Jarvis Cocker
Further Complications
Rough Trade/Beggars Group (Indigo)
Zur Erinnerung: Jarvis Cocker ist der Mann, der vor nun auch schon wieder mehr als zehn Jahren die Devise „Irony is over“ ausgegeben hatte, auf der Platte „This Is Hardcore“ von Pulp, die sehr ironisch war und gar nicht witzig. Dass Cocker, längst von Pulp getrennt und mit einer erratischen Solo-Platte nicht sensationell gefeiert worden, sich nun dem ROCK zuwendet, den er früher so schön verspottete, ist eine allzu paradoxe Wende, als dass man darüber überrascht sein könnte.
Zwar lebt Cocker heute in Paris, aber bei den Aufnahmen halfen doch wieder ein paar alte Freunde wie der Bassist Steve Mackey. Und eine kleine Bläser-Sektion trötet zuweilen -weshalb „Further Complications“ manchmal wie die letzte Platte der 70er Jahre klingt. Jarvis Cocker sieht ja auch aus wie der letzte Mann der 70er Jahre. Überwacht wurde die Produktion von einem Mann der 90er Jahre, dem Indie-Faktotum Steve Albini, in Chicago- ein denkbar weiter Weg von dem souveränen britischen Grandseigneur Chris Thomas und dem amerikanischen Sonderling Scott Walker, die an den Pulp-Platten arbeiteten.
Ein Programm hat Jarvis Cocker auch: „I was not born in war-time & I was not born in pain or poverty/ I need an addiction, I need an affliction; to cultivate a personality/ I need some: Further complications.“ Nach drei schwitzigen Rockern- „Angela“ wiederholt das Riff von „Life During Wartime“ von den Talking Heads- ist zunächst Schluss mit der Party; Jarvis taucht mit Fistel-Sprechstimme in die Sophistereien, Wortspiele, Ansprachen von „I Told You Twice (Leftovers)“, das wie Howard Hawks‘ Film „Bringing Up Baby“ (und ein bisschen wie „‚Common People“) beginnt: „I met her in the Museum Of Paleontology & I make no bones about it/ I want to love you whilst we both still have flesh upon your bones.“
„I Never Said I Was Deep“ swingt souverän mit Salon-Bläsern und großer Melodie und antwortet damit auf die oft geäußerte Vermutung, Jarvis Cocker sei einer der führenden Intellektuellen Englands. „Homewrecker“ ist eine tosende Saxofon-Nummer mit Background-Chor, die man sich von den Blockheads oder sehr rabiaten Madness vorstellen könnte, die Stimme überschlägt sich am Ende fast vor Hysterie: „Alles Menschen/ Tout le monde/ Everybody, yesirree.“
Der derbe „Fuckingsong“ mit ordentlich dröhnenden und quitschenden Gitarren sowie schepperndem Schlagzeug darf „flach“genannt werden und geht so: „I will never get in touch with you/ So I wrote this song instead.“ Jedesmal, wenn das Lied spielt, gibt der Sänger sein Bestes: „Always glad to be your man.“ Der „Caucasian Blues“ klingt endgültig, als wäre Cocker der Statthalter für Ian Dury oder ähnlich ruppige Gesellen.
„You’re In My Eyes (Discosong)“ versöhnt schließlich in der Manier von Barry White und Bobby Womack mit dem Rock-Tier Jarvis. Schwärmerisch wie einst bei „Set The Controls For The Heart Of The Pelvis“ gibt er den Siebziger-Jahre-Crooner: „You’re in my arms/ I feel your warmth/ And I will dance until the dawn/ Cos I don’t want to lose you again/ Oh no.“
Über nichts waren die Kritiker so einig wie über Pulp. Nun sind sie uneins. Und die sieben Stücke, die Jarvis Cocker zunächst auf CD an die Medienmeute verteilen ließ, bildeten die bessere Platte. Eine Finte! Er mag uns nicht. Der verfluchte Intellektuelle. (Rough Trade/Beggars)
Arne Willander