Tipp: Feuerwerk am helllichten Tage :: Regie: Diao Yinan
„Glaubst du, irgendwer gewinnt im Leben etwas?“, fragt der desillusionierte Ex-Cop Zhang seinen früheren Partner in Diao Yinans prächtig kaputtem Film noir „Feuerwerk am helllichten Tage“. Wenig später ist der Kollege tot, aufgeschlitzt mit einem Paar Schlittschuhe. Eis ist neben Kohle das Hauptmotiv in Yinans dritter Regiearbeit, die im filmisch bislang weitgehend unerschlossenen Norden Chinas spielt. Hier haben sich die Kohlegruben im Landschaftsbild verewigt, der Bergbau ist noch immer die wichtigste Industrie. Auf den Kohlehalden werden auch die ersten Leichenteile gefunden, die die Polizei auf den Plan rufen. Auf der diesjährigen Berlinale, wo Yinan mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, lief sein Film noch unter dem prägnanten Titel „Black Coal, Thin Ice“. Der deutsche Verleihtitel orientiert sich stärker am Originaltitel und würdigt damit die hintergründige Poesie des Mandarin-Chinesischen, die dem westlichen Genrekino fremd ist. „ Feuerwerk am helllichten Tage“
ist allerdings auch kein typischer Film noir: Das Genre fungiert eher als Prisma, durch das Yinan einen ernüchterten Blick auf sein Land wirft, dessen wirtschaftlicher Aufschwung die entlegenen Provinzen längst abgehängt, dort aber eine nicht minder drastische Form der Wertschöpfung ausgebildet hat.
„Feuerwerk am helllichten Tage“ ist nach Jia Zhangkes Cannes-Gewinner „A Touch Of Sin“, dem Referenzfilm des neuen chinesischen Kinos, in kurzer Zeit die zweite international gefeierte Produktion aus China, die eine Abkehr vom Sozialrealismus hin zum Genrefilm vollzieht. Während Zhangkes Bezüge auf das populäre Wuxia-Genre (Martial Arts mit einfachen Helden aus den unteren Gesellschaftsschichten) noch eine symbolische Funktion besaßen, um die gewalttätigen Beschreibungen der Lebens-umstände in seiner Heimat mit einer populären Erzählform zu verbinden, erweist Yinan sich als versierter Kenner des klassischen Film noir – bis hin zu einigen abenteuerlichen Wendungen, die Howard Hawks’ perplexe Frage an Raymond Chandler in Erinnerung rufen, wer am Ende von „Tote schlafen fest“ denn eigentlich der Mörder sei.
Der Noir-Plot von „Feuerwerk am helllichten Tage“ ist mehr als ein MacGuffin: Er führt die Figuren tief hinein in die gesellschaftlichen Milieus – und in eine soziale Befindlichkeit, die mit „hoffnungslos“ unzureichend beschrieben wäre. Yinan findet passende Bilder für diese Ohnmacht. Sein Film zieht sich bevorzugt in die neonerleuchtete Nacht zurück, deren fahles Licht der schmutzige Schnee einfach schluckt. Die Figuren verkehren in grandios schäbigen Spelunken, heruntergekommenen Wäschereien, zerfallenen Mietshäusern und einem abgewirtschafteten, „Daylight Pyrotechnix“ genannten Nachtclub, dem der Film wohl seinen Namen verdankt. Am Ende gibt es allerdings noch ein richtiges Feuerwerk, das Yinan auch als Meister des absurden Humors auszeichnet.
In dem titelgebenden Nachtclub laufen die verschiedenen Schicksalsstränge zusammen, die der verschachtelten Mystery-Erzählung eine soziale Brisanz geben. Dabei schwingt Yinan sich nie zum Gesellschaftskritiker auf. Die Ausweglosigkeit der Protagonisten, die wegen einer Lappalie – eines beschädigten Ledermantels – in eine Spirale der Gewalt gesogen werden, wird schon im stoischen Tonfall der Menschen und den erschütternd eintönigen Straßenzügen erkennbar.
Die Gewalt, mit der Yinan dieser Halbwelt Ausdruck verleiht, ist ähnlich explosiv wie bei Zhangke, doch die Wucht, mit der sie die Protagonisten trifft, hat immer auch etwas Slapstickhaftes. Die erste Schießerei in einem Frisiersalon überlebt Zhang mit mehr Glück als Verstand. Sie führt zur Festnahme der beiden Tatverdächtigen. Fünf Jahre später – Zhang arbeitet inzwischen als Wachmann und säuft – untersucht sein ehemaliger Partner einen ähnlichen Fall, der ihn und Zhang zurück in die Wäscherei führt, in der die Frau des ersten Opfers arbeitet. Die scheue Wu Zhizhen ist keine typische Femme fatale des Film noir, aber auch sie umgibt ein dunkles Geheimnis. In der sich anbahnenden Liebesgeschichte zwischen dem fatalistischen Polizisten und der schönen Wäscherin schlägt „Feuerwerk am helllichten Tage“ dann noch leichtere Töne an, die in einer hinreißend unbeholfenen Schlittschuh-Choreografie zu Strauss’ „An der schönen blauen Donau“ ihren Höhepunkt finden.
Kohle, Feuer, Wasser: Yinan zieht die elementaren Bestandteile des Lebens heran, um von einer Gesellschaft zu erzählen, die ihren Mitgliedern die grundlegenden zivilisatorischen Errungenschaften für ein menschenwürdiges Leben verwehrt. So nähern am Ende Krimi und Sozialdrama einander an: Die polizeilichen Ermittlungen decken gesellschaftliche Missstände auf, die einer politischen Bankrotterklärung gleichen.