Tindersticks :: The Something Rain
Noch einmal gelingt den englischen Romantikern ein furioses poetisches Meisterwerk.
Im Herbst vor 19 Jahren erschien das erste Album der Tindersticks, in einem Jahr von großen Platten die großartigste: Szenen zwischen Boudoir und Schlafzimmer, Zigaretten und Brandy, Songs mit Piano und Orgel und akustischer Gitarre und Violine, in denen nie die Sonne schien, eine Atmosphäre zwischen Lord Byron, Oscar Wilde und Shelagh Delaney, das Genuschel eines Sängers, das aus dem Bett zu kommen schien oder hinter schweren Vorhängen ertönte. Der Regen, die gedrungenen Häuser mit kleinen Gärten, die Straßenlaternen, der Suff, der Ennui und die Liebe: Dieses Album war das romantischste und britischste, das je aufgenommen wurde.
Seitdem haben die Tindersticks selten enttäuscht. Sie produzierten fünf weitere Alben, gingen auseinander, kamen wieder zusammen, änderten die Besetzung. Stets dabei waren Stuart A. Staples, der genialische Sänger und Songschreiber, und David Boulter, der Pianist und Arrangeur. Staples hatte 2003 und 2005 zwei schüttere, bescheidene Alben mit seinen Songskizzen aufgenommen. „Lucky Dog Recordings“ und „Leaving Songs“ waren die Polaroidfotos zu den Gemälden und Fresken der Tindersticks: kein Glamour, keine Übertreibung, kein Überschwang. Statt David Lean: Mike Leigh.
Nun, zwei Tindersticks-Platten später, sagt Staples, sie hätten nur zweimal dieses Gefühl gehabt, dass etwas absolut perfekt gelinge und jedes Detail am richtigen Platz sei. Das erste Mal, so darf man folgern, war das Debüt-Album oder das vielleicht noch bessere zweite. Das zweite ist nun „The Something Rain“. Mit einem Rezitativ beginnt es, einer Erzählung wie „My Sister“ und „Story Of Tindersticks“ – „Chocolate“ ist die Schilderung eines Abends im Pub und in der Wohnung einer Eroberung, ein erotisches Stilleben aus heißer Schokolade, Orangenlikör und Zigaretten, der Traum von einer Boheme, die auskommt mit einem gemieteten Zimmer, einem Plattenspieler mit ein paar LPs, einem Heizofen und der Toilette auf der Etage. „She even agreed, On Her Majesty’s Secret Service‘ was the best Bond film, if you accept it as a whole, and not just get hung up about George Lazenby. She smoked Silk Cuts, she didn’t like Marlboro’s, but we both had a fondness for Old Port cigars …“
Dann entfaltet sich die Magie der Songs, die von unerhörter Klarheit sind, arrangiert um Boulters Orgelspiel, Trompeten und tief tönende Saxofone, die noch einmal so tief ins Herz schneiden wie damals. „Show Me Everything“ glüht noch verhalten, doch „This Fire Of Autumn“ legt schon ein unerbittliches Tempo vor. „A Night So Still“: ein typisches Nocturno der Tindersticks. „Slippin‘ Shoes“: wohliges Gemurmel. Dann „Medicine“, eine Fuge zwischen Heilung und Drogenhölle, und schließlich „Frozen“: die Geschwindigkeit eines Schnellzugs, das Schlagzeug entfesselt, schreiende Saxofone, Geräusche in der Nacht und Staples‘ Gestammel „If I just could hold you“. „Come Inside“ schließlich ist eine reine, süße Ballade, flirrende Streicher, das Xylofon, Staples maunzt, der Chor säuselt: „I’m living my life day by day/ Come inside, I’ve been expecting you.“
Dass wir das noch erleben dürfen! (City Slang)
Beste Songs: „A Night So Still“, „Frozen“