Rufus Wainwright – All Days Are Night: Songs For Lulu

Nichts ist „einfach“, kein Augenblick ist „nur“, wenn Rufus Wainwright am Klavier sitzt. Er spielt die Tasten nämlich nicht – er trillert, rollert und bollert, präludiert und jubiliert, changiert, moduliert. Hämmert und verhaut sich, fegt übers Parkett im Cabaret, stolziert über Glas, schlurft über Gras, tändelt und händelt.
Das Missverständnis sollte man also gleich ausräumen: Dass Wainwright für sein neues, insgesamt sechstes Studioalbum auf die gewohnt große Partitur verzichtet und alles alleine am Steinway-Flügel singt, heißt keineswegs, dass die Platte im Kern minimalistischer oder (was viele ja komischerweise wollen) ungeschminkter wäre als frühere Werke.

Wer den Wunderboy für seine dramaturgische Verschwendungssucht und seinen Wahnwitz liebt, dürfte hier nichts vermissen. Für alle, die ihn dagegen für einen schamlosen Pfaufederhalter halten, wird auch dieses betont nicht-opulente Album nichts rausreißen.
Trotzdem ist „All Days Are Nights: Songs for Lulu“ seine bei Weitem am schwersten zu liebende Platte. Was jedoch ganz andere Gründe hat: Die Songs waren zwar schon fertig, als seine Mutter Kate McGarrigle diesen Januar starb – aber allein die Vorahnung taucht einige der Stücke in ein sonderbar glühendes Grau, wie man es von Rufus Wainwright in dieser Konzen-
tration noch nicht kannte.

Wenn er zum Beispiel in „Martha“ der Schwester auf den Anrufbeantworter singt, um die Familie am Krankenbett der Mutter zu vereinen, wenn er, fast schon penetrant flehend, „It’s your brother calling, Martha, please!“ wiederholt und die Klavierakkorde dabei in verzweifelter Hoffnung zur Himmelstür hochstolpern, womöglich zur Beschwerdestelle – dann klingt der kokette Weltschmerz, der ihn früher mit Thomas Manns Tadzio flirten und durch den „tear garden“ oder die Unterwelt der Operette wandeln ließ, im Vergleich hierzu wie der softe Biss in einen Zartbitterkeks.

Natürlich sollte man sich davon keineswegs verleiten lassen, „All Days Are Nights“ als autobiografische Konfession zu hören. Es dürfte kaum Zufall sein, dass der clevere Großkünstler auch drei schwermütige Shakespeare-Gedichte und einen Ausschnitt aus seiner eigenen Oper unter die Originalkompositionen gemischt hat – womit er ja auch die persönlicher anmutenden Lieder als Blüten einer Kunsttradi-
tion kennzeichnet. Und dennoch wirkt dieses sechste Album, so sperrig und voller Ennui es teilweise ist, wie der Teil eines Übergangsritus: Mit 36 wird Rufus erwachsen. Vorläufig zumindest, und obwohl es ganz schön weh tut.

„The dream has come and gone“, singt er in einem der besten Songs, und lässt das „c“ im Wort „corrupted“ knacken wie ein zerbrechendes Herz, lüstern und nüchtern. „Zebulon“, eine Reflexion auf dem Heimweg vom Krankenhaus, ist zum Schluss der ergreifende Höhepunkt der Platte: Da scheinen sich die Wörter und Harmonien derart stur dem Zugriff des zweifelnden Sängers zu entziehen, dass der Song beinahe zum Erliegen kommt. Und das wäre noch vor drei Jahren das Letzte gewesen, was man beim eloquenten Rufus befürchtet hätte.

Geben ‚Se dem Mann am Klavier noch ’nen Sex On The Beach! Schnell!
 

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