er bis heute nicht gelernt Wo jeder halbwegs begabte Zeichner einen Jagger, Young und Dylan mit drei, vier Strichen auf dem Bierdeckel skizziert, hülfe ihm im Falle Petty nur eine Fotovorlage weiter. Dabei ist der 48jährige aus Gainesville/Florida in Amerikas Rockhistorie seit über zwei Jahrzehnten so präsent wie die Ferraris in der Formel 1: nicht immer auf dem Treppchen, aber stets bewundert Und nach der glanzvollen Performance schnell zurück in die Garage, vor den neugierigen Blicken verborgen. Das schafft Mythen und Mysterien, von denen auch Petty ein Lied singen könnte. Tut er aber nicht, jedenfalls nicht von den eigenen. Kaum ein Wort, vielleicht ein sprödes „weiß nicht“ wie die unfreiwillige Bestätigung des alten Vorwurfs, wortkarg und ergo arrogant im Elfenbeinturm zu logieren. Er selber würde das wohl „Ehrlichkeit“ nennen, dabei auf der Unterlippe herumkauen und heimlich grübeln, ob es nicht doch ein besseres Wort gibt Wie immer, wenn er reden muß und nicht singen darf. Und das geht nun schon so, seit er mit 14 Jahren die Schule verließ und sich der Band „Mudcrutch“ seiner Freunde Mike Campbell und Benmont Tench anschloß. Unter Freunden und Gitarren, Amps und Textzeilen fühlt sich Petty wohl und sicher. Draußen aber wollen ihm Leute die Hand schütteln, mit denen er noch nie ein Bier getrunken hat, und deshalb geht er dort nicht gerne hin. Dazwischen liegen noch die Bühnen, diese seltsamen Zwitter aus Verlockung und Gefahr. Unverzichtbar, weil sie für Petty wahre Heimat des Rock’n‘ Roll und also fast heilige Stätten sind – heikle Bretter, wenn ihm die Menge applaudiert und er nicht jeden einzeln fragen kann, warum der Abend so gefallt Meistens jedenfalls, denn der Mann besitzt keine Trickkiste voller Posen, Possen und Paukenschläge, nicht mal nackte Disziplin, hinter denen das Kollegium vortrefflich die Tagesform zu verstecken weiß. Deshalb können Pettys Konzerte solide Unterhaltung (und nie weniger) oder süperber Genuß (und manchmal auch etwas mehr) sein, deshalb auch reihen sich die 13 Platten, die er mit den Heartbreakers seit 1976 in fast unveränderter Besetzung einspielte, nicht wie eine monochrome Perlenkette aneinander. Illustration: Deborah Barrett Eine Geschichte, die ohne Probleme (allerdings vermudich auch ohne weitere Highlights) bis zum Sanktnimmerleinstag hätte fortgeschrieben werden können (zumal sich ihr Protagonist zwar mitunter über zu hohe CD-Preise, nie aber über deren sinkende Verkaufszahlen beklagte). Da aber die letzten zehn Jahre den vermeintlichen boring oldfarts veränderte Vorzeichen bescherten, geriet auch Pettys Karriere bedenklich ins Trudeln. Nachdem er aber 1988 als Mitglied der Travelling Wilburys nicht nur zu unverhofftem Ruhm, sondern mit Jeff Lynne auch zu einem kommerziell gewieften Produzenten gekommen war, hielt er nach „Full Moon Fever“ und „Into the Great White Open“ plötzlich wieder Gold- und Platin-Platten in den Händen. Und brach, nunmehr produziert von Rick Rubin, mit „Wildflowers“ und „She’s The One“ sogar die lange Tradition unerklärlicher Formschwankungen: Ein gänzlich mißlungenes Album, so schien es, war von diesem Tom Petty in absehbarer Zukunft nicht mehr zu erwarten. Dabei bleibt es auch kurz vor der Jahrtausendwende. Unter den 15 Songs des jüngsten Werkes „Echo“ finden sich erneut keine Ausfalle; Petty, Campbell, Tench und Howie Epstein halten die verschlissen geglaubte Fahne des Rock’n’Roll nonchalant in die Luft Und bei den sieben Konzerten, die die Heartbreakers gerade im Fillmore West von San Francisco gaben, saß auf den