Thea Gilmore Regardless :: Gilmore kann alles: große Americana und eingängigen Folk-Pop
Alles beginnt ziemlich großartig. „Something To Sing About“ und „This Is How You Find The Way“ überwältigen mit orchestraler Verve. Der Titelsong gerät dann melodisch zu vorhersehbar und schmeckt ein bisschen nach abgelaufenem Konserven-Pop. Aber immer, wenn man glaubt, Gilmore etwas nachweisen zu können, wenn man schon einen üblen Vergleich auf der Zunge hat, ändert sie elegant die Richtung. Singt in „Spit And Shine“ über ein beinahe experimentelles Gerüst aus pulsierender Perkussion, Gitarren-Spiralen, Akkordeon und Flöte. Hält inne für den berückenden Liebesschwur „I Will Not Disappoint You“. Und brilliert in „Start As We Mean To Go On“ und „Love Came Looking For Me“ mit zwei ihrer schönsten, auch eingängigsten Popstücke, bei denen man sich wünscht, sie würden endlich mal von einschlägigen Radiostationen gespielt werden, die sonst auf kapitale Langweile à la Amy Macdonald setzen. Denn Gilmore und Produzent Nigel Stonier, der die Streicher auf „Regardless“ so wunderbar in Szene gesetzt hat, wissen, dass sich Anspruch und Radiotauglichkeit nicht ausschließen, sondern prima ergänzen -sofern man die richtigen Songs hat. (Fulfill/Alive) MAX GÖSCHE
Charlie Boyer And The Voyeurs Clarietta **1/2 Den Briten gelingt ein gutes Debüt in der Tradition von Television
Alles schon mal gehört, klar. So oder zumindest so ähnlich. Aber das ist natürlich unfair den Nachgeborenen gegenüber, die eine Band wie Charlie Boyer And The Voyeurs nicht mal schnell aus dem Post-Velvet-Kosmos der Mittsiebziger in New York City ab-und herleiten können. Denen es mit dem Recht der ersten Erweckung denn auch ziemlich egal sein kann, dass die neurotisch hochgeschnürten Stimmbänder von Charlie Boyer öfter mal wie die eines Zwillingsbruders von Tom Verlaine klingen.
Television -um mal bei dieser Hausnummer zu bleiben -waren dann aber doch eine ziemlich andere, musikalisch deutlich komplexere Baustelle, auf der sich dieses britische Quintett mit dem Finale „The Central Ton“ eher rührend verhebt. Das Fundament von Sänger/Gitarrist Boyer, Sam Davies (Gitarre), Danny Stead (Bass), Samir Eskanda (Drums) und Keyboarder Ross Kristian ist vielmehr dieser immer wieder junge, mittel bis schwer angezerrte 2-3-Akkord-Primitivismus, den Produzent Edwyn Collins mit genügend Punch von unten für ein Leben auch jenseits der Garage ausstattet. Dabei lebte schon die Debüt-Single „I Watch You“ auch von dieser gewitzten Orgel-Phrase, die ein kleines bisschen an Ray Manzarek (R.I.P.) erinnert.
Die kaum schlechtere B-Seite „Be Nice“ ist, wie sich das für eine gute B-Seite gehört, natürlich nicht auf „Clarietta“ zu finden. Was insofern schade ist, als die schöne Zeile „I see you want to rock’n’roll, you’ve got the jeans but you haven’t got the stroll“ das Distinktionsbestreben der Band so charmant-clever auf den Punkt brachte wie sonst fast nichts hier. Dem Instant-Appeal von Songs wie „Things We Be“,“You Haven’t Got A Chance“ und „Be Glamorous“ tut das aber keinen Abbruch.