EXTRAS :: Thor ***¿
Zwischen Kunst und Kommerz: dunkel-mystische Comicverfilmung des britischen Shakespeare-Experten Kenneth Branagh
Chris Hemsworth, Anthony Hopkins, Natalie Portman
Regie: Kenneth Branagh
Der 1995 verstorbene Dramatiker Heiner Müller hat gesagt, er habe lieber eine Affäre mit der Putzfrau als mit der Dramaturgin, dann könne sich sein Geist ausruhen. Ähnlich könnten Kinoregisseure denken, die vom Arthouse zum Mainstream wechseln. Und natürlich steht dahinter auch der Wunsch, sich von der Gnade des Feuilletons zu lösen und mal einen richtigen Hit zu landen.
Der letzte Erfolg von Kenneth Branagh liegt schon lange zurück, wenn man den Erfolg seines Regiedebüts „Henry V.“ von 1989 denn so nennen kann. Sein an Hitchcock angelehnter Thriller „Schatten der Vergangenheit“ und seine Verfilmung von „Mary Shelley’s Frankenstein“ blieben hinter den Erwartungen von Hollywood zurück. Zuletzt drehte der Shakespeare-Spezialist („Viel Lärm um nichts“, „Hamlet“) mit „1 Mord für 2“ gar einen Flop. Jüngeren Zuschauern dürfte der Brite daher nur durch seine Rolle als Lehrer Gilderoy Lockhart in „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ bekannt sein.
Insofern bot sich für ihn mit der Adaption eines Comics die beste Chance, mal im Trend zu liegen. „Thor“ gehört wie „Spider-Man“, „X-Men“ oder „Blade“ zum Superhelden-Universum von Marvel. Der zwischenzeitlich geschwächte Verlag hatte jahrelang die Filmrechte an seinen Figuren verkauft. Angespornt durch die immensen Einspielergebnisse der Reihen, setzt er nun als Produzent die Verfilmung seiner zweiten Garde selbst um. Nach dem Action-Spektakel „Der unglaubliche Hulk“ von Louis Letterier ist vor allem der Mut belohnt worden, „Iron Man“ von John Favreau als selbstironisches Männerdrama inszenieren zu lassen.
Auch von Branagh wurde als Regisseur gewiss mehr erwartet als nur Krawall. Denn die Story vom Göttersohn Thor (Chris Hemsworth), der wegen seiner kriegslüsternen Überheblichkeit von seinem weisen Vater Odin (Anthony Hopkins) auf die Erde verbannt wird, hat etwas von der Epik der Nibelungensage und der Dramatik eines Shakespeare. Im Kampf um das Reich Asgaard, ausgelöst durch eine Intrige des eifersüchtigen Bruders Loki (Tom Hiddlestone), bringt Branagh alles perfekt zusammen: furiose Action, gewaltige visuelle Effekte – und vor allem kraftvolle Dialoge. Gerade Hopkins besticht dabei als Allvater mit Ernst und Tiefe.
Dagegen verflacht die Geschichte etwas, wenn sie ins Hier und Jetzt wechselt. Die Handlung setzt eher auf Ironie und manchmal auch zu schlichte Komik. In seiner irdischen Existenz seiner Stärke beraubt, wird Thor von einem Elektroschocker ausgeschaltet und einem Wagen umgefahren. In einer Tierhandlung verlangt er nach einem Ross. Die staunende Astrophysikerin Jane (Natalie Portman) nimmt den blonden Hünen trotz der Bedenken ihres väterlichen Kollegen Erik (Stellan Skarsgård) auf.
Wie üblich in diesem Genre erscheinen bald Agenten und Militärs. Denn Thors Hammer, den Odin die „Waffe der Zerstörung oder schöpferisches Werkzeug“ nennt, steckt wie einst Excalibur in einem Fels von New Mexico. Und nur wer sich würdig erweist, wird ihn herausziehen können.
Dass Thor, der etwas zu sehr dem kalifornischen Surfertyp ähnelt, seine Hybris überwinden wird, steht natürlich außer Frage. Und der Weg der Erkenntnis ist auch recht banal. Eine hübsche Frau und ein bisschen Demut reichen schon aus. Trotz gelegentlichen Pathos ist Branagh der Spagat zwischen Kunst und Kommerz aber exzellent gelungen. Nicht so düster geerdet wie Christopher Nolans „The Dark Knight“, bleibt sein mystisches Fantasy-Drama eine unterhaltsame Comicverfilmung. (Paramount)
Audiokommentar von Kenneth Branagh, elf entfernte Szenen und sieben Dokumentationen über die Effekte, den Soundtrack, das Casting und anderes. Zudem gibt es ein Feature zum „Avengers“-Projekt, in dem Marvels Superhelden 2012 gemeinsam antreten. Am Ende von „Thor“ ist daher wieder Samuel L. Jackson als S.H.I.E.L.D.-Leiter zu sehen.
