Phil Phillips
„Sea Of Love“
Als sich erst einmal Linda Ronstadt in den Kopf gesetzt hatte, mit Hilfe von Nelson Riddle halb vergessene Ohrwürmer aus dem Great American Songbook einem Publikum nahezubringen, das diese Standards nicht mal aus der Schellack-Sammlung der Eltern gekannt haben dürfte, war sie damit einiges erfolgreicher als Harry Nilsson zehn Jahre zuvor mit „A Little Touch Of Schmilsson In The Night“.
Leider versündigten sich seither an diesen Evergreens in den folgenden 25 Jahren immer wieder Interpreten, die sich ernsthaft einbildeten, über die nötigen Crooner-Qualitäten zu verfügen.Einer der größten Pop-Standards der Neuzeit, an den sich dagegen wiederum die wenigsten wagten, war seit seinem Erscheinen immer „Sea Of Love“: Einer jener Ausnahme-Songs, bei denen man sich- wie etwa auch für „Killing The Blues“, „What Was It You Wanted“, „Love You Like A Man“ und ähnlich hochkarätige Vorlagen – für die Deutung schon ganz außerordentliche und originelle Interpretationen zurechtgelegt haben musste, wenn man sich nicht blamieren wollte.
Das ist der Typ von Song, bei dem man schlicht etwas tiefer schürfend und zwingend gründlicher um Form, Gestaltung und Sinn bemüht sein muss. (Weshalb niemand unlängst Marianne Faithfull hätte einreden dürfen, dass sie sich doch einmal an „In Germany Before The War“ versuchen sollte! Die Fallhöhe ist bei solchen Vorlagen einfach zu groß.) Der Ansatz bei den wenigen ausnahmsweise geglückten Cover-Versionen- von Page/Plant mit den Honeydrippers, Tom Waits und Cat Power- ist ein jeweils ganz unterschiedlicher und ein anderer auch als beim Original von 1959, aber dann im Ergebnis auch komplett überzeugend.
Iggy Pop hat es zwischenzeitlich mal versucht, aber diese Ballade kann man nicht zersingen. Bei aller in Tom Waits‘ Aufnahme anklingenden, leicht selbstmörderisch gestimmten Verzweiflung unterdrückt die nie die mitschwingende grenzenlose Sehnsucht. Dieselbe verinnerlicht Cat Power in ihrer Aufnahme so bedingungslos, dass sie mitsamt den Torch-Song-Qualitäten zu einer ihren besten Cover-Versionen überhaupt geriet.
Als Torch Song hatte John Phillip Baptiste alias Phil Phillips den gar nicht konzipiert. Das war mehr eine Mischung aus Doo Wop, Rhythm & Blues-Ballade und Pop, bei der schon ein wenig jene schwarze Romantik anklang, die Waits als Element in seiner Version stärker betonte. Ob der immer als Co-Autor aufgetretene George Khoury – Besitzer eines Plattengeschäfts und einer winzigen Plattenfirma in einem Kaff in Louisiana- auch nur eine einzige Note zu dem Song beisteuerte, war immer mehr als zweifelhaft.
Als die Aufnahme unter dem Band-Namen Phil Phillips With The Twilights auf Khourys 711-Label veröffentlicht war, wurde man bei Mercury darauf aufmerksam und übernahm das zur Distribution im ganzen Land. Was auch nicht weiter verwundern muss: Bei Mercury waren ja auch die Platters unter Vertrag, und in deren Hits der 50er Jahre hatte Zwielicht schon vorher öfter eine wichtige Rolle gespielt. Das Arrangement bei dem „Sea Of Love“ begleitenden Chor war wiederum zumindest ein wenig von Platters-Ohrwürmern inspiriert, aber doch so wenig Imitat, dass die Single an die Spitze der Hitparaden schoss.
Von den damit verdienten Millionen sah Phillips allerdings nach eigener Aussage bis heute schlappe 6800 Dollar. Das muss ein ganz mieser Vertrag gewesen sein, den er- noch als Hotelpage in Lake Charles, Louisiana- unterschrieben hatte. Das geplante Album, für das Khoury danach die Sessions finanzierte und sich bei den Songs Co-Autoren-Rechte sicherte, wurde nie veröffentlicht. Diese von Bear Family vorgelegte CD versammelt erstmals alle Phillips-Aufnahmen, soweit noch erhalten.
Also auch die fast unplugged vorgetragene Version von „Unchained Melody“, beide von ihm aufgenommene Fassungen von „Stormy Weather“, der T-Bone Walker Blues zur Pop-Ballade umgemodelt, Take 1 mit Chorbegleitung, aber nur ganz dezent im Hintergrund, „Nobody Knows And Nobody Cares“ offenbar als kleiner Doppelgänger von „Sea Of Love“ gedacht, manche wie auch „Unchained Melody“ auf klassischen Doo Wop zurückgreifend, andere mehr nach den erfolgreichen Pop-Hits aktuell angesagter Idole wie Frankie Avalon, Paul Anka und Ritchie Valens modelliert.
Rick Coleman erzählt in den Liner Notes, dass Phillips zwei Jahre nach seinem Hit total pleite war, mit seiner Frau von sieben Dollar die Woche als Pförtner bei einem kleinen Rundfunksender, vor allem aber von der Wohlfahrt lebte. Auch dass die Khoury-Erben über Anwälte bis heute erfolgreich verhinderten, dass er an mehr Geld für seinen Millionen-Hit kam. Bei der hier abgedruckten Mercury-Single hatte Khoury seinen Namen im Kleingedruckten an erste Stelle setzen lassen. Immerhin hat er den, längst Mitglied der Louisiana Hall Of Fame, bis heute überlebt.(Bear Family)