Die Giallo-Collection, Teil 1 :: Philippe Leroy, Tom Drake
Regie: Vittorio Sindoni, Piero Schivazappa, Francesco Mazzei
Eine langhaarige Schöne entkleidet sich im fahlen Mondschein am Fenster ihres Swinging-Sixties-Apartments. Aber o weh, es ist noch jemand im Zimmer: ein lederbehandschuhter, vermummter Unbekannter steht plötzlich da, flüstert Bedrohliches und führt auch gleich noch ein Messer in der Hand. Während es auf der Tonspur enervierend rumort, spritzt das Kunstblut meterweit, die Schöne lebt ab, und der Killer sucht unerkannt das Weite.
Szenen wie die oben beschriebene finden sich zuhauf im italienischen Thriller der Sechziger und Siebziger, dem Giallo. Oder besser: Der Giallo besteht im Wesentlichen aus Aneinanderreihungen derartiger set pieces. Wenn man so will, ist ein Giallo wie eine Endlosschleife der Duschszene aus „Psycho“ – nur in grellen Frühsiebziger-Farben, mit mehr nackter Haut und mit viel mehr Blut. Und ebenso wie der Spaghetti-Western ist er eine typisch italienische Genre-Spielart, die das Kino für immer umgekrempelt hat.
Begonnen hat alles mit den Filmen des Horror-Maestros Mario Bava, der 1964 in seinem zweiten Giallo, „Blutige Seide“, bereits alles etablierte, was für den Pasta-Thriller typisch werden sollte, als da wären: Ein vermummter Serienkiller mit psychosexueller Vollklatsche, der sich zu beunruhigender Musik durch den weiblichen Cast mordet. Farbgebung und Lichtsetzung, die die Grenzen zum Psychedelischen oft überschreiten. Ein denkbar unbesorgter Umgang mit Gewalt und Nuditäten. Ein labyrinthischer Plot, der bald zur Nebensache wird. Kuriose, in höchstem Maß verdächtige Nebenfiguren mit seltsamen Eigenschaften. Und eine Auflösung, bei der jegliche Glaubwürdigkeit erfrischend schnurz ist. Der Mörder ist am Ende idealerweise der-oder diejenige, von dem oder von der es am wenigsten zu erwarten war.
Im Rückblick ist es einigermaßen erstaunlich, dass eine der Inspirationsquellen des Giallo (von italienisch „gelb“, der Farbe italienischer Schundkrimi-Cover) die deutschen Edgar-Wallace-Produktionen waren. Denn wo letztere meist nur Hausmannskost-Grusel in gediegenem Schwarzweiß boten, ging der Giallo in die Vollen: Die Filme der Italiener waren knallbunt, sinnlich, böse, abgründig, kunstsinnig und gefährlich.
Die schönsten (wenngleich auch irrsten und unlogischsten) Gialli hat Dario Argento (zuvor Drehbuchautor unter anderem bei Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“, später Meister des Siebziger-Horrors) gedreht. Seine ersten drei Filme und das Meisterwerk „Profondo Rosso“ treiben die Möglichkeiten des Genres auf die Spitze: Argento macht den bald angewidert, bald erregt im Sessel herumrutschenden Zuschauer zum Komplizen des Verbrechers.
Bei Argento -wie bei allen besseren Giallo-Regisseuren -geht es um das totale Zeigen und das absolute Sehen: Weitäugig starrt der Zuschauer in einen mit knallrotem Kunstblut angefüllten Abgrund -und erblickt darin die Spiegelung des eigenen erschreckt-faszinierten Blickes. Der Giallo ist insofern Kino in seiner Extremform: Er treibt den Voyeurismus auf die Spitze und bindet den Zuschauer gleich noch als schuldigen Betrachter mit ein.
Anders als der Spaghetti-Western ist der Giallo bislang noch nicht im großen Stil wiederentdeckt worden – obwohl prominente Regisseure wie Martin Scorsese, Brian De Palma und der unvermeidliche Quentin Tarantino zu seinen Bewunderern und Nachahmern zählen. Doch während inzwischen selbst die obskursten Italo-Western eine Wiederveröffentlichung auf DVD erfahren, muss man, selbst um die Filme solcher Meister wie Bava oder Argento sehen zu können, schon etwas länger suchen.
Das deutsche Label Koch, das schon zahlreiche italienische Western und einige Gialli in lobenswerten Editionen herausgebracht hat, veröffentlicht nun in seiner „Giallo Collection“ drei eher obskure Genre-Beiträge. Da wäre zum einen der noch vor dem großen Boom entstandene Krimi „Tödliches Erbe“ von Vittorio Sindoni, dem die optischen Extravaganzen späterer Filme noch abgehen. Typischer ist „Die Waffe, die Stunde, das Motiv“, der unter der Ägide von Regie-Eintagsfliege Francesco Mazzei deutlich den Whodunnitall’italiana-Charakter der Argento-Filme variiert.
Am lobenswertesten ist aber unbedingt die deutsche Erstveröffentlichung von Piero Schivazappas „Femina Ridens“, einem typischen Beispiel für jene Sorte psychedelisch gefärbter Kunst-Krimis, wie sie von italienischen Regisseuren zu jener Zeit ebenfalls gern gedreht wurden. Der Film führt in Formvollendung vor, was für das italienische Kino jener Zeit so charakteristisch war: Kunst und Trash gehen unbekümmert Hand in Hand. C’era una volta nella Cinecittà… (Koch Media)