Gladys :: (Noch) kein Soul-Wunder, aber ein solides Debüt der Berlinerin
Das fängt ja gut an für Leslie Clio. Die 26-jährige Wahl-Berlinerin wurde gleich als „das deutsche Soul-Wunder“ bevorschusst. „Die deutsche Adele – nur hübscher!“ „Die neue Amy Winehouse – nur nach Bananen süchtig!“ Joss Stone soll sie als Support sogar an die Wand gesungen haben. Und nun dieser Albumtitel! Eine Hommage an Gladys Knight, die „Kaiserin des Soul“?
„Gladys“ entpuppt sich als Name des Ordners, in dem Leslie Clio die Songdateien auf ihrem Computer abgespeichert hat, und das Wunder als sehr erdverbunden. Ein Verdienst vor allem von Produzent Nikolai Potthoff: Auch wenn er sicherlich Carmels „The Drum Is Everything“ in seinem Plattenschrank stehen hat, in den 80er-Jahren eine Art Blueprint für Blue-Eyed Soul und das begleitende Jazz-Revival, versuchte er nicht, „Gladys“ krampfhaft auf „Retro“ zu trimmen. Der hauptberufliche Bassist von Tomte trug dafür Sorge, dass die Arrangements nicht zu geschmäcklerisch gerieten, dass sich neue und alte Sounds organisch zusammenfügten und der Pop-Appeal nie verloren ging. Sein Navigationssystem geriet nur in Ausnahmefällen leicht ins Stottern – dann ängstigt man sich kurz vor möglichen Vaya-Con-Dios-Anleihen in Form von IKEA-Musterwohnzimmer-Swing. Das Kalkül aber steckt hier im Nicht-Kalkül.
Sieht man sie demnächst in Londons legendärem Jazz-Club Ronnie Scott’s? Die Qualifikationsrunde für einen Auftritt hat die Wesensverwandte von Duffy jedenfalls lässig geschafft. Und nach oben ist auch noch ein wenig Luft. (Universal) Frank Lähnemann
Delta Spirit