The Canyons :: Lindsay Lohan, James Deen
Regie: Paul Schrader
Ein Film, wie gemacht für die Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Netzwerke. Paul Schraders fulminant unentschlossenes, auf souveräne Weise lustloses Comeback bedient mit einem Besetzungscoup die Erregungspotenziale der Netzgemeinde, lässt die Erwartungen dann aber mit der Gelassenheit eines alten Hasen ins Leere laufen. „The Canyons“ ist ursprünglich wohl mal als Reboot für die stockenden Karrieren von New-Hollywood-Maverick Schrader, Schock-Romancier Brett Easton Ellis und Lindsay Lohan (der wievielte Comebackversuch inzwischen?) gedacht gewesen, mit einem strategisch clever platzierten Hollywood-Debüt von Körperperformer James Deen, dessen Filmkarriere sich bislang auf ein Genre beschränkte, in dem Autorenschaft und darstellerische Leistungen keine Qualitätskriterien darstellen. Der Plan ging so gründlich schief, dass „The Canyon“ am Ende über Crowdfunding finanziert werden musste.
Schraders Name genießt seit dem Flop mit dem „Exorzist“-Prequel „Dominion“, bei dem er während der Dreharbeiten kurzerhand ersetzt wurde, bei Produzenten offensichtlich keinen Kredit mehr. Für ein kolportiertes Budget von 250.000 Dollar würden andere Regisseure nicht mal die Kamera einschalten. Schrader ist mit dieser lächerlichen Summe allerdings ein Film gelungen, der seine unübersehbaren Defizite ganz selbstbewusst ausstellt und das eigene Scheitern in einer Filmindustrie, die arm an intensiven, tiefsinnigen und ästhetisch profunden Erfahrungen ist, gleich noch miterzählt.
Die erste, sehr lange Szene in einem teuren Restaurant ist hinsichtlich Fremdschämfaktor und Unerbittlichkeit kaum zu überbieten. Sie dient augenscheinlich allein dem Zweck, die vier Hauptfiguren einzuführen. Christian (Deen), ein „trust-fund kid with daddy issues“, will mit Hilfe von Billigproduktionen in Hollywood Fuß fassen. Seine Freundin Tara (Lohan) ist ein Bündel blank liegender Nerven, ihr verlebtes Gesicht weist Spuren einer in jeglicher Hinsicht gebrochenen Biografie auf.
Das andere Pärchen am Tisch wird zum bloßen Spielball dieses hochgradig volatilen Power-Couples. Gina ist Christians Assistentin, Ryan wiederum hat eine (geheime) gemeinsame Vergangenheit mit Tara, will aber unbedingt die Hauptrolle in Christians nächstem Slasherfilm. Das DinnerGespräch, bei dem ostentativ auf Mobiltelefone gestarrt wird, bekommt einen soziopathischen Charakter, als Christian mit freimütiger Überheblichkeit über sein Sexleben zu plaudern beginnt. Der Einstieg sitzt, Schrader und Drehbuchautor Ellis haben den Ton für ihren Film gesetzt.
In „The Canyons“ finden zwei im Grunde gegenläufige Dekadenztheorien zusammen. Die von Schrader nimmt eindeutig einen moralischen Standpunkt ein, während Ellis noch einmal die altbewährte Zynismuskeule aus den Achtzigern rausholt. Folgerichtig kommt wirklich keine der Figuren gut weg.
Das Missverhältnis von Schraders bei allem Arte-povera-Bewusstsein visuell doch elegantem Gestaltungswillen und der Banalität von Ellis‘ Drehbuch ist der vielleicht irritierendste Faktor an „The Canyons“, der für eine Guerillaproduktion erstaunlich hohe Produktionswerte aufweist. Die Intrigen und sexy Machtspiele einer Gruppe physiognomisch gleichgeschalteter Hardbodies mit kompetitiven BodyMass-Index ist hier nicht mehr als ein referenzreiches Ornament aus Ellis‘ besseren Tagen. Nur Lindsay Lohan erhebt sich aus diesem Sumpf der Depravation wie eine verwelkte Lotusblüte. In einem bravourös dünnhäutigen Akt der Entäußerung hält der gefallene Disney-Kinderstar dem Voyeurismus des Publikums und seines notgeilen Regisseurs seinen ungeschminkten, von Selbstausbeutung versehrten Körper wie einen Schutzschild entgegen. Lohans fragile Physis führt die Genrelogik des Erotik-Thrillers, die sich aus den szenischen Miniaturen allmählich herausbildet, vollends ad absurdum.
„The Canyons“ beschwört bis hin zu den motivisch wiederkehrenden städtebaulichen Impressionen von zerfallenen Filmpalästen ein überreifes Untergangsszenario herauf. Dass Schraders bösartiger Abgesang auf die Filmindustrie – eine Art „Sunset Boulevard“ mit Instagram-Ästhetik – dennoch nie wie schäbiges Nachtreten wirkt, hat vielleicht mit der geringen Fallhöhe des Projekts zu tun. Schraders Film ist eine Zusammenkunft grandios Gescheiterter, die es noch einmal wissen wollten. Aus der Asche von „The Canyons“ wird keine zweite oder dritte Hollywood-Karriere entstehen. Als Pilot für eine Scripted-Reality-Show über das verkommene Leben in den Niederungen der Hollywood Hills hätte Schraders Film aber durchaus Potenzial. (KSM)