Cruising – Wenn die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen :: Regie: William Friedkin
Heute vor 35 Jahren lief William Friedkins umstrittener Thriller „Cruising“ um einen Mörder in der homosexuellen Subkultur New Yorks in den Kinos an – und löste damit heftige Debatten aus.
William Friedkins verschachtelter Thriller „Cruising“ dreht sich um einen Cop, der in der schwulen S&M-Szene von New York nach einem Serienmörder sucht und dabei immer weniger zwischen Faszination und Abschreckung unterscheiden kann – und ist einer jener Filme, die nur schwer außerhalb der Kontroversen zu betrachten sind, die sich um ihn herum entwickelt haben. Beim On-Location Dreh in Manhattan im Sommer 1979 und bei Kinostart im Februar 1980 kam es zu regelmäßigen Protesten von Homosexuellen-Verbänden, Gruppen von bis zu 1.000 Menschen demonstrierten öffentlich gegen den Film, weil sie in der Darstellung Schwuler als wahlweise Perverse, Opfer oder Killer eine ausschlachtende Haltung gegenüber der Community sahen.
Der Polizist Steve Burns (Al Pacino) erhält den Auftrag, als Undercover-Cop nach einem Serienmörder zu fahnden, welcher mehrere Morde an schwulen Männern begangen hat. In Kellern und Motels beginnt Burns seine Suche, die ihn ins Herz der Finsternis führt, in dem keine Wahrheit zu finden ist. Friedkins Film entwickelt sich dabei von einem klassischen Thriller zu einer existenzialistischen Sinnsuche, bei der die New Yorker Fetisch-Bars als undurchsichtige Orte von Dekadenz und Gefahr inszeniert werden, welche jegliche stabile Wahrnehmung verschlingen und dabei die Frage aufwerfen, wie standfest die eigene sexuelle Identität eigentlich ausgeprägt ist.
Dass es zu gehäuften Protesten kam, wundert im Rückblick wenig. Nicht deswegen, weil man „Cruising“ eine schwulenfeindliche Position unterstellen müsste. Sondern weil der Film vor dem Hintergrund der Diskriminierung Homosexueller in Alltag und Gesetz, die damals noch weit akuter war als heute, eher Öl ins Feuer gießt, anstatt verbreitete Vorurteile zu entkräften. Eine Situation, die nach Bekanntwerden des ersten Aids-Falls 1981 noch schlimmer wurde. Auch waren Filme, in denen Homosexuelle auftauchten oder gar als Hauptfigur vorkamen in den 1970ern höchst selten, „Midnight Cowboy“ ist vielleicht noch das prominenteste Beispiel. Umso negativer waren meist die Reaktionen auf die wenigen Repräsentationen von Homosexualität, welche im Kino überhaupt zu sehen waren.
Friedkin und Pacino wendeten gegen diese Vorwürfe stets ein, dass es schließlich nicht um einen repräsentativen Teil schwuler Lebensweise ginge. An sich völlig in Ordnung, problematisch wird das Ganze allerdings dadurch, dass Homosexualität in „Cruising“ eben kaum in Form eines repräsentativen Rahmens außerhalb des subkulturellen, bisweilen als pathologisch dargestellten Zustandes gezeigt wird.
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Frank R. Cunnigham schrieb dazu, dass Friedkins Sicht auf das Thema weniger von Interesse als von „morbider Faszination“ geprägt sei. „Cruising“, das steht fest, ist kein Vorläufer des New Queer Cinema, jenen durch Gendertheorien von Judith Butler und Simone de Beauvoir inspirierten Filmen, die durch ihre ungeschönte Darstellung sperriger Charaktere die gesellschaftlichen Konventionen samt ihrer normierten Vorstellungen von Sexualität durchbrechen wollten; und die schließlich, in den 2000er Jahren, mit den Erfolgen von „Brokeback Mountain“ und „Milk“ auch in der Mitte der Gesellschaft ankamen.
Lässt man diese am Ende unbequem bleibenden Fragen im Bezug auf „Cruising“ jedoch beiseite, bleibt ein handwerklich perfekter Thriller, der einen neben der grandiosen Darstellung Al Pacinos durch seinen höchst verstörenden Einsatz von Farbe, Musik und Schnitt tief in seinen Bann zieht. Die Lederkleidung und das metallische Blau, welche den Film durchziehen, sind dabei die visuelle Fläche, auf der das große fatalistische Thema William Friedkins verhandelt wird: das Verschwimmen, ja die Nichtexistenz von Grenzen zwischen Gut und Böse, richtig und falsch. Wie auch in seinen größten Werken, „Der Exorzist“, „The French Connection“ und „Leben und Sterben in L.A.“ lässt Friedkin hier den amerikanischen Traum auf den rauen Asphalt der großstädtischen Realität krachen, um zu sehen, wer aus dem Aufprall unbeschadeter hervorgeht: Der Idealist oder der Zyniker. Amerikanische Ideale, das Gute im Menschen – das hat hier wenn überhaupt nur eine erschütternd kurze Halbwertszeit. Ob man darin Fatalismus oder eine nüchterne Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sieht, bleibt am Ende der Einschätzung des Zuschauers überlassen.
Das Utopische ist William Friedkin dabei fremd. Man bekommt bei ihm nie die Realität zu sehen, wie man sie gern hätte, und auch nicht so, wie sie vielleicht besser sein könnte. Die Instabilität von Menschen, Werten und Gesellschaften kennzeichnet all seine Filme. Allein deshalb kann man „Cruising“ nur in seiner beunruhigenden Ambivalenz stehen lassen.