First Aid Kit :: The Lion’s Roar
Americana mal anders: zwei Schwedinnen in Omaha
Einbildungskraft schlägt Erfahrung. Das wussten schon die Motown-Schreiber, die den Temptations eine Frau auf den Leib fantasierten, die sie – „Just My Imagination“ – in Wirklichkeit nicht mal kannten. Das machten über 40 Jahre später auch Klara und Johanna Söderberg deutlich, die 2008 auf ihrer Debüt-EP „Drunken Trees“ mit schweren Beziehungskisten wie „You’re Not Coming Home Tonight“ und „Tangerine“ ihren damals gerade 18 bzw. 15 (!) Lebensjahren trotzten.
So verblüfft es kaum noch, wenn die Schwestern aus Stockholm jetzt in „Emmylou“ Americana-Ikonen am Stück namechecken, noch bevor sie einen Fuß aufs gelobte Land gesetzt hatten. Für ihr zweites Album reisten First Aid Kit nach Omaha, Nebraska, wo bekanntlich Mike Mogis Studioregie führt und sich auch Conor Oberst nicht zu schade war, kurz auf eine letzte Strophe vorbeizuschauen. Der mit den Felice Brothers zelebrierte Mariachi-Swinger „King Of The World“ ist die fulminante declaration of independence junger Frauen, die Böses ahnen ( „One day I’d wake up all alone with a big family, an emptyness down in my bones …“) und doch nicht anders können, als alle Zweifel in einem mächtigen Refrain zu bannen: „I’m nobody’s baby, I’m everbody’s girl, I’m the queen of nothing, I’m the king of the world.“
Die Bright-Eyes-Delegation, die Nate Walcott noch komplettiert, ist klug genug, die Söderbergs und ihre strahlenden Harmonien auf ihrem ersten Band-Album nicht mit großem Aplomb zu ersticken, entfaltet aber eine neue Dynamik jenseits eingespielter Duo-Pfade. Im fließenden „Hearts Of Men“, mit behutsam gesetzten Streichern („To A Poet“) oder dem Instrumental-Zwischenspiel von „Dance To Another Tune“. Selbst ein großes Lonesome wie „New Year’s Eve“ klingt irgendwie anders in Omaha.
Gleichwohl – und der Schaufenster-Americana von „Emmylou“ zum Trotz – bleibt der europäische Kern von First Aid Kit erhalten, nicht nur wenn die Schwedinnen mit einer müden Wolfsmutter um die Wette heulen. Eine gute Erfahrung also. Und die Kraft ihrer Einbildung blieb auch nicht auf der Strecke. (Wichita/PIAS) Jörg Feyer
Beste Songs: „Dance To Another Tune“, „King Of The World“