Wie soll man einem Album widerstehen, das so beginnt? „Me and my friends are like/ The drums on ‚Lust For Life’/ We pound it out on floor toms/ Our psalms are sing-along songs.“ Whisky-Cola ohne Eis trinken, einen Toast auf Joe Strummer aussprechen. Am Wasserturm rumhängen, auf Liebe und Vertrauen anstoßen, sich die Kante geben. Die Welt könnte ein einziges großes Fest sein, wenn dieser „Constructive Summer“ ewig dauern würde. Doch die Jugend ist immer schneller vorbei, als man denkt, und plötzlich ist man fast 40 und wundert sich, wie das passiert ist. Craig Finn muss es so gegangen sein. Die späte Karriere als Sänger von The Hold Steady begann erst mit 35 und dem dritten Album „Boys & Girls In America“ (2007) richtig, die neuen Songs wurden deshalb vor allem auf Tournee um die Welt geschrieben. Trotzdem ist „Stay Positive“ ein durch und durch amerikanisches Album – und das nicht nur, weil die E Street Band natürlich wieder hinter jeder Ecke lauert. Diese Art von klassischer, aber eben nicht verstaubter Rockmusik macht ja sonst keiner mehr, zumindest nicht so clever und eloquent. John Agnello hat abermals die packenden Songs produziert, die von den Fallstricken des Lebens erzählen und beim ersten Bier den Kater immer schon mitdenken.

Es wimmelt hier nur so vor fiesen Zwischenfällen, die jede Party verderben. Bei „Sequestered In Memphis“ ist ein sogenannter Geschäftsmann auf der Suche nach dem schnellen Glück, notfalls auf der Toilette: „In barlight, she looked alright/ In daylight, she looked desperate“, der nächste Schritt ist schon ein Verhör. Bei „One For The Cutters“ geht es ähnlich fröhlich zu: erst Fete, dann Messerstecherei und Meineid. In „Magazines“ schlägt sich der Protagonist mit einer betrunkenen Freundin herum, das energische „Slapped Actress“ haut in dieselbe Kerbe. Es wird viel gestritten und gekämpft auf diesem Album, aber zwischendurch hält Finn uns mit gekonntem Storytelling, originellen Wortspielen und lustigen Led Zeppelin-Verweisen („Joke About Jamaica“) bei Laune.

Der tragische Höhepunkt des Albums ist „Lord, I’m Discouraged“, eine grausam lakonische Geschichte von häuslicher Gewalt und Hilflosigkeit. Immer wieder singt Finn von „Excuses and half truths and fortified wine“, sieht Wunden und Blutergüsse – und keine Chance, der Geliebten zu helfen. Wenn man es kaum noch aushalten kann, setzt ein langes Gitarren-Solo ein, so herrlich vertraut, dass das Ende danach nur noch schlimmer ist. Finn gibt auf: „I know it’s unlikely she’ll ever be mine/ So I mostly just pray she don’t die.“ Gott spielt in vielen dieser Lieder eine Rolle, meist durch seine Abwesenheit. Das unheimliche „Both Crosses“ lässt einen erschaudern, selbst das angebliche Wunder in „Sapphire“ klingt nicht nach Erlösung. Aus der Hölle des Alltags gibt es kein Entrinnen.

Spätestens bei „Stay Positive“ mutiert Finn endgültig zum frühen Springsteen, singt mit diesem Nachdruck, der einen ganz hibbelig macht, weil man sofort aufspringen will und sein Leben verändern (oder zumindest am heutigen Tag nicht der Routine verfallen). Die Band singt tatsächlich „whoa-oh-oh“ im Chor, die Gitarre setzt auf den Punkt perfekt ein – es ist eine Freude, die kein Rock-Verächter je verstehen wird.

Man wundert sich, wie man sich bei so vielen eigentlich traurigen Geschichten so gut amüsieren kann. Muss an dieser Emphase liegen. (Rough Trade/Beggars)