Flesh And Blood Rutger Hauer :: Regie: Paul Verhoeven
Paul Verhoeven ist der unverstandene Genius des amerikanischen Unterhaltungskinos. Wobei der Begriff des Genies an sich schon problematisch ist. Verhoevens Filme eignen sich nur bedingt zur intellektuellen Anteilnahme, obwohl das holländische Enfant Terrible (mit einem Doktor in Mathe und Physik) zweifellos intelligenter als die Mehrheit seiner Kritiker ist, die seinem Spektakelkino in der Vergangenheit Geschmacklosigkeit, Obszönität und Zynismus vorgeworfen haben. Verhoeven selbst hat diesen Bezeichnungen nie widersprochen und stattdessen erklärt, dass sie weniger seine Filme beschreiben als vielmehr die Verhältnisse, die seine Filme darstellten. So was hört natürlich niemand gerne über sich. Aber es wird kein Zufall sein, dass Verhoevens holländische Filme in den Niederlanden meist leidenschaftlich gehasst und in den USA kultisch verehrt wurden, während die US-Kritik seine Hollywood-Filme (allen voran „Showgirls“ und „Starship Troopers“) in der Luft zerriss, die Holländer seine Ankunft in Hollywood aber plötzlich mit vaterländischem Stolz zur Kenntnis nahmen.
„Flesh And Blood“ war 1985 Verhoevens erster mit amerikanischem Geld finanzierter Film. Er markierte damit, wenn auch noch in Europa gedreht, Verhoevens vorsichtige Annäherung an die Dimensionen des US-Blockbusterkinos. Vorausgegangen war eine hitzige Debatte in seiner Heimat um den Film „Spetters“, die Verhoeven dazu nötigte, den Niederlanden entnervt den Rücken zu kehren. Sein deftiges Jugendporträt war von Tugendwächtern damals für die Darstellung von Sex, Gewalt und Homophobie scharf attackiert worden, und zum Dank schenkte Verhoeven seinen Landsleuten mit „Der vierte Mann“ einen mit psychoanalytischen Symbolen und Klischees derart lächerlich zutapezierten Erotikthriller, dass sein Drehbuchautor Gerard Soeteman in späteren Interviews unverblümt von einer Verarschung der Kritiker sprach.
Verhoeven aber musste entgeistert mitansehen, wie ebendiese Kritiker „Der vierte Mann“ zu seinem besten Film erklärten (später gar zum besten holländischen Film der Achtziger). Zeit für einen Ortswechsel. Das Mittelalter-Abenteuer „Flesh And Blood“ bot Verhoeven reichlich Gelegenheit, seinen grundsätzlichen Zivilisationspessimismus etwas weniger konfrontativ zu formulieren -sieht man von den kruden Gewaltexzessen ab. Im Film zieht eine Gruppe von Söldnern unter Führung des „Auserwählten“ Martin (Rutger Hauer) brandschatzend, mordend und vergewaltigend durch ein archaisches Norditalien. Gesellschaftliche Zustände existieren nur noch rudimentär, das Land blutet, von Kriegen und der Pest gezeichnet, wie eine offene Wunde. Und jeder bedient sich beim Nächsten, wo er kann: die Großgrundbesitzer bei den Bauern, die Regenten bei ihren Untertanen, die Kriegstreiber bei ihren Soldaten.
Verhoeven schwelgt in düsteren Gesellschaftspanoramen, die von den Gemälden seiner Landsmänner Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel inspiriert sind. Als einzig verbindliche Instanz fungiert in dieser Barbarenwelt, die den comichaften Ton von „Conan“ durch einen grimmigen Realismus ersetzt hat, die christliche Religion. Bezeichnenderweise muss der Glaube hier als Rechtfertigung für jede Menge Schweinereien herhalten. Es war sozusagen Verhoevens Willkommensgruß an seine amerikanische Wahlheimat, wo gerne das Wort Gottes gesprochen und dann mit der Waffe gehandelt wird, wie er es einmal auf seine unnachahmliche Weise ausdrückte. In „Flesh And Blood“ legitimiert der heilige Schutzpatron Martin, dessen barmherziges Schwert nur noch in Richtung des nächsten Massakers weist, die Schandtaten der Rechtlosen.
Verhoevens frivole Lust an der Kolportage ist die kalkulierte Provokation eines arrivierten Status quo. Es wäre zu einfach, Verhoeven lediglich als Radaubruder unter Hollywoods Action-Regisseuren abzutun. Denn die spekulativen Schlüsselreize seiner Filme, auch wenn sie sich unverhohlen beim Exploitation-und Trashkino bedienten, warfen vor allem ein Licht auf den Betrachter zurück. Nur Verhoeven konnte eine beißende Kritik an der amerikanischen Interventionspolitik in der Ästhetik eines Militär-Rekrutierungsfilms drehen („Starship Troopers“). Die Veröffentlichung von „Flesh And Blood“ als DVD und Bluray macht noch einmal schmerzlich bewusst, dass für einen Regisseur wie Paul Verhoeven, der im vorigen Monat seinen 75. Geburtstag feierte, im aktuellen Hollywood-Kino kein Platz mehr ist. (Koch Media)