Neve Campbell, Courteney Cox
Regie: Wes Craven
Die Wiederbelebung des Horrorfilms startete Wes Craven, einer der Veteranen der 70er-Hardcore-Jahre-Schocker, die etliche Genreregeln sprengten, mit „Scream“ aus der Spaßecke. Er und Drehbuchautor Kevin Williamson trafen mit dem selbstreferenziellen, hintersinnigen Stil ihrer Slasher-Komödie von 1996 den damals vorherrschenden ironischen Ton. 2000 war trotz des Erfolges zweier Fortsetzungen die Idee verbraucht. Was sie nun zu einem weiteren Teil bewogen hat, ist schleierhaft. Abgesehen von neuer Kommunikationstechnik wie Handys, Internet-Blogs und Webcams, hangelt die Story sich am bekannten Plot entlang. Extras: Making-of, Audiokommentare, weitere Szenen, alternativer Anfang und Schluss. (Wild Bunch/UIP)
Jason Statham, Ben Foster
Regie: Simon West
Das Original von 1972 gehört unter dem deutschen Titel „Kalter Hauch“ zu den unterschätzten Klassikern. Charles Bronson verkörpert darin den Auftragskiller Bishop, der seine Morde mit Geduld und Präzision wie Unfälle aussehen lässt. Er stellt keine Fragen und zeigt keine Gefühle, obwohl kleine Gesten andeuten, wie sehr er in seiner abgeschiedenen Villa unter dem Druck und der Einsamkeit leidet. Seine Kaltblütigkeit geht so weit, dass er sogar seinen Verbindungsmann und einzigen Freund liquidiert. Dass er danach dessen arroganten Sohn unter seine Fittiche nimmt, ist reine Berechnung: Er erkennt in ihm das gleiche Potenzial zum Töten. Regisseur Simon West musste das Remake, wohl um den Schauwert zu erhöhen, mit extrem viel Geballer, Geschrei und Gehetze zum Action-Spektakel aufpeppen. Extras: weitere Szenen, Feature über die Entstehung der Actionszenen. (Kinowelt)
Christian Berkel, Ulrich Noethen
Regie: Miguel Alexandre
Udo Jürgens wird 77. Und der deutsche Unterhaltungsbetrieb feiert den ewigen Frauenhelden, Entertainer und Komponisten unverwüstlicher Gassenhauer mit einem epischen TV-Zweiteiler zwischen sentimentaler Er- innerung und Familiensaga. Ein Straßenmusiker mit einem Fagott, erzählt Jürgens selbst in dokumentarischen Szenen, habe seinen Großvater Heinrich (Christian Berkel) am Ende des 19. Jahrhunderts dazu bewogen, nach Moskau auszuwandern. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs verliert die Familie ihr Vermögen. Später in Österreich muss sich sein Vater Rudi (Ulrich Noethen) als Bürgermeister mit den Nazis arrangieren, während der Bub lieber am Klavier sitzen möchten als in der Hitlerjugend strammzustehen. 1957 bricht er nach einer Reise in die USA das Studium ab und wird Barpianist, bis er 1966 mit dem Sieg beim Grand Prix d’Eurovision zum nationalen Star wird. Das Drehbuch neigt zu einfachen Lebensweisheiten und rührseliger Dramatik. Extras: Making-of, exklusives Interview mit Jürgens. (Universum)
Ludevine Sagnier, Diana Kruger
Regie: Fabienne Berthaud
Die 20-jährige Lily (Ludivine Sagnier) hat noch das naive Gemüt eines Kindes. Sie lebt mit staunendem Blick in den Tag hinein, bastelt Pantoffeln aus dem Fell toter Tieren und lässt sich von drei Jungs befummeln, als wären es Doktorspiele. Als die Mutter stirbt, zieht die ältere Schwester Clara (Diane Kruger) vorübergehend zu ihr aufs Land. Lilys ungezwungene Art stellt ihre Geduld, aber auch ihre Ehe mit dem lange verständnisvollen Anwalt Pierre (Denis Menochet) auf die Probe. Man liebt oder hasst diese große Göre. Neben der überkandidelten Sagnier kommt Kruger über eine hölzerne Schauspielleistung nicht hinaus. Als Lebensentwurf jenseits bürgerlicher Zwänge, wie es Regisseurin Berthaud in der Verfilmung ihres Romans andeutet, taugen die Plattitüden und Klischees nicht. Extras: Special Edition und Blu-ray enthalten Berthauds Debüt „Frankie“, ebenfalls mit Kruger. (Alamode)
X-Men: Erste Entscheidung ***¿
James McAvoy, Jennifer Lawrence
Regie: Matthew Vaughn
Von einem Konzentrationslager der Nazis bis zur Kubakrise spannt das Prequel zur „X-Men“-Trilogie die Vorgeschichte eines gemeinsamen Kampfes um Vergeltung und Akzeptanz, der am Ende in der Feindschaft zwischen den Mutantenführern Magneto und Professor X mündet. In einem düsteren Prolog wird vor allem die familiäre Tragik um den jungen Erik Lehnsherr (Michael Fassbender) geschildert, der 1944 wegen seiner Fähigkeiten vom sadistischen Wissenschaftler Klaus Schmidt (Kevin Bacon) zu Experimenten gezwungen wird. 1962 ist er von Rache getrieben auf der Suche nach seinem einstigen Peiniger, der sich nun Shaw nennt und Amerika in einen Nuklearkrieg gegen Russland drängen will. Regisseur Vaughn („Kick-Ass“) setzt mit seinem ebenso ernsten wie humor- und effektvollen Action-Drama über Toleranz, Identität und Hass die komplexe Comic-Reihe stimmig fort. Extras: entfallene Szenen. Blu-ray zusätzlich mit drei Features. (Fox)