Magma :: Keine Trends: Dufter Deutschrock, der sich selbst genügt
Wie ihren Kollegen von Muse sagt man den Hamburgern um Jan Plewka einen Hang zum Größenwahn nach. Während die englischen Über-Bombastrocker jedoch auf Olympia-Schlusszeremonien aufspielen dürfen, reichte es für Selig bisher nur zur Eröffnung einer Hamburger U-Bahn-Station.
Auf dem dritten Werk seit ihrer Reunion (damit haben sie nach ihrem Bruch genauso viel Studioalben veröffentlicht wie in Phase eins) präsentieren sich die fünf ungleichen Freunde im 20. Jahr ihres Bestehens jedoch erstaunlich geerdet und über jeden Bullshit erhaben. Während Muse gerne „Musik zur Zeit“ machen würden und doch immer nur dem Trend hinterherhecheln, versuchen Selig gar nicht erst, mit aktuellem Firlefanz wie Dubstep klarzukommen und ziehen ihr eigenes Ding durch. Kein Blick zurück, es zählt nur der Moment, und klug wird der Mensch im Alter. Dann hört man auch auf gute Berater: Erstmals seit den frühen Franz-Plasa-Tagen haben Selig mit Steve Power (Robbie Williams, Blur, Babybird) wieder einen Produzenten an ihr Material gelassen.
Während der Vorabtrack „Love & Peace“ noch wie ein Zusammentreffen von Deichkind und Queens Of The Stone Age anmutete, ist die Single „Alles auf einmal“ mit der autobiografischen Zeile „Ich verliere meine Mitte, und das hatten wir schon mal“ die beste Heinz-Rudolf-Kunze-Nummer, die der Rock-Liedermacher nicht selbst geschrieben hat. „Sie scheint“ beackert altbekanntes Grunge-Terrain, „Der Tag wird kommen“ und „Zeit“ sind herzallerliebste Balladen, die man sich gerne als deutschsprachiges Repertoire bei „The Voice Of Germany“ gewünscht hätte – das Beste, was man sich so zwischen Purple Schulz und Kettcar vorstellen kann. „Wenn ich an dich denke“ mit dem Two-Door-Cinema-Club-artigen Intro haftet dagegen uneingeschränkter Hymnencharakter an – zumal sich jeder mit der Die-ganze-Zeit-angestrengt-versuchen-nicht-an-diese-Person-zu-denken- und-dann-doch-nichts-anderes-tun-Problematik auskennt.
Selig haben das, was sie im von Madchester und den Stone Roses inspirierten Eröffnungsstück „Ich lüge nie“ besingen: ein reines Gewissen. Und als Rezensent darf man sich erlauben, ähnlich wie die Band aus der Zeit gefallene Worte als Fazit zu benutzen: Dufte! Und: Geht unter die Haut! (Universal) Frank Lähnemann
Freddie McGregor