Die Strände von Agnès :: Regie: Agnès Varda
„Würde man in mich hineinschauen, würde man Strände finden“, erklärt Agnès Varda am Anfang ihres autobiografischen Filmessays. Die mittlerweile 84-jährige Grande Dame der französischen Kinokunst blickte 2008 in einem einzigartigen poetischen Bilderreigen auf ihr Leben, ihre Lieben und Leidenschaften zurück. Ausgehend von einer Spiegelinstallation an der belgischen Nordseeküste, wo sie als Kind die Sommer verbracht hatte, reflektiert sie ihre Erinnerungen an die Kriegsjahre, die Fotografenausbildung in Paris und die inspirierenden Reisen nach Kalifornien. Sie folgt keiner klaren Linie, sondern entwirft mit selbstironischen Gedanken und wehmütigen Stimmungen ein assoziatives Puzzle aus alten Fotografien und Filmaufnahmen, Anekdoten und Bekenntnissen, Szenen aus ihren Filmen oder Episoden, in denen andere ihre Rolle einnehmen. Ein intimes, aber nie aufdringliches Selbstporträt, weil Varda mit spielerischer Kunstfertigkeit von außen sich selbst betrachtet. Ohne Extras. (SchwarzWeiss) OH
Paul Newman, Eva Marie Saint
Regie: Otto Preminger
Großes Kino braucht immer ein plastisches Bild von komplexen Entwicklungen. Auf einen Zeitraum von drei Monaten verdichtet hat Otto Preminger in seinem Monumentalfilm nach dem Roman von Leon Uris („Topaz“) historische Ereignisse, die zum Gründungsmythos des israelischen Staates gehören. Das macht die Handlung verständlich, den Film allerdings auch angreifbar. Die ohnehin schon dramatische, abenteuerliche wahre Odyssee der „Exodus 47″, die Holocaust-Überlebende illegal in das britische Mandatsgebiet Palästina einzuschleusen versuchte, wird hier auf einen heroischen Akt der Verzweiflung verknappt: Der zionistische Untergrundkämpfer Ari (Paul Newman) tritt 1947 an Bord des vor Zypern ankernden Schiffs mit 600 jüdischen Flüchtlingen in den Hungerstreik, um die Ausreise ins Gelobte Land zu erzwingen. Sollten die Briten eingreifen, droht er, das Schiff zu sprengen. Ausgewogener, aber ebenso packend fällt der zweite Teil des Films aus – mit der Rivalität zwischen radikalen Kräften, die im Kampf für einen jüdischen Staat auch Terroranschläge einsetzen, und den Verfechtern diplomatischer Mittel. Mit zahlreichen Charakteren, zwischen denen die Krankenschwester Kitty (Eva Marie Saint) hilflos wie ein Symbol für Israels Schutzmacht Amerika steht, zeichnet Preminger die grundlegende Problematik, die für den Nahost-Konflikt noch heute gilt. Und so bleibt Aris Hoffnung am melodramatischen Ende, die Juden und Araber mögen eines Tages in Frieden zusammenleben, eine gültige Botschaft. Ohne Extras. (Arthaus) OH
Regie: Dominik Graf und Michael Althen
Der Titel dieses bereits vor mehr als zehn Jahren entstandenen Filmessays kann in die Irre führen. Denn die bayrische Landeshauptstadt ist nicht Mittelpunkt, sondern Kulisse dieser Betrachtung des urbanen Lebens. Es geht um die Menschen, die die Stadt formen und von der Stadt geformt werden, um die Illusionen, Geschichten und Träume, die auf keiner Straßenkarte verzeichnet sind, jede Stadt jedoch wie ein Netz überspannen. Die beiden Autoren – der Regisseur Dominik Graf und der 2011 verstorbene Filmkritiker Michael Althen – haben dafür eine lakonisch-poetische Sprache gefunden, die die collagierten Traumbilder und Spielsequenzen magisch auflädt. Manchmal muss man an die kindlichen Stadterkundungen aus den surrealen Geschichten des galizischen Autors Bruno Schulz denken oder an Jonathan Rabans eindrucksvolles Metropolenpanorama „Soft City“. Und natürlich an Wim Wenders, der wie kein Zweiter die Topographie der bundesdeutschen Städte zum Thema seiner Filme machte. Dominik Graf schreibt im Begleittext, Althen habe den Film damals mit seinen zwei Stunden für zu lang befunden, er dagegen für zu kurz. Fast scheint es, als hätten sie hier die Rollen getauscht, denn aus Sicht eines Regisseurs ist „München. Geheimnisse einer Stadt“ wohl überfrachtet mit Gedanken und Impressionen, aus Sicht eines Autors (und Lesers) vermisst man Althens nach dem Rohschnitt unter den Tisch gefallenes Kapitel über Münchens verschwundene Kinos. (Absolut) MB
Pierre Fresnay, Micheline Francey
Regie: Henri-Georges Clouzot
Bevor der langjährige Drehbuchautor Clouzot in den 50er-Jahren selbst Werke von Weltrang wie „Lohn der Angst“ und „Die Teuflischen“ drehte, bewies er bereits in diesem Film noir von 1943 sein Talent für psychologisch ausgefeilte Spannung. Dr. Germain (Pierre Fresnay) hat an einem Hospital in der französischen Provinz ein Verhältnis mit Laura (Micheline Francey), der jungen Frau des Chefarztes. Eines Tages erhält er einen anonymen Brief, in dem ihm mit Geheimnissen aus seiner Vergangenheit gedroht wird. Germain verdächtigt zuerst Lauras missgünstige Schwester, dann die manische, eifersüchtige Tochter des Schuldirektors. Aber auch andere hochrangige Persönlichkeiten werden von dem Schreiber erpresst, der stets mit „Der Rabe“ unterzeichnet. Zwischen Gesellschaftsdrama und Thriller spinnt Clouzot im expressionistischen Stil eine vergiftete Atmosphäre aus Lügen, Intrigen und Paranoia. Obwohl Otto Preminger 1951 mit „The 13th Letter“ ein Remake inszenierte, wurde der Einfluss des Originals lange kaum gewürdigt – auch weil der Film durch die Kooperation mit einer nationalsozialistischen Produktionsfirma nach Kriegsende geächtet worden war. (Arthaus) OH