POLLY HARVEY – Interview
Der Himmel ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Gute Mädchen kommen dort ja bekanntlich hin, Rockmusikerinnen inzwischen aber auch, und zwar schon zu Lebzeiten: In Kevin Smiths ("Qerks") neuem Film JDogma" wird Gott von keiner Geringeren als Alanis Morissette verkörpert, und nun gibt Polly Jean Harvey ihre Version der Maria Magdalena in Hai Hartleys "Book Of Life".
Im Film ist Deine Maria Magdalena für Jesus eine Mischung aus Freundin, Assistentin und Bodyguard – eigentlich eine gute Idee, daß ihn kein breitschultriger Hüne beschützt, sondern ein nettes Mädchen…
Fand ich auch. Von jenem Augenblick an, wo beide auf dem New Yorker Flughafen landen, weiß man, wie nahe sie sich sind. Sie reden nicht viel, aber ihre Körpersprache verrät alles. Und weil Jesus so viel um die Ohren hat – Gott, die Menschen, den Teufel – kümmere ich mich als Magdalena darum, daß er im Alltag zurechtkommt, daß er beispielsweise nicht überfahren wird, wenn er in Gedanken versunken eine Straße überquert.
Ich würde gerne häufiger vor der Kamera stehen – und dafür auch hart arbeiten. Es ist immer so eine Sache mit Musikern, die zum Film wollen, manche jedoch schaffen diesen Schritt. Tom Waits ist ein richtig guter Schauspieler. Und David Bowie war in „Merry Christmas, Mr. Lawrence“ und „Basquiat“ ziemlich gut. Oder wie Sting in „Eine demanzipierte Frau“. „Dune“ gefiel mir allerdings nicht (lacht).
Einer meiner Lieblingsfilme ist „The Night Of The Hunter“ mit Robert Mitchum als Priester, der zwischen Gut und Böse hin- und hergerissen ist John Huston führte Regie, glaube ich jedenfalls!? Den Soundtrack hätte ich gern geschrieben!
Es gibt eine Platte, auf der Robert Mitchum Calypso-Songs singt.
Ja, die habe ich! Auf dem Cover ist diese Frau mit Maracas in der Hand, nicht wahr? Ich sammle diese Art von Platten. Ich besitze sogar eine mit Leonard Nimoy und William Shatner von „Raumschiff Enterprise“. Mr. Spock singt darauf „If I Had A Hammer“ (lacht)l Aber Robert Mitchum – der war mein absoluter Traummann. Sensibel, aber handfest. Alte Schule. Und Charisma ohne Ende. Wahnsinn.
Manche Deiner Texte ähneln Short Stories oder Drehbüchern zu Kurzfilmen. Was meinst Du: Welchen Song Deiner neuen Platte Js This Desire?“ könnte man am besten verfilmen?
Ich würde eher einen der vagen Texte nehmen, keine konkrete Geschichten. Die Art, wie Schauspieler in eine Rolle schlüpfen, entspricht tatsächlich meinem Songwriting: Ich denke mich in eine Rolle oder eine Situation hinein, und aus dieser Perspektive singe und erzähle ich dann.
Wie autobiographisch und wie intim darf man als Songwriter denn sein? Es gibt ein paar Lieder von Nick Cave, die ganz klar von Dir handeln – er gibt das auch offen zu. Kommst Du da nicht irgendwann an einen Punkt, wo Du jenem sagst: „Hör mal, kannst Du mir das nicht lieber unter vier Augen sagen, anstatt einen Song zu schreiben, den die ganze Welt hört?“
Nein. Mir kommt das ganz normal vor – vielleicht weil ich selbst Lieder schreibe. Daß Nick Cave über mich singt, macht mir nichts aus; es ist nun einmal das, was wir tun. Wahrscheinlich wäre ich mehr schockiert, wenn er mir einen Brief schriebe – oder ein Lied über eine Frau, die keine Songwriterin ist. Bei mir selbst ist das etwas anderes, weil ich nicht derart spezifisch texte. Ich schreibe kaum jemals über eine bestimmte Person – eher versuche ich, die Essenz einer Stimmung oder Situation einzufangen. Daher erhalte ich auch selten direkte Reaktionen auf meine Songs – weil sich niemand konkret angesprochen fühlt. Nur über den Mann, mit dem ich nach Nick eine Weile zusammen war, gibt es ein paar Songs. Er weiß das auch…
Hast Du zu ihm gesagt: „This is your song“ – so Marke Elton John?
Nicht ganz… (grinst) Auf jeden Fall ist das wie: „Ich sag‘ Dir jetzt was – und vielleicht auf eine schönere Art, als ich’s vorher gekonnt hätte.“ Was Nicks Platte anbelangt… Ich rede über so etwas nicht mit ihm. Ich sage nicht: „Was soll die Zeile denn? So bin ich doch überhaupt nicht!“ Außerdem bin ich abgehärtet. Ich war lange genug Single oder mit dem falschen Mann zusammen…
Körperliche Anziehung ist bei mir immer das Wichtigste – ich muß Lust empfinden, den Geruch eines Mannes mögen und ihn tief begehren. Alles andere funktioniert nicht. Dafür bin ich viel zu romantisch. Mein Herz siegt immer über die Vernunft.
Faszinierend finde ich, daß Du vor zehn Jahren in einem englischen Dorf in Deinem Jugendzimmer gelegen und die Musik von Nick Cave gehört hast. Inzwischen bist Du ihm nicht nur begegnet, sondern warst mit ihm zusammen, und jetzt besingt ihr euch gegenseitig in euren Liedern.
Ja, das ist schon unglaublich. Man kann einfach nichts voraussagen, das ist das Schöne und Wunderbare – aber auch das Schreckliche und Beängstigende am Leben. Du mußt nur deinen Glauben behalten und deinem Herzen folgen, etwas anderes bleibt dir nicht übrig. Mich haben Leute auf der Straße angehalten und behauptet: „Diesen einen Song hast Du über mich geschrieben, nicht wahr?“ So etwas ist beunruhigend.
Du bist eine Zeit lang regelmäßig zu einem Therapeuten gegangen.
Ich denke bei so etwas immer: Nie könnte ich mich einem Fremden öffnen, nur weil er Psychologie studiert hat. Zu einem weisen alten Mann würde ich gehen – oder zu Orson Welles, wäre er Therapeut gewesen.
Ich glaube nicht, daß man dafür große Geister, kreative Leute oder Seelenverwandte braucht. Nur weil jemand ein Genie ist, kann er dir noch lange nicht helfen. Orson Welles hatte garantiert selber einen Haufen Probleme. In Nick habe ich jemanden gefunden, dem ich mich seelenverwandt fühle. Allerdings glaube ich nicht, daß er ein guter Therapeut wäre.