Julian Casablancas + The Voidz
Tyranny
Cult/Kobalt
Der Strokes-Sänger macht Popmusik, die eher nach einem Nervenzusammenbruch als nach politischem Manifest klingt
Erst das Synthie-Brummen, dann die Breakbeats, das Keyboard, das Feueralarm spielt, der Calypsoausflug und der lallende Gesang Julian Casablancas’, der in „Father Electricity“ schließlich nölt: „Oh, man, what are you doing now?” Eine Frage, die sich eigentlich bei jedem Song auf „Tyranny“ stellt. Nie ist man sich sicher, ob sich Casablancas einen bösen Streich erlaubt – oder ob man es hier vielleicht doch mit Konzeptkunst zu tun hat. Während es schwerfällt, „Tyranny“ als das politische Manifest zu verstehen, als das es einem Casablancas gerne verkaufen will, ist dieses eigenartige Album als künstlerische Trash-Kampfschrift durchaus glaubwürdig. Jedenfalls ist die Platte des Strokes-Mannes Menschen mit schwachen Nerven nicht zu empfehlen. Eher all jenen, die TV On The Radio zu langweilig finden.
„Tyranny“ ist eine Pop-Platte, die gerade einen Nervenzusammenbruch oder einen epileptischen Anfall hat. Sie pfeift, kracht, scheppert, holpert, zischt, quiekt, quengelt, nervt, scheint sich ihre Sounds direkt vom Schrottplatz zu holen, kommt nie zur Ruhe. Im Durcheinander tauchen immer wieder hübsche Melodien und Harmonien auf, die aber schnell zusammen mit Dissonanzen, Falsettgesang, Industrial-Noise, HipHop-Beats oder zweistimmigen Gitarrenduetten wieder zerknüllt werden – vom Zehnminüter „Human Sadness“ mit dem dumpfen Basslauf und den kuriosen Geigen über das orientalisch fiepende „Dare I Care“ bis zu „Nintendo Blood“, das wie ein Popsong klingt, dem in einer Karaoke-Maschine ein falscher Beat verpasst wurde. „I listen to your favorite songs backwards“, singt Casablancas dazu.
„Crunch Punch“ twistet protopunkmäßig, „M.utually A.ssured D.estruction“ ist im Herzen Speed-Metal, „Where No Eagles Fly“ Postpunk, „Xerox“ ein verschrobenes Schlaflied. „Business Dog“ jagt Hüsker Dü und Punkrock durch den Mixer und wenn am Ende im bizarren „Off To War …“ Tom Waits auf Velvet Underground trifft, die Orgel dröhnt und Casablancas „Yeah, baby, I wait for the light to shine“ singt, fragt man sich immer noch, ob das ganz großer Quatsch oder doch große Kunst ist.