Marshall Amps ganz hinten, ganz klein und ganz aus Filz und Plüsch, ein lächelnder Jerry Garcia. Und anderntags, in besagter Suite, vor besagtem Aschenbecher und in besagtem Hemd ein redefreudiger Petty, für den zwei Cola und drei Zigaretten vom Kaltstart bis zur Betriebstemperatur früher kaum denkbar gewesen wären. Gewöhnlich nennt man Wimbledon… …sorry, red ich laut genug? Meistens beschweren sich nämlich die Leute, daß ich viel zu leise spreche. Nein, ist okay so. Also: Man nennt Wimbledon das Wohnzimmer Boris Beckers. Ist das Fillmore Deines? Es wird wohl allmählich dazu. Ich werde da zumindest schon so behandelt wie die Haus-Band. Und Du spielst lieber sieben Mal dort als einen Abend im Stadion? Klar! Das ist einfach der bessere Gig. Im Fillmore kann ich doch so viel mehr machen, Mann. In keinem Stadion hab ich ähnlich freie Hand; oder glaubst Du, ich könnte vor 20 000 derart obskure Musik machen? Was an Deiner Musik nennst Du denn obskur? Naja, ich hab gestern etwa nen Song von den Delmore Brotners gespielt Sowas will doch in ’ner Arena kein Mensch hören! Die haben ’ne Stunde nach ’nem Parkplatz gesucht, sind dann ’ne halbe Meile gelaufen, sitzen da mit dem blöden Fernglas vor den Augen. Und dann wollen sie gefalligst auch Hits hören. Gestern war Taj Mahal dein Support, morgen wird es Bo Diddley sein, vor zwei Jahren war’s John Lee Hooker. Nach welchen Kriterien wählst Du Deine Gäste aus? Ich muß natürlich erstmal gucken, wer zu kriegen ist Kann also durchaus mal sein, daß ich lange auf meine Wunschkandidaten warten muß. Bei meinem alten Kumpel Roger McGuinn ging’s sofort, bei John Lee waren es etliche Jahre, bei Carl Perkins fast ein ganzes Leben – also, meins natürlich! Aber das war auch«. ich weiß gar keine Worte, also unglaublich. Und kurz daraufwar er tot. Gestern hast Du anderthalb der alten Hits gespielt… -yeah, und bei dem halben hab ich doch schlicht den Text vergessen. Was vor allem deshalb peinlich war, weil das Publikum jede Zeile kannte. Womit wir schon wieder bei den Vorzügen des Fillmore wären. Da, wo noch die alten Geister spuken. Stört es Dich eigentlich, wenn man Deine Musik altmodisch nennt? Wer tut denn sowas? Ins Gesicht hat mir das noch keiner gesagt! Was ich tue, hat einfach eine gewisse Qualität Ich glaub jetzt mal daß es das ist, was irgendjemand altmodisch genannt hat – und laß mir deswegen keine grauen Haare wachsen. Moden kommen und gehen, zeitlose Musik bleibt Ich bin noch da. In den Achtzigern warst Du immerhin ziemlich weg vom Fenster. Wie kann’s passieren, daß zeitlose Musik plötzlich nicht mehr „right time, rightplace“ist? Also, in meinem Haus war sie immer am richtigen Platz. Und nur so sehe ich die Situation. Und vermutlich nicht nur ich: Weder die Beades noch die Chess Brothers oder der Blues dürften sich Gedanken über den Anschluß an den Zug der Zeit gemacht haben. Sie waren ja immer schon am Ziel, während andere sich die Lunge aus dem Leib rannten, um den verdammten Zug nicht zu verpassen. Wir waren immer eine Rock’n’Roll-Band, mit Betonung auf Roll Als ein paar superschlaue Leute dieses Roll wegwarfen und den puren Rock erklärten, dawar das im Nu ein schwammiger Begriff, unter dem sich alles Mögliche sammelte. Wir sind beim Rock’n‘ Roll geblieben, haben gute Songs geschrieben und sie auf die Bühne gebracht So einfach war und ist das. Einfach „sind auch Deine Texte geblieben: Du sagst oft mit wenigen Worten, -wofür andere Seiten brauchen. Das ist wohl Teil meiner Natur. Jackson Browne hat mich mal gefragt, wie ich bloß mit so wenigen Worten auskomme. Ich