Loud City Song :: Konventionell sind bei diesem Digital-Pop nur die Instrumente
Man muss sich ihre Stimme vorstellen wie ein Glas stilles Wasser. Als höre man überhaupt zum ersten Mal eine Stimme singen, pur und unverstellt, timbrefrei, ruhig, wie Aus-und Einatmen. So geht das ein paar Minuten gleich am Anfang des neuen Albums von Julia Holter, bevor das leise Echo eines Chores einsetzt, ein Horn, ein Tastenanschlag am Klavier, ganz fern Streicher. Im Video zu „World“ fließt dann tatsächlich Wasser, eine Taschenlampe tastet Menschen und Räume ab. Viel Fläche, viel Weite ist da. Viel analog, wenig digital. Und mehr Pop denn je.
Aber es sind zwei andere Stücke, die überragen. Zum einen Holters Version von Barbara Lewis‘ „Hello Stranger“, der Hammond-Orgel-getriebenen Soul-Ballade von 1963 mit dem lakonischsten „Shoo-bop, shoo-bop, my baby“ der Popgeschichte. Julia Holter transkribiert sie ins Heute. Wo es 1963 wie im Hintereingang einer Küche dampfte, schwebt man nun über einer planen Fläche, dem windstillen Meer vielleicht, in Zeitlupe, Möwen kreischen. „Hello Stranger“ ist keine sexuell aufgeladene Einladung mehr, kein Soul-Song, sondern der Sehnsuchtsseufzer des Digitalzeitalters. Von diffusen Streichern getragen und einem verhallenden Refrain, in dem das zärtliche „Shoop-bop“ zu einem kristallenem „ah-huu“ wird.
Der andere Höhepunkt ist Holters Eigenkomposition „In The Green Wild“, in der sich ihr schöner, klarer und so gar nicht manipulierter Gesang an einen Kontrabass schmiegt. Eine Joni-Mitchell-Stimmung, die nicht wie Joni Mitchell klingt. Eher wie ein Spaziergang über Hausdächer. Subtil und elegant wird der Kontrazum Mick-Karn-Gedenkbass, zieht der Rhythmus an, schält sich ein brillanter, hübscher kleiner Popsong heraus. (Ein paar Tracks später, in „This Is A True Heart“, geht Holter dann den weitesten Schritt in konventionellen Pop hinein, hier säuselt und pluckert es wie in der Cocktailstube.)
Julia Holter bleibt neben James Blake die interessanteste digitale Songschreiberin; nun hat sie erstmals ein Album nicht zu Hause, sondern im Studio produziert. Und überraschend viele konventionelle Instrumente eingesetzt, ein quäkendes Saxofon zum Beispiel, sodass man eher an den verqueren Wave-Funk einer Lora Logic als an Dubstep denken muss. Oder an die Roches und die Cocteau Twins, die ja aus ganz verschiedenen musikalischen Welten kommen (aus dem US-Folk die einen, aus der nordenglischen New Wave die anderen) und sich in Holters Gesang treffen. Und der ist mir der bewegendste unserer Tage. (Domino) SEBASTIAN ZABEL
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