Joni Mitchell
Sie ist exakt so, wie man sie sich vorstellt: herzlich, unprätentiös und mit einem Lachen schnell zur Hand. Die Beine übereinandergeschlagen, sitzt sie auf der Couch ihres New Yorker Hotels und strahlt Schönheit und Abgeklärtheit aus. Mitchell hat unlängst ihr 17. Album („Turbulent Indigo“) veröffentlicht, das u.a. auch „Not To Blame“ beinhaltet – angeblich eine Anspielung auf Jackson Browne und seine flinken Fäuste („Your charitable acts/Seemed out of place/ With the beauty/With your fist marks on her face“). Weitergehende Erläuterungen verkneift sie sich, hat aber – während sie kettenraucht und Tee nachschenkt keine Probleme, sich über andere Songinhalte auszulassen. Nehmen wir etwa „Borderline“ – einen Song, der dem Hörer auf undefinierbare Weise vertraut erscheint. Was waren die Auslöser? Borderlines eben, Grenzen, Zäune sie sind so überflüssig wie Cholesterol im Blut. Übertragen gesehen, befindet sich Amerika im Zustand des Separatismus‘: Jede Region möchte sein eigener Staat sein. Wir haben Separatismus zwischen den Rassen, wir haben Separatismus zwischen den Geschlechtern. Jeder scheint voller Begeisterung immer neue Grenzen zu ziehen. Das war der Anstoß zu diesem Song.
Warum hast du dich auf dem Cover als Van Gogh gemalt?
Van Gogh hat, nachdem er sich das Ohr abgeschnitten hatte, mehrere Selbstportraits gemalt – was man immer als Wahnsinn abgetan hat. Wahnsinn ist eine Form von Chaos, und unsere Welt ist chaotisch und wahnsinnig.
Verkaufst du eigentlich viele deiner Gemälde?
Es hält sich in Grenzen. Gelegentlich habe ich Ausstellungen, vor allem in Europa. In Amerika glaubt man nicht an Mehrfach-Begabungen. Immer wenn ich dort eine Ausstellung hatte, wurde ich als Dilettantin abqualifiziert. In Japan mußte ich einmal Bilder verkaufen, weil mir die Plattenfirma kein Video finanzieren wollte. Also verkaufte ich für 200 000 Mark Bilder und drehte damit zwei Videos. Die natürlich nie ausgestrahlt wurden. Ich bin kein Kandidat für die MTV-Generation.
Was hältst du vom typischen Rockstar des Jahres 1994?
Puh. Ehe ich diese Frage beantworte, nenne ich lieber Namen, die bei mir eine Gänsehaut auslösen: Edith Piaf, Billie Holiday, Miles Davis, Pablo Picasso, Chuck Berry. Heute ist vieles ein Aufguß. Oft genug ein Aufguß von dem, was schon im Original mittelmäßig war. Es zielt halt auf ein sehr junges Publikum, dem das kritische Beurteilungsvermögen abgeht An welchen Rockstar hast du denn positive Erinnerungen?
Ich traf Jimi Hendrix einmal bei einem Konzert in Ottawa. Nach seinem Auftritt kam er mit einer schweren Bandmaschine hinter die Bühne und fragte verschämt, ob er mein Konzert mitschneiden dürfe. Später habe ich mich mit ihm und Mitch Mitchell im Hotel getroffen. Es war ein wunderbares Gespräch, aber die Hotelleitung sah nur drei Hippies und funkte dazwischen. Damals waren wir noch Aussätzige.
Ein schwarzer Hippie! Zwei Männer und eine Frau in einem Zimmer! Dabei war es nur ein unschuldiges Gespräch.
Kannst du Hendrix in drei Worten beschreiben?
Ich kann’s mit drei Sätzen versuchen – ich bin nicht gut mit Häppchen. Sein vorrangiges Ziel war es damals, sich von diesen phallisches Untertönen zu lösen. Das Schwanz-Gehabe seiner Show ging ihm auf den Geist. Aber immer wenn er was anderes versuchte, buhte ihn sein Publikum aus. Er träumte von einer ganz anderen Band, mit Bläsern.
Okay, drei Worte: empfindsam, schüchtern, süß.
Was macht Joni Mitchell an einem typischen Wochenende? Ich stelle mir romantische Dinner mit Freunden vor, Kerzen, Wein…
Ich habe in Kanada ein kleines Landhaus, und dort gibt es tatsächlich einmal im Jahr ein ausgiebiges Treffen mit Freunden. Und ja wir sitzen draußen im Schein von Kerzen und Camel-Lampions. Camel-Lampions? Nachdem ich 150 „Packungen Camel geraucht hatte, habe ich die Coupons eingeschickt und zwei Camelförmige Lichterketten bekommen (lacht).
Furchtbar billiges Zeug. Ich ärgere mich heute noch, daß sie nicht mal vernünftiges Plastik nehmen konnten. Immerhin hab ich fürs Geld ’ne Menge geraucht. Wo wir beim Thema sind: Was macht deine Gesundheit?
Ich habe eine Spielart von Polio, vergleichbar mit Multipler Sklerose. Ich habe mit Victoria Williams gesprochen; unsere Krankheitsbilder sind ziemlich ähnlich. Es ist eine schleichende Zerstörung des Nervensystems. Bislang können wir uns noch normal bewegen, aber je nach Krankheitsstadium spielen die Muskeln nicht mehr mit. Es ist wie die Magical Mystery Tour: Du weißt einfach nicht, was dich noch erwartet