mußte ihm leider sagen, daß ich’s nicht weiß – und die Wörter nunmal so und nicht anders auf dem Papier stehen. Ich glaub kaum, daß ich je ’nen Roman schreiben könnte; man gewöhnt sich einfach an diese dreieinhalb Minuten. Deine Company annonciert Dein Album als das letzte Rock’n ‚Roll-Album desJahrtausends. Das haben sie gesagt? Wußte ich gar nicht Aber vielleicht haben sie ja Recht, immerhin sind wir eine damn good Rock’n’Roll band, daran fange ich selbst inzwischen an zu glauben. Und ich kann nicht behaupten, daß mich so ein bißchen Hype stört. Ich mache die Musik ja bloß; zu verkaufen haben sie andere. Jicho a ist jetzt schon die dritte Zusammenarbeit mit Rick Rubin. Wird das nicht langsam zur Routine? Tja, verwandte Seelen eben, denk ich. Rick ist gut für mich, er ist ein brutal ehrlicher Kerl! Immer wenn ich mich gerade mal wieder in meine eigenen Ideen verliebt habe, kommt er mit seinem „Is‘ okay, Mann, aber versuch’s doch noch mal anders“. Rubin ist Dein Partner seit ’94, mit Deinen Musikern aber verbinden Dich über 20 Jahre. Mit welcher Sorte Kollegen halst Du es so lange aus? Sie sind allesamt einfach Musiker. Und sie sind wie Brüder, ich bin ja mit ihnen aufgewachsen. Du hebst eine Augenbraue, und der andere weiß, was du willst. Ein Blick sagt mehr als viele Worte, und in diesem Sinne kommunizieren wir ständig. Funktioniert das, wie bei so vielen Bands, nur auf der Bühne oder auch an der Bar? Es funktioniert auf jeden Fall auch im Studio. Da steht manchmal nach Stunden plötzlich ein Song wie „Swingin‘ “ vor uns, und wir fragen uns: Woher kommt der denn jetzt? Hat ihn jemand reingeschmuggelt? Wir merken gar nicht mehr, daß sich solche Dinge zwischen uns entwickeln. Kaum ein Song von Dir kommt ohne eine Prise mitschmerz aus. Bist Du ein Melancholiker von Geburt? Oh ja, klar doch, eine fürchterlich depressive Kreatur! Doch, ich halte mich zumindest für einen geborenen Romantiker, einen dieser deprimierten, melancholischen Amerikaner. Ich lese auch fast nur Bücher ohne Happy-end, weiß aber nicht warum. Um die Antwort zu finden, müßte ich tief in meine Psyche steigen, und davor hab ich eine Heidenangst Wenn man an Kollegen von Dir wie Mick Jagger, Neil Young, BobDylan denkt… …dann sind die erstmal alle älter als ich! Ein bißchen, ja. Aber sie alle trägen auch ein wohlbekanntes Image mit sich herum und sind zu Ikonen geworden. Warum gehörst Du nicht in dieselbe Reihe? Wahrscheinlich hatte ich Glück. Bob ist irgendwann zum großen Geist und Gewissen des 20. Jahrhunderts gekrönt worden, und Mick mimt halt den prächtigen Pfau. Das bin ich nunmal nicht, ich könnte nie im Fußball-Dress auf die Bühne gehen und wie entfesselt rumspringen, ich bin eine andere Natur. Ich wollte immer und will noch heute ein Musiker in einer Band sein, und wenn ich von ihr getrennt bin, werde ich nervös. Ich gehe ja auch nie in Game-Shows und mache keine Werbespots. Wenn du mir den Saft für meine Gitarre abstellst, werde ich ein scheues Reh. Haben Dir die Erfolge mit den Travelling Wilburys und später auch mit den Solo-Alben „Full Moon Fever“ und „Into the Great White Open“Angst gemacht, womöglich doch noch zum Star ä la Mick zu werden? Ich bin nun doch schon ein bißchen zu lange im Geschäft, um in solchen Momenten gleich Angst zu bekommen. Ich hoffte damals einfach, die Leute würden in erster Linie meiner Musik applaudieren und nicht mir. Und Angst, Mann, habe ich vor ganz anderen Sachen! Als da wären? Na, ich will zum Beispiel heute noch nicht ins Gras beißen, Baby! Ich hab keine Lust, hier um die Ecke des Fillmore von irgend so einem Verrückten abgeknallt zu werden. Ich mache mir auch Sorgen um meine Kinder. Aber ganz bestimmt nicht darum, ob ich nun wirklich ein Rockstar bin oder nicht. Überhaupt keine Angst vorm Altwerden? Wieso denn? Wenn du nicht mehr älter wirst, bist du schon tot Mann. Ich mag sogar das Gefühl, älter zu werden und trotzdem noch nicht nutzlos zu sein. Wir Alten haben noch eine ganze Menge zu sagen, und wir werden von Jahr zu Jahr besser. Hat die Musikindustrie, deren Teil Du ja bist, so wie Du dazugelemt? Ist sie besser geworden? Nein, sie geht im Gegenteil gerade den Bach runter. Ich rede nicht als Nostalgiker, wenn ich behaupte, daß wir damals in den obersten Etagen noch auf Leute trafen, die Musik wirklich liebten und oft genug selbst gemacht hatten. Die sind langsam, aber sicher durch Anwälte, Makler und ehemalige Autovermieter ersetzt worden, denen es scheißegal ist, was sie da verkaufen, solange die Bilanz stimmt Der Kuchen wird unter drei, vier Konzernen aufgeteilt, echt traurig. Ich hab Leute wie Sam Philips oder Firmen wie Stax geliebt. Zum Glück gibt’s wieder junge Leute, die ihr eigenes Label gründen und dem Etikett Independent einen Sinn geben. Dabei könnte mein Feind, der Computer gar zum Retter in der Not werden: Die Kids haben ja Tricks entwickelt, ihre Produkte am Rachen der Großen vorbei zu verkaufen. Vor ein paar Jahren bist Du auf der Bühne noch vor gigantischen, aufblasbaren Bäumen aufgetreten. Paßte die Show ins Fillmore nicht rein – oder bist Du aus dem Wettrennen der Giganten endgültig ausgestiegen? Das war die letzte große Produktion, auf die ich mich eingelassen habe. Okay, mehr als vier Scheinwerfer brauchst du in ’ner größeren Halle schon, aber den Technik-Overkill hab ich zu den Akten gelegt. Du nimmst also mickrige Gagen in Kauf, spielst m kleinen Clubs, während die Stones oder U2 alle Proportionen sprengen? Bei allem Respekt: Die spielen in ihren High-Tech-Arenen auch nicht besser als im Probenkeller! Gut, als wir mal 20 Nächte im Fillmore spielten, mußte ich mir Gedanken machen, wie sich die finanziellen Verluste unter Kontrolle halten ließen. Also strich ich die Crew zusammen. Keine Garderobe mehr, muß nicht sein, keine Security, muß hoffentlich auch nicht sein. Und nicht das beste Hotel, sondern dies hier, weil man zu Fuß in zwei Minuten im Fillmore ist Warum sind eigentlich die Zeiten netter Jam-Sessions vorbei, warum hast Du gestern nicht wenigstens einen Song mit Taj Mahal zusammen gespielt? Gute Frage, hätte ich tatsächlich, verdammt nochmal, tun sollen! Mit McGuinn, Carl Perkins und John Lee hab ich das ja auch gemacht, und es war wunderbar. Aber man muß mit Jams auch vorsichtig sein, weil dir leicht ’ne ganze Show aus dem Ruder laufen kann. Klingt zwar paradox, aber am besten funktionieren Hap penings, wenn du sie planst, ihnen an bestimmter Stelle eine halbe Stunde oder so einräumst. Reden wir nochmal über Geld. Weißt Du noch, was Du mit den ersten selbstverdienten 1000 Dollar gemacht hast? Ich sage nun Camaro! Ich hab mir ein Auto gekauft. Cooler Deal übrigens: Es hat erstaunlich lange gedauert, bis er mir unterm Arsch zusammengebrochen ist War aber eine ziemlich maskuline Kaufentscheidung, oder? Naja, die triffst Du ab Musiker ja auch… —Du meinst, weü ich wieder mehr Blues spiele? Ich merke von Jahr zu Jahr, daß ich ihm immer naher komme. Das ist Musik pur! Nimm nur John Lee oder Muddy Waters, Howlin‘ Wolf! Jimmy Reed. Genial einfach! Das werd ich wohl nie schaffen. Oh Mann, was gab ich dafür, so wie Jimmy Reed zu sein! «