KICKS

Deadstring Brothers Cannery Row ***1/2

Die Deadstring Brothers haben ihren Schwerpunkt von Detroit nach Nashville verlagert, bestellen aber noch immer den musikalischen Acker, auf dem einst Gram Parsons und The Rolling Stones ihre Saat ausbrachten. Als unerschrockene Epigonen tun sie das nach wie vor mit Hingabe, jedoch nicht mehr halb so fiebrig und fulminant wie auf „São Paulo“, ihrer letzten LP von 2009. Das mag an den Songs liegen, die nur selten dermaßen in den Bann schlagen wie „Long Lonely Ride“ mit Kurt Marschke in patentiertem Jagger-Modus, wie der ebenfalls Stones-hörige Titelsong oder das finale, melodisch feine „Song For Bobbie Jo“. Es könnte auch daran liegen, dass die meisten Tracks in allzu gemäßigtem Tempo traben und variationsärmer arrangiert sind als vordem. Ein paar vokale wie instrumentale Highlights hat „Cannery Row“ freilich auch zu bieten. Die durchweg emphatischen Harmonies etwa und nicht zuletzt Mickey Raphaels Harmonica, die ein Klangbild in Sepiatöne taucht, an dem ohnehin nicht das Geringste auszusetzen ist. „This vinyl album was recorded, mixed and mastered on analog“, verkündet die Band angesichts der gleichgeschalteten Pixel-Ödnis Nashville nicht ohne berechtigten Stolz, „with no digital technology used at any point“. Man weiß sich im Exil, auch das epigonal. (Bloodshot)

The Casket Girls Sleepwalking ***1/2

Nicht mehr ganz aktuell, nun aber nach schnellem Ausverkauf wieder lieferbar, verbindet diese LP auf irritierende, inspirierende Weise zwei Elemente, die einander sonst kaum durchdringen: dunkel-verhangene Songs und geisterhaftätherische Mädchenstimmen einerseits, andererseits Synth-Cluster und elektronische Vibrationen der durchaus aufdringlichen Art. Für Letzteres zeichnet Ryan Graveface verantwortlich, für Lyrik und Liebreiz die Schwestern Phaedra und Elsa Greene. Eine Verbindung, die auf dem Papier nicht viel Sinn zu ergeben scheint, doch auf Platte oft faszinierende Momente zeitigt. Wie Engel in der Unterwelt treten die Casket Girls auf, mehr wispernd als singend, inmitten zerklüfteter synthetischer Soundscapes, die zuweilen an Julia Holters einfachere Orchestrierungen erinnern oder auch mal kakophonisch tönen. Sugar and spice.(Graveface)

Hiss Golden Messenger Haw ***1/2

Es wird viel geraunt und spiritualisiert auf „Haw“, benannt nach einem Fluss in North Carolina, dem allerlei Übernatürliches angedichtet wird. Hiss Golden Messenger ist M. C. Taylors Projekt, dies ist ihr viertes Album und trotz aller Verquastheit der Texte ihr bestes. Folkrock ist die stilistische Dominante, überlieferte Folk-Figuren werden aber ebenso eingebaut wie Jazz-Harmonien und Blues-Motive aus dem Piedmont. Wobei „Sweet As John Hurt“ zwar dem Mississippi-Blues-Pionier gewidmet, musikalisch jedoch recht flott unterwegs ist, auf dem Rücken einer Hi-Hat. Überhaupt sind es primär die leichteren, unbeschwerteren Songs wie das countryeske, Sax-verzierte „Cheerwine Easter“ über durststillende Limonade, die runtergehen wie ebensolche. Um Kniefälligkeiten wie „Devotion“ oder „Sufferer (Love My Conqueror)“ goutieren zu können, braucht es schon einen funktionierenden Bullshit-Detektor, und die Fähigkeit, über derlei prophetischen Humbug hinwegzuhören, ohne die wunderschönen Streicher-Ornamente zu überhören. Gepredigt wird nirgendwo, immerhin. (Paradise Of Bachelors)

Charlie Boyer And The Voyeurs Things We Be ****

Beat, Psych-Rock, Britpop: Charlie Boyer And The Voyeurs sind all das und mehr. Syd Barretts Exzentrik klingt in den Tracks dieser 7inch an, aber auch Tom Verlaines nervöse Energie und der hochmütige Impetus der besten Bands einer Ära, die im Rückblick gern verunglimpft wird: Cool Britannia. „Things We Be“, produziert von Edwyn Collins und Seb Lewsley, wuchert mit einem geordneten Wust aus Orgel und Gitarren, zugleich klassisch-vertraut und kräftig gegen den Strich gebürstet. Die B-Seite „Feathers And Tar“ startet schrammelig-verhalten, nimmt dann Fahrt auf, Boyer leicht tremolierend, die Gitarre im Rückwärtsgang. (Heavenly)

Marti Brom Macumba Love ****

Mit „Crazy Fever“, ihrer ersten Single vor gut 20 Jahren, gelang dem kleinen Energiebündel aus Texas ein Rock’n’Roll-Statement von beängstigender Perfektion. Diese aktuelle 7inch ist freilich mehr der alten Novelty-Tradition knochenklappernder Voodoo-Beschwörungen verpflichtet. „Macumba Love“ hat Marti selbst aus irgendeinem Dschungel mitgebracht, Willie Mitchells „Goof Ball“, im Original von den 5 Royales, wird unter schauriger Mithilfe von Barrence Whitfield gecovert, herrlich überdreht.(Goofin‘)

El Depravo Tulare Kiss ****

Hinter dem trashigen Mex-Moniker verbergen sich Chuck Prophet, James De-Prato und Rusty Miller, und auf den zwei superb swingenden Instrumentals dieser Single leben die Compadres lustvoll Pulp-Fiction-Fantasien aus. Lichtscheue Gestalten und Go-go-Girls im Bikini dürften darin tragende Rollen spielen, den Sound liefern die Ventures und die Wailers. „Tulare Kiss“ rumort wollüstig zwischen Surf und Fuzz, indes die Flip „Revolution Casino“ auf die Coolness schneidender Riffs setzt. (Belle Sound)

Shovels & Rope Johnny 99 ***1/2

Shovels & Rope sind Cary Ann Hearst und Michael Trent aus Charleston, South Carolina. Das Duo spielt Folky Tonk oder Honky Pop, je nach Materiallage. Bruce Springsteens „Johnny 99“, vom Boss einst in spartanischem Ernst entboten, hüpft nun recht animiert, während „Bad As Me“ von Tom Waits auf der Rückseite durch den Unisono-Gesang einen frivol-flatterhaften Anstrich bekommt, der dem grantelnden Original eher abgeht, trotz Zeilen wie „You’re mother superior in only a bra“.(Third Man)

Best Coast Fear Of My Identity ****

Die Melodie glaubt man schon zu kennen, der Break birgt auch keine Überraschung, „Fear Of My Identity“ ist anheimelnder Pop in schönster Best-Coast-Manier. Doch geht es ums Verlassenwerden, um Seelenpein, die Bethany Cosentino anmutig durchleidet. „The pain is getting stronger“, singt sie, „the hate is getting darker, the fear is growing larger“. Am Ende die schmerzliche Selbsterkenntnis vor dem Spiegel, auf der Rückseite weitergesponnen: „Sometimes I hate myself for loving you“.(Wichita